Rumänien: Mehr als 150.000 Lehrkräfte im Streik

Der landesweite Streik von mehr als 150.000 rumänischen Lehrkräften, der am 22. Mai begann, ist Teil eines Aufschwungs des Klassenkampfs in ganz Europa. Die rumänischen Lehrer schließen sich den Massenprotesten und Massenstreiks an, die Arbeiter in Großbritannien, Spanien, Portugal, Frankreich und Deutschland gegen Austerität führen. In Rumänien protestieren gleichzeitig auch Beschäftigte des Gesundheitswesens und der Eisenbahn gegen niedrige Löhne und gefährliche Arbeitsbedingungen.

Diese Kämpfe werfen die drängende Frage nach politischer Organisation und Perspektive auf. Die Lehrerinnen und Lehrer sind nicht nur mit der Koalitionsregierung aus PSD (Sozialdemokraten) und PNL (Nationalliberale Partei) konfrontiert, sondern auch mit dem korporatistischen Gewerkschaftsapparat, gegen den sich der Streik zunehmend richtet.

Ausschnitt aus einer Demonstration streikender Lehrkräfte in Bukarest

Im ganzen Land versammelten sich Tausende Lehrkräfte in den Innenstädten zu Protesten. Am 30. Mai fand in Bukarest eine große Kundgebung statt, an der sich über 20.000 Lehrkräfte sowie viele Arbeiter und Rentner zu ihrer Unterstützung beteiligten. Die Demonstration begann auf dem Platz des Sieges, am Sitz der Regierung, und endete vor dem Präsidentenpalast.

Die World Socialist Web Site sprach auf der Kundgebung mit Beschäftigten, die ihre Wut über die Situation in den Schulen und ihre Entschlossenheit äußerten, den Streik fortzusetzen.

Georgeta und Mihaela (links)

Georgeta und Mihaela arbeiten in einer Förderschule. Sie nahmen zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen an der Demonstration und Kundgebung teil, um gegen die niedrigen Gehälter und die verzweifelte Lage des Förderschulwesens zu protestieren, das finanziell ausgeblutet wird und von Schließung bedroht ist.

Ghergina

Gherghina, eine pensionierte Lehrerin, war gekommen, um ihre aktiven Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Sie klagte, dass die Lebensbedingungen der Lehrkräfte in den letzten Jahrzehnten immer schlechter geworden seien. Über die Politiker in der Regierung sagte sie: „Die Sparmaßnahmen sollten bei ihnen beginnen.“

Bogdan aus Bukarest

Bogdan, ein Lehrer aus Bukarest, erklärte, die Regierung zahle keine Boni und wende das Besoldungsrecht bewusst falsch an. Er erklärte, der Streik müsse fortgesetzt werden, und fügte hinzu: „Nicht die Gewerkschaftsführer können entscheiden, wann der Streik beendet wird. Die Lehrer werden das selbst entscheiden.“

Suzana und Bogdan aus Iasi

Bogdan und Suzana sind aus Iasi angereist, mehr als 270 Kilometer entfernt. Sie erklärten, sie hätten genug von der Art und Weise, wie Lehrkräfte behandelt werden, und berichteten von extrem niedrigen Löhnen und der schlechten Behandlung der Lehrer, die oft gezwungen sind, bis in die Abendstunden auf dem Platz zu blieben. Suzana fordert auf ihrem Plakat die Arbeiter auf, nicht zu schweigen, sondern zu kämpfen, und auf Bogdans Plakat steht: „Das ganze Land raus zur Revolution!“

Die Gewerkschaftsführer haben mit dem Präsidenten diskutiert und anschließend einen Plan mit „politischen Garantien“ vorgelegt, die sie als Sieg der Arbeiter verkaufen wollen. Doch die Arbeiter schrien die Gewerkschaftsbosse nieder und weigerten sich, zum vereinbarten Zeitpunkt nach Hause zurückzukehren. Mehrere hundert Teilnehmer widersetzten sich den Gewerkschaften und der Polizei und blieben noch mehrere Stunden auf dem Platz.

Die rumänischen Arbeiter sind mit einer Regierung konfrontiert, die tief in den imperialistischen Kriegskurs gegen Russland verstrickt und entschlossen ist, der Arbeiterklasse die Kosten der Krise aufzubürden.

Die Ende 2021 gebildete Koalitionsregierung ist seit Beginn der Corona-Pandemie für Zehntausende von Toten verantwortlich; sie hat das Land in eine Freiluftkaserne für den Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine verwandelt. Sie hat die faschistische Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) aufgebaut und sie zur wichtigsten Oppositionspartei gemacht. Rumänien plant eine massive Aufstockung seines Militärs, einschließlich des Kaufs von F-35-Kampfflugzeugen, Abrams-Kampfpanzern, U-Booten, Drohnen und Hubschraubern für Milliarden von Dollar.

Laut der Wirtschaftszeitung Ziarul Financiar ist die Zahl der Millionäre in Rumänien seit 2016 stark gestiegen. Im Land leben über 1.800 „Superreiche“, damit ist Rumänien das Land mit den meisten „superreichen“ Menschen der ganzen Region.

Doch die große Mehrheit der Bevölkerung wurde, wie die Arbeiter im Rest der Welt, durch die internationale Krise der Lebenshaltungskosten wirtschaftlich hart getroffen. Die offizielle Inflationsrate in Rumänien lag letztes Jahr bei 16,7 Prozent und im Januar dieses Jahres bei 15,5 Prozent. Laut Eurostat sind die Preise für Dienstleistungen so stark gestiegen wie nirgendwo sonst in der EU. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind laut Zahlen der EU von 2021 bis 2022 um 40 Prozent gestiegen.

