75. Berlinale – Teil 4

Drei wertvolle Filme aus Palästina und Deutschland: „Yalla Parcour“, „Köln 75“ und „Leibniz“

Yalla Parkour [Photo by PK Gaza]

„Yalla Parkour“ ist ein zutiefst bewegender Film, der die Vitalität, den Erfindungsreichtum, den Tatendrang und den Mut von Kindern und Jugendlichen in Gaza zeigt – ein Mut, den die faschistische Regierung in Tel Aviv ersticken will. Es war der einzige Film auf den Berliner Filmfestspielen, der sich direkt mit der Situation in Gaza befasste. Gleichzeitig wurden auf dem Festival zwei Filme gezeigt, die sich dem Schicksal israelischer Geiseln widmeten.

Der Film des palästinensischen Dokumentarfilmers Areeb Zuaiter dreht sich hauptsächlich um die Zeit vor der aktuellen israelischen Invasion in Gaza vor zwei Jahren. Der Film beginnt mit einer Aufnahme von lächelnden palästinensischen Kindern inmitten der Ruinen von Gaza, während im Hintergrund offensichtlich der Rauch einer Explosion zu sehen ist. Die Kinder sind hier, um zu spielen und Sport zu treiben. Bomben, Explosionen und Trümmer gehören zu ihrem Alltag, und sie wollen sich von einer weiteren Explosion irgendwo in der Nähe keineswegs den Tag vermiesen lassen.

Die Sportart Parkour, bei der junge Menschen mit waghalsigen, athletischen Sprüngen Mauern, Zäune, Treppen und Hindernisse überwinden, wird normalerweise innerhalb der Infrastruktur einer Großstadt ausgeübt. Sie begann als Aktivität unterprivilegierter Jugendlicher in Frankreich. Dabei sind keine spezielle Ausrüstung, keine Teilnahmegebühren und keine einheitlichen Trikots erforderlich. Da die meisten Sporteinrichtungen im Gazastreifen in den vergangenen Jahrzehnten durch den Bombenhagel der israelischen Regierung weitgehend zerstört sind und die Jugend der Region zur Armut verdammt ist, ist Parkour für die vor Energie strotzenden jungen Menschen im Gazastreifen eine naheliegende Wahl.

Die Autorin des Films, Areeb Zuaiter, ist in der palästinensischen Stadt Nablus geboren und aufgewachsen. Schon früh verließ sie Nablus und zog mit ihren Eltern ins Ausland, die einmal im Jahr nach Nablus zurückkehrten. Als Erwachsene versuchte Areeb, die Situation in Palästina hinter sich zu lassen, während ihre Mutter zunehmend unter der Trennung von ihrem Heimatland litt.

Im Jahr 2015 stieß Areeb zufällig auf Videos, die ein Junge, Ahmed, in den sozialen Medien gepostet hatte. Er hatte sich und seine Freunde beim Parkour mit dem Handy gefilmt. Durch Ahmeds Videos fand Areeb Zuaiter wieder Anschluss an das Palästina, das sie mit ihrer Mutter und ihrer eigenen Kindheit verband.

Inzwischen sehnt sich Zuaiter danach, nach Palästina zurückzukehren. Sie ist sich aber der vielfältigen bürokratischen Hindernisse nur zu gut bewusst, die ihrer Rückkehr den Weg versperren. Ihr Pass könnte an einem israelischen Kontrollpunkt konfisziert werden, und im Gazastreifen selbst, der zu Recht als das größte Freiluftgefängnis der Welt bezeichnet wird, drohen ihr mannigfaltige Gefahren.

Ahmed seinerseits ist verständlicherweise verzweifelt und will weg. Muhammad, ein Freund und Parkour-Sportler, konnte ein Visum erhalten und ins Ausland gehen, nachdem Videos von seinen Eskapaden, bei denen er von Gebäuden sprang, im Internet viral gingen. Ahmed hofft, dem Erfolg seines Freundes nachzueifern. In der Zwischenzeit werden wir Zeuge, wie Ahmed und seine Freunde haarsträubende, akrobatische Kunststücke in einem verlassenen Einkaufszentrum, auf einem Friedhof und in den Ruinen des Flughafens von Gaza vollführen, der bereits vom israelischen Militär in Schutt und Asche gelegt wurde.

