Partei für Soziale Gleichheit
Historische Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei

Der Konflikt mit der OCI und der Fraktionskampf in der IAK

152. Der BSA ging aus einer marxistischen Minderheitsfraktion innerhalb der Gruppe Internationale Arbeiterkorrespondenz (IAK) hervor, die auf Initiative der französischen OCI entstanden war und eng mit dieser zusammenarbeitete. Die OCI hatte 1963 eine Delegation nach Deutschland geschickt, um über die politischen Lehren aus dem baden-württembergischen Metallerstreik zu diskutieren. Die Vertreter der OCI traten dabei offen als Trotzkisten auf, übersetzten und verbreiteten das Übergangsprogramm und organisierten Diskussionen über Trotzkis Schriften. Sie standen mit den unterschiedlichsten Leuten in Kontakt: Mit Sozialdemokraten, die ein linkes Image brauchten, wie dem späteren Bundesminister Hans Matthöfer und dem Außenpolitikexperten Karsten Voigt, mit radikalisierten Politik – und Soziologiestudenten, aber auch mit Arbeitern, Studenten und Lehrlingen, die ernsthaft nach einer Alternative zu Sozialdemokratie und Stalinismus suchten. Unter ihnen befand sich auch Ulrich Rippert, der heutige Vorsitzende der PSG, der sich 1969 als 18-jähriger Metallerlehrling in Frankfurt der IAK anschloss. Ab Sommer 1965 gab eine Gruppe von Politik – und Soziologiestudenten aus dem Frankfurter Fetscher-Seminar, die in engem Kontakt mit der OCI stand, ein hektographiertes Informationsblatt namens Internationale Arbeiterkorrespondenz heraus. Ihr schloss sich Ende der 60er Jahre eine weitere Studentengruppe aus Bochum an.

153. Die OCI war zu dieser Zeit noch Mitglied des Internationalen Komitees, ging aber zunehmend auf politische Distanz. Im Kampf gegen die Wiedervereinigung der SWP mit den Pablisten hatte sie 1963 nur eine untergeordnete Rolle gespielt und die Auseinandersetzung der SLL überlassen. 1966 unterstützte sie auf dem Dritten Weltkongress des Internationalen Komitees noch einen Antrag der SLL, der hervorhob, dass die Vierte Internationale die Bemühungen der Revisionisten, sie zu zerstören, erfolgreich abgewehrt habe. Doch bereits ein Jahr später erklärte die OCI, das Internationale Komitee sei „nicht die Führung der Vierten Internationale“. Diese sei „unter dem Druck feindlicher Klassenkräfte zerstört worden“ und müsse neu aufgebaut werden. [82] Der „Wiederaufbau der Vierten Internationale“ wurde zum Schlagwort, mit dem sie sich von den programmatischen Grundsätzen distanzierte, die das Internationale Komitee gegen den Pablismus verteidigt hatte. Die britische SLL wies dies zurück: „Die Zukunft der Vierten Internationale ist im angestauten Hass von Millionen Arbeiter gegen die Stalinisten und Reformisten enthalten, die ihre Kämpfe verraten.... Nur der Kampf gegen den Revisionismus kann den Kader darauf vorbereiten, die Führung der Millionen Arbeiter zu übernehmen, die in den Kampf gegen den Kapitalismus und die Bürokratie hinein gezogen werden.... Der lebendige Kampf gegen den Pablismus und das Training von Kadern und Parteien auf der Grundlage dieses Kampfs war in den Jahren seit 1952 das Leben der Vierten Internationale.“ [83]

154. Die SLL warnte die OCI vor den Konsequenzen ihrer Skepsis gegenüber dem Internationalen Komitee: „Die Radikalisierung der Arbeiter in Westeuropa schreitet jetzt rasch voran, besonders in Frankreich... In einem solchen Entwicklungsstadium besteht immer die Gefahr, dass eine revolutionäre Partei nicht in revolutionärer Weise auf die Lage in der Arbeiterklasse reagiert, sondern sich an das Niveau anpasst, auf das die Arbeiter durch ihre eigene Erfahrung unter der alten Führung beschränkt sind, d.h. an die unvermeidliche anfängliche Verwirrung. Solche Revisionen des Kampfs für die unabhängige Partei und das Übergangsprogramm werden üblicherweise unter dem Deckmantel ‚näher an die Arbeiterklasse’, ‚Einheit mit allen, die sich im Kampf befinden’, ‚keine Ultimaten stellen’, ‚kein Dogmatismus‘ usw. versteckt.“ [84]

