LKW-Fahrer in Gräfenhausen: Streik beendet – Missstände bleiben

Der Streik von zuletzt etwa 80 LKW-Fahrern der polnischen Spedition Mazur ist beendet. Am Dienstag verließen die letzten blauen LKW die A5-Raststätte Gräfenhausen in Südhessen. Einige von ihnen hatten zehn Wochen lang ausgeharrt, um für ihre ausstehenden Löhne zu kämpfen.

Am vergangenen Freitag haben die Fahrer den größten Teil ihrer ausstehenden Löhne erhalten, daneben die Zusicherung von Mazur, dass keine juristischen Schritte gegen sie unternommen würden. Sie feierten dies als Erfolg ihres Arbeitskampfs und bereiteten ihre Heimfahrt vor.

Streikende LKW-Fahrer der Spedition Mazur zusammen mit der Autorin auf dem Rastplatz Gräfenhausen, April 2023

Ihr Streik hat aller Welt vor Augen geführt, welche üblen Bedingungen in der Speditionsbranche Europas vorherrschen. Die Trucker verbringen ihr Leben hinterm Steuer, sehen ihre Familien monatelang nicht und verdienen viel zu wenig. Nach EU-Recht müssten sie alle fünf Tage eine Pause von 45 Stunden außerhalb des Trucks, z.B. in einem Hotel, verbringen. Doch das bezahlen ihnen die Unternehmer nicht.

Für einen Arbeitstag, der oft 13 bis 14 Stunden dauert, erhalten sie etwa 80 Euro, aber nicht einmal das trifft immer zu. Sie sind nicht fest angestellt, sondern fahren als „Dienstleister“ auf eigene Rechnung. Viele beginnen mit einem Schuldenberg, denn Speditionen wie Mazur, die sie unter Vertrag nehmen, ziehen den Fahrern aus Osteuropa zunächst große Summen für die Papiere ab, die sie in der EU benötigen. Hinzu kommen Abzüge für bestimmte (unvermeidliche) Bußen oder Schäden an den LKWs, die oft willkürlich und unkontrollierbar behauptet werden. Zuletzt kommt es vor, dass die Bezahlung – wie bei Mazur – wochen- und monatelang ausbleibt.

So haben sich in Gräfenhausen in kurzer Zeit bis zu 120 Fahrer versammelt, denen es genauso erging. Sie stammten aus Georgien, Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan und der Ukraine, und jeder von ihnen hatte mehrere tausend Euro von den Transportunternehmen Lukmaz, Agmaz und Imperia zu bekommen, die alle zu Mazur gehören (oder – im Fall von Imperia: gehörten). Wie sie feststellten, hatte das Unternehmen ihnen insgesamt über 500.000 Euro vorenthalten.

Allerdings wirft das Streikende ernste Fragen auf. Woher kommt das Geld, das den Fahrern jetzt ausgezahlt wurde? Die polnische Spedition Mazur betonte am 2. Oktober, sie habe keinerlei Zahlungen überwiesen.

Ausbezahlt wurden die Gelder unter Kontrolle des DGB-Hessen, der bestätigt hat, dass sie nicht von Mazur stammen, sich jedoch weigert, die Herkunft preiszugeben. Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen, sagte, es seien „verantwortungsbewusste Akteure aus der Lieferkette“, die die Summe aufgebracht hätten. Aber die Namen werden nicht genannt.

Die Fahrer selbst haben berichtet, dass sie im Auftrag von wichtigen deutschen und internationalen Konzernen und Speditionen auf Europas Straßen unterwegs waren. Darunter sind Audi, Porsche, Ikea, General Electric, Red Bull, Obi, Bauhaus, Dachser, Rosner, InterCarGo und die Deutsche Post DHL. Sie alle und noch weitere Unternehmen haben offensichtlich von der Ausbeutung dieser Fahrer profitiert. Kein Wunder, dass diejenigen von ihnen, die Zahlungen leisteten, dies nur gegen Stillschweigen taten.

Es wirft ein grelles Licht auf die Rolle des DGB Hessen und seiner größten Gewerkschaften, der IG Metall und Verdi. Sie haben dazu beigetragen, den Streik so geräuschlos wie möglich zu Ende zu führen und die verantwortlichen Profiteure aus der Schusslinie zu nehmen. Damit haben sie bewusst verhindert, dass ein wirklicher Kampf gegen die miserablen Zustände aufgenommen wird.

Vor allem haben sie sich geweigert, den Streik der osteuropäischen LKW-Fahrer bei ihren deutschen Kollegen und anderen Arbeiterinnen und Arbeitern in den genannten Konzernen bekannt zu machen. Das Potential dafür war vorhanden. Täglich erfuhren die LKW-Fahrer große Solidarität, wenn vorbeifahrende Trucker anhaltend hupten und andere Kollegen und Passanten ihnen Kuchen, Nahrungsmittel, Getränke etc. an die Raststätte Gräfenhausen brachten oder versuchten, auf andere Weise zu helfen.

Am Dienstag, 19. September, traten mehr als 30 Fahrer in den Hungerstreik, den sie sechs Tage lang durchhielten. Einem ZDF-Reporter sagte Gela Chkhobadze, einer der Fahrer: „Ich habe eine Frau und drei minderjährige Kinder, dazu meine Eltern: Ich bin der einzige, der Arbeit hat.“ Aber seit Monaten habe er kein Geld mehr erhalten und könne ihnen nichts mehr schicken. „Meine Familie hungert“, sagte Gela, der da schon seit Tagen nur Wasser und Zigaretten zu sich genommen hatte.

Erst auf dringenden ärztlichen Rat brachen die Fahrer den Hungerstreik wieder ab. Der Notfallmediziner Gerhard Trabert hatte bei einigen von ihnen einen viel zu niedrigen Blutdruck, verminderte Immunabwehr und die Gefahr von Nierenversagen oder Herzinfarkt festgestellt. Dies allein bewog die Hungerstreikenden jedoch nicht zum Abbruch.

Am Montag, 25. September, an dem Tag, als der Hungerstreik endete, war ein Vertreter der hohen Politik an der Raststätte Gräfenhausen aufgetaucht: Torsten Safarik, Präsident des deutschen Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. In Absprache mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte Safarik an, mit den deutschen Unternehmen zu verhandeln, die direkt oder indirekt mit der Spedition Mazur kooperierten.

So haben die hessischen Gewerkschafter in Zusammenarbeit mit dem Staat und den Konzernen schließlich erreicht, dass Gelder bezahlt worden sind. Sie haben mit dem Abbruch des Streiks der deutschen Wirtschaft und Politik so kurz vor den hessischen Landtagswahlen einen großen Gefallen getan. Die Missstände in der europäischen Spedition jedoch bleiben bestehen.

Der Fall zeigt einmal mehr, wie notwendig es ist, dass sich Arbeiter international und unabhängig von den Gewerkschaften zusammenschließen, um ihre Kämpfe zu einem dauerhaften Erfolg zu führen. Das ist das Ziel der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees. Sie wird dafür sorgen, solche Arbeitskämpfe mit einer unabhängigen Perspektive und der aktiven Unterstützung breiter Teile der Arbeiterklasse auszustatten.

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