Streiks in ganz Spanien im Vorfeld der vorgezogenen Parlamentswahlen

In Spanien kommt es im Vorfeld der vorgezogenen Neuwahlen seit Wochen zu immer mehr Streiks. Die Neuwahlen wurden auf den 23. Juli vorverlegt, nachdem die Regierung von PSOE und Podemos bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai eine herbe Niederlage erlitten hatte. Seither beteiligen sich Hunderttausende an Streiks als Teil einer breiten Bewegung in ganz Europa und weltweit. In allen Ländern stellen die Streikenden ähnliche Forderungen auf, und überall sind sie mit juristischen Drohungen und Polizeirazzien konfrontiert.

Streikende H&M Verkäuferinnen und Verkäufer [Photo: Servicios CCOO]

Die PSOE-Podemos-Regierung fürchtet, dass die wachsende soziale Opposition ihre Pläne zur Eskalation des Ukrainekriegs und für neue Sparorgien durchkreuzen könnte. Für das Jahr 2024 plant die Regierung Kürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 24 Milliarden Euro. Die Neuwahlen hat sie auf den 23. Juli vorgezogen, weil sie darauf spekuliert, dass die Macht an die rechte Volkspartei (PP) und die faschistische Vox übergeht und der wachsende soziale Widerstand infolgedessen zerschlagen und die Kriegspolitik eskaliert werden kann. Gleichzeitig zeigen sich die Gewerkschaftsführungen immer offener als das, was sie sind: staatlich finanzierte, wirtschaftsfreundliche Instrumente, die trotz steigender Inflation Reallohnkürzungen durchsetzen.

Letzte Woche haben 33.000 Beschäftigte der Metall-, Schiffbau-, Automobil- und Flugzeugindustrie in Pontevedra (Galicien) mit einem Streik die gesamte Region lahmgelegt. Die Arbeiter blockierten auch Hauptstraßen und die Autobahn AP-9, die Hauptverbindungsstrecke zwischen Nordspanien und Portugal. An ihren Kundgebungen beteiligten sich Tausende.

Bei dem Streik geht es um Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Er begann am Donnerstag, dem 15. Juni, und dauerte zwei Tage lang an. Betroffen waren 3.700 Unternehmen, die dem Tarifvertrag für die Metallindustrie in der Provinz angeschlossen sind.

Die wachsende Wut in der Arbeiter hatte die Gewerkschaftsführungen von CIG, CCOO und UGT gezwungen, den Streik auszurufen. Die Arbeiter müssen mit ansehen, wie ihre Löhne Monat für Monat an Wert verlieren. Im Jahr 2022 lag die Inflation um 8,4 Prozent und die Lebensmittelinflation weit über 10 Prozent. Die Gewerkschaften fordern nun Lohnerhöhungen von 4 Prozent für 2023, 2024 und 2025, während die Metallbosse lächerliche 0,5 Prozent für 2023 und 2 Prozent für 2024 und 2025 vorschlagen. Dies bedeutet tiefe Einschnitte bei den Löhnen.

Die Funktionäre versuchen, den Kampf auf Sparflamme zu halten und mit einem Vertrag mit weitgehenden Zugeständnissen abzuschließen. Sie rufen zu Streiks an unterschiedlichen Tagen auf, ohne die Kämpfe mit denen anderer Metallarbeiter in ganz Spanien oder auch nur derselben Region zu verbinden. Auch 500 galicische Feuerwehrleute streiken für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen.

Hinter dem Rücken der Arbeiter streben die Gewerkschaften einen faulen „Kompromiss“ mit den Metallbossen an, der unweigerlich Lohnerhöhungen weit unter der Inflationsrate beinhalten wird.

Die amtierende PSOE-Podemos-Regierung hat auf die Streiks reagiert, indem sie Hunderte Polizisten einsetzte und mit Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen die Streikenden vorgehen ließ. Mehr als ein Dutzend Streikende sind verletzt worden. Die Polizei hinderte die Beschäftigten daran, vor dem Konferenzzentrum Ifevi zu demonstrieren, in dem eine internationale Messe für Metallindustrie und -technologie (Mindtech) abgehalten wurde. Es ist die alle zwei Jahre stattfindende führende Industriemesse für die Metallurgie- und Metallverarbeitungsbranche.

