Der Ukrainekrieg und der Kampf um Rohstoffe

„Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Kampf um die Rohstoffe. Das Land hat große Vorkommen an Eisen, Titan und Lithium, die nun zum Teil von Russland kontrolliert werden.“ Das berichtete die bundeseigene Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) am 16. Januar auf ihrer Website unter dem Titel „Rohstoffreichtum der Ukraine in Gefahr“.

Es geht dabei um Erträge in Billionenhöhe. Laut GTAI sind „Rohstoffvorkommen im Wert von 12,4 Billionen US-Dollar“ nach wie vor der Kontrolle der ukrainischen Armee entzogen, „darunter 41 Kohleminen, 27 Gaslagerstätten, 9 Ölfelder und 6 Eisenerzvorkommen“. Dabei verfügt die Ukraine nicht nur über Kohle, Gas, Öl und Weizen, sondern auch über Seltene Erden und Metalle – vor allem Lithium, das als „weißes Gold“ der Energie- und Verkehrswende bezeichnet wird. Rund ein Drittel der erkundeten Lithiumvorkommen Europas entfallen auf das Land.

Eisenerzmine in Poltawa (Ukraine)

Nur ein Ignorant kann glauben, dass dies nichts mit den Kriegszielen der Nato zu tun hat. Es wäre der erste große Krieg seit über 100 Jahren, bei dem es nicht um Bodenschätze, Absatzmärkte und geostrategische Interessen geht. Die World Socialist Web Site hat bereits in früheren Artikeln aufgezeigt, dass die Vorkommen kritischer Rohstoffe in Russland und China, die für den Übergang zu Elektromobilität und erneuerbaren Energien unabdingbar sind, einen wichtigen Faktor im Kriegskalkül der Nato-Staaten bilden.

Doch in der Rund-um-die-Uhr-Kriegspropaganda der Medien erfährt man davon nichts. Sie wollen der Öffentlichkeit weismachen, die Nato führe diesen Krieg, um „Freiheit“ und „Demokratie“ zu verteidigen – und das, nachdem sie Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien unter ähnlichen Vorwänden ins Mittelalter zurückgebombt hat.

Einschlägige Fachzeitschriften, Branchenmagazine und Think Tanks schwärmen dagegen über den Rohstoffreichtum der Ukraine und diskutieren darüber, wie man ihn am besten erbeuten kann. Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) reiste Anfang April zu diesem Zweck sogar eigens mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation in die Ukraine.

Laut dem Branchenmagazin Mining World verfügt die Ukraine über insgesamt rund 20.000 Rohstoffvorkommen, von denen nur 7800 erforscht sind. Zahlreiche weitere Artikel und Strategiepapiere sprechen offen aus, dass es im Krieg genau darum geht.

Am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine, veröffentlichte die größte deutsche Wirtschaftszeitschrift Capital einen Artikel, wonach „die Rohstoffversorgung Europas“ durch die russische Besatzung der Ostukraine „bedroht“ sei. Die Ukraine sei nicht nur „führender Getreideexporteur“, sondern auch größter EU-Lieferant von Eisenerzpellets und „Dreh- und Angelpunkt für die Energiesicherheit Europas“. Unter Anlegern, so das Magazin, herrsche „Sorge, dass der Krieg den Export wichtiger Rohstoffe unterbindet“.

Der bereits zitierte Beitrag der GTAI berichtet, dass die europäischen Stahlwerke im Jahr 2021 fast ein Fünftel ihres Bedarfs an Eisenerzpellets aus der Ukraine deckten. Wie die GTAI weiter schreibt, zählt die Ukraine zu den zehn größten Produzenten von Eisenerz, Mangan, Zirconium und Graphit und liegt „bei Titan und Kaolin in der weltweiten Spitzengruppe“. Neben „unerschlossenen Öl- und Gasfeldern“ verberge sich insbesondere in den Lithium- und Titanlagerstätten der Ukraine ein „enormes Potenzial“ für die europäische Wirtschaft. Im Jahr 2020 betrugen die Fördermengen 1.681.000 Tonnen Kaolin, 537.000 Tonnen Titan, 699.000 Tonnen Mangan und 49.274.000 Tonnen Eisenerze.

Lithium für Elektromobilität und Energiewende

Der Lithium-Preis hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verachtfacht und ist Gegenstand heftiger Spekulationen. Das Metall ist von strategischer Bedeutung für die imperialistischen Großmächte, da es in Lithium-Ionen-Akkus zum Einsatz kommt, die in Elektrofahrzeugen und netzunabhängigen erneuerbaren Energiequellen verbaut werden, aber auch für Leichtbau-Aluminiumlegierungen in der Luft- und Raumfahrtindustrie benötigt wird.

