MERA 25, der deutsche Ableger der europäischen DiEM25-Bewegung des früheren griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, stellt im Europawahlkampf die Frage des Gaza-Genozids ins Zentrum.
In ihren Statements und Wahlspots verurteilt die Partei den Völkermord an den Palästinensern, geißelt die Komplizenschaft der deutschen Regierung und lässt palästinensische Ärzte zu Wort kommen, die den Horror vor Ort schildern. Ihre Vertreter beteiligen sich regelmäßig an Anti-Genozid-Demonstrationen und sind deshalb wie andere Gegner des Genozids – darunter auch jüdische Organisationen – massiver staatlicher Repression ausgesetzt.
So war MERA25 an der Organisation des Palästinakongresses am 12. April in Berlin beteiligt, der von der Polizei brutal unterdrückt wurde. Varoufakis selbst hatten die deutschen Behörden zunächst die Einreise untersagt und dann ein generelles politisches Betätigungsverbot gegen ihn verhängt. In einem Statement von MERA25 heißt es, Varoufakis habe deshalb „die deutschen Behörden wegen Verletzung seiner Grundrechte und Verleumdung“ verklagt und angekündigt, gegebenenfalls auch „vor den europäischen Gerichten zu klagen“.
Die Sozialistische Gleichheitspartei verurteilt das Betätigungsverbot für Varoufakis auf das Schärfste. Es geht dabei offensichtlich nicht einfach um den ehemaligen Finanzminister, mit dem der deutsche Staat seinerzeit noch eng zusammenarbeitete, um das EU-Spardiktat gegen die griechische Arbeiterklasse durchzusetzen.
Das Vorgehen ist Bestandteil eines umfassenden Angriffs auf demokratische Recht und verfolgt das Ziel, jede soziale und politische Opposition zu unterdrücken. Unter Bedingungen, unter denen die herrschende Klasse den Genozid auf die Spitze treibt, einen direkten Krieg der Nato gegen Russland vorbereitet, massiv aufrüstet und historische Angriffe auf die Arbeiterklasse plant, errichtet die herrschende Klasse einen Polizeistaat.
MERA25 geißelt diese Entwicklung zwar in Worten, hat aber keinerlei Perspektive dagegen. Im Gegenteil: ihre Kritik am Völkermord und ihre Phrasen über „Internationalismus“, „Frieden“, „Demokratie“ und „soziale Gerechtigkeit“ sind darauf ausgerichtet, eine unabhängige sozialistische Bewegung gegen Faschismus und Krieg zu verhindern und den Kapitalismus und seine Institutionen zu retten. Ein genaueres Studium des Programms und der Geschichte von MERA25 und ihrer europäischen Mutterpartei DiEM25 unterstreicht den durch und durch reaktionären und arbeiterfeindlichen Charakter dieses Vorhabens.
Varoufakis‘ Vergangenheit
Das zeigt sich zuallererst an der bisherigen Geschichte der Tendenz, die Varoufakis wie alle politischen Scharlatane und Opportunisten zu vertuschen sucht. Wenn MERA25 in ihrem Wahlprogramm „oligarchische Machtstrukturen“ geißelt und erklärt: „Was wir heute erleben, ist das Ergebnis politischer Entscheidungen, welche die Wenigen in unserer Gesellschaft begünstigen und die Vielen vergessen“, ist das der Gipfel der Heuchelei.
Als Finanzminister der pseudolinken Syriza-Regierung war Varoufakis selbst für diese „politischen Entscheidungen“ verantwortlich, die „oligarchische Machtstrukturen“ stärkten, „die Wenigen“, d.h. die Finanzeliten, begünstigten und gleichzeitig „die Vielen“, d.h. die arbeitende Bevölkerung, in bittere Armut stürzten. Die Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras, der er fast ein halbes Jahr angehörte, war Anfang 2015 ins Amt gewählt worden, weil sie versprach, die von der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) diktierten Sparmaßnahmen zu beenden.
