Australisches „Voice“-Referendum: Keines der beiden Lager steht auf Seiten der Aborigines

Im Referendum vom 14. Oktober geht es angeblich um die Rechte der australischen Ureinwohner. Eine Verfassungsänderung soll der indigenen Bevölkerung eine beratende Stimme („Indigenous Voice“) im Parlament verschaffen.

Allerdings ist der Abstimmungskampf von Rassismus und gegenseitigen Desinformations-Vorwürfen geprägt, und er verkommt zum unwürdigen Spektakel. Allein die Tatsache, dass sowohl das Ja- wie das Nein-Lager angekündigt haben, die staatlichen Ausgaben für die Aborigines zu kürzen, entlarvt den Volksentscheid als Betrug. In diesem wichtigen Punkt sind sich beide Seiten einig.

Ein australischer Aboriginal mit seinen Enkelkindern in einem Lager in Alice Springs (Northern Territory), April 2008 [Photo by John Hulme/WSWS]

In dieser Woche hat der Oppositionsführer der Liberal-Nationalen, Peter Dutton, der praktisch das Nein-Lager anführt, eine Prüfung aller Bundesmittel für indigene Programme angekündigt. Dies steht im Einklang mit den rassistischen Tiraden der Nein-Kampagne, die unter anderem behauptet, dass riesige Geldsummen für die einfachen Aborigines verschwendet würden.

Die Ja-Kampagne hat davon abgesehen, Dutton aus diesem Grund anzugreifen, weil ihre Einstellung in dieser Frage mit seiner identisch ist.

Die Labor-Regierung, die zu dem Referendum aufgerufen hat und versucht, ein Eingeborenen-Beratergremium im Parlament einzurichten, behauptet, das würde dazu beitragen, die „Kluft“ zwischen Aborigines und Nicht-Aborigines zu schließen. So könne die entsetzliche soziale Krise, unter der indigene Gemeinschaften leiden, überwunden werden.

Die offensichtlichste Methode, dies zu tun, wäre eine massive Erhöhung der staatlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit und sonstige Erleichterungen für unterdrückte Indigene. Aber Labor will im Gegenteil das „Voice“-Referendum dazu nutzen, die Ausgaben, die heute schon hinten und vorne nicht reichen, noch weiter zu kürzen!

Am Mittwoch erklärte Premierminister Anthony Albanese: „Es stimmt, dass es viele Programme gibt, deshalb ist die Forderung, mit ‚Ja‘ zu stimmen, auch ein konservatives Argument. Wenn man mit den direkt betroffenen Leuten redet, lassen sich die Gelder effizienter und mit weniger Verschwendung ausgeben. Man wird tatsächlich Einiges bewerkstelligen, das Wirkung zeigt, und ich glaube, man wird damit eher Geld sparen als ausgeben.“

Aborigine-Familien im Tangentyere Council (Alice Springs, Northern Territory): Anstehen für finanzielle Unterstützung und Beratung, 2008 [Photo: John Hulme/WSWS]

Die ganze Diskussion ist obszön und reaktionär und verdeutlicht den betrügerischen Charakter des ganzen Referendums. Politiker der Liberal National Coalition und der Labor Party, die beide für die Banken, Konzerne und die Ultrareichen sprechen, schlagen tatsächlich vor, das soziale Elend der am stärksten unterdrückten Sektion der Arbeiterklasse noch zu verschärfen.

Die Äußerungen von Albanese und Dutton könnten den Eindruck erwecken, in den Aborigine-Gemeinden seien die Straßen mit Gold gepflastert und die Gesundheits- und Bildungsprogramme würden mit Geldern überschwemmt. Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt liegen.