Das größte Lithiumvorkommen in ganz Europa befindet sich in der Oblast Donezk mitten im umkämpften Gebiet des Donbas, wenige Kilometer von der Front entfernt. Ein Hintergrundartikel im Tagesspiegel, der zwei Monate nach dem Einmarsch des russischen Militärs veröffentlicht wurde, verweist auf unerschlossene Lithiumreserven in Höhe von 500.000 Tonnen, die in Schewtschenko bei Potrovsk und mindestens zwei weiteren ukrainischen Lagerstätten schlummern.

Offenbar kämpften westliche Unternehmen und ukrainische Oligarchen bereits vor dem Krieg erbittert um die Kontrolle über dieses „weiße Gold“. Wie der Tagesspiegel berichtet, gelangten „ukrainische Geschäftsmänner“ (aus dem Umfeld der damaligen ukrainischen Regierung unter dem Oligarchen Petro Poroschenko) mit Verbindungen zu westlichen Bergbauunternehmen bereits 2018 ohne Ausschreibungsverfahren an Abbaulizenzen für das Lithiumlager in Schewtschenko.

Das fragliche Unternehmen Petro Consulting – das kurz vor Kriegsbeginn in „European Lithium Ukraine“ umbenannt wurde – soll vom australisch-europäischen Bergbauunternehmen European Lithium aufgekauft werden, sobald es ihm gelingt, sich den Zugriff auf die ukrainischen Lithiumreserven endgültig zu sichern.

Als sich die ukrainische Geologieanstalt „Ukrainian Geological Survey“ 2018 weigerte, auch für das zweitgrößte ukrainische Lithiumlager in Dobra eine „Sondergenehmigung“ unter Umgehung des Ausschreibungsprozesses zu erteilen, ging Petro Consulting so weit, die Behörde zu verklagen. Nachdem die ukrainische Generalprokuratur schließlich Ermittlungen gegen die mutmaßlich illegalen Sondergenehmigungen aufgenommen hatte, wurde Petro-Consulting die Abbaulizenz für Schewtschenko im April 2020 bis auf Weiteres gerichtlich entzogen.

Ein Sprecher von European Lithium erklärte gegenüber dem Tagesspiegel jedoch, dass das Unternehmen „kein Risiko im Zusammenhang mit den ukrainischen Lagerstätten“ trage. Er zeigte sich zuversichtlich, dass man die Projekte nach Kriegsende „zur Produktionsreife führen“ werde.

Titan für die westliche Waffenindustrie

In einem Artikel vom September 2022 mit dem Titel „Das Titan der Ukraine kann den Westen stärken“ schreibt die transatlantische Denkfabrik Center for European Policy Analysis (CEPA): „Die Unterstützung der Ukraine wurde bislang von strategischen Überlegungen und moralisch-politischen Werten abgeleitet. Langfristige westliche Hilfe sollte jedoch auch auf soliden materiellen Interessen beruhen.“

„Die erheblichen Titanvorkommen der Ukraine“ seien „eine wichtige Schlüsselressource für den Westen“, da das Metall „für viele Waffensysteme“ – etwa Flugzeugkomponenten und Raketen – „unverzichtbar“ sei. Derzeit werde der Rüstungsrohstoff für Airbus, Boeing und Co. „in einem teuren und zeitaufwändigen sechsstufigen Prozess“ aus Titanerz gewonnen, das bis dahin zu einem erheblichen Anteil aus Russland bezogen wurde. Diese „Abhängigkeit“ von „strategischen Wettbewerbern und Kontrahenten“ sei aus Sicht des Westens untragbar und könne mithilfe ukrainischer Ressourcen beendet werden:

Das in Dnipro ansässige Unternehmen Velta, der größte private Exporteur von Rohtitan in Europa, hat ein neues Produktionssystem entwickelt, das den intensiven Prozess der Titanschwammherstellung umgeht und die US-amerikanische und europäische Verteidigungs- und Luftfahrtindustrie mit fertigem Metall beliefern könnte. Da es weltweit nur fünf Länder gibt, die Titanschwamm aktiv herstellen – China, Russland, Kasachstan, Japan und die Ukraine – könnte die Velta-Technologie ein Game Changer für die Lieferketten sein, indem sie die Abhängigkeit von Russland und China verringert.

Das CEPA wird von amerikanischen und europäischen Rüstungskonzernen finanziert und führt als Mitglieder seines „wissenschaftlichen Beirats“ u.a. Donald Trumps Nationalen Sicherheitsberater General H. R. McMaster, die ehemalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, den ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Carl Bildt, sowie die Publizisten Anne Applebaum, Francis Fukuyama und Timothy Garton Ash auf.

