Beerdigung von Elisabeth Zimmermann-Modler in Duisburg: „Eine außerordentlich mutige Persönlichkeit“

„Elli war eine außerordentlich mutige Persönlichkeit. Sie ging ihren Lebensweg sehr gradlinig und konsequent.“

Dies sagte Ulrich Rippert, der Ehrenvorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei, bei der Beerdigung von Elisabeth Zimmermann-Modler. „Elli“, wie sie von allen genannt wurde, war 50 Jahre lang Mitglied der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) gewesen. Sie starb am 28. November im Alter von 69 Jahren an den Folgen eines tragischen Unfalls.

Ulrich Rippert spricht auf der Beerdigung von Elisabeth Zimmermann-Modler

Am Freitag, den 19. Dezember, einem grau verhangenen Wintertag, hatte sich eine etwa 50-köpfige Trauergemeinde am Ruhrorter Friedhof versammelt, um Elisabeth Zimmermann-Modler das letzte Geleit zu geben. Die Violinistin Ella Rotsch spielte das Stück „Air“ von Johann Sebastian Bach. Unter den Teilnehmern waren außer den seit Jahren mit Elli vertrauten SGP-Mitgliedern auch Arbeitskollegen von Siemens sowie mehrere Kollegen ihres Mannes, der Stahlarbeiter bei Thyssenkrupp gewesen war, und Nachbarn und Freunde. Thas, ein tamilischer Genosse, erinnerte sich am offenen Grab daran, wie Elli ihn und andere Flüchtlinge aus Sri Lanka aufgenommen, in den Prinzipien des Trotzkismus ausgebildet und sich als Freundin in allen Lebenslagen erwiesen hatte. „Sie war unsere Familie“, sagte Thas.

Ulrich Ripperts Rede war eine Würdigung von Elisabeth Zimmermann-Modlers Leben. Viele Teilnehmer, darunter die anwesenden Stahlarbeiter, erklärten später, Rippert habe Ellis Wesen genau getroffen. Hier die Rede:

Lieber Peter, liebe Verwandte von Elli,
Liebe Genossen und Freunde,

Wir sind noch immer tief betroffen von dem überraschenden und tragischen Tod von Elli. Noch immer wissen wir nicht, was an diesem Morgen des 28. November geschah, und wie es zu diesem verheerenden Feuer in ihrer Wohnung gekommen ist. Wir sind immer noch tief erschüttert.

Wir wussten, dass sie der Schlaganfall, den sie vor drei Jahren erlitten hatte, und die Medikamente, die sie seitdem einnehmen musste, stark belastet haben. Viele, die heute hier versammelt sind, haben miterlebt, welche Auswirkungen die Krankheit hatte. Es ist wirklich tragisch. Wir waren gerade dabei, die medizinische Versorgung für Elli zu verbessern, und jetzt kam uns der Tod zuvor.

Elli wollte trotz ihrer Krankheit noch an allem teilnehmen. Viele von uns hatten sie nur wenige Tage zuvor in Berlin auf einer Veranstaltung getroffen und mit ihr gesprochen und diskutiert.

Elli war eine außerordentlich mutige Persönlichkeit; sie ging ihren Lebensweg sehr gradlinig und konsequent.

Elli wurde nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren. Als sie auf die Welt kam, waren Krieg und Naziverbrechen erst elf Jahre vorbei. Ihre Kindheit und Jugend waren von den Wunden und Narben geprägt, die die Verbrechen und Kriege der Nazis in der deutschen Gesellschaft bis tief in die Familien hinein hinterlassen hatten.

Ihre Mutter war aus Nordböhmen im heutigen Tchechien vertrieben worden; sie war erst 17 Jahre alt, als Elli auf die Welt kam. Sie war alleinerziehend, Lehrerin, musste arbeiten. Elli kam in eine Pflegefamilie und verbrachte dort ihre ersten Kindheitsjahre. Als 12-Jährige hatte Elli eine komplizierte Rücken-OP, musste monatelang im Gipsbett liegen, und die Rückenprobleme verfolgten sie ihr ganzes Leben.

Aber Elli widersetzte sich all diesen Schwierigkeiten. Sie war ein sehr lebensfroher Mensch.

Es ist über 50 Jahre her, dass ich Elli zum ersten Mal getroffen habe. Es war Anfang Mai 1975. Sie war 19 Jahre alt und bereitete sich aufs Abitur vor. Ich erinnere mich, dass wir schon bei diesem ersten Treffen intensive Diskussionen hatten, und es begann eine enge Zusammenarbeit.

Elli gehörte zu einer Generation, für die die Verbrechen des Nazi-Terrors noch sehr lebendig waren. Die Frage, wie in einem modernen Land mit einer ausgeprägten Kultur und einer starken Arbeiterbewegung ein solcher Rückfall in die Barbarei möglich war, trieb sie und uns alle damals um.

Elli hatte schon in jungen Jahren Schriften von Nazi-Gegnern gelesen, unter anderem das Schauspiel „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhut, das sich mit der Kollaboration von Vatikan und Nazis beschäftigte. Und, konsequent wie sie war, trat sie daraufhin aus der Kirche aus.

Viele erklärten damals die Ursache des Faschismus mit der Psychologie der Massen und der Verführbarkeit der Deutschen. Doch Elli gab sich mit einfachen und oberflächlichen Antworten nicht zufrieden. Sie wollte den Dingen auf den Grund gehen.

Elli diskutierte über den Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus. Sie wusste, dass Hitler von der Großindustrie finanziert und an die Macht gebracht worden war.

Später schrieb sie mehrere Artikel, die betonten, warum dieser Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus so wichtig ist, wenn man verstehen will, warum heute wieder faschistische Parteien aufgebaut und an die Macht gebracht werden.

Aber dann stellte sich eine weitere Frage: Warum hatte die Arbeiterklasse 1933 den Sieg der Nazis nicht gestoppt und einen solchen Rückfall in die Barbarei verhindert?

Um das zu beantworten, beteiligte sich Elli an einem intensiven Studium der Schriften von Leo Trotzki, der die Perspektive des Sozialismus gegen den Stalinismus verteidigt hatte. Trotzki hatte aufgezeigt, dass Hitler nur an die Macht kommen konnte, weil Stalin mit seiner Politik des Sozialfaschismus die Arbeiterklasse gespalten und unterdrückt hatte.

Die Schlussfolgerung war klar: Es gibt nur eine gesellschaftliche Kraft, um Krieg und Faschismus zu verhindern, und das ist die Arbeiterklasse. Aber dazu braucht sie eine starke revolutionäre Partei.

Elli zog diese Schlussfolgerung und wurde zu einer begeisterten Kämpferin für den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei – die erstens sozialistisch und zweitens international ist.

Liebe Freunde, Als ich mir in den vergangenen Tagen Gedanken machte, was ich hier – am offenen Grab von Elli – sagen soll, fragte ich mich, was Elli selbst sagen würde, und ich hörte plötzlich ganz deutlich ihre helle Stimme – Elli konnte laut, deutlich, temperamentvoll und sehr überzeugend sprechen – und sie sagte: „Warum sagst du nicht einfach die Wahrheit? Ich habe ein sehr politisches Leben geführt. Und ich bin stolz darauf!“

Es gibt etwas sehr Typisches und Beeindruckendes in Ellis Leben. Ich glaube man nennt das Konsequenz. Sie lebte nach Karl Marx‘ Devise: „Man muss den Mut haben zu denken, ohne Angst zu haben vor den Ergebnissen, zu denen man kommt – und dann muss man danach handeln.“

Nach dieser Maxime lebte Elli. Was sie als richtig anerkannte, setzte sie in die Tat um – und zwar radikal und mit allen Konsequenzen. Sie war nicht die einzige ihrer Generation, die gegen Krieg und Faschismus demonstrierte, aber sie gehörte zu den ganz wenigen, die die korrekten Schlussfolgerungen zogen und daran unnachgiebig festhielten.

