Partei für Soziale Gleichheit
Historische Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei

Der Zweite Weltkrieg

100. Der Zweite Weltkrieg war wie schon der Erste ein imperialistischer Krieg. „Er folgte unerbittlich aus den Widersprüchen der internationalen kapitalistischen Interessen“, wie Trotzki 1940 schrieb. „Entgegen den offiziellen Fabeln, die das Volk einlullen sollen, ist die Hauptursache des Krieges, wie aller anderen sozialen Übel – Arbeitslosigkeit, hohe Lebenskosten, Faschismus, koloniale Unterdrückung – das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der bürgerliche Staat, der darauf beruht.“ Solange sich die Hauptproduktivkräfte der Gesellschaft im Besitz von vereinzelten Kapitalistencliquen befinden, fuhr Trotzki fort, „und so lange der nationale Staat ein fügsames Werkzeug in den Händen dieser Cliquen bleibt, muss der Kampf um Märkte, um Rohstoffquellen, um die Weltherrschaft unweigerlich einen immer verwüstenderen Charakter annehmen. Die Staatsmacht und die Herrschaft über die Wirtschaft kann diesen räuberischen imperialistischen Cliquen nur von der revolutionären Arbeiterklasse aus den Händen gerissen werden.“ [59]

101. Wie schon 1914 ging die Initiative im Kampf um die Neuaufteilung der Welt wieder von Deutschland aus. Später als seine Rivalen England und Frankreich auf die imperialistische Weltbühne getreten, hatte es 1914 versucht seinen dynamischen Produktivkräften Raum zu verschaffen, indem es Europa auf Kosten seiner Rivalen neu organisierte – und war dabei gescheitert. Der zweite Versuch war besser vorbereitet – durch ein Regime, das jeden inneren Widerstand erstickte und alle ökonomischen Ressourcen zum Aufbau einer gewaltigen Militärmaschinerie bündelte.

102. Die ungeheure Aggressivität des deutschen Imperialismus machte den Krieg von Seiten der Alliierten jedoch nicht zu einem antifaschistischen Krieg. Sowohl in der britischen wie in der amerikanischen herrschenden Elite hatte es vor Kriegsausbruch erhebliche Sympathien für Hitler gegeben, und die französische arrangierte sich nach der militärischen Niederlage mit den deutschen Besatzern. Die Alliierten verfolgten – mit Ausnahme der Sowjetunion – ihre eigenen imperialistischen Ziele. England kämpfte um die Verteidigung seiner Kolonien und seiner einstigen Vormachtstellung. Die USA griffen in den Krieg ein, um ihre Weltherrschaft in Europa und im Pazifik zu sichern. Hitlers Ziel, die Sowjetunion zu zerschlagen, waren in den USA und England auf Wohlwollen gestoßen. Doch angesichts der drohenden deutschen Übermacht verbündeten sie sich mit der Sowjetunion, die die größten Opfer im Krieg erbrachte, und verschoben die Konfrontation auf später.

103. Die stalinistische Bürokratie ihrerseits tat alles, um ihren Verbündeten zu beweisen, dass sie keine revolutionären Absichten hegte. Ab 1935 hatte sie im Namen der Volksfront gegen den Faschismus „demokratische“ bürgerliche Regierungen unterstützt. 1939 schloss Stalin einen Pakt mit Hitler und lieferte ihm deutsche Kommunisten aus. Und nachdem Hitler 1941 den Pakt gebrochen und die Sowjetunion überfallen hatte, unterstützten die Kommunistischen Parteien in den alliierten Ländern bedingungslos die kriegsführende Bourgeoisie und unterdrückten jede Äußerung des Klassenkampfs. In den besetzten Ländern unterstellten sie den antifaschistischen Widerstand rechten bürgerlichen Gestalten wie General de Gaulle. In den Kolonialländern forderten sie die nationalen Bewegungen auf, im Krieg ihren kolonialen Unterdrückern Beistand zu leisten. Und in der Sowjetunion selbst appellierten sie nicht an das Klassenbewusstsein der Arbeiter, sondern an den russischen Nationalismus. Bis heute wird der Zweite Weltkrieg im Russischen mit dem stalinistischen Begriff „Großer Vaterländischer Krieg“ bezeichnet.

