Die Münchner Kriegskonferenz

Das ursprüngliche Motto der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), „Frieden durch Dialog“, war schon immer ein Schwindel. Das Treffen hochrangiger Vertreter aus Politik, Militär, Geheimdiensten und Rüstungskonzernen aus aller Welt, das am vergangenen Wochenende zum 60. Mal stattfand, war stets ein Hort der Intrigen, der Verschwörungen und der Kriegsvorbereitung.

Die Reden und Debatten vor laufenden Kameras dienen vor allem der Propaganda, während die eigentliche Arbeit der Konferenz in Hinterzimmern stattfindet. Das Zusammentreffen auf engstem Raum ermöglicht Gespräche und Vereinbarungen, die sonst kaum stattfinden könnten.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Münchner Sicherheitskonferenz [Photo by Bundesregierung / Bergmann]

Das diesjährige Treffen in München ging weiter als alle bisherigen. Es diente direkt und unmittelbar der Verschärfung laufender Kriege. Nicht „Frieden durch Dialog“ war angesagt, sondern Verteufelung des Gegners und militärische Eskalation. Russland und Iran, die beiden derzeitigen Hauptgegner der Nato, waren gar nicht erst zur Konferenz eingeladen worden. Aus China war eine Delegation angereist und der chinesische Außenminister traf sich mit dem amerikanischen, doch das diente dem Abtasten des Terrains vor der nächsten militärischen Zuspitzung.

Die Konferenz war von einer Stimmung der Verzweiflung und Erbitterung geprägt. Die Teilnehmer reagierten auf den verheerenden Verlauf des Ukrainekriegs, der nach zwei Jahren und hunderttausenden Toten festgefahren ist, und auf die wachsende Empörung über den Genozid an den Palästinensern in Gaza, indem sie die Flucht nach vorn antraten, noch mehr aufrüsten und sich auf einen Atomkrieg vorbereiten.

Das offizielle Motto der Konferenz lautete „Lose-Lose“, das Gegenteil von „Win-Win“ – ein unverblümtes Eingeständnis, dass es in diesem Rüstungs- und Kriegswettlauf nur Verlierer geben kann. „Lose-Lose, das ist eine Situation, in der man ausweglos verliert. Und so wirkt manches in München,“ kommentierte die F.A.Z.. Der Münchner Merkur schrieb: “So verunsichert, ja verzweifelt wie auf der Sicherheitskonferenz 2024 hat man den Westen noch nie erlebt.“

David E. Sanger und Steven Erlanger, zwei langjährige Korrespondenten der New York Times, beschrieben die Atmosphäre auf der Konferenz mit den Worten: „Die Stimmung in München war sowohl ängstlich als angespannt, da die Staats- und Regierungschefs vor Konflikten standen, die sie nicht vorausgesehen hatten. Warnungen vor Putins möglichen nächsten Schritten vermischten sich mit Europas wachsender Sorge, dass es bald von den Vereinigten Staaten im Stich gelassen werden könnte, von der Macht, die seit 75 Jahren im Zentrum seiner Verteidigungsstrategie stand.“

Eskalation des Kriegs gegen Russland

2007 war der russische Präsident Wladimir Putin persönlich nach München gereist und hatte die USA und die Nato in eindringlichen Worten davor gewarnt, weiter gewaltsam nach Weltherrschaft zu streben. Er wandte sich insbesondere gegen eine weitere Erweiterung der Nato nach Osten, was er als „provozierenden Faktor“ bezeichnete, und erinnerte an entsprechende Garantien, die die Sowjetunion vor ihrer Auflösung erhalten hatte.

Die Nato ignorierte dies nicht nur, sondern beschleunigte ihre Expansion nach Osten. Im Februar 2014 verhalfen Washington und Berlin in der Ukraine, die eine 2000 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Russland hat, einem von ihnen abhängigen Regime an die Macht und begannen, das Land systematisch aufzurüsten. Moskau reagierte darauf im Februar 2022 mit dem militärischen Angriff auf die Ukraine.

Obwohl die Westmächte die Ukraine seither mit 250 Milliarden Euro unterstützt haben, steckt der Krieg in einer Sackgasse. Waren auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2023 noch die anfänglichen militärischen Erfolge der ukrainischen Armee gefeiert worden, befindet sich diese inzwischen in der Defensive. In den Auftakt der Konferenz platzte die Nachricht vom ukrainischen Rückzug aus der heftig umkämpften Stadt Awdijiwka – eine schwere Niederlage.

Hinzu kommen wachsende Schwierigkeiten, die bis zu 500.000 ukrainischen Soldaten zu ersetzen, die bisher als Kanonenfutter verheizt wurden, sowie der Mangel an Munition infolge der Blockade von Hilfsgeldern durch die US-Republikaner und der Unfähigkeit der Europäer, kurzfristig die eigene Produktion hochzufahren.