155. Diese Warnung sollte sich 1968 bestätigen. Als die Studentenrevolte und der Generalstreik Frankreich an den Rand einer Revolution führten, reagierte die OCI auf zentristische und nicht auf revolutionäre Weise. Sie stellte die Vorherrschaft der Stalinisten nicht in Frage, die den Generalstreik schließlich abwürgten. Ihr Programm beschränkte sich darauf, die Einheit der verfeindeten Gewerkschaftsverbände und ein „zentrales Streikkomitee“ zu fordern, ohne dass sie dies mit sozialistischen Losungen verbunden hätte. Der Frage der Macht wich sie systematisch aus – selbst als Arbeiter die Forderung nach einer „Volksregierung“ erhoben und Präsident de Gaulle ins Ausland floh. Die OCI verlangte nie, dass die Kommunistische Partei und die Gewerkschaft CGT eine Regierung bilden. Eine systematische Agitation in dieser Richtung hätte den Konflikt zwischen den Arbeitern und den Stalinisten verschärft und deren Glaubwürdigkeit stark unterhöhlt.

156. Unter dem Druck Tausender neuer Mitglieder, die 1968 in ihre Reihen strömten, bewegte sich die OCI in den folgenden Jahren scharf nach rechts und endete im Schlepptau der Sozialistischen Partei. Deren Leitung wurde 1971 von François Mitterrand übernommen, einem bürgerlichen Politiker, der seine politische Karriere unter dem Vichy-Regime begonnen und in der Vierten Republik als Justiz – und Innenminister gedient hatte. Mitterrand entwickelte einen politischen Mechanismus, mit dem die französische Bourgeoisie die Krise von 1968 überwinden und ihre Herrschaft in den folgenden Jahrzehnten sichern konnte – das „Bündnis der Linken“, in das er auch die Kommunistische Partei einband. Nach Mitterrands Wahl zum Präsidenten übernahm das Linksbündnis 1981 die Regierung und stellte in den nächsten einundzwanzig Jahren mit kurzen Unterbrechungen den Regierungschef. Die OCI unterstützte Mitterrand, feierte das „Bündnis der Linken“ als Verwirklichung der „Arbeitereinheitsfront“ und schickte 1971 zahlreiche Mitglieder in die Sozialistische Partei. Eines von ihnen, Lionel Jospin, stieg zum engsten Mitarbeiter Mitterrands auf und wurde 1997 sogar französischer Premierminister. Auf internationaler Ebene bildete die OCI einen Block mit zentristischen Organisationen gegen das Internationale Komitee. In Bolivien verteidigte sie den Partido Obrero Revolucionario (POR) Guillermo Loras, eine pablistische Organisation, die auf die Stalinisten und das „linke“ Militärregime von Juan José Torres vertraute und so den Weg für die blutige Militärdiktatur Hugo Banzers ebnete.

157. Die Rechtsentwicklung der OCI löste innerhalb der IAK heftige Konflikte aus. Anfangs hatte sich die IAK noch deutlich von der SPD und der Gewerkschaftsbürokratie abgegrenzt. In der Studentenbewegung war sie – im Unterschied zu den stalinistischen und anarchistischen Strömungen des SDS – für eine Orientierung auf die Arbeiterklasse eingetreten und hatte betont, dass dies nur im Kampf gegen die sozialdemokratische und die Gewerkschaftsbürokratie möglich sei. So hatte sie 1968 erklärt: „Die Arbeiterbürokratien helfen der herrschenden Klasse bei ihrer Aufgabe, die Kämpfe der Studenten zu isolieren. Nur durch den Kampf gegen diese Bürokratien können die Studenten die Verbindung herstellen zu den Kämpfen der Arbeiterklasse, indem sie teilnehmen am Kampf für den Aufbau der revolutionären Organisation des Proletariats.“ [85]