Die Gewerkschaft CIG berichtete von „Prellungen, Schlagstockhieben und Gummigeschossen“. Einem jungen Mann sei die Schulter ausgekugelt worden, und die Bereitschaftspolizei sei insgesamt „sehr unangemessen“ vorgegangen. Für den 6. und 7. Juli haben die Gewerkschaften zu weiteren Streiks aufgerufen.

Aus Angst, andere Metallarbeiter könnten sich dem Kampf für höhere Löhne anschließen, handelten die Gewerkschaftsbürokraten rasch und würgten weitere Metallerkonflikte ab. Sie fürchten, weitere Streiks könnten den reaktionären gewerkschaftlichen Rahmen der auf Provinzebene ausgehandelten Tarifverträge sprengen.

In Valencia sagten die Gewerkschaften drei Streiktage wieder ab, die ursprünglich für die letzte Juni-Woche angekündigt waren. Sie stimmten einem neuen Metalltarifvertrag auf Provinzebene zu, der sich auf 85.300 Beschäftigte auswirken wird. Der Vertrag sieht Lohnerhöhungen von 3 Prozent in den Jahren 2023, 2024 und 2025 sowie 2,5 Prozent im Jahr 2026 vor, was deutlich unterhalb der Inflationsrate liegt. Auf den Balearen haben die Gewerkschaften sich nach tagelangen Protesten und Streiks auf Lohnerhöhungen von 4 Prozent für die Jahre 2023, 2024 und 2025 geeinigt, was 42.000 Beschäftigte betreffen wird.

Im Einzelhandel wurde am 21. Juni das schwedische Bekleidungshaus H&M bestreikt. Rund 4.000 Verkäuferinnen und Verkäufer aus über 100 Filialen beteiligten sich und unterstützten die Forderung nach Lohnerhöhungen. Am letzten Montag nahmen sie ihren Streik wieder auf, gerade zum Zeitpunkt, zu dem der hochprofitable Sommerschlussverkauf anlief. Die Gewerkschaften versuchen auch hier, den Kampf zu entschärfen, indem sie lediglich zu zwei weiteren Streiktagen Anfang Juli aufrufen.

Die Streiks der Verkäuferinnen und Verkäufer folgen auf monatelange Lohndiskussionen, die gescheitert sind. Zudem haben Anfang des Jahres Streiks beim Hauptkonkurrenten von H&M, bei dem Inditex-Konzern des Milliardärs Amancio Ortega, zu 20 Prozent höheren Löhnen geführt. Auch haben die Streikenden zwei weitere wichtige Forderungen: Erstens muss H&M für Ersatz für die Fehlzeiten bei Krankheit oder Abwesenheit sorgen, denn die Arbeitsüberlastung ist groß. Und zweitens sollen die Verträge über Teilzeit hinaus erweitert werden. Die meisten Beschäftigten haben Teilzeitverträge.

Die Gewerkschaftsführung ist in erheblichem Maß für die Verschlechterung der Bedingungen mitverantwortlich. Im Jahr 2021 hat sie die Entlassung von 400 Beschäftigten und die Verringerung der Arbeitszeit von 170 weiteren Beschäftigten akzeptiert, ohne auch nur den Anschein eines Kampfs zu erwecken.

In der Autozulieferindustrie haben die gewerkschaftlichen Verhandlungsführer einen Arbeitskampf von über 6.000 Michelin-Reifenarbeitern ausverkauft. Letzte Woche haben sie ihren Tarifvertrag gegenüber 900 streikenden Arbeitern in Lasarte-Oria durchgesetzt, dem letzten Michelin-Werk in Spanien. Die Belegschaft von Lasarte-Oria hatte sich geweigert, die Vereinbarung zu akzeptieren, die 5 Prozent Lohnerhöhungen im Jahr 2023, 3 Prozent im Jahr 2024 und 2 Prozent in den beiden Folgejahren vorsieht. Die Vereinbarung ist an die Gewinne des Unternehmens gekoppelt und verschafft somit den Arbeitern keine Sicherheit.

