Präsident des IfW Kiel schlägt Finanzierung der Kriegsrüstung wie unter den Nazis vor

Seit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius verkündet hat, Deutschland müsse wieder „kriegstüchtig“ werden, schießen sich die großen Medien und Wirtschaftsinstitute auf den Sozialstaat ein und fordern seinen Abbau zugunsten einer massiven Aufrüstung der Bundeswehr und Militarisierung der gesamten Gesellschaft.

Hitler beim ersten Spatenstich für die Autobahn Frankfurt-Darmstadt-Mannheim im September 1933. Die Autobahnen waren ein wichtiger Teil der Kriegsvorbereitung. [Photo by Bundesarchiv, Bild 183-R27373]

Hier zwei Beispiele. Die rechts-konservative Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) veröffentlichte am 1. April einen langen Kommentar unter der Überschrift „Rente oder Rüstung? Was den Deutschen wichtiger ist“. Darin stellt Manfred Schäfers empört fest: „Das Bundesfinanzministerium listet für dieses Jahr unter … ‚Rentenversicherung und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung‘ geplante Ausgaben von 127,3 Milliarden Euro auf. Damit kommt man auf einen Anteil von 26,7 Prozent an den gesamten Ausgaben aus dem Bundeshaushalt. Dagegen erreicht der Verteidigungsetat mit knapp 52 Milliarden Euro gerade einmal eine Quote von 10,9 Prozent.“

Damit nicht genug. Schäfers stellt fest, dass selbst der größte Teil des Verteidigungsetats auf Personalkosten wie Sozialversicherungsbeiträge, Soldatensold, Fürsorgemaßnahmen (nach brutalen Kriegseinsätzen wie in Afghanistan und Bosnien) entfällt: „18,9 Milliarden Euro, das ist ein Drittel dieses Einzelplans. Die militärischen Beschaffungen belaufen sich dort auf nicht einmal 2,8 Milliarden Euro.“

Detailliert weist der FAZ-Kommentator dann nach, dass die Finanzierungsfrage für die Aufrüstung bis zur „Kriegstüchtigkeit“ völlig offen ist, spätestens dann, wenn das über fünf Jahre verteilte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro 2027 aufgebraucht ist. Mindestens 30 Milliarden Euro müssten dann direkt aus dem Haushalt durch Einsparungen finanziert werden, da ja an der Schuldenbremse nicht gerüttelt werden soll.

Für die FAZ steht dabei schon heute fest, wo unter anderem die Axt angesetzt werden muss: bei den alten Menschen, ihren Renten und ihrer Alterssicherung. Der Kommentar endet mit der empörten Feststellung: „Schon heute sind die auf Menschen im Alter zugeschnittenen Ausgaben aus dem Bundeshaushalt etwa sechsmal so hoch wie die für militärische Beschaffung. Das zeigt kurz und klar, was den Deutschen wirklich lieb und teuer ist … obwohl die äußere Sicherheit zu den Kernaufgaben eines jeden Staates gehört.“

In dieselbe Kerbe schlug am 7. April Stephan Stuchlik in einem Kommentar der Tagesthemen. Anlässlich der Vorstellung der Reformpläne für die Bundeswehr durch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und dessen Forderung nach 6,5 Milliarden Euro mehr im nächsten Jahr warnte er: „Die Wahrheit (ist): Das 100 Milliarden Euro Sondervermögen genügt bei weitem nicht, um die Bundeswehr kriegstüchtig zu bekommen. Und: in den Haushaltsplänen der nächsten Jahre klaffen zweistellige Milliarden-Lücken, wenn die Bundesrepublik wirklich dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einhalten will.“