Wenige Tage vor der Konferenz hatte der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump zudem gedroht, europäischen Staaten, die nicht genug ins Militär investieren, den amerikanischen Beistand zu entziehen und Putin zu „ermutigen, mit diesen Alliierten zu tun, was immer zur Hölle er will“. „Wird Europa bald ohne amerikanischen Schutz dastehen – oder mit einem Beistandsversprechen, das niemand mehr ernst nimmt?“, fragte deshalb Die Zeit.

Die Sicherheitskonferenz reagierte auf diese Krise nicht mit einem Rückzug, sondern mit einer weiteren Eskalation. Obwohl Putin immer wieder Verhandlungsbereitschaft signalisiert hatte, zuletzt in einem Interview mit dem rechten US-Moderator Carlson Tucker, wurde eine solche Lösung nicht einmal in Erwägung gezogen. Der bloße Gedanke an ein Kriegsende ohne militärische Niederlage der Atommacht Russland gilt in Nato-Kreisen inzwischen als Verrat.

Die Konferenz wurde mit einem improvisierten Auftritt von Julija Nawalnaja eröffnet, die drei Stunden vorher vom Tod ihres Mannes Alexej Nawalny erfahren hatte. Obwohl der Tod, geschweige denn dessen Ursache, noch gar nicht bestätigt war, wurde sie von den versammelten Regierungschefs und Militärs minutenlang mit stehenden Ovationen und rhythmischem Applaus gefeiert.

„Putin und alle die für ihn arbeiten – ich möchte, dass sie wissen, dass sie bestraft werden für das, was sie dem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben,“ rief Nawalnaja. „Ich rufe die Welt auf, das Böse zu bekämpfen.“ Nach der Konferenz verkündete sie in einem Video, sie werde an die Stelle ihres Mannes treten und dessen politische Arbeit fortsetzen. Offenbar war sie in München von diesem Schritt überzeugt worden, den sie zuvor stets abgelehnt hatte.

Selenskij und Scholz denunzieren Putin

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij, der persönlich anwesend war, widmete den größten Teil seiner Rede der Denunziation Wladimir Putins. Er beschuldigte den russischen Präsidenten des Mords an Nawalny und sagte, es gebe nur zwei Optionen für ihn: ein Verfahren am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder die Ermordung durch einen seiner Komplizen.

Selenskij warf Putin vor, er bedrohe ganz Europa und zahlreiche weitere Länder. Der russische Einmarsch in die Ukraine vor zwei Jahren markiere das Ende der Welt, wie wir sie kennen. 2024 sei das Jahr, in dem die regelbasierte Weltordnung wieder hergestellt werden müsse. Seine Rede mündete in die Forderung nach weiteren Militärhilfen und Sanktionen. Er forderte seine Zuhörer auf, sich nicht davor zu fürchten, was geschehen könnte, wenn Wladimir Putin eine Niederlage erleidet – also keine Angst vor einem möglichen Atomkrieg zu haben.

Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz legte den Schwerpunkt seiner Rede auf den Ukrainekrieg und griff den russischen Präsidenten heftig an. „Es ist für mich offensichtlich, Nawalny wurde getötet,“ behauptete er ohne den geringsten Beweis. Zwei Jahre nach Kriegsbeginn müssten sich alle fragen: „Tun wir genug, um Putin zu signalisieren: We are in for the long haul?“ (Wir halten lange durch).

Ein russischer Sieg in der Ukraine würde „das Ende der Ukraine als freier, unabhängiger und demokratischer Staat und die Zerstörung unserer europäischen Friedensordnung“ bedeuten, sagte der Kanzler. „Der politische und finanzielle Preis, den wir dann zu zahlen hätten, wäre um ein Vielfaches höher als alle Kosten unserer Unterstützung der Ukraine – heute und in Zukunft.“

Scholz verwies stolz darauf, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten bisher knapp 90 Milliarden Euro bereitgestellt und weitere 50 Milliarden Euro beschlossen haben. Deutschland allein habe 28 Milliarden Euro militärische Unterstützung geleistet oder zugesagt. Das Geld fehle zwar an anderer Stelle, er sage aber: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts.“

Unmittelbar vor der Sicherheitskonferenz hatten Scholz und Selenksij in Berlin ein bilaterales Sicherheitsabkommen unterzeichnet, das der Ukraine bis zur vorgesehenen Aufnahme in die Nato dauerhafte militärische Unterstützung garantiert. „Das Dokument kann in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden“, betonte Scholz.

Es ist das erste Mal, dass die Bundesrepublik in dieser Form als Garantiestaat auftritt. Unter anderem sieht das Abkommen Waffenlieferungen, die Ausbildung ukrainischer Soldaten sowie Unterstützung bei der Minenräumung und beim Wiederaufbau vor. Sollte es nach einem Waffenstillstand erneut zum Krieg kommen, verpflichtet sich die Bundesregierung, innerhalb von 24 Stunden über rasche und wirksame militärische Unterstützung zu beraten.