An der Macht verriet Syriza dieses Mandat innerhalb weniger Wochen und unterzeichnete ein neues EU-Memorandum, das noch weit über die Sparmaßnahmen der sozialdemokratischen und konservativen Vorgängerregierungen hinausging. Als in einem Referendum im Juli 2015 eine überwältigende Mehrheit von 61 Prozent gegen das Spardiktat stimmte, ignorierte Syriza dies nicht nur, sondern verschärfte die Sparmaßnahmen erneut und unterdrückte den Widerstand dagegen zunehmend mit Polizeigewalt.
Varoufakis stand im Mittelpunkt dieser Verschwörung, die Syriza im Bündnis mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen (Anel) umsetzte. Er appellierte nicht an die breite Opposition gegen die Sparpolitik in der europäischen und internationalen Arbeiterklasse, sondern konspirierte hinter den Kulissen mit den europäischen Eliten, um Gespräche über eine leicht modifizierte Sparpolitik zu führen.
Gegenüber dem britischen Observer prahlte Varoufakis später damit, dass er bei diesen Treffen „normale, an Thatcher und Reagan orientierte“ Wirtschaftsmaßnahmen vorgeschlagen hatte. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die im Interesse des deutschen und europäischen Finanzkapitals auf die soziale Zerstörung Griechenlands drängte, pries er sogar öffentlich als „klügste Politikerin Europas“. Und den notorisch rechten deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der noch aggressiver auftrat, als „möglicherweise einzigen europäischen Politiker mit intellektueller Substanz“.
Genozid in Gaza
Es besteht kein Zweifel daran, dass Varoufakis und MERA25 die palästinensischen Massen genauso verraten würden wie Syriza die griechischen Arbeiter, wenn sie als Regierungspartei die Möglichkeit dazu hätten. Genauso wenig wie es möglich war, durch Appelle an Brüssel und Berlin das Spardiktat gegen Griechenland zu beenden, ist es möglich, den Genozid in Gaza durch Appelle an die führenden imperialistischen Mächte zu stoppen.
Deren Unterstützung für Israels Völkermord ist kein Versehen, sondern hat tiefe objektive Ursachen. Wie die WSWS in ihrer Neujahrsperspektive betont, kann sie „nur im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des imperialistischen und in rivalisierende Nationalstaaten gespaltenen [kapitalistischen] Weltsystems verstanden und erklärt werden“.
Für Washington, Brüssel und Berlin fungiert Israel als verlängerter Arm zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen im gesamten Nahen Osten und darüber hinaus. Die Vernichtung und Vertreibung der Palästinenser durch die israelische Armee ist letztlich Bestandteil des Ziels, auch die libanesische Hisbollah, die Huthis im Jemen und den Iran auszuschalten, die Kriegsoffensive gegen Russland und China zu eskalieren und die Welt unter den imperialistischen Mächten neu aufzuteilen.
Der Kampf gegen den Genozid erfordert deshalb – wie der Kampf gegen die ständige Eskalation des Ukrainekriegs durch die Nato und die damit verbundenen Angriffe auf soziale und demokratische Rechte – die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Die Sozialistische Gleichheitspartei schreibt in ihrem Wahlprogramm für die Europawahlen:
Eine solche Bewegung muss sich gegen den Kapitalismus selbst richten. Der Ukrainekrieg zeigt, dass die friedliche Vereinigung Europas unter kapitalistischen Bedingungen eine reaktionäre Illusion ist. Die EU wird bis an die Zähne hochgerüstet, führt Krieg gegen Russland, unterstützt den Völkermord in Gaza und dient als Instrument für die Angriffe auf die Arbeiter auf dem ganzen Kontinent.
Arbeiter müssen der EU der Banken und Konzerne, des Massensterbens und des Kriegs die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegensetzen. Der Krieg kann nicht beendet, Menschenleben können nicht gerettet und die Löhne nicht verteidigt werden, ohne die Macht der Banken und Konzerne zu brechen und sie unter demokratische Kontrolle zu stellen. Anstatt aufeinander zu schießen, müssen russische und ukrainische Arbeiter sowie die Arbeiter in ganz Europa mit dieser Perspektive gegen die Kriegstreiber im eigenen Land kämpfen.