Laut den aktuellsten Zahlen des Australian Bureau of Statistics verfügen von den mehr als 460.000 volljährigen Indigenen fast 200.000, bzw. 42,6 Prozent, über ein Einkommen von weniger als 499 Dollar pro Woche. Das bedeutet, sie befinden sich knapp über oder unter der Armutsgrenze. Die Folgen werden offensichtlich, wenn man berücksichtigt, dass die landesweite Medianmiete bei 570 Dollar pro Woche liegt. Die Arbeitslosenquote ist unter Eingeborenen doppelt so hoch wie unter Nicht-Eingeborenen.

Das Programm „Closing the Gap“, das von einer früheren Labor-Regierung ins Leben gerufen und von den darauf folgenden Regierungen fortgesetzt wurde, ist offensichtlich gescheitert. Selbst nach seinen eigenen zweifelhaften Berechnungen steigt die Zahl der Gefängnisaufenthalte, der Kindswegnahmen und Selbstmorde unter Eingeborenen immer weiter an.

Die Lebenserwartung von Ureinwohnern liegt weiterhin deutlich unterm Durchschnitt, laut dem Australian Institute of Health and Welfare bei 71,6 Jahren für Männer und 75,6 Jahren für Frauen. Unter nicht-indigenen Australiern beträgt die Lebenserwartung 80,2 Jahre für Männer und 83,4 Jahre für Frauen.

Laut einer Equity Economics-Studie vom letzten Jahr, die von der Gesundheitskontrollorganisation für Aborigines (National Aboriginal Community Controlled Health Organisation) in Auftrag gegeben wurde, fehlten letztes Jahr 4,4 Milliarden australische Dollar an Finanzierung bei den Mitteln für die Gesundheit der Ureinwohner. Die wären notwendig gewesen, um die Lücke bei der Lebenserwartung und anderen Kennzahlen tatsächlich zu schließen. Unter anderem lagen die staatlichen Ausgaben um 2,6 Milliarden Dollar bei den jährlichen Bundesausgaben zu niedrig.

Die Labor-Regierung behauptete, ihr Haushaltsplan vom Mai beinhalte deutliche Erhöhungen der Mittel für die Gesundheitsversorgung der Ureinwohner. Die offiziell genannte Zahl von 493,8 Millionen Dollar liegt jedoch weiterhin weit unter dem Wert, der laut Equity Economics notwendig wäre.

Zudem sind fast alle neu angekündigten Ausgaben auf über vier Jahre ausgelegt. Das bedeutet, dass die neuen Ausgaben für spezifische Initiativen zur Gesundheitsversorgung der Aborigines eher bei nur 125 Millionen liegen, was 127 Dollar pro Person entspricht. Ein Teil der Finanzierung könnte nur im weitesten Sinne als direkte Gesundheitsausgabe bezeichnet werden. Eins der größten Einzelprogramme ist eine PR-Kampagne, die mit Werbetafeln und anderen Mitteln die Ureinwohner aufruft, weniger zu rauchen.

Zudem gibt es keine strikte Trennung zwischen der Gesundheitsversorgung der einfachen Ureinwohner und der Arbeiter aller anderen Herkunft. Das staatliche Budget vom Mai wurde vor dem Hintergrund der größten Krise des öffentlichen Gesundheitssystems seit Jahrzehnten verabschiedet. Ausgelöst wurde sie durch jahrzehntelange Ausgabenkürzungen und -stopps der Regierung und die Verabschiedung einer Corona-Politik des ungehinderten „Laufenlassens“. Die Folgen waren anhaltende Masseninfektionen, Erkrankungen und Todesfälle.

Unter diesen Bedingungen sah der Labor-Haushalt vor, dass die staatlichen Gesundheitsausgaben in nur zwei Jahren um elf Milliarden Dollar gekürzt werden sollten: von 115,5 Milliarden im Jahr 2021-22 auf 104,1 Milliarden im Jahr 2023-24. Für das öffentliche Bildungswesen ist nur ein erbärmlicher Betrag vorgesehen, die Arbeitslosenhilfe für Arbeitssuchende wurde um nur 20 Dollar pro Woche erhöht, wodurch sie von 41 Prozent der Armutsgrenze auf 44 Prozent stieg.

Die Behauptung, die „Indigenous Voice“ werde dazu beitragen, die Ausgaben für Ureinwohner zu verringern, entlarvt die Kampagne als Teil der allgemeinen Agenda der Angriffe auf die Arbeiterklasse.

Die Regierung hat jede Hilfe in der schwersten Krise der Lebenshaltungskosten seit Generationen abgelehnt und erklärt, die Arbeiter müssten „Opfer bringen“. Natürlich tragen die am stärksten unterdrückten Schichten der Bevölkerung, darunter die Aborigines, dabei die Hauptlast.

Die Ursprünge der „Indigenous Voice“-Kampagne liegen in der Entscheidung der Liberal-Nationalen Koalition von Premierminister Tony Abbott, im Jahr 2015 ein Treffen zwischen Vertretern der Ureinwohner und Labor-Parteichef Bill Shorten zu organisieren. Dieses Treffen, auf dem Schritte zur verfassungsgemäßen Anerkennung der Ureinwohner beschlossen wurden, deren Höhepunkt das derzeitige Referendum bildet, war ein Versuch Abbotts, die Wut über seine Sparorgie einzudämmen. Seine Austeritätsprogramme umfassten Kürzungen bei Indigenen-Organisationen in Höhe von mindestens 600 Millionen Dollar.

Die wichtigsten Befürworter der „Indigenous Voice“ sprechen für eine privilegierte Schicht der Ureinwohner. Für die unterdrücktesten Aborigines haben sie seit Jahren nur Verachtung übrig. Sie verunglimpfen sie und unterstützen die Angriffe auf deren Rechte, u.a. durch Einschränkungen von Sozialleistungen.

Gleichzeitig steht das gesamte politische Establishment hinter den anhaltenden und ständig steigenden Steuersenkungen für die Reichen und massiven Ausgaben für das Militär, mit denen sie sich auf einen Krieg zwischen den USA und China vorbereiten. Darin sind sich Labor und die Koalition vollkommen einig.

Cheryl Crisp, die nationale Sekretärin der Socialist Equality Party (Australien), erklärt die Kampagne der SEP für einen aktiven Boykott des Voice-Referendums

Umso wichtiger ist die Kampagne der Socialist Equality Party (SEP) für einen aktiven Boykott des Referendums. Angesichts der allgemeinen Wahlpflicht, die in Australien besteht, ruft die SEP die Arbeiter und Jugendlichen dazu auf, ihren Widerstand durch die Abgabe ungültiger Stimmzettel auszudrücken und sich der SEP-Kampagne für einen aktiven Boykott anzuschließen.

Die Abstimmung am 14. Oktober löst keines der Probleme der Arbeiter, unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund. Stattdessen wird sie die Grundlagen für verschärfte Angriffe schaffen.

Die Lösungen für Armut und die soziale Krise sind klar. Hunderte Milliarden Dollar müssen in das Gesundheits- und Bildungswesen, den Wohnungsbau und andere wichtige Sozialleistungen gepumpt werden. Die Arbeitslosigkeit muss durch Arbeitsbeschaffungsprogramme beendet werden. Alle Arbeiter brauchen deutliche Lohnerhöhungen, um die jahrzehntelangen Reallohnsenkungen auszugleichen, die immer weiter zunehmen.

Labor, die Koalition und die herrschende Elite antworten darauf, dass für solche Maßnahmen ganz einfach „kein Geld da“ sei.

Aber es ist genug Reichtum vorhanden. Das Problem ist nur, dass er von den Konzernen, den Banken und den Ultrareichen mit Beschlag belegt wird. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines sozialistischen Programms, das auf die Errichtung einer Arbeiterregierung abzielt. Sie wird die großen Konzerne und Banken in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle umwandeln. Dies muss Teil des internationalen Kampfs für den Sozialismus sein.

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