Pakistanischer Ex-Premier Imran Khan angesichts von Massenprotesten auf Kaution freigelassen – Behörden wollen ihn erneut inhaftieren

Am Freitag wurde der pakistanische Ex-Premierminister Imran Khan nach vier Tagen gewaltsamer Zusammenstöße zwischen seinen Anhängern und den Sicherheitskräften auf Kaution freigelassen.

Khan war am Dienstag von Army Rangers, die einen Gerichtssaal stürmten, gewaltsam festgenommen worden. Als es daraufhin zu landesweiten Unruhen kam, setzte die Regierung das Militär in der Hauptstadt Islamabad und in den größten Städten von drei der vier pakistanischen Provinzen ein. Sie legte außerdem im ganzen Land die Mobilfunknetze still und verhängte (gemäß Abschnitt 144 des Strafgesetzbuchs) in weiten Teilen des Landes ein generelles Verbot für alle Versammlungen von mehr als vier Personen.

Am Dienstag und Mittwoch wurden mindestens acht Demonstranten getötet und mehr als 2.000 verhaftet. Die Polizei nahm außerdem mehrere führende Mitglieder von Khans Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI, Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) fest.

Laut Medienberichten nahm die Intensität der Proteste am Dienstag aufgrund des massiven und gewaltsamen Vorgehens von Militär und Polizei ab. Auch eine Intervention des Obersten Gerichtshofs spielte eine wichtige Rolle. Bei einer Anhörung vor einem dreiköpfigen Gremium des Obersten Gerichtshofs am Donnerstagnachmittag kam das höchste pakistanische Gericht zu dem Schluss, dass Khans Verhaftung „ungültig und rechtswidrig“ war. Es ordnete seine sofortige Freilassung an, allerdings mit der Auflage, dass er bis zu einer Anhörung vor einem Gericht in Islamabad am Freitag zur eigenen Sicherheit unter Polizeischutz bleibe. Bei der Anhörung am Freitag ging es um die Korruptionsvorwürfe, die zu seiner unrechtmäßigen Verhaftung führten.

Bei dieser Anhörung wurde Khan zum Entsetzen der Regierung auf Kaution freigelassen, jedoch aufgefordert, in zwei Wochen erneut vor Gericht zu erscheinen.

Der ehemalige pakistanische Premierminister Imran Khan (Mitte) wird am 12. Mai 2023 in Islamabad von Polizeibeamten zu einem Gerichtstermin eskortiert. Ein Hoher Gerichtshof in Islamabad gewährte ihm einen zweiwöchigen Vollzugsaufschub in einem Korruptionsverfahren und ließ ihn auf Kaution frei. [AP Photo/Anjum Naveed]

Khan ist ein rechter islamischer Populist, dessen Aufstieg zur Macht durch die Machenschaften des Militärs begünstigt wurde. Nach seiner Amtsübernahme ließ er seine demagogischen Versprechen, einen „islamischen Sozialstaat“ zu errichten, schnell fallen und verhängte stattdessen brutale, vom IWF diktierte Sparmaßnahmen.

Das Militär und große Teile der herrschenden Klasse verloren jedoch schließlich das Vertrauen in die Fähigkeit seiner PTI-geführten Regierung, eine weitere Reihe von Kürzungen der Sozialausgaben und Preissubventionen sowie eine Forcierung des Privatisierungsprogramms gegen den wachsenden Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen. Sie kamen außerdem zu der Überzeugung, er habe Pakistans Beziehungen zu Washington unnötigerweise weiter verschlechtert, u.a. durch den Versuch, nach dem Ausbruch des von der Nato und den USA angezettelten Ukrainekrieges die Beziehungen zu Russland zu verbessern.

Seit Khan im April 2022 durch ein von der Militärführung mit stillschweigender Unterstützung Washingtons organisiertes Misstrauensvotum im Parlament abgesetzt wurde, hat er sich zynisch als Gegner der IWF-Sparmaßnahmen, der Rolle des Militärs als dominante Macht hinter den Kulissen des politischen Lebens in Pakistan und der Einschüchterung durch die USA inszeniert.

Pakistan, eine Atommacht und das Land mit der fünftgrößten Bevölkerung der Welt, steckt in einer beispiellosen Wirtschaftskrise, die durch die Überschwemmungen im letzten Jahr weiter verschlimmert wurde.