Stuchlik forderte: „Wir müssen dringend darüber reden, wieviel uns eine verteidigungsfähige Bundeswehr wert ist, etwa im Vergleich zu Kita-Plätzen, Gesundheitsversorgung und Soziales.“ Er fügte hinzu: „Und die nächste Zumutung, die uns bevorsteht, ist die Frage, wie man die 20.000 Männer mehr für die Bundeswehr bekommt. … Spätestens wenn die Themen allgemeines Dienstjahr oder Wehrpflicht auf den Tisch kommen, wird die Zeitenwende die Familien im Land betreffen.“

Diese und ähnliche Kommentare sind alle von der Wut über die breite Opposition gekennzeichnet, die den herrschenden Eliten Deutschlands aus der Bevölkerung entgegenschlägt. Die Kriegsrüstung, der Krieg gegen Russland in der Ukraine und der barbarische Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen werden von der überwiegenden Mehrheit abgelehnt.

Der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), Moritz Schularick, geht noch sehr viel weiter. Unter der zynischen Überschrift „Wir müssen aufrüsten für den Wohlstand“ machte er im Spiegel eine ganz andere, seiner Meinung nach einzig realistische Rechnung über den Finanzierungsbedarf der Kriegsrüstung auf .

Er zählt dazu nicht nur die Aufrüstung der Bundeswehr, sondern auch die Ansiedlung und den Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie mit „Planungssicherheit durch langfristige Abnahmeverträge zu attraktiven Preisen.“ Mit anderen Worten: richtig fette Profite sollen Rüstungskonzernen wie Rheinmetall, Airbus, MAN, ThyssenKrupp, Diehl usw. garantiert werden, und zwar für lange Zeit! Nicht zuletzt auch, um unabhängig zu werden von amerikanischen Lieferanten der Bundeswehr und europäischer Armeen vor allem im Hochtechnologiebereich.

„Wie viel mehr Geld müssten wir dafür ausgeben?“, fragt Schularick und antwortet: 150 Milliarden bis zum Ende des Jahrzehnts. „Das entspricht in etwa einer Erhöhung um ein zusätzliches Sondervermögen – allerdings pro Jahr.“

Angesichts dieser gigantischen Dimensionen wirft er die naheliegende Frage auf: „Wie kann und wie sollte ein solches Paket … finanziert werden?“ Grundsätzliche gebe es drei Möglichkeiten: Steuern erhöhen, andere Ausgaben senken oder neue Kredite aufnehmen. Höhere Steuern würden die Wirtschaft abwürgen, Kürzungen würden vor allem den Sozialhaushalt betreffen, der fast die Hälfte des Gesamthaushaltes ausmache.

Schularick meint dazu: „Zwar wird mittelfristig kein Weg daran vorbeiführen, harte Budgetentscheidungen zwischen ‚Kanonen und Butter‘ zu treffen. Kurzfristig aber sind rabiate Kürzungen im Sozialbereich ebenfalls kontraproduktiv, weil sie politisch polarisieren und das Land innenpolitisch destabilisieren. Auch das würde uns schwächer machen und den Rückhalt in der Bevölkerung untergraben.“

Was also ist der richtige Weg? „Der richtige Weg wäre, in den kommenden Jahren kreditfinanziert in die Sicherheit unseres Landes und Europas zu investieren. … Insbesondere sollte Deutschland die Initiative Frankreichs für gemeinsame europäische Verteidigungsinvestitionen unterstützen.“

Auch diese von Frankreich vorgeschlagenen Investitionen in eine europäische Kriegsindustrie sollen durch sogenannte Eurobonds, die von den EU-Staaten gemeinsam ausgegeben werden, also durch langfristige Schulden oder Anleihen, vorfinanziert werden – was Schularick verschweigt. Er verliert auch kein Wort darüber, wie diese Anleihen am Ende wieder zurückgezahlt werden sollen.