Das Einstiegsgehalt für Lehrkräfte liegt in Rumänien bei etwa 500 Euro und kann mit dem Dienstalter auf bis zu 850 Euro steigen. Die Mieten in größeren Städten liegen bei durchschnittlich 400 Euro für eine Einzimmerwohnung, wobei die Nebenkosten locker 150 Euro überschreiten.

Die Regierung hat vor kurzem ein Spargesetz verabschiedet, welches das Einfrieren von Löhnen, von Neueinstellungen und der Ausgaben im öffentlichen Dienst vorsieht.

Die Koalitionsregierung hat außerdem eine Reihe neuer Gesetze für das Bildungswesen verabschiedet, durch die weitere standardisierte Tests eingeführt und verschiedene polizeiliche Maßnahmen an den Schulen durchgesetzt werden.

Die Lehrkräfte sind zwar entschlossen, der Regierung Widerstand zu leisten, doch die Gewerkschaftsbürokratie bleibt das größte Hindernis für ihren Kampf.

Gewerkschaftsführer wie Marius Nistor oder Simion Hancescu verdienen jeden Monat Tausende von Euro. Ihre Gewerkschaften, die FSLI und die FSE, fungieren seit Jahrzehnten als Industriepolizei des Staats. Die Gewerkschaftsbürokratien haben 18 Jahre lang keine Streiks organisiert, nicht einmal als die Lehrer 2011 während der landesweiten Abschlussprüfungen Opfer einer Polizeikampagne wurden. Und auch nicht während der Corona-Pandemie, als die Wiederöffnung der Schulen im Jahr 2021 eine massive Ansteckungswelle an den Schulen zur Folge hatte. Hancescu erklärte damals gegenüber Şcoala9 zynisch, das System habe „viel an Wert verloren“ – einschließlich der Lehrerinnen und Lehrer, die an Covid-19 starben.

Die Gewerkschaftsführung hat von Anfang an versucht, den Streik zu sabotieren. Ihr Versuch, den Ausstand für eine einmalige Bonuszahlung von 500 Euro zu beenden, wurde aber von den Lehrkräften mit Verachtung zurückgewiesen, und in den sozialen Netzwerken verbreiteten sich Aufrufe zum massenhaften Austritt aus den Gewerkschaften.

Die Regierung hat bisher hartnäckig und trotzig ihr Mantra wiederholt, es sei „kein Geld vorhanden“, und sie habe bereits „ihr letztes Angebot“ unterbreitet: eine beleidigende Gehaltserhöhung von 50 bis 200 Euro vor Steuern, wobei weitere Erhöhungen in den folgenden Jahren festgelegt werden sollen. Am letzten Donnerstag setzte sie die Erhöhung per Notfallgesetz durch und kündigte das Ende der Verhandlungen an.

Am 1. Juni äußerte sich Präsident Iohannis bei einer Rede im moldauischen Schloss Mimi, wo sich die Führer der EU versammelt hatten, um über die Durchsetzung ihrer Kriegsziele gegen Russland zu diskutieren. Iohannis drohte den Lehrkräften mit dem Einsatz von Streikbrechern und erklärte: „Wie können sie es wagen, die nationalen Abschlussprüfungen zu gefährden ... nachdem die Regierung ihnen alles gegeben hat, was sie verlangt haben? Auf welcher Grundlage können sie den Streik da fortsetzen? ... Ich glaube, viele Lehrkräfte, die ihn [den Streik] bereits für übertrieben hielten, werden wieder in die Schulen zurückgehen, und damit etwas sehr Gutes tun.“

Gleichzeitig haben die Gewerkschaftsführer den Druck erhöht und in den Medien erklärt, ihr Mandat sei „erfolgreich“ gewesen. Sie verurteilten die Lehrer scharf und machten den Einfluss der faschistischen Partei AUR und „politische Agitatoren“, die die sozialen Netzwerke infiltrieren, für die Entschlossenheit der Lehrkräfte zur Fortsetzung des Streiks verantwortlich.

Auch die Gewerkschaftsverbände im Gesundheitswesen und bei der Eisenbahn arbeiten an Plänen, um Streiks zu verzögern und die Lehrkräfte zu isolieren. Die Eisenbahnergewerkschaften haben erst für den 1. Juli einen Streik angekündigt, und die größte Pflegegewerkschaft Sanitas verhandelt ununterbrochen mit der Regierung und will den Streik vollständig unterdrücken.

Unter diesen Umständen ist es politisch kriminell, dass die diversen stalinistischen und pseudolinken Kräfte in Rumänien die Arbeiter an die Gewerkschaften binden. Sie bieten der Gewerkschaftsbürokratie, die immer offener in Konflikt mit den Arbeitern gerät, einen pseudolinken Deckmantel.

Die Lehrkräfte können ihre Forderungen nur in einer offenen Rebellion gegen die Gewerkschaftsbürokraten auf nationaler und lokaler Ebene durchsetzen. Zu diesem Zweck müssen sie unabhängige Aktionskomitees gründen und ihre Kämpfe über alle Branchen und Länder miteinander vereinen. Um die Kriegs- und Austeritätspolitik der Regierung zu beenden, brauchen die Arbeiter in Rumänien vor allem eine klare Perspektive, die sie mit der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für die sozialistische Neuorganisation der Gesellschaft vereint. Dies erfordert den Aufbau einer rumänischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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