Gaza wird zur Todeszone, UN setzt humanitäre Hilfe an Hunderttausende im Norden aus

Palestinians stehen in Rafah um eine kostenlose Mahlzeit an. Das Welternährungsprogramm hat nun die Lieferung von Lebensmitteln in den Norden des Gazastreifens ausgesetzt. [AP Photo/Fatima Shbair]

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) kündigte am Dienstag die Aussetzung sämtlicher humanitärer Hilfe für die nördlichen Teile des Gazastreifens an. Die schätzungsweise 400.000 Menschen, die noch immer in Gaza Stadt und den umliegend Gebieten festsitzen, haben aufgrund der israelischen Blockade seit Monaten keine Hilfslieferungen mehr erhalten. Berichten zufolge ernähren sich mittlerweile ganze Familien von Tierfutter.

Erst am Sonntag hatte das WFP seine Lieferungen nach einer dreiwöchigen Pause wieder aufgenommen; zuvor war ein Lastwagen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNRWA von Israel bombardiert worden. In der Erklärung, in der es die erneute Aussetzung der Lieferungen ankündigte, hieß es: „Der Plan sah vor, an sieben Tagen in Folge je zehn Lastwagen zu schicken, um den Hunger und die Verzweiflung einzudämmen und in den Gemeinden mit dem Aufbau von Vertrauen zu beginnen, dass genug Nahrung für alle vorhanden sei.“

Und weiter: „Als das WFP am Sonntag die Route nach Gaza in Betrieb nahm, wurde der Konvoi nahe dem Kontrollpunkt Wadi Gaza von einer Menge hungriger Menschen umstellt. Wir wehrten mehrere Versuche ab, auf unsere Lastwagen zu klettern, in Gaza wurde unser Team beschossen, konnte auf dem Weg aber kleine Mengen von Nahrungsmitteln verteilen. Am Montag war die Reise des zweiten Konvois in den Norden mit komplettem Chaos und Gewalt aufgrund des Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung konfrontiert. Zwischen Chan Yunis und Deir al Balah wurden mehrere Lastwagen geplündert, ein Fahrer wurde verprügelt. Das noch verbliebene Mehl wurde in Gaza angesichts scharfer Spannungen und explosiver Wut spontan von den Lastwagen aus verteilt.“

Die Behörde hatte bereits im Dezember eine Hungersnot für die Einwohner des Gazastreifens prognostiziert, wenn sich die Lage nicht radikal verbessern würde. Diese Woche meldete sie „beispiellose Verzweiflung“ der Einwohner im Norden. Am Montag erschien ein Bericht des WFP und der UNICEF, laut dem eines von sechs Kindern unter zwei Jahren im nördlichen Gazastreifen an akuter Unterernährung leidet.

Diese Situation wurde von Israel vorsätzlich durch den völkermörderischen Angriff auf den Gazastreifen herbeigeführt, der bereits mehr als 30.000 Todesopfer gefordert hat. Am Mittwoch stieg die offizielle Zahl der Toten auf 29.300, dazu kommen 7.000 Vermisste, die vermutlich ebenfalls tot sind. Seit Beginn der Angriffe im letzten Oktober hat Israel vorsätzlich Hilfslieferungen in den Gazastreifen unterbunden und damit Nahrung als Kriegswaffe eingesetzt.

Giora Eiland, der ehemalige Vorsitzende des israelischen Nationalen Sicherheitsrats, veröffentlichte im November einen Artikel, in dem er für den Einsatz von Hunger und Krankheit zur Dezimierung der Bevölkerung eintrat: „Die internationale Staatengemeinschaft warnt uns vor einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen und schweren Epidemien. Wir dürfen davor nicht zurückschrecken, so schwer es auch sein mag. Schließlich werden uns schwere Epidemien im Süden des Gazastreifens dem Sieg näherbringen und die Opfer unter IDF-Soldaten verringern.“

Wie die World Socialist Web Site damals schrieb, erinnert diese Politik an die Strategie der Nazis gegenüber den Juden im Zweiten Weltkrieg. Sie wurden zuerst in Ghettos gepfercht, in denen viele an Hunger und Krankheiten starben, dann wurden die Überlebenden in Konzentrationslager deportiert.

Das Ausmaß von Hunger und Krankheit im Norden ist zwar besonders extrem, doch die ganze Bevölkerung des Gazastreifens befindet sich in einer furchtbaren Lage. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebreyesus bezeichnete den Gazastreifen am Mittwoch als „Todeszone“ und fügte hinzu: „Die gesundheitliche und humanitäre Lage im Gazastreifen ist unmenschlich und verschlimmert sich immer weiter.“

Die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Alabanese sprach von einem „vollständigen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung“ in der gesamten Enklave. Über die Entscheidung des WFP, die Hilfe an den Norden auszusetzen, fügte sie hinzu: „Stellen Sie sich vor, dass Sie als Elternteil um Essen für Ihr verhungerndes Kind kämpfen müssen … Wir sollten uns alle schämen, diesen Verrat an der Menschlichkeit zuzulassen.“

Al Jazeera sprach mit einer Mutter, die auf dem Spielplatz der UNRWA-Schule im Flüchtlingslager Dschabaliya im Norden des Gazastreifens lebt und ihre achtköpfige Familie mit Fladen aus gemahlenem Tierfutter ernähren muss. Sie erklärte: „Von dem Essen wird man nicht satt. Meine Kleinen wachen nachts auf und schreien vor Hunger, weil das blanke Brot ihre Mägen nicht füllt.

