Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
Wie die Workers Revolutionary Party den Trotzkismus verraten hat 1973 – 1985

Konflikt mit der OCI

Trotz dieser Fortschritte – oder besser untrennbar verbunden mit ihnen – gab es in der Zeit nach der Spaltung mit der Socialist Workers Party neue Probleme innerhalb des Internationalen Komitees. Schon 1966 begannen sich Differenzen zwischen der SLL und der OCI in Bezug auf die Rolle des IKVI abzuzeichnen. Die Meinungsverschiedenheit, die zum ersten Mal auf dem Dritten Kongress des IKVI im April 1966 bezüglich der historischen Kontinuität des Trotzkismus auftauchte, war ein deutliches Anzeichen für zentristische Abweichungen innerhalb der Weltbewegung. Obwohl die OCI an der Seite der SLL gegen die Robertson-Anhänger und die Gruppe Voix Ouvriere auftrat, die offen den Kampf gegen den Pablismus als wesentliches Kriterium historischer Kontinuität zurückwiesen, vertieften sich die Differenzen zwischen beiden Sektionen. Die beharrliche Behauptung der Franzosen, die Vierte Internationale müsse „wieder aufgebaut“ werden, bedeutete nicht einfach einen Streit um Worte. Sie beinhaltete vielmehr unter dem Deckmantel einer politischen Umgruppierung eine Orientierung hin zu zentristischen Kräften. Auf diese Weise setzte die OCI die Errungenschaften aus dem Kampf gegen den pablistischen Revisionismus aufs Spiel. Indem sie jenen Zugeständnisse machte, die behaupteten, die Vierte Internationale sei „tot“ und müsse „wieder aufgebaut“ werden, erklärte die OCI, wenn auch nur implizit, dass die Lehren aus den vergangenen Kämpfen gegen den Revisionismus nicht von so entscheidender Bedeutung seien. So steuerte sie direkt in den politischen Sumpf des Zentrismus, wo jeder mit jedem zusammengehen konnte, ganz gleich was die politische Geschichte der Tendenzen war, die sie vertraten.

Unter den Bedingungen des politischen Aufschwungs der Arbeiterklasse und studentischen Jugend in Frankreich 1968 bekamen diese zentristischen Schwankungen für die politische Entwicklung der OCI und des IKVI eine gewaltige Bedeutung. Die französische Organisation, die seit Jahren darum kämpfte, wenigstens ihre Rechnungen zu bezahlen und in der Arbeiterbewegung vertreten zu sein, wuchs plötzlich wie ein aufgeblasener Ballon. Schon 1970 war sie in der Lage, auf dem Flughafen von Le Bourget in Paris eine Versammlung zu organisieren, an der 10.000 Arbeiter und Jugendliche teilnahmen. Doch die OCI-Führung von Lambert und Just passte sich an kleinbürgerliche Elemente, wie Charles Berg, an, die in die Bewegung hineinströmten. Es dauerte nicht lange, und der rechte Schwanz wedelte mit dem Hund, der Partei.

In dieser ganzen Periode entwickelten sich die Differenzen zwischