Socialist Equality Party (Großbritannien)
Historische und internationale Grundlagen der Socialist Equality Party (Großbritannien)

Die Theorie der Permanenten Revolution und der Oktober 1917

14. Wegweisende Perspektive der Russischen Revolution vom Oktober 1917 war Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution. Trotzki zog die Lehren aus der Niederlage der Russischen Revolution von 1905, in der die Arbeiterklasse die führende Rolle im Kampf gegen den Zarismus gespielt hatte. Bis dahin hatten die Parteien der Sozialistischen Internationale Revolutionen als nationale Ereignisse betrachtet, deren Ausgang durch innere sozio-ökonomische Faktoren bestimmt wurde. Sie gingen davon aus, dass die sozialistische Revolution in den fortgeschrittenen europäischen Ländern beginnen würde, wohingegen die weniger entwickelten wie Russland notwendigerweise vor der sozialistischen Revolution eine längere Periode kapitalistischer und bürgerlich-demokratischer Entwicklung durchmachen würden. Die Aufgabe marxistischer Parteien wurde darin gesehen, den von der nationalen Bourgeoisie angeführten revolutionären Kampf für die Schaffung einer demokratischen Republik zu unterstützen und voranzutreiben.

15. Die Revolution von 1905 zeigte die Unfähigkeit der Bourgeoisie, eine solche Rolle zu erfüllen. Sie war in eine globale, von Weltmächten beherrsche Wirtschaftsordnung integriert und ihr unterworfen. Sie wurde eingeengt durch ihre Feindschaft gegenüber dem Proletariat, das sich wegen des Eindringens des Kapitals in die größeren Städte zur dynamischsten Klasse in der russischen Gesellschaft entwickelt hatte. Im Gegensatz zu den Menschewisten argumentierten Lenin und die Bolschewisten, die politische Schwäche der Bourgeoisie bedeute, dass die Revolution von der Arbeiterklasse angeführt werden und diese im Bündnis mit den ländlichen Massen eine „demokratische Diktatur der Arbeiterklasse und der Bauernschaft“ errichten würde. Lenins Formulierung vermittelte der demokratischen Revolution einen radikalen Charakter, implizierte die Vernichtung aller Überbleibsel feudaler Beziehungen und ein Ende der autokratischen Herrschaft. Aber sie definierte weder den gesellschaftlichen Charakter der Revolution, noch den des Staates, den sie erschaffen sollte.

16. Trotzkis Einschätzung des Wesens und der Aufgaben der revolutionären Bewegung ließen ihn zum herausragenden Strategen nicht nur der Russischen Revolution, sondern der sozialistischen Weltrevolution aufsteigen. Für ihn wurde das Wesen der Russischen Revolution eher durch internationale als durch nationale Bedingungen bestimmt. Einmal an der Macht, würde die Arbeiterklasse gezwungen sein, Maßnahmen mit sozialistischem Charakter durchzuführen. Denen, die behaupteten, sozialistische Ziele könnten nicht innerhalb des wirtschaftlich rückständigen Russlands verwirklicht werden, hielt er entgegen, dass sie durch die Ausdehnung der Revolution auf die europäische und schließlich die Weltarena ermöglicht würden.

„Indem der Kapitalismus allen Ländern seine Wirtschafts – und Verkehrsweise aufdrängt, hat er die ganze Welt in einen einzigen ökonomischen und politischen Organismus verwandelt. (…) Das verleiht den sich entwickelnden Ereignissen von Anfang an einen internationalen Charakter und eröffnet eine große Perspektive: Die politische Emanzipation, geleitet von der Arbeiterklasse Russlands, hebt diese ihre Führerin auf eine in der Geschichte bisher unbekannte Höhe, legt kolossale Kräfte und Mittel in ihre Hand, lässt sie die weltweite Vernichtung des Kapitalismus beginnen, für die die Geschichte alle objektiven Voraussetzungen geschaffen hat.“[3]

17. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 bestätigte diese Einschätzung. Der Krieg war das Ergebnis des Aufbrechens unüberwindbarer Widersprüche im Herzen des kapitalistischen Systems – zwischen den Nationalstaaten und der Weltwirtschaft. Der historische Verrat an der Arbeiterklasse durch die Parteien der Zweiten Internationale, die den Krieg unterstützten, bestätigte die überragende Bedeutung von Lenins Kampf gegen den Opportunismus in der russischen sozialdemokratischen Bewegung. Der Absturz der Zweiten Internationale in Sozialchauvinismus und Landesverteidigung konnte nicht durch den Hinweis auf das Fehlverhalten individueller Führer erklärt werden. Vielmehr hatten dieselben Prozesse, die den Krieg ausgelöst hatten, auch zur Korruption der höheren Schichten in der Arbeiterbewegung geführt. Die Plünderung der Ressourcen der Kolonien hatte den imperialistischen Mächten die materiellen Mittel an die Hand gegeben, mit denen sie eine Arbeiteraristokratie nähren konnte, die die gesellschaftliche Grundlage für den Opportunismus lieferte. Letztendlich fand dies seinen Ausdruck in der offenen Zurückweisung des proletarischen Internationalismus und der Allianz der sozialdemokratischen Führer mit ihren „eigenen“ Bourgeoisien. Trotzki erklärte später:

