Seit sechs Wochen streiken wieder viele Dutzende Lkw-Fahrer auf der A5-Raststätte Gräfenhausen (Südhessen). Sie sind entschlossen, ihre ausstehenden Löhne von dem polnischen Spediteur Lukasz Mazur zu erzwingen.
Der mutige Lohnkampf der osteuropäischen Fahrer verdient es, dass Arbeiter in Deutschland ihn aktiv unterstützen. Er wirft ein grelles Licht auf die sklavenartigen Bedingungen, die auch im 21. Jahrhundert auf Europas Straßen noch für tausende Fernfahrer vorherrschen.
Der Streik begann am Dienstag, den 18. Juli, als die ersten vier blauen Lastwagen in Gräfenhausen geparkt wurden, und er weitete sich rasch auf weit über hundert Lkws aus. Mittlerweile stehen allein an der Raststätte Gräfenhausen-West 87 Lastwagen, weitere stehen auf der Ost-Seite, und auch auf umliegenden Rastplätzen sind die Lkws zu sehen. Sie tragen Firmennamen wie „Agmaz“, „Lukmaz“ und „Imperia“, die alle demselben Spediteur gehören.
Die in langen Reihen dicht an dicht geparkten Lkws haben Teile für Porsche oder BMW geladen, auch französische Weine oder andere Waren für den Verkauf, auch Lieferungen für Red Bull und eine weitere Firma in Österreich sind dabei. Mehrere leere Lkws werden als improvisierte Küche, als Büro oder Versammlungs- und Aufenthaltsräume genutzt. Sogar eine provisorische Dusche ist vorhanden.
„Dieser Streik ist viel größer als der erste im April“, berichten die Fahrer. Sie stammen aus Georgien, Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan und Turkmenistan, und zwei Fahrer kommen aus der Ukraine. „Wir bleiben bis der letzte sein Geld erhalten hat“, sagt uns Shukhrat Karimov aus Usbekistan, und die umstehenden Kollegen stimmen ihm zu.
Shukrats Familie lebt 5.000 km weit weg, in der usbekischen Stadt Paxtakor. Er berichtet: „Meine Brüder müssen sich jetzt um die Familie kümmern. Ich habe von Lukasz Mazur noch 5.300 Euro zu bekommen. Erst dann kann ich ihnen wieder Geld senden.“
Shukrat arbeitet seit einem Jahr für Imperia. Am Anfang sei es noch etwas besser gelaufen, aber: „Kein einziges Mal habe ich meinen vollen Lohn ausgezahlt bekommen. Und in letzter Zeit hat es sich ständig verschlechtert.“ Viele Fahrer haben seit Mai ihr Geld nicht erhalten und wurden nur hingehalten und vertröstet.
Die Fahrer sind bei Lukasz Mazur nicht fest angestellt, sondern arbeiten über sogenannte Dienstleistungsverhältnisse nach polnischem Recht für ihn. Sie sitzen neun, zehn oder mehr Stunden täglich am Steuer. Obwohl es ihnen zustehen würde, nach fünf Tagen auf der Straße zwei Tage zu pausieren und im Hotel zu duschen und zu schlafen, ist ihr Leben auf die Führerkabine beschränkt. Wie Shukhrat sagte: „Wir wohnen im Wagen und schlafen im Wagen; auch am Wochenende.“
Schon im April dieses Jahres hatten Fernfahrer derselben Spedition an dieser Raststätte sechs Wochen lang gegen fehlende Lohnzahlungen gestreikt. Schließlich hatte der Spediteur auf Druck der belieferten Unternehmen eingelenkt und alle ausbezahlt. Fast alle Fahrer hatten damals anschließend gekündigt.
Diesmal sind es alles wieder andere Fahrer, außer einem Georgier, der schon beim ersten Streik dabei war. Offenbar setzt der Spediteur Mazur die Ausbeutung von Fahrern aus Zentralasien und dem Kaukasus systematisch als Geschäftsmodell ein, da ihr Führerschein in Deutschland und anderen EU-Ländern nicht anerkannt wird und sie nur bei ihm in Polen arbeiten können.
Der Spediteur schuldet den Streikenden alles in allem über eine halbe Million Euro, wie sie auf langen Listen an der Wand ihres fahrbaren „Büros“ dokumentieren.
Bei dem ersten Streik im April hatte Mazur sogar versucht, unter Einsatz einer privaten Miliz mit einem Panzerwagen die Lkws zu kapern, um sie mit Streikbrechern wegzufahren, was die hessische Polizei jedoch verhinderte.
Diesmal hat der Unternehmer über seine Anwälte die Fahrer bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen Nötigung angeklagt. Inzwischen gab es offenbar einen Einsatz der polnischen Arbeitsinspektion auf dem Gelände der riesigen Spedition, und gegen Mazur sollen Bußgelder verhängt worden sein.
Der Mazur-Konzern unterhält eine Flotte von etwa 1000 Lkws, die Waren und Produktionsteile für verschiedene Konzerne quer durch Deutschland und die EU transportieren. Die deutschen Unternehmen, für die sie fahren, haben alle die ILO-Normen zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in der gesamten Lieferkette unterzeichnet, aber um die Bedingungen der Fahrer kümmern sie sich nicht.
Die Fahrer jedoch, die nun schon sechs Wochen lang streiken, sind entschlossen, sich nicht spalten zu lassen. Sie wollen den Streik erst beenden, wenn auch wirklich alle – sowohl die mit der wertvollen Fracht als auch die mit leeren Wagen – ihr volles Geld bekommen haben.
Inzwischen erhalten sie lebhafte Unterstützung von andern Truckern, von denen viele beim Vorbeifahren hupen, um ihre Solidarität auszudrücken. „Man erlebt immer wieder, dass Fahrer anderer Unternehmen hier halten, um uns zu unterstützen“, berichten usbekische Fahrer. Ein LKW-Fahrer habe spontan eine Spendensammlung für sie organisiert.
Unterstützung verschiedenster Art kommt auch von Menschen, die in der Umgebung wohnen, von denen einige sogar mit Wäschewaschen helfen. „Schreibt auf, dass wir den deutschen Menschen danken möchten“, betont ein streikender Kollege.
Wie schon beim letzten Streik, unterstützen südhessische DGB-Gewerkschaften die Streikenden mit Wasser und Lebensmitteln. Edwin Atema, Transportarbeitervertreter der niederländischen Gewerkschaft FNV, hat erneut die Verhandlungen mit Mazur für die Lkw-Fahrer übernommen. Auch wechseln sich Dolmetscher vom Netzwerk Faire Mobilität ab, um für die Streikenden zu übersetzen und sie zu beraten.
Allerdings vermeiden es die Gewerkschaften sorgfältig, das zu tun, was eigentlich notwendig wäre: den Streik unter Arbeitern in Deutschland und ganz Europa bekannt zu machen und Unterstützung unter den Belegschaften der belieferten Konzerne und in der gesamten Arbeiterklasse zu mobilisieren. Der Grund dafür ist klar: als Verteidiger des Kapitalismus und verlängerter Arm der Regierungen sind die Gewerkschaften für die üblen Ausbeutungsverhältnisse selbst mitverantwortlich. Eine ihrer Hauptaufgaben besteht darin, eine umfassende Streikbewegung, die rasch die Form eines politischen Kampfs der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg annehmen könnte, zu verhindern.