158. Doch kurz bevor Willy Brandt 1969 Bundeskanzler wurde, änderte die IAK ihre Haltung. Sie trat geschlossen der SPD bei und behauptete, man könne mit Hilfe dieser Partei eine Arbeiterregierung errichten: „Die Forderung nach der Arbeiterregierung, gerichtet an die Sozialdemokratie, ist nicht allein eine Taktik, die SPD zu entlarven. Wir gehen vielmehr davon aus, dass die Klassenkämpfe sich soweit verschärfen werden, dass die Apparate in ihrem Bruch mit der Bourgeoisie weiter zu gehen gezwungen sein können, als sie ihrer konterrevolutionären Ideologie nach wollen. So ist eine sozialdemokratische Arbeiterregierung durchaus möglich, nämlich dann, wenn die Kontrolle der Sozialdemokratie über die arbeitenden Massen nur erhalten bleiben kann, wenn eine sozialdemokratische Alleinregierung Eingriffe in die Macht einzelner Kapitalisten oder Kapitalistengruppen vollzieht.“ [86] Das war ein klassischer pablistischer Standpunkt: Der Weg zur Arbeitermacht führte nicht über die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse unter dem Banner der Vierten Internationale; dieses Ziel konnte auch mithilfe der SPD erreicht werden, wenn die Arbeiterklasse entsprechenden Druck auf sie ausübte.

159. Die IAK lehnte es ausdrücklich ab, innerhalb der SPD für eine sozialistische Perspektive zu kämpfen. Stattdessen beschränkte sie sich auf gewerkschaftliche Forderungen, die sie als „Übergangsforderungen“ bezeichnete: „Wie die Massen in ihrer ersten Mobilisierungsstufe die Übergangsforderungen aufgreifen, ohne sich bewusst zu sein, damit für die Machteroberung zu kämpfen, so bauen wir eine Organisation um den ‚Sozialdemokratischen Arbeiter‘ auf, ohne dass wir die Arbeiter auffordern, der IV. Internationale und ihrem vollen Programm beizutreten, für das wir aber immer offen bereit sind zu kämpfen. Diese um den ‚Sozialdemokratischen Arbeiter‘ aufzubauende Strömung und dann Organisation steht nicht auf dem Programm der IV. Internationale.“ [87] Während sich die Bourgeoisie auf Willy Brandt stützte, um die Offensive der Arbeiterklasse und Jugend unter Kontrolle zu halten, ordnete sich die IAK der SPD unter und versah sie mit einem linken Feigenblatt.

160. Die IAK entwickelte auch eine politische Formel zur Unterstützung von Brandts Ostpolitik. War sie bisher für die Wiedervereinigung Deutschlands durch die Arbeiterklasse auf sozialistischer Grundlage eingetreten, verlangte sie ab 1969 die sofortige Wiedervereinigung ohne jede Vorbedingung. In der ersten Ausgabe ihrer SPD-internen Fraktionszeitschrift erklärte sie im Frühjahr 1971, Willy Brandt habe „von der gesamten deutschen Arbeiterklasse“ den Auftrag erhalten, „für die nationale Selbstbestimmung“ und „für die Wiedervereinigung sofort“ einzutreten. [88] Sie rechtfertigte so das Vordringen deutschen Kapitals nach Osteuropa, das den Kern von Brandts Ostpolitik bildete, und vertauschte die linke Opposition gegen den Stalinismus mit dem rechten Antikommunismus der SPD. Als zwanzig Jahre später das SED-Regime zusammenbrach und Willy Brandt an der Seite von Helmut Kohl für die deutsche Einheit warb, bezeichneten die Nachfolger der IAK die DDR in offen antikommunistischer Diktion als „Gefängnis für 17?18 Millionen deutsche Frauen, Männer und Kinder“ und feierten den Mauerfall als Triumph des „deutschen Volkes“, das nun „endlich gemeinsam seine Einheit feiern“ könne. [89]

161. Gegen diesen rechten Kurs formierte sich 1970 in enger Zusammenarbeit mit der britischen SLL die marxistische Minderheitsfraktion, aus der ein Jahr später der BSA hervorging. Sie lehnte die Unterordnung unter die SPD ab. In seinem Gründungsmanifest bekräftigte der BSA seine unversöhnliche Opposition gegen die sozialdemokratische Bürokratie und die Notwendigkeit, eine unabhängige, revolutionäre Partei aufzubauen: „Die Arbeiterklasse ist in Gefahr, in revolutionäre Kämpfe zu gehen ohne klares Bewusstsein der wirklichen Perspektive des Kapitalismus und mit Illusionen in die feige klassenkompromisslerische alte Führung. ... Jeder Kampf gegen die Konzertierte Aktion und Lohnpolitik der Regierung, gegen die Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes, gegen Rationalisierungsmaßnahmen und Schließungen von Fabriken, gegen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, gegen die hohen Mieten und gegen die Kürzung der staatlichen Ausgaben für öffentliche Dienste muss konzentriert werden auf den Aufbau dieser alternativen Führung der Arbeiterklasse.“