Die Gewerkschaften hatten die gleiche Vereinbarung bereits in anderen Michelin-Werken in Vitoria, Aranda de Duero, Valladolid und Almería durchgesetzt.

In der Luftfahrt hat die Spanische Pilotengewerkschaft (SEPLA) am vergangenen Montag eine dritte Streikrunde bei Air Europa, Spaniens drittgrößter Fluggesellschaft, begonnen. Zuvor war eine Anfang Juni erzielte mündliche Einigung über Löhne und Arbeitsbedingungen gescheitert. Hunderte von Flügen sind gestrichen worden.

Die PSOE-Podemos-Regierung hat versucht, den Streik zu brechen, indem sie den Streikenden einen umfangreichen Notfallplan auferlegte. Das Verkehrsministerium verlangte, dass 90 Prozent der Flüge zu den Inseln (Kanaren und Balearen) und 65 Prozent der Flüge innerhalb Spaniens und Europas während des Streiks stattfinden müssten.

Anstatt an Zehntausende europäischer Flugbegleiter zu appellieren, die sich seit über einem Jahr immer wieder an Massenstreiks gegen solche drakonischen Auflagen beteiligen, hat SEPLA einen Streik der Piloten der Iberia-Fluggesellschaft Air Nostrum beendet. Die Piloten von Air Nostrum befanden sich seit Februar in einem unregelmäßigen Streik, der jede Woche Montags und Freitags stattfand. Anfang Juni erweiterten sie ihn zum unbefristeten Streik.

Am vergangenen Freitag brach SEPLA den Streik ab, ohne dass das Unternehmen Zugeständnisse gemacht hätte, und berief sich auf „Fortschritte“ bei den Verhandlungen.

Im Justizsektor wurden vergangene Woche die im April begonnenen Streiks und Proteste wieder aufgenommen. Rund 45.000 Beamte stehen im Kampf gegen die PSOE-Podemos-Regierung und fordern Lohnerhöhungen von 350 bis 450 Euro. Der Streik, dem sich 80 Prozent der Beschäftigten angeschlossen haben, hat zur Aussetzung von Millionen von juristischen Aktionen, von gerichtlichen Erklärungen über Zustellungen, Vorladungen, Vorsprachen und Prozessen bis hin zu Beschlagnahmungen und Räumungen geführt.

Diese Streikwelle hat die PSOE-Podemos-Regierung als eine reaktionäre Regierung des imperialistischen Kriegs entlarvt, die die Arbeiterklasse brutal angreift. Sie macht auch deutlich, warum PSOE und Podemos vorgezogene Neuwahlen ausgerufen haben, obwohl sie voraussichtlich gar nicht davon profitieren. Wahrscheinlich gelangt eine Koalitionsregierung aus rechter Volkspartei (PP) und faschistischer Vox an die Macht. Beide Parteien, die PSOE und Podemos, fürchten vor allem den massiven Widerstand der Arbeiterklasse gegen Krieg, Sparmaßnahmen und Polizeistaat, der sich auf ihrer linken Flanke unkontrolliert entwickelt.

Die Streikwelle unterstreicht auch die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, Aktionskomitees aufzubauen, die von den Gewerkschaften unabhängig sind. Nur über solche Organisationen können sich die Arbeiter in Spanien und weltweit zusammenschließen, um den Kampf gegen Krieg und Inflation und gegen die betrügerischen Wahlen vom 23. Juli aufzunehmen. Der Aufbau und die Entwicklung solcher Organisationen erfordern einen politischen Bruch mit den Gewerkschaften, Parteien und Bündnissen der Mittelklasse, wie Podemos und dem Wahlbündnis Sumar, die alle den Krieg befürworten.

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