„Heute habe ich Maismehl gefunden, aber morgen finde ich vielleicht nichts … Die Lage wird jeden Tag schlimmer, sie ist sehr schlimm.“

Eine gemeinsame Mission des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), der WHO und des palästinensischen Roten Halbmondes traf im Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis auf „erschütternde Bedingungen“, als sie die am schwersten verwundeten Patienten nach einer wochenlangen Belagerung durch die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) evakuierte. Der OCHA-Vertreter Jonathan Whittall erklärte: „In einem dieser Gebäude leben 150 Patienten. Sie haben keine Nahrung, kein Wasser und keinen Strom. Es gibt nur noch wenige Ärzte und Pflegekräfte in diesem Krankenhaus.

In den Gängen liegen Tote. Die Patienten befinden sich in einer verzweifelten Lage. Ein Ort der Heilung ist zu einem Ort des Todes geworden.“

Trotz dieses Elends fliegt Israel weiterhin täglich Luftangriffe. Am Dienstag wurden bei einem Angriff auf das Haus einer Familie in Rafah die Anwältin des palästinensischen Zentrums für Menschenrechte Nour Naser abu al-Nour und sieben Mitglieder ihrer Familie getötet. Die Organisation erklärte, sie habe zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Ungerechtigkeit beigetragen. Bei Angriffen auf den Gaza-Stadtteil Zeitoun und das Flüchtlingslager Nuseirat im mittleren Gazastreifen wurden am Mittwoch mindestens zwölf Menschen getötet, darunter ein Journalist und seine Frau.

Aufgrund der uneingeschränkten Unterstützung des US-Imperialismus und seiner europäischen Verbündeten für Israel verschlimmert sich die katastrophale Lage der Palästinenser im Gazastreifen immer weiter. Am Dienstag nutzte Washington angesichts der zahlreichen Berichte über eine Hungersnot im Gazastreifen sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat, um eine von Algerien eingebrachte Resolution für einen Waffenstillstand zu blockieren. Stattdessen schlugen die USA einen vage formulierten Text vor, der zu einem Waffenstillstand aufruft, „sobald dies durchführbar“ sei, d. h. nach dem Ermessen der rechtsextremen Regierung Israels, die wiederholt ihre Absicht bekundet hat, einen Völkermord an den Palästinensern zu verüben.

Minister Benny Gantz aus dem Kriegskabinett bekräftigte am Mittwoch Israels Bereitschaft zu einer umfassenden Offensive auf Rafah während des Ramadan. In der Stadt lebten vor Beginn der israelischen Angriffe nur 280.000 Menschen, heute sind dort mindestens 1,4 Millionen zusammengepfercht. Eine Bodenoffensive würde die Palästinenser aus ihrer letzten Zuflucht im Gazastreifen vertreiben, sodass Israel seinen Plan umsetzen könnte, die Enklave ethnisch zu säubern und israelische Siedlungen unter direkter Kontrolle des Sicherheitsapparats zu errichten.

Die Unterstützung der imperialistischen Mächte für diese Gräueltaten steht im Zusammenhang mit ihrem regionalen Krieg gegen den Iran und seine Verbündeten. Der Nahe Osten entwickelt sich rapide zu einer Front bei der Neuaufteilung der Welt durch die imperialistischen Mächte, die wiederum von den unlösbaren Widersprüchen des kapitalistischen Profitsystems angetrieben wird. Am Mittwoch wurden weitere US-Luftangriffe gegen die Huthi-Rebellen im Jemen gemeldet, während Israel einen Luftangriff auf Damaskus durchführte, der angeblich einem hochrangigen Hisbollah-Funktionär galt. Washington ist entschlossen, seine Vorherrschaft über den rohstoffreichen Nahen Osten um jeden Preis gegen seine Rivalen zu verteidigen, vor allem gegen China und Russland, selbst wenn es dabei in der Region ein Blutbad entfesselt.

Die einzige gesellschaftliche Kraft, die dem Leid der Bevölkerung des Gazastreifens und dem Abgleiten des Nahen Ostens in den Krieg ein Ende setzen kann, ist die internationale Arbeiterklasse. Die Arbeiter müssen den massiven Widerstand gegen Israels Völkermord mobilisieren, der sich in den letzten Monaten in weltweiten Demonstrationen von Millionen Menschen geäußert hat, und dafür kämpfen, alle Militärlieferungen und die gesamte für Israel bestimmte Rüstungsproduktion zum Erliegen zu bringen. Die dringlichste Aufgabe ist der Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung, um den Völkermord und die Eskalation der imperialistischen Mächte zu einem dritten Weltkrieg aufzuhalten und ein sozialistisches Programm zur Abschaffung des krisengeschüttelten Kapitalismus zu vertreten.

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