Der CEPA-Artikel fährt fort: „Eine Neuausrichtung der Titanverträge in Richtung der Ukraine würde die Wirtschaft des Landes selbst in Kriegszeiten ankurbeln, ganz zu schweigen vom Wiederaufbau nach dem Krieg, und gleichzeitig der russischen Kriegsmaschinerie einen weiteren Schlag versetzen.“ Ziel müsse sein, die „Integration der Ukraine in Europa zu zementieren“.

Ein Bericht in Newsweek vom 28. Januar 2023 meldet: „In den USA und verbündeten Staaten haben Anstrengungen begonnen, die enormen Vorkommen zu identifizieren, zu erschließen und zu nutzen, die es in der Ukraine an einem Schlüsselmetall gibt. Es ist entscheidend für die Entwicklung der fortschrittlichsten Militärtechnologie des Westens, die das Rückgrat der künftigen Abschreckung gegen Russland und China bilden wird.“ Der Bericht setzt hinzu: „Wenn die Ukraine gewinnt, werden die USA und ihre Verbündeten beim Aufbau einer neuen Titan-Versorgungslinie in einer Pole-Position sein.“

„Strategische Rohstoffpartnerschaft“ zwischen EU und Ukraine

Die Bemühungen der USA und der EU, die ukrainischen Lithium- und Titan-Vorkommen zu plündern, sind Teil des umfassenderen Ziels, die Ukraine als strategischen Rohstofflieferanten an den Westen zu binden. Insbesondere die EU versucht, sich auf diese Weise aus der Abhängigkeit von China – ihrem derzeit wichtigsten Rohstofflieferanten – zu befreien, gegen das sie – und vor allem die USA – einen Krieg vorbereiten.

Am 13. Juli 2021 unterzeichneten der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal und Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Europäischen Kommission, in Kiew eine „Strategische Partnerschaft für Rohstoffe und Batterien“, um die „Integration der Wertschöpfungsketten bei kritischen Rohstoffen und Batterien“ voranzutreiben. Die Aufnahme der Ukraine in die Europäische Rohstoffallianz (ERMA) und die Europäische Batterieallianz (EBA) diene dazu, „Europas Widerstandsfähigkeit und die offene strategische Autonomie bei den Schlüsseltechnologien zu erhöhen“, so die EU-Kommission.

Mit Blick auf die Liste der kritischen Rohstoffe des zugehörigen „Aktionsplans“ der EU erklärte Šefčovič gegenüber der Presse: „21 dieser kritischen Rohstoffe können in der Ukraine gefunden werden, die außerdem 117 von 120 weltweit genutzten Mineralien abbaut.“ Er fügte hinzu: „Wir sprechen hier über Lithium, Kobalt, Mangan, seltene Erden – sie alle sind in der Ukraine zu finden.“

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der auch für die Rüstungs- und Raumfahrtindustrie der EU-Länder zuständig ist, lobte im Anschluss an die Unterzeichnung das „hohe Potential der kritischen Rohstoffe in der Ukraine“, das dazu beitragen könne, „die strategischen Abhängigkeiten der EU anzugehen“.

Bei der Raw Materials Week im November 2022 in Brüssel betonte Ministerpräsident Schmyhal, dass die Ukraine „zu den zehn größten Produzenten von Titan, Eisenerz, Kaolin, Mangan, Zirconium und Graphit“ gehöre, und erneuerte sein Versprechen, das Land zu einem „integralen Bestandteil der industriellen Beschaffungsketten in der EU“ zu machen.

Die „strategischen Abhängigkeiten der EU“ beschränken sich dabei längst nicht auf Russland oder China, und erst recht nicht auf die Ukraine. Längst hat ein globaler Wettlauf um strategische Rohstoffquellen begonnen, in deren Verlauf die USA und die führenden EU-Mächte versuchen, die Bodenschätze und sonstigen Ressourcen der „schwächeren“ Staaten untereinander aufzuteilen. Obwohl sie in der Ukraine gemeinsam gegen Russland Krieg führen, verschärft dies unweigerlich auch die Konflikte zwischen ihnen.

Die Eskalation des Kriegs in der Ukraine zeigt, dass die herrschenden Eliten gewillt sind, für die Durchsetzung ihrer Profitinteressen bis zum Äußersten zu gehen. Dem permanenten Krieg und der Aussicht auf einen vernichtenden Atomkrieg kann nur die Arbeiterklasse ein Ende setzen – indem sie auf der Grundlage eines sozialistischen Programms die Ressourcen des gesamten Planeten unter ihre demokratische Kontrolle stellt und die Profiteure des Krieges zur Rechenschaft zieht.

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