Der Film zeigt die Widerstandsfähigkeit der Jugendlichen in Gaza und ihre mutigen Versuche, aus dem Nichts etwas zu machen. Das tragischste Element des Films ist jedoch der Abspann ganz am Ende – eine Reihe von „Erinnerungen“ an die im Film gezeigten Jugendlichen, die den jüngsten barbarischen israelischen Bombardierungen und Angriffen auf Gaza zum Opfer gefallen sind.

Köln 75

Köln 75 [Photo by Wolfgang Ennenbach / One Two Films]

Am 25. Januar 2025 jährte sich ein legendäres Jazzkonzert zum 50. Mal: das Solo-Klavierkonzert des amerikanischen Ausnahmepianisten Keith Jarrett im Kölner Opernhaus.

Die Hintergründe des berühmten Konzerts, das aufgezeichnet und zu einem Doppelalbum „The Köln Concert“ verarbeitet wurde, sind Gegenstand des wunderbaren Films „Köln 75“ des Regisseurs Ido Fluk, der auf der diesjährigen Berlinale gezeigt wurde. Jarrett, ein musikalischer Purist, der es bedauerte, überhaupt vor Publikum spielen zu müssen, das mit Vorliebe Nasen schnäuzt und gelegentlich hustet, weigerte sich, in irgendeiner Weise an dem Film mitzuarbeiten.

Jarrett sagte, er würde es vorziehen, alle Kopien des Konzertmitschnitts zu vernichten, den er für ein minderwertiges Werk hält. Die Öffentlichkeit sah das anders, und der Mitschnitt des einstündigen Konzerts wurde zum meistverkauften Soloalbum der Jazzgeschichte. Aufgrund von Jarretts Einspruch und seiner Missbilligung kommt seine eigene Musik im Film nicht vor. Stattdessen werden im Film neu eingespielte Sequenzen gezeigt, um Jarrets Musik zu repräsentieren.

Die Heldin von „Köln 75“ ist Vera Brandes (mit viel Elan gespielt von der Schauspielerin Mala Emde), die im Alter von nur 18 Jahren die treibende Kraft für das Zustandekommen des Konzerts war. Die Person Vera des Films basiert auf der realen Vera Brandes, heute eine der bekanntesten Konzertveranstalterinnen Deutschlands.

Wir lernen Vera im Film zum ersten Mal kennen, als sie gerade 16 Jahre alt ist. Sie widersetzt sich ihrem strengen bürgerlichen Vater und besucht ein Jazzkonzert in Köln mit dem britischen Saxophonisten und Clubbesitzer Ronnie Scott. Begeistert von der Dynamik des jungen Mädchens bittet Scott sie, eine Konzerttournee für ihn und sein Trio zu organisieren. Aus dem Nichts heraus (abgesehen von der illegalen Nutzung des Telefons in der Zahnarztpraxis ihres Vaters) eignet sich der Teenager Vera nach und nach das gesamte kaufmännische Wissen an, um als Konzertveranstalterin zu arbeiten.

Ihr Vater ist ein typischer Vertreter der Zeit des Wiederaufbaus im Nachkriegsdeutschland. Über seine Kriegserlebnisse schweigt er sich aus, hat alles um sich herum von Null aufgebaut und erwartet von seinen Kindern, dass sie es ihm gleichtun. Als er erfährt, dass sich seine Tochter für die Bohèmewelt des Jazz interessiert, hofft er inständig, dass sie damit auf die Nase fällt. Interessanterweise wird der grimmige, herrschsüchtige Vater von dem ausgezeichneten deutschen Schauspieler Ulrich Tukur gespielt. (Tukur spielt selbst in seiner Freizeit Klavier und Akkordeon in seiner eigenen lauten und beschwingten Jazzband „Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys“.)