Auch in Paris hatte Selenskij mit Präsident Macron, der selbst nicht nach München kam, ein vergleichbares Abkommen vereinbart. Mit Großbritannien gibt es bereits eines, das außerdem einen geheimen Zusatzteil enthält.

Genozid in Gaza

Das zweite prägende Thema auf der Sicherheitskonferenz war der Nahostkonflikt. Hier bemühten sich die Vertreter der Nato-Mächte, die arabischen Regimes in ihre Pläne für eine Neuordnung der Region unter ihrer Vorherrschaft einzubinden und die nötigen Formeln zu entwickeln, die es ihnen erlauben, angesichts des Genozids an den Palästinensern das Gesicht zu wahren.

Die Außenminister der USA, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens trafen sich zu vertraulichen Gesprächen mit ihren Amtskollegen aus Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch die Türkei wurde in die Gespräche einbezogen. Wie der saudische Außenminister anschließend berichtete, ging es um die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel gegen das Versprechen eines palästinensischen Staates und um eine Reform der palästinensischen Autonomiebehörde.

Israels Präsident Isaac Herzog, der ebenfalls in München war, bezeichnete eine Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien als „Gamechanger“ für die Region. Es werde aber keinen palästinensischen Staat geben, „wenn wir keine wirklichen Lösungen für die Frage der Sicherheit Israels finden“. Regierungschef Benjamin Netanjahu wies in einer Erklärung umgehend „jedes internationale Diktat bezüglich eines dauerhaften Arrangements mit den Palästinensern entschieden zurück“.

Ruf nach Atomwaffen

Scholz sprach in seiner Rede in München indirekt auch über den Aufstieg der Europäischen Union zur Atommacht. Er erwähnte, dass man mit Frankreich und Großbritannien über die Entwicklung und Einführung „abstandsfähiger Präzisionswaffen“ spreche. Da bereits die nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung vom vergangenen Sommer die Entwicklung von Mittelstreckenwaffen ankündigt und Scholz dies nun in Verbindung mit den Atomächten Frankreich und Großbritannien bringt, gehen Experten davon aus, dass sie nukleare Sprengköpfe tragen sollen.

Entsprechende Forderungen hatten in den letzten Wochen Vertreter aller Parteien erhoben, darunter der FDP-Vorsitzende und Finanzminister Christian Lindner, der kürzlich verstorbene CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sowie die Europaparlamentarier Manfred Weber (CSU) und Katarina Barley (SPD). Auch der polnische Regierungschef Donald Tusk und der Chef des Airbus-Konzerns René Obermann treten dafür ein.

Im Gespräch ist die Nutzung des französischen Atomarsenals für ganz Europa, wie es auch Präsident Macron angeboten hat. Anders als die britischen, sind die französischen Atomwaffen völlig unabhängig von den USA. 64 der knapp 300 Sprengköpfe sind auf vier U-Booten stationiert und haben eine Reichweite bis zu 6000 Kilometer. Sie können selbst dann noch abgeschossen werden, wenn Frankreich bereits nuklear zerstört ist, und gelten daher als besonders wirkungsvolle Abschreckung.

Die Aufrüstung, die Finanzierung des Kriegs gegen Russland, die Unterstützung der Ukraine und der Aufbau einer europäischen Atomstreitmacht verschlingen gewaltige Summen. Es gibt Berechnungen, laut denen Deutschland vier statt zwei Prozent des BIPs ausgeben muss, um alle gesteckten Ziele zu erfüllen. Dies würde eine Verdoppelung des Rüstungshaushalts um weitere 85 Milliarden Euro im Jahr bedeuten – die dann durch Kürzungen der Sozialausgaben wieder hereingeholt werden.

Der Kriegswahnsinn geht einher mit einer gewaltigen Verschärfung des Klassenkampfs. Der britische Historiker Tim Mason schrieb über die Dynamik, die Deutschland in den 1930er Jahren in den Zweiten Weltkrieg trieb:

Die einzige „Lösung“ der strukturellen Spannungen und der durch Diktatur und Aufrüstung hervorgerufenen Krisen, die dem Regime zur Verfügung stand, waren mehr Diktatur und mehr Aufrüstung, dann Expansion, dann Krieg und Terror und schließlich Plünderung und Versklavung. Die stets präsente Alternative war Zusammenbruch und Chaos, und so waren alle Lösungen zeitweilige, hektische, kurzfristige und zunehmend barbarische Improvisationen über ein brutales Thema.

Die tiefe, globale Krise des Kapitalismus setzt heute wieder dieselbe Dynamik in Gang, der sich keine Partei entzieht, die den Kapitalismus verteidigt. Die Grünen, deren Entstehung Anfang der 1980er Jahre eng mit den Massenprotesten gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen (Pershing II) verbunden war, rufen heute am lautesten nach der Atombombe.

Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die den Kampf gegen Ausbeutung und Krieg mit einem sozialistischen Programm zum Sturz des Kapitalismus verbindet, kann diese Dynamik durchbrechen.

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