„Am 4. August 1914 hatte den nationalen Programmen unwiderruflich die letzte Stunde geschlagen. Die revolutionäre Partei des Proletariats kann sich nur auf ein internationales Programm stützen, welches dem Charakter der gegenwärtigen Epoche, der Epoche des Höhepunkts und Zusammenbruchs des Kapitalismus, entspricht. Ein internationales kommunistisches Programm ist auf keinen Fall eine Summe nationaler Programme oder eine Zusammenstellung derer gemeinsamen Züge. Ein internationales Programm muss unmittelbar aus der Analyse der Bedingungen und Tendenzen der Weltwirtschaft und des politischen Weltsystems als Ganzem hervorgehen, mit all ihren Verbindungen und Widersprüchen, das heißt mit der gegenseitigen, antagonistischen Abhängigkeit ihrer einzelnen Teile.“[4]

18. Nach dem Sturz des Zaren im Februar 1917 kehrte Lenin aus dem Exil nach Russland zurück und gab seine Aprilthesen heraus, die das vorherige bolschewistische Programm der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft praktisch zurückwiesen. Indem er die Arbeiterklasse aufforderte, sich der provisorischen bürgerlichen Regierung zu widersetzen und durch die Räte die Macht zu übernehmen, übernahm Lenin in allen wesentlichen Teilen Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution. Dies traf auf den erbitterten Widerstand vieler „alter Bolschewisten“, einschließlich Josef Stalins, Grigori Sinowjews und Leo Kamenjews, die sich wie die Menschewiken für eine kritische Unterstützung der provisorischen Regierung und – in Stalins Fall – sogar für den Krieg aussprachen.

19. Am 25. Oktober 1917 übernahm die Arbeiterklasse in Russland die Macht. Für Lenin und Trotzki stellte die Revolution den Beginn einer revolutionären Umwälzung der Welt dar, in der der Sieg der Arbeiterklasse in Europa – vor allem in Deutschland – die notwendigen wirtschaftlichen und technologischen Ressourcen für die Entwicklung des Sozialismus liefern würde. Die Gründung der Sowjetmacht auf einem Sechstel der Erdoberfläche lieferte einen mächtigen Impuls für revolutionäre Kämpfe in einer Anzahl von Ländern und 1919 wurde die Dritte (Kommunistische) Internationale gegründet.

20. Die Russische Revolution hätte ohne den weit verbreiteten Widerstand der internationalen Arbeiterklasse gegen eine Intervention der imperialistischen Mächte nicht überlebt – dazu gehörte auch die „Hände weg von Russland!“ – Bewegung in Großbritannien. Aber nirgendwo außerhalb Russlands waren vor diesen Ereignissen Parteien des bolschewistischen Typs aufgebaut worden. Ohne sie waren die sozialdemokratischen Parteien in der Lage, die revolutionären Kämpfe, die in Deutschland und anderswo ausbrachen, abzuwürgen. Die daraus folgende Isolierung der Sowjetunion führte zur Degeneration des Staats – und Parteiapparats. Mit einer durch den Bürgerkrieg ruinierten Wirtschaft waren die Bolschewisten gezwungen, die Neue Ökonomische Politik einzuführen und bedeutende Zugeständnisse an die kapitalistischen Schichten in Stadt und Land zu machen. Das Ergebnis war die Stärkung konservativer gesellschaftlicher Kräfte auf dem Land, die ihren Ausdruck in einer wuchernden Staats – und Parteibürokratie fand, die über die verallgemeinerte Knappheit und Bedürftigkeit herrschte. Die Niederlage der Revolution in Deutschland 1923 lieferte den direkten Anstoß für die Verschmelzung dieser konservativen Stimmungen zu einer politischen Kampagne gegen Trotzki als dem konsequentesten Vertreter des revolutionären Flügels der Partei.


[3]

Leo Trotzki Die Permanente Revolution, Mehringverlag, 1993, S. 239-240

[4]

Leo Trotzki Die Dritte Internationale nach Lenin, Mehringverlag, 1993, S. 24-25