Zwei Jahre später hat sich Vera befreit und übernimmt die Aufgabe, für Keith Jarrett (großartig gespielt von John Magaro), der eine anstrengende Europatournee unternimmt, ein Konzert in Deutschland zu organisieren. Sie überwindet alle Hindernisse, darunter auch Jarretts Widerwillen, der aufgrund seiner intensiven, gebückten Haltung beim Klavierspiel unter starken Rückenschmerzen leidet, und organisiert ein spätabendliches Konzert im Kölner Opernhaus. Vera hat einen halbtonnenschweren Bösendorfer Imperial Flügel versprochen, muss aber feststellen, dass als einziges Instrument für das Konzert nur ein Probenklavier zur Verfügung steht. Dieses ist nur halb so groß wie der Bösendorfer, hat einen schlechteren Klang und ein nicht funktionierendes Pedal. Jarrett wirft nur einen Blick auf das Klavier und schließt rundweg aus, dass er das Konzert spielen kann.

Nach einer Notreparatur des Klaviers appelliert Vera verzweifelt an Jarretts künstlerisches Gewissen, und er lenkt ein. Erstaunlicherweise sind trotz einer sehr kurzen Werbekampagne alle Karten für das Late-Night-Konzert ausverkauft. Jarrett, der aufgrund der technischen Mängel des Klaviers gezwungen ist, in den mittleren Tonlagen zu spielen, leistet Herausragendes und wird am Ende von dem überwiegend jungen Publikum bejubelt und gefeiert.

Zwischen Veras Irrungen und Wirrungen als Konzertveranstalterin, einschließlich ihrer turbulenten Beziehungen zu Freunden und Familie, wird uns von einem im Film auftretenden Musikkritiker (Michael Chernus) auch eine sehr komprimierte Geschichte des Jazz im 20. Jahrhundert geboten. Dieser versucht, ein Interview von Keith Jarrett zu bekommen.

Alles in allem bietet der Film einen echten Eindruck vom Geist der jugendlichen Rebellion der 1970er Jahre, der in der Begeisterung für neue Formen des musikalischen Ausdrucks fruchtbar wurde. Wie erwähnt, kommt Jarretts eigene Musik im Film nicht vor, aber jeder, der sich für Jazzmusik interessiert und den Film „Köln 75“ mag, sollte sich sofort eine Aufnahme besorgen und das Konzert in voller Länge anhören.

Leibniz

Leibniz - Chronik eine verschollenen Bildes [Photo by Ella Knorz]

Es ist keine leichte Aufgabe, einen Spielfilm über einen Philosophen zu drehen: einen Mann oder eine Frau, deren Tätigkeit nach allgemeiner Auffassung vor allem darin besteht, zu denken und die daraus resultierenden Ideen zu kommunizieren. Das zweiundneunzigjährige deutsche Film-Urgestein Edgar Reitz, der unter anderem die Mammut-Fernsehserie „Heimat - Eine Chronik Deutschlands“ geschaffen hat, stellt sich mit seinem neuesten Film „Leibniz - Chronik eines verschollenen Bildes“ dieser Herausforderung.

Der Philosoph Leibniz stellt besondere Anforderungen an die visuelle Darstellung dieses Werks. Leibniz (1646–1716) hatte an der Universität Leipzig Jura studiert und wurde nie als akademischer Philosoph tätig. Noch vor seinem 30. Lebensjahr konstruierte er die erste mechanische „Vier-Spezies-Rechenmaschine“, die Multiplikation und Division beherrschte, eine Uhr mit zwei symmetrischen Unruhrädern, eine Vorrichtung zur Bestimmung der Position eines Schiffes auf See ohne Kompass oder Sternenbeobachtung, einen Druckluftmotor zum Antrieb von Fahrzeugen und eine Reihe weiterer Maschinen, die erst Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte später zur Serienreife gebracht wurden.

Unabhängig von dem britischen Wissenschaftler Isaac Newton entdeckte Leibniz sowohl die Differential- als auch die Integralrechnung und veröffentlichte 1679 seine Abhandlung über die Prinzipien der binären Zahlen, genau das System, das die Grundlage der gesamten modernen Informatik bildet. Leibniz, der immer wieder praktische, technische Aufgaben für seine Lehrer erledigte, sollte man wohl besser als Universalgenie bezeichnen.