Sie hasste die Wendehälse der Grünen, die sich von Pazifisten in hysterische Militaristen verwandelten. Sie bekämpfte die Lügen der Linkspartei, die links redet und rechts handelt.

Zwei Dinge in Ellis Leben stechen besonders hervor:

Erstens: Sie kannte die Arbeiterklasse und verstand sie. Sie war Teil davon. 35 Jahre hat sie bei Siemens gearbeitet und war dort Vertrauensfrau. Vor 42 Jahren lernte sie ihren späteren Mann Peter Modler kennen, der als Stahlarbeiter und Vertrauensmann bei ThyssenKrupp im Schichtdienst arbeitete und ihre politische Arbeit tatkräftig unterstützte.

Aber auch gegenüber Arbeitern betonte Elli, dass es nicht genügt, sich über die Brutalität der Kapitalisten, die Entlassungen und die ständigen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zu beschweren. Es reicht nicht, sich über die Verantwortungslosigkeit der Regierung und der Herrschenden zu empören. Es ist notwendig die eigene Verantwortung zu erkennen und wahrzunehmen.

Elli kannte den Satz von Marx: „Die Befreiung der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein!“ und nahm ihn sehr ernst.

Das zweite Beeindruckende an Elli war ihr Internationalismus.

Nicht nur, dass sie Freunde überall auf der Welt hatte. Sie verstand Internationalismus als politisches Programm. Sie kämpfte gegen den Nationalismus der Gewerkschaften und Parteien. Sie wusste, dass Arbeiter kein Vaterland haben und im globalen Produktionsprozess weltweit miteinander verbunden sind. Sie betonte oft, dass Arbeiter in jedem Land auf der Welt vor denselben oder ähnlichen Problemen stehen, und dass der Kampf gegen den Kapitalismus nur dann erfolgreich sein kann, wenn er international geführt wird.

Auf vielen Versammlungen kämpfte Elli gegen die systematische Abschaffung des Asylrechts und die Hetze gegen Ausländer. Sie betonte, dass Migranten und Asylsuchende ein wichtiger Teil der internationalen Arbeiterklasse sind, und dass Arbeiter ihre eigenen Rechte nur verteidigen können, wenn sie alle Angriffe auf Ausländer prinzipiell zurückschlagen.

Elli wusste, dass jede opportunistische Strömung in der Arbeiterbewegung mit einer Anpassung an Nationalismus begann, und als vor 40 Jahren eine Auseinandersetzung über diese Fragen in unseren Reihen stattfand, stellte sie sich sofort und ohne Zögern auf die Seite der Internationalisten.

Elli war sehr stolz auf unsere Partei als Weltpartei und nahm an vielen internationalen Tagungen und Konferenzen teil.

Mehrere Jahrzehnte war sie Mitglied im Vorstand der Sozialistischen Gleichheitspartei, kandidierte bei vielen Wahlen und erklärte unser Programm in Funk und Fernsehen.

Trotz dieser intensiven politischen Arbeit fand sie Zeit für Kultur. Sie liebte Literatur, Kino, Opern und Konzerte.

Das tragische an Ellis Tod besteht gerade darin, dass sie gerade in dem Moment aus dem Leben gerissen wurde, in dem die politischen Ideen und Perspektiven, für die sie ihr ganzes Erwachsenen-Leben gekämpft hat, so große Aktualität und Bedeutung gewinnen.

Liebe Elli,
wir sind sehr traurig, dass du nicht mehr bei uns bist. Wir vermissen dich.
Aber wir werden den Kampf fortsetzen, dem du dein Leben gewidmet hast.
In unserer Erinnerung wirst du als Kämpferin für die Befreiung der Arbeiterklasse immer lebendig bleiben. Das versprechen wir.

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