104. Die Trotzkisten führten einen mutigen und heroischen Kampf gegen Faschismus und Krieg. Verfolgt von Nationalsozialisten und Stalinisten, beteiligten sie sich am antifaschistischen Widerstand und bemühten sich, ihn auf eine proletarische Klassengrundlage zu stellen. Die deutschen Trotzkisten, die sich ab Oktober 1933 Internationale Kommunisten Deutschlands (IKD) nannten, hatten sich frühzeitig auf die Illegalität vorbereitet und verfügten im ganzen Land über rund tausend Unterstützer, als Hitler die Macht ergriff. Einige bekannte Führer, die mit ihrer Verhaftung rechnen mussten, gingen ins Exil. Ein Auslandkomitee leitete die Arbeit in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Sekretariat unter Leon Sedow. Es gab die Zeitung Unser Wort heraus, die illegal nach Deutschland eingeschleust wurde. Viele wichtige Schriften Trotzkis wurden vor allem von Dresdener Mitgliedern der IKD unter Lebensgefahr über die tschechoslowakische Grenze geschmuggelt und an die trotzkistischen Untergrundgruppen in Deutschland verteilt.

105. Viele Mitglieder der IKD wurden von den Nationalsozialisten ermordet oder ins Konzentrationslager gesteckt. Im Herbst 1935 kam es unter den deutschen Trotzkisten zu einer Verhaftungswelle. Die Gestapo deckte Zellen in Gelsenkirchen, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Kassel, Magdeburg, Dresden und Danzig auf. Rund 150 wanderten ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager. Im Sommer 1936 verurteilte das Oberlandesgericht Hamm 23 Mitglieder der IKD zu insgesamt 70 Jahren Haft. Drei führende Mitglieder der Gelsenkirchener Gruppe wurden vom Volksgerichtshof verurteilt. Im Januar 1937 wurden in der Freien Stadt Danzig zehn Trotzkisten vor Gericht gestellt und abgeurteilt. Sie hatten zur „Niederringung des Faschismus mit den Waffen des Proletariats“ aufgerufen. „Die Organisierung der Arbeiter in den Betrieben, Stempelstellen und Arbeitsdienstlagern zwecks Widerstand und aktivem Kampf gegen den Nationalsozialismus, das ist das einzige Mittel, den Faschismus zu besiegen“, hieß es in einem ihrer Flugblätter. [60]

106. 1938 waren die IKD mit zwei Delegierten auf der Gründungskonferenz der Vierten Internationale vertreten. Im besetzten Frankreich verbreiteten deutsche und französische Trotzkisten gemeinsam die Zeitung Arbeiter und Soldat unter deutschen Soldaten. Im Gegensatz zu den Stalinisten, die sich dem bürgerlichen nationalen Widerstand unterordneten, kämpften die Trotzkisten für ein Bündnis der europäischen Arbeiter, das die deutsche Arbeiterklasse mit einschloss. Der Herausgeber von Arbeiter und Soldat, Widelin (Martin Monat), wurde später von der Gestapo ermordet.

107. Widelin vertrat die deutsche Sektion im Februar 1944 auf einer sechstägigen, geheimen Konferenz der Vierten Internationale im besetzten Frankreich, die ein europäisches Exekutivkomitee wählte und umfangreiche Perspektivresolutionen verabschiedete. Die Konferenz ging davon aus, dass der Krieg in eine revolutionäre Krise münden werde. Während sie Bündnisse des Proletariats mit der Bourgeoisie ablehnte, unterstützte sie den Widerstandskampf gegen die deutschen Besatzer: „Das Proletariat unterstützt diesen Kampf, um seine Umwandlung in einen allgemeinen Kampf gegen den Imperialismus zu fördern und zu beschleunigen. Diese Stellung beinhaltet den energischsten Kampf gegen Versuche von Agenten der nationalen Bourgeoisie, die Massen zu gewinnen und ihre Unterstützung für die Rekonstruktion des kapitalistischen Staates und der Armee auszunutzen. Es muss im Gegenteil alles getan werden, was im Bereich des Möglichen liegt, um die keimhafte Arbeitermacht (Milizen, Komitees usw.) weiterzuentwickeln und zur gleichen Zeit den heftigsten Kampf gegen alle Formen des Nationalismus zu führen.“ [61]


[59]

Manifest der Vierten Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution, in: Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, S. 213-214

[60]

Zitiert bei: Leo Trotzki, Der Danziger Trotzkisten-Prozess, in: „Schriften über Deutschland“, Band II, S. 714

[61]

Thèses sur la liquidation de la deuxième guerre impérialiste et la montée révolutionnaire, deutsch zitiert in : Georg Jungclas 1902-1975. Eine politische Dokumentation, Hamburg: Junius 1980, S. 124