Socialist Equality Party (Großbritannien)
Historische und internationale Grundlagen der Socialist Equality Party (Großbritannien)

Die politischen Probleme, vor denen die SLL stand

148. Healy war entschlossen, den Kampf gegen die Pablisten in der Arbeiterklasse aufzunehmen und sie zu besiegen. Er ging dabei von der Einschätzung aus, dass er die, wie er mit einiger Berechtigung einschätzte, günstigere politische Lage in England ausnutzen könne, um die ungünstige internationale Kräftekonstellation nach dem Renegatentum der SWP zu seinen Gunsten zu wenden. Er rechnete sich aus, dass ein politischer Durchbruch in Großbritannien zu einem Anziehungspunkt für Revolutionäre in aller Welt werden und die Autorität des Internationalen Komitees stärken würde.

149. Die SLL hatte nach 1956 wichtige organisatorische Fortschritte gemacht, war Mitte der 1960er Jahre zahlenmäßig größer als ihre pablistischen Gegner, besaß einen erfahrenen Kader und eine Basis in Teilen der Arbeiterklasse und der Jugend. Sie war in der Lage, eine aufkommende militante Bewegung in der Arbeiterklasse zu nutzen, die sich in wilden Streiks und inoffiziellen Strömungen an der Basis ausdrückte. Es wurden Pläne für die erste trotzkistische Tageszeitung gefasst, die Workers Press, die 1969 eingeführt wurde. Sie wurde als Instrument verstanden, mit dem man die Stalinisten und die Sozialdemokraten herausfordern und die SLL in die Massenpartei der britischen Arbeiterklasse umwandeln konnte.

150. Während es sowohl korrekt, als auch notwendig war, jede Gelegenheit zu nutzen, die Großbritannien bot, um die internationale Bewegung zu stärken, war Healys Haltung strategisch gesehen falsch. Healy misinterpretierte die Russische Revolution, wenn er davon ausging, er könne den Impuls imitieren, den die bolschewistische Machtübernahme für das Wachstum der Dritten Internationale geliefert hatte. Sie war vorbereitet worden durch den Kampf, den Lenin gegen den Opportunismus der Zweiten Internationale geführt hatte und war erkämpft worden auf der Grundlage der von Trotzki entwickelten internationalen revolutionären Strategie.

151. In der Hartnäckigkeit des pablistischen Revisionismus äußerte sich die Politik des Imperialismus, eine kleinbürgerliche Schicht als Puffer gegen die Arbeiterklasse zu hätscheln, und zwar auch innerhalb der Vierten Internationale. Die dominierende politische Rolle dieser Schicht war ein weitreichendes Charakteristikum der Nachkriegsjahre. Die Sowjetunion schien auf der Höhe ihrer Macht, während die auf der Bauernschaft beruhende chinesische Revolution von 1949 die Entstehung vieler maoistischer Strömungen anstieß. Unter diesen Bedingungen war der Castroismus nur eine von mehreren nationalen radikalen bürgerlichen Bewegungen, die sich oft als sozialistisch bezeichneten, und sich auf die Unterstützung durch den Moskauer oder Pekinger Apparat verließen. Ein Leitartikel der Labour Review vom Winter 1961 erläuterte:

„Die Opportunisten aller Schattierungen stützen sich jetzt nicht nur auf die Arbeiteraristokratie einiger fortgeschrittener Länder, sondern auf neue Schichten der Weltbevölkerung im modernen staatsmonopolistischen Kapitalismus mit seiner besonderen Beziehung zur nicht-kapitalistischen Welt. Die fortgeschrittenen Länder haben eine gigantische Konzentration von Industrie – und Finanzkapital hervorgebracht und eine Militarisierung und Bürokratisierung der Wirtschaft und des Staates durchgemacht. Sie sind zunehmend von staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft abhängig geworden. Daraus resultiert eine neue Mittelklasse von Beamten, Administratoren und Bürokraten der Großbanken und der Monopole, des Staates, der Militär – und Sicherheitsapparate, sozialer Dienste und in den Medien. Die internationalen Bedürfnisse des Kapitals werden von der mittleren Kaste treu erfüllt.“[56]

152. Das war die Klassengrundlage für das Wachstum zahlreicher intellektueller Strömungen, die marxistische Phraseologie pflegten, aber eine Politik vertraten, die die sozialistische Revolution ablehnte und sich auf Kräfte stützte, die der Arbeiterklasse feindlich gegenüberstehen. Diese Weltlage bereitete den orthodoxen Trotzkisten Schwierigkeiten, die in der nationalen Arena nicht überwunden werden konnten.