Angesichts einer Inflation von über 35 Prozent, der drohenden Zahlungsunfähigkeit des pakistanischen Staats und den neuen brutalen Sparmaßnahmen, mit denen die neue Regierung versucht, Zugriff auf ein bereits ausgehandeltes IWF-Rettungspaket zu bekommen, konnte Khan beträchtliche Unterstützung mobilisieren, vor allem bei den wirtschaftlich angeschlagenen Teilen der Mittelschicht. Die Ergebnisse aktueller Nachwahlen zur Nationalversammlung und zu den Provinzversammlungen deuten darauf hin, dass seine PTI stärkste Kraft würde, wenn seiner Forderung nach sofortigen Neuwahlen nachgegeben würde.

Die Regierungskoalition aus der Muslim-Liga (Nawaz) und der Pakistanischen Volkspartei (PPP), die beide lange Zeit die bürgerliche Politik dominiert haben, treibt diese Furcht sicherlich um.

Polizeibeamte setzen bei Zusammenstößen in Islamabad Tränengas ein, um die Anhänger des ehemaligen Premierministers Imran Khan auseinanderzutreiben. Aufgenommen am Freitag, dem 12. Mai 2023 [AP Photo/W.K. Yousafzai]

Die größte Angst der pakistanischen herrschenden Klasse und des Militärs ist jedoch, dass Khans Kampfansage an die Regierung und seine Appelle an die gegen die Armee gerichtete Stimmung der Massen zu einem Ausbruch von Widerstand der Arbeiterklasse führen könnten, der schnell der politischen Kontrolle aller rivalisierenden und verfeindeten Fraktionen der herrschenden Elite entgleiten würde.

Leitartikel der pakistanischen Presse und Interviews westlicher Medien mit ehemaligen pakistanischen Regierungsvertretern und ausländischen Experten zeugen von einer tiefen Besorgnis über die Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber dem Militär, die sich in den Protesten in der letzten Woche entladen hat. Demonstranten haben, oft unter erheblicher Gefahr für sich selbst, militärische Einrichtungen angegriffen. In Lahore wurde das prunkvolle Anwesen eines hohen Militärkommandanten niedergebrannt. Das Militär selbst nannte die Proteste ein „schwarzes Kapitel“, warf Khans Anhängern vor, sie wollten das Land bewusst in einen „Bürgerkrieg“ treiben, und kündigten die brutale Unterdrückung künftiger Angriffe auf das Militär und auf staatliche Institutionen an.

Das Militär ist das Bollwerk des pakistanischen Kapitalismus, der seit der Gründung des Staats von brutaler Ausbeutung, schrecklicher Armut, sozialer Ungleichheit, zügelloser Korruption und der Unterwerfung unter den Imperialismus geprägt ist.

Es ist der Dreh- und Angelpunkt des reaktionären Bündnisses zwischen der pakistanischen Bourgeoisie und dem US-Imperialismus und hat das Land, mit Unterstützung durch Washington, wiederholt diktatorisch regiert. Die Militärführung ist nach wie vor die Macht hinter der pakistanischen Regierung und verfügt mittlerweile über immense wirtschaftliche Macht.

Die Regierung hat auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, Khans Verhaftung rückgängig zu machen, und auf seine Freilassung gegen Kaution mit großer Wut und Drohungen reagiert und damit die Voraussetzungen für eine Verschärfung der politischen Krise geschaffen.

Zahlreiche Regierungsvertreter, darunter Innenminister Rana Sanaulla, kündigten an, sie würden Khan erneut verhaften. Allerdings entschied ein anderes Gericht in Islamabad am Freitagabend, der PTI-Chef dürfe wegen keiner der zahlreichen Anklagen gegen ihn, einschließlich der noch nicht öffentlich bekannt gegebenen, erneut verhaftet werden. Doch diese Immunität vor einer erneuten Verhaftung gilt nur bis zum heutigen Montag. Das Gericht legte außerdem fest, dass Khan bis zum 17. Mai nicht wegen neuer Anklagepunkte verhaftet werden dürfe, die nach dem 9. Mai erhoben wurden, darunter auch eine Anklage wegen Terrorismus.