Viele seiner Ideen und Erfindungen, die er auf Tausenden von Textseiten festhielt, blieben unvollständig, und nie hat er seine Ideen auf systematische Weise in einem Text darlegt. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand jedoch seine feste Überzeugung, dass die systematische Entwicklung der Wissenschaft und die Erweiterung des menschlichen Wissens der Schlüssel zu jedem positiven sozialen Fortschritt ist.

Reitz hat eine Begebenheit aus dem Leben von Leibniz ausgewählt, um seinen Charakter zu beleuchten. Eine seiner engsten persönlichen Beziehungen knüpfte Leibniz zu Königin Sophia Charlotte von Hannover, der er als Hofrat diente. Sie war eine der wenigen Personen, mit der er seine Gedanken wirklich teilen konnte. Als Hommage an ihren Berater gab Königin Charlotte ein Porträt von Leibniz in Auftrag, um den Dialog mit ihm auch in seiner Abwesenheit fortzusetzen. Anhand dieser einen Begebenheit greift Reitz einen zentralen Aspekt des Leibniz'schen Denkens auf.

Der erste Künstler, der sich der Herausforderung stellt, ist der pompöse französische Hofmaler Pierre-Albert Delalandre (Lars Eidinger). Der prunkliebende Franzose kommt mit einem Gefolge von Assistenten und einer Reihe von vorgefertigten Gemälden an, auf denen aufwändig gekleideten Büsten in verschiedenen Farben dargestellt sind, deren Gesichter leer bleiben. Für Delalandre ist es das Wichtigste, dass das höfische Kostüm und die mächtige Perücke eindrucksvoll gemalt sind, eine Arbeit, die er bereits erledigt hat – an das Gesicht seines Subjekts wird gewissermaßen erst nachträglich gedacht.

Delalandre bombardiert seinen Porträtierten mit einer Reihe von Bitten, seinen Gesichtsausdruck zu verändern, sehr zum Erstaunen von Leibniz (Edgar Selge). Dieser reagiert mit mehreren Nachfragen über die Auffassung des Malers von seiner Arbeit. Im Bemühen, das Gesicht seines Objekts auf dem fertigen Porträt rasch zu vervollständigen, geht Delalandre einmal so weit, Leibniz aufzufordern, „mit dem Denken aufzuhören“.

Leibniz reagiert mit der Frage, wie es Delalandre denn möglich sei, ein echtes Porträt zu malen, wenn er das Subjekt gar nicht richtig kenne. Frustriert von dieser Frage bricht der Franzose verärgert seine Arbeit ab und geht zornig weg. Es ist seiner Nachfolgerin, der flämischen Malerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz) überlassen, im Laufe der Zeit eine echte, einfühlsame Beziehung zu dem Philosophen aufzubauen und ein Porträt zu ihrer gemeinsamen Zufriedenheit und der von Königin Charlotte anzufertigen. Das Porträt von Leibniz bekommen wir im Laufe des Films nie zu sehen, und auch das echte, von Aaltje van de Meer angefertigte Porträt ist verschollen und nie ausgestellt worden.

Im Mittelpunkt des Films steht die Vorstellung, dass wahre Kunst und Wissenschaft auf der Ebene der Oberflächenerscheinungen nicht stehen bleiben darf, sondern zum eigentlichen Wesen vordringen muss. Dieser Gedanke wurde mehr als hundert Jahre später von dem idealistischen deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel umfassend ausgearbeitet. Der Materialist Karl Marx hat ihn in seinem dritten Band des Kapitals auf den Punkt gebracht: „[A]lle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen.“

Die bürgerliche Aufklärung, die im 17. Jahrhundert ihren Anfang nahm und die fortschrittliche ideologische Grundlage für den Sturz des Feudalismus und den Übergang zum Kapitalismus bildete, wird seit Jahrzehnten von den ideologischen Vertretern des Strukturalismus, der Postmoderne, der postkolonialen Theorie, in Deutschland vor allem von der Frankfurter Schule, immer wieder angegriffen. Es ist das große Verdienst von Reitz, die zentrale Figur der Aufklärung, den deutschen Philosophen und Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, zum Thema seines jüngsten, unterhaltsamen und zum Nachdenken anregenden Filmes ausgewählt zu haben.

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