Healys vom besonderen Kräftegleichgewicht in Großbritannien ausgehenden ungerechtfertigten Verallgemeinerungen sollten ihn dazu verleiten, die zentrale Lehre aus der Kapitulation der SWP vor dem Pablismus zu verleugnen – nämlich, dass dem Druck fremder Klassenströmungen nur durch den ständigen theoretischen Kampf gegen den Revisionismus begegnet werden kann, und zwar in Zusammenarbeit mit internationalen Mitstreitern. In dem Ausmaß, in dem die Konzentration auf die Entwicklung der Arbeit in Großbritannien eine Missachtung der theoretischen und politischen Bedürfnisse der internationalen Bewegung zur Folge hatte, sollte dies zu einer Häufung politischer Fehler und organisatorischer Probleme führen, in der sich Healy und die SLL bald gefangen sahen.

153. In der SLL setzten sich Vorstellungen fest, die die Gefahr eines Abdriftens in Richtung einer nationalen Achse in sich bargen. Diese drückten sich in Healys Broschüre „Probleme der Vierten Internationale“ von 1966 aus, in der er schrieb:

„Auf den Schultern der Socialist Labour League liegt jetzt eine enorme Verantwortung: der Aufbau einer revolutionären Massenpartei, welche die Arbeiterklasse an die Macht führen wird. Dadurch wird sie Revolutionäre in allen Ländern inspirieren, ähnliche Parteien aufzubauen und dasselbe zu tun.“ [57]

154. David North erklärte später:

„Die Vorstellung, die Vierte Internationale werde als Nebenprodukt der Machteroberung in Großbritannien aufgebaut, war falsch. Zum einen stand sie im Gegensatz zu der dialektischen Wechselbeziehung zwischen der Weltkrise des Imperialismus, dem internationalen Klassenkampf und den besonderen Formen, die diese in Großbritannien annahmen; zum andern leugnete sie, dass die Organisation von Marxisten in jedem Land nur als Bestandteil der Weltpartei der sozialistischen Revolution möglich ist. [58]

155. Healy schätzte auch die Wurzeln der Degeneration der SWP falsch ein. Das war das Ergebnis einer subjektiven Reaktion auf Cannons Verrat. Er behauptete, ihre Ursache liege nicht

„.. in den schwierigen Bedingungen des Kalten Krieges und des Booms, unter denen die SWP in den Vereinigten Staaten insbesondere seit 1949 gearbeitet hat, – obwohl dies eine Rolle gespielt hat –, sondern in den Ursprüngen der frühen trotzkistischen Bewegung. Ihr Gründer, Trotzki, war durch die gesamte frühe politische Erfahrung der vorrevolutionären Sowjetunion, der Revolution selbst, – als er die Rote Armee organisierte und führte –, der Degeneration nach Lenin und der Entstehung der sowjetischen Bürokratie unter Stalin gegangen.

Seine Anhänger in den USA und in anderen Ländern kamen hauptsächlich aus den Reihen derer, die sich nach der Gründung der Dritten Internationale im Jahr 1919 der Kommunistischen Bewegung angeschlossen hatten. Ihre Entwicklung wurde bestimmt von den Niederlagen der Arbeiterklasse außerhalb der Sowjetunion nach dem Ersten Weltkrieg und von der Entstehung des Stalinismus. (…) Grade das machte die Schwäche der Mannschaft Cannon-Trotzki aus.“ [59]

156. Healys Herunterspielen der Auswirkungen des Nachkriegsbooms auf die SWP und seine Konzentration auf subjektive politische und theoretische Schwächen, um das Aufkommen des Opportunismus zu erklären, standen im Gegensatz zu der Analyse, zu der die SLL vorher gekommen war. Indem er die Degeneration der SWP und das Wachstum des Revisionismus den vermeintlich „nicht-revolutionären“ Bedingungen zuschrieb, aus denen die Vierte Internationale hervorging, unterstützte Healy – wie unbewusst auch immer – jene zentristischen Tendenzen, die ihre Gründung auf der Grundlage abgelehnt hatten, eine neue Internationale könne nur als Produkt einer erfolgreichen sozialistischen Revolution entstehen. Diese Vorstellungen sollten negative Auswirkungen zeigen¸als sich politische Differenzen innerhalb des Internationalen Komitees entwickelten.


[56]

Zitiert in Fourth International, März 1987, Band 14, Nr. 1

[57]

Problems of the Fourth International (1966), zitiert in David North, Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale, Essen 1992, S. 69

[58]

ibid. S. 69-70

[59]

ibid. S. 70