Verteidigungsminister Khawaja Asif erklärte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz, die Regierung könnte „Notstandsvollmachten“ anwenden. Diese würden ihr einen großen Spielraum einräumen, grundlegende bürgerliche Freiheitsrechte zu unterdrücken, und es den Sicherheitskräften erlauben, Personen ohne Anklage zu verhaften. Asif erklärte: „Das Bundeskabinett kann über die Verhängung des Notstands im Land entscheiden.“

Regierungsvertreter, darunter Premierminister Shebhaz Sharif, der auch Parteichef der PML (N) ist, warf dem Obersten Richter Umar Ata Bandial vor, er würde mit Khan gemeinsame Sache machen und ihm dabei helfen, das Land durch Korruption auszuplündern. Bandial war bereits zuvor mit der Regierung aneinandergeraten, als Khan versucht hatte, in den Provinzen Punjab und Khyber-Pakhtunkhwa, in denen seine PTI Anfang des Jahres aus der Regierung ausgeschieden war, rechtlich sofortige Neuwahlen zu erzwingen.

Die Regierung hat angekündigt, sich der Anordnung des Obersten Gerichtshofs zu widersetzen, mit Khan über eine Entschärfung der politischen Krise zu diskutieren, einschließlich der Frage, wann Neuwahlen für die Nationalversammlung und alle vier Provinzparlamente abgehalten werden sollen.

Informationsminister Marriyum Aurangzeb erklärte, der Oberste Gerichtshof „gewährt einem Verbrecher, Terroristen und Gangster, der bewaffnete Gruppen anführt, Rechtsschutz“.

Anhänger der Regierung verurteilten die ihrer Meinung nach ungleiche und bevorzugte Behandlung Khans durch die Gerichte, im Unterschied zu anderen wegen Korruption angeklagten politischen Führern wie dem dreimaligen Premierminister und langjährigen PML-(N)-Parteichef Nawaz Sharif. Sharif war ein Protegé des von den USA unterstützten islamistischen Diktators General Zia ul-Haq und verdankte seinen politischen Aufstieg, ähnlich wie Khan, der Unterstützung des Militärs. Später geriet er jedoch in Konflikt mit der Militärführung.

Anfang letzter Woche übte die Dawn, die wichtigste englischsprachige Zeitung Pakistans, scharfe Kritik an der Entscheidung der Regierung, Khan zu verhaften, und warf ihr vor, sie habe damit einen Bruch zwischen „der Bevölkerung“ und dem Militär herbeigeführt. Die Dawn äußerte einmal mehr die Befürchtungen der herrschenden Klasse, dass die politische Krise die kapitalistische Herrschaft in einem gefährlichen Ausmaß destabilisiert. Später veröffentlichte sie einen Leitartikel, in dem sie den ehemaligen Premierminister Khan aufrief, „seinen weiteren Weg sorgfältig und mit verantwortungsbewusster Abwägung der möglichen Konsequenzen seiner Entscheidungen zu planen“.

Sie erklärte: „Herr Khan trägt eine immense Verantwortung dafür, sicherzustellen, dass seine Anhänger und Sympathisanten nicht in weitere Konfrontationen mit dem Staat geraten. Er muss die Gewalt, die nach seiner Verhaftung ausgebrochen ist, mit klaren Worten verurteilen und dafür sorgen, dass nicht noch mehr davon geschieht.“

Der IWF hat derweil der Regierung weitere Zusagen abgerungen, den uneingeschränkten Sparkurs zu Lasten der Arbeiterklasse und der ärmsten Bevölkerungsschichten zu forcieren. Am Donnerstag kündigte die Regierung an, sie werde von der Umsetzung eines Systems abrücken, durch das besser gestellte Verbraucher höhere Preise für Benzin und andere Energieprodukte zahlen müssen. Dieses System sollte die Auswirkungen der Abschaffung von Preissubventionen für die Armen teilweise ausgleichen.

Allerdings bleibt abzuwarten, ob dies ausreicht, um den IWF davon zu überzeugen, die dringend benötigte Tranche eines bestehenden Darlehens in Höhe von 1,1 Milliarden Dollar auszuzahlen. Hinter den Kulissen hat Washington, das den IWF kontrolliert, die Verhandlungen benutzt, um auf geopolitische Zugeständnisse zu drängen, etwa Waffenlieferungen an die Ukraine oder die Schwächung der seit langem bestehenden wirtschaftlichen und militärisch-sicherheitspolitischen Partnerschaft zwischen Pakistan und China.

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