162. Der Fraktionskampf innerhalb der IAK spitzte sich 1971 rasch zu. Auf einer Schulung in Fallingbostel bei Hannover, an der auch Vertreter der SLL und der amerikanischen Workers League teilnahmen, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über Lenins „Was tun?“. Die IAK-Mehrheit bezeichnete Lenins Auffassung, der Sozialismus müsse von außen in die Arbeiterklasse getragen werden, als „blanken Idealismus“ und vertrat ein spontaneistisches Konzept. Die Aufgabe von Marxisten bestehe darin, alle spontanen Kämpfe zu vereinen. Dies sei das Wesen der „Strategie der Arbeitereinheitsfront“. Aus den spontanen Kämpfen heraus entwickelten sich dann natürliche Organisatoren der Klasse. Es sei notwendig, Komitees und Aktionsformen zu entwickeln, in denen sich diese natürlichen Organisatoren sammeln und durch ihre eigene Erfahrung zu Marxisten entwickeln könnten. Die Minderheit erklärte diesen Auffassungen den Krieg. In einem Brief „Über den Sinn der Minderheitsfraktion“ schrieb sie: „Der prinzipielle Kampf gegen die von der Leitung der IAK repräsentierte kleinbürgerliche Kreuzung von radikalem Protest und opportunistischer Anpassung an die Interessen der verräterischen Arbeiterbürokratien ist im Kern ein Kampf gegen die gesamte Tendenz in unserer Gesellschaft, die in Form zahlreicher unabhängiger Gruppen und Tendenzen in der SPD (Jusos) und Gewerkschaften die Arbeiterklasse und die Jugend hindern, den Weg zum Marxismus zu finden. Der theoretische und politische Kampf gegen diese aus der kleinbürgerlichen Studentenbewegung geborene und genährte Tendenz ist unumgänglich für die Entwicklung des Marxismus in Deutschland.“ [90]

163. 1971 stellte sich die OCI offen gegen das Internationale Komitee. Im Juli organisierte sie eine internationale Jugendversammlung in Essen, zu der sie auch zentristische und offen rechte Organisationen einlud. Gemeinsam mit ihnen stimmte sie gegen einen Antrag der SLL, der die historische Kontinuität des Internationalen Komitees bekräftigte und feststellte, dass es außerhalb der Vierten Internationale keine revolutionären Parteien gebe. Einen Monat später putschte in Bolivien das Militär. Als die Workers League und die SLL darauf eine Kritik an Loras POR veröffentlichten, die für diese Katastrophe mitverantwortlich war, wurden sie von der OCI öffentlich angegriffen und der Kapitulation vor dem Imperialismus beschuldigt. Im September gründete die marxistische Minderheit der IAK dann den BSA, und im Oktober erklärte die Mehrheit des Internationalen Komitees die Spaltung mit der OCI.


[82]

Statement by the OCI, May 1967,in: Trotskyism versus Revisionism, Volume 5, London 1975, S. 91-92

[83]

Reply to the OCI by the Central Committee of the SLL, June 19, 1967, in: ebd., S. 107, 114

[84]

ebd., S. 113-114

[85]

Adresse der IAK an die außerordentliche Delegierten-Konferenz des SDS, März 1968, in der Broschüre: Der Kampf der Studenten und die Rolle des SDS

[86]

IAK Nr. 28, März 1970

[87]

Internes IAK-Bulletin März 1971. „Sozialdemokratischer Arbeiter“ sollte ursprünglich die Zeitschrift heißen, die die IAK innerhalb der SPD herausgab. Sie erschien dann aber unter dem Titel Sozialistische Arbeiterpolitik - Organ für eine Arbeiterpolitik in der SPD.

[88]

Wer wir sind und was wir wollen, in: Sozialistische Arbeiterpolitik - Organ für eine Arbeiterpolitik in der SPD, 1. Mai 1971

[89]

Aufruf der „Vereinigung der Arbeitskreise für Arbeitnehmerpolitik und Demokratie im vereinten Deutschland“ (VAA~ zur Bundestagswahl 1990, zitiert in: Das Ende der DDR, Arbeiterpresse Verlag: Essen 1992,S. 447

[90]

Brief „Über den Sinn der Minderheitsfraktion“ vom 26. Mai 1971