Damit gleicht die „Lösung“ des Präsidenten des Kiel Instituts auffallend dem Schwindel mit den Mefo-Wechseln, mit denen das Hitler-Regime in den 1930er Jahren eine für die damaligen Verhältnisse ebenso gigantische Kriegswirtschaft, wie sie die herrschende Klasse heute wieder plant, finanzierte. Und so wie die Nazis mit den Mefo-Wechseln eine fünf Jahre währende Scheinblüte mittels Vollbeschäftigung durch Aufrüstung finanzierten, verspricht Schularick auch heute wieder „Aufrüsten für den Wohlstand“, wie es in der Überschrift heißt.

Am Ende dieses monströsen Kriegsprogramms wird jedoch, wenn es nicht von der Arbeiterklasse gestoppt wird, nicht Wohlstand stehen, sondern wie bei den Nazis Vernichtungskriege, Barbarei und die Verwüstung ganzer Erdteile, wenn nicht der ganzen Welt durch einen Atomkrieg.

Denn Schularicks Programm zur Finanzierung künftiger Kriege impliziert angesichts der Dimensionen der Kreditverschuldung wie damals zwangsläufig, dass Kriege geführt und gewonnen werden. Selbst der schärfste Sozialabbau und die brutalste Ausbeutung der Arbeiter in Deutschland würden rein ökonomisch nicht reichen, diese Schulden jemals zu tilgen. Dazu wäre die Ausweitung des faschistischen Terrors auf andere Länder durch Eroberungsfeldzüge notwendig.

1933 war der damalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht Erfinder dieses Systems. Realisiert wurde es von den vier großen Rüstungskonzernen Siemens, Gutehoffnungshütte, Rheinmetall und Krupp, die eine Scheinfirma, die „Metallurgische Forschungsgesellschaft“ (Mefo), gründeten. Über die Mefo brachten sie bis 1938 Wechsel im Wert von 12 Milliarden Reichsmark in Umlauf – eine für damalige Verhältnisse unvorstellbare Summe.

Die Wechsel glichen damit einer parallelen Schattenwährung, da vom Reich ihre Rückzahlung nach fünf Jahren, also im Jahr 1938, garantiert wurde, ohne dass es zu einer Inflation kam. Sie tauchten weder im Staatshaushalt noch in den Bilanzen der Unternehmen auf, so dass sie vor dem Ausland und ausländischen Aktionären geheim gehalten werden konnten.

Als die Wechsel 1938 fällig wurden, verfügte das Nazi-Regime über keine Mittel, um sie einzulösen, und war bei weitem noch nicht am Ziel seiner Kriegsvorbereitungen. Hitler unterstellte daraufhin die Reichsbank seiner persönlichen Verantwortung und wies sie an, dem Staatshaushalt Kredit zu gewähren, wie viel auch immer er und seine Kriegsminister – wie Hermann Göring und später Albert Speer – verlangten.

Doch auch dieses Gangsterstück funktionierte nur ein Jahr. Die Nazis hatten seit 1933 nie im Sinn, Wechsel und Kredite in diesen Dimensionen durch Kürzungen im Staatshaushalt zurückzuzahlen. Das wäre auch bei der brutalsten Ausbeutung der Arbeiterklasse nicht möglich gewesen und hätte höchstens Klassenkämpfe provoziert. Ihr Plan war es, sie mit der Beute aus den Plünderungs- und Mordfeldzügen in ganz Europa und vor allem in der damaligen Sowjetunion zu begleichen.

Im Sommer 1939 drohte der ganze Kreditschwindel zu platzen. Die Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und der Industrie mit Rohstoffen türmten sich. Versuche, Rohstoffe künstlich herzustellen oder durch Schrottmaterial zu ersetzen, scheiterten jämmerlich.

Da rief Hitler am 22. August 1939 die 50 führenden Generäle der Wehrmacht und der Luftwaffe zu sich auf den Obersalzberg und weihte sie in seine geheimen Pläne ein: nicht nur Polen und Frankreich sollten überfallen, sondern bald darauf auch ein Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion und seine Bevölkerung begonnen werden. Seine Worte an die mit allen geplanten Verbrechen einverstandene Wehrmachtsführung lauteten: „Wir haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.“

Was treibt die deutschen Imperialisten dazu, kaum mehr als 75 Jahre nach dem schmählichen Ende der größten Barbarei und Menschenschlächterei der Geschichte, die sie mit ihrem Nazi-Terrorregime verursacht hatten, sich heute wieder in ein solches Vabanquespiel zu stürzen, bei dem sie alles auf einen Sieg in ihren nächsten Kriegen setzen? Selbst wenn diese heute unweigerlich zu einer atomaren Verwüstung des Erdballs führen?

Die Ursache liegt in der tiefen, ausweglosen globalen Krise des Kapitalismus. Sie sind entschlossen, ihr bankrottes, geschichtlich überholtes Profitsystem um jeden Preis zu verteidigen. Das geht nur durch neue imperialistische und koloniale Kriege und durch faschistischen Terror gegen die eigene Arbeiterklasse und gegen fremde Völker. Dem aufflammenden Klassenkampf versuchen sie durch chauvinistische Hetzkampagnen und Kriege Herr zu werden. Sie verteufeln Gegner wie „Putin“ und „die Russen“, ähnlich wie die Nazis einst gegen „slawische Untermenschen“ hetzten.

Das Institut für Weltwirtschaft Kiel lässt mit seiner „Beratertätigkeit“ bei diesem Geschäft einschlägige Traditionen des Hauses wiederaufleben – braune und blutige Traditionen! Seine Präsidenten, Professoren, Habilitanden, Doktoranden und sonstigen akademischen Mitarbeiter waren in die Kriegsverbrechen und den Holocaust der Nazis nicht nur „verstrickt“, wie es die Apologeten der Nazis aus besseren Kreisen nach 1945 immer so vornehm ausdrückten. Sie waren aktive Mittäter.

Schon in den 1930er Jahren fertigten sie zahllose ökonomische Expertisen für Konzerne der Kriegswirtschaft, für Reichsminister und Militärs zur Unterstützung ihrer Planungen an. Ab 1943 wurde das Institut in den Rang eines von Albert Speers Rüstungsministerium protegierten „Wehrwirtschaftsbetriebs“ erhoben.

Besondere Bedeutung erlangte das IfW Kiel mit seinen „Verfeinerungen“ des „Generalplans Ost“ und des „Hungerplans“ für die Sowjetunion, die ständig an den aktuellen Kriegsverlauf angepasst werden mussten: durch empirisch-statistische Erhebungen in den besetzten Gebieten, darunter auch regelrechte Plünderungen der dort ansässigen Institute und Universitäten; durch Neuberechnungen, wie viele Zig-Tausend Polen im Weichsel-Oder-Gebiet zwangsumgesiedelt, wie viele Millionen Sowjetbürger durch Hunger oder Mordkommandos eliminiert werden sollten. Alles, um die Ernährung der deutschen Bevölkerung zuhause und die der Armee an der Front oder in den besetzten Ländern sicherzustellen.

Quellen:

1. https://www.wikiwand.com/de/Mefo-Wechsel

2. Sehr sehenswert ist der Arte-Dokumentarfilm „Die Nazis, die Arbeit und das Geld – Wie sich das Dritte Reich durch Betrug und Raub finanzierte“ von Gil Rabier mit dem bekannten Historiker Adam Tooze von der Columbia University in New York. https://www.youtube.com/watch?v=f6uQckTzUh4

3. Take, Gunnar (2020): „Die Kriegsforschungsprogramme der RAG. Eine Analyse anhand der Projekte des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) von 1939 bis 1944“, in: Baumgart, Sabine (Ed.): „Raumforschung zwischen Nationalsozialismus und Demokratie: Das schwierige Erbe der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG)“; 2020, S. 38-47. https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0156-4271047

4. Take, Gunnar: „Forschen für den Wirtschaftskrieg. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft im Nationalsozialismus“. Berlin, 2019.

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