MERA25 und Varoufakis lehnen diese einzig gangbare und fortschrittliche Perspektive vehement ab. Sie stellen sich nicht gegen den Imperialismus, sondern formulieren ein alternatives Programm für ihn und schüren die Illusion, der Kapitalismus könne mit den Bedürfnissen der Massen in Einklang gebracht werden.
Militaristische Agenda
Ihr Wahlprogramm ist ein explizites Bekenntnis zur kapitalistischen EU und zu einer unabhängigen europäischen Außenpolitik. „Wir wollen eine unabhängige und blockfreie Europäische Union, die sich dem globalen Frieden verschrieben hat“, heißt es darin. „Europa muss sich mutig gegen alle Aggressoren aus jedem Block stellen und sich, gestützt auf die UNO-Charta, für friedliche Konfliktlösungen einsetzen.“
Sätze wie diese könnten so ähnlich auch im Wahlprogramm der etablierten Parteien stehen oder aus dem Mund von Scholz oder Macron stammen. Sie alle verbrämen ihr Ziel, Europa zu einer unabhängigen oder souveränen Macht zu machen, mit Phrasen über Frieden und Völkerrecht. Tatsächlich arbeiten sie daran, Europa hochzurüsten und „kriegstüchtig“ (Verteidigungsminister Pistorius) zu machen, um die Interessen des europäischen Imperialismus gegen Russland und China und zunehmend auch gegen die USA durchzusetzen.
MERA25 unterstützt im Kern diese militaristische Agenda. In einem aktuellen Interview mit dem pseudolinken Jacobin-Magazin bezeichnet ihre Spitzenkandidatin für die Europawahlen, Karin de Rigo, „die Idee einer europäischen Armee“ als „erstmal gut“. Sie mahnte gleichzeitig an: „Wenn wir eine europäische Armee aufbauen würden, müssten die Mitgliedstaaten ihre nationale Verteidigung aufgeben. Doppelte Armeen brauchen wir nicht.“
Weiterhin kritisiert sie, dass „all die Ausgaben in der Verteidigung … auch von der NATO gefordert [werden], was nicht unbedingt in unserem Interesse liegt“. Mit anderen Worten: MERA25 fordert eine wirklich europäische Streitmacht, die dann auch unabhängig von der US-geführten Nato eingreifen könnte.
Im gleichen Interview lässt de Rigo keine Zweifel daran, dass MERA25 den Nato-Krieg gegen Russland voll unterstützt. Russland müsse natürlich „als Aggressor gesehen werden“, erklärt Rigo und stützt damit das offizielle Narrativ, demzufolge Putins Überfall auf die Ukraine „unprovoziert“ gewesen sei. Kein Wort verliert sie über die systematische Einkreisung Russlands durch die Nato-Mächte und die aggressive Eskalationspolitik im Ukrainekrieg.
Putins Krieg ist reaktionär, aber er ist die verzweifelte Antwort der russischen Oligarchen auf den Aggressionskurs der Nato, die das Ziel verfolgt, sich die Ukraine einzuverleiben und Russland zu unterwerfen. Die ukrainische Bevölkerung nutzt sie als Kanonenfutter für ihre imperialistischen Ziele.
Diese Ziele werden von MERA25 weitgehend unterstützt. Ein Artikel unter dem Titel „Wann und wie wird der Krieg in der Ukraine enden?“, der im Mai 2022 auf der Website von Diem25 erschien, solidarisiert sich nicht nur mit der Nato-Kriegsoffensive, sondern auch mit dem Kriegsziel, das Putin-Regime zu stürzen und durch ein pro-westliches Marionettenregime zu ersetzen.
„Eine tiefgreifende Lösung der militärischen und wirtschaftlichen Krise kann nicht erreicht werden, solange Putin in Russland an der Macht ist. Die Aufgabe abwegiger expansionistischer Projekte kann nur durch eine Ablösung der russischen Führung erfolgen“, heißt es darin.
Und weiter: „Die unmissverständliche Haltung des Westens gegenüber Putin lässt keinen Spielraum für ein Entgegenkommen. Deshalb hängen die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörung in der Ukraine sowie das Leid und die Entbehrungen, die den gesamten Planeten betreffen werden, von der Geschwindigkeit ab, mit der Putin von den russischen Eliten abgelöst werden wird.“
Ihre Unterstützung für das imperialistische Kriegs- und Regimewechselprojekt verschleiert DiEM25 mit den gleichen Propagandalügen wie die Nato-Regierungen selbst. „Wenn die ukrainische Bevölkerung im gegenwärtigen historischen und politischen Kontext beschlossen hat, ihre Freiheit, ihr Schicksal selbst zu wählen, zu verteidigen, und wenn das Schicksal, das sie aufbauen will, im Moment darin besteht, sich dem Westen und der NATO anzuschließen, dann können wir nichts anderes tun, als dies zur Kenntnis zu nehmen und es letztendlich zu unterstützen.“
Während die Nato eine rote Linie nach der anderen überschreitet, um die Atommacht Russland zu besiegen, beteiligt sich DiEM25 am Herunterspielen der Gefahr eines nuklear geführten dritten Weltkriegs. Das ist zentral, um die Nato-Offensive weiter zu eskalieren und Widerstand dagegen zu unterdrücken. Im gleichen Artikel von DiEM25 finden sich Sätze wie: „Eine Eskalation des Konflikts in anderen Teilen Europas oder der Welt ist unwahrscheinlich.“ Und: „Auch das Risiko eines nuklearen Angriffs scheint gering.“
Bürgerliche Interessen
Indem sich MERA25 hinter die EU und die Nato-Aggression gegen Russland stellt, macht die Partei auch klar, dass sie keinen ernsthaften Kampf gegen den Völkermord in Gaza führen wird, der von den gleichen Mächten ins Werk gesetzt wird. Der Krieg in der Ukraine und der Völkermord in Gaza sind zwei Fronten eines globalen Konflikts um die imperialistische Neuaufteilung der Welt. MERA25 agiert völlig im Rahmen dieser Kriegsoffensive und des kapitalistischen Systems, das sie hervorbringt, und äußert lediglich Kritik an der taktischen Ausrichtung einer der Kriegsfronten in Gaza.
Ebenso wie Varoufakis mit Syriza die EU verteidigt hat und behauptete, man könne mit ihr den Sparkurs beenden, verteidigt er heute mit MERA25 den Imperialismus und schürt die Illusion, dass dieser ohne Völkermord und Atomkrieg organisiert werden könnte. Die um sich greifende kapitalistische Barbarei beweist das Gegenteil und entlarvt auch den politischen Bankrott von MERA25.
Ihre sozialen und humanitären Phrasen sind lediglich ein Deckmantel für die aggressive Kriegstreiberei in Bezug auf Russland und den Ruf nach einer unabhängigen europäischen Großmachtpolitik. Genauso wie der Verrat von Syriza in Griechenland haben sie ihre Wurzel in den Klasseninteressen der Schichten für die MERA25 spricht.
Ungeachtet einiger radikaler Forderungen ist MERA25 eine durch und durch bürgerliche Partei, die sich auf wohlhabende Schichten des Kleinbürgertums und stützt. Unter Bedingungen von Völkermord und Krieg und der sich rapide entwickelnden Opposition dagegen, sind sie verzweifelt bemüht, ihre Pfründe zu verteidigen, indem sie versuchen, den Kapitalismus „vor sich selbst zu retten“, wie es Varoufakis einst formuliert hat. Oder besser: vor einer sozialistischen Revolution der Arbeiterklasse.
Wer ernsthaft gegen Völkermord, Weltkrieg und die damit verbundenen Angriff auf soziale und demokratische Rechte kämpfen will, muss genau diesen Kampf für internationalen Sozialismus aufnehmen, am 9. Juni SGP wählen und das Internationale Komitee der Vierten Internationale als neue revolutionäre Führung aufbauen. Eine klare politische Abrechnung mit der im Kern pro-militaristischen und pro-kapitalistischen Orientierung von pseudolinken Gegnern der Arbeiterklasse wie MERA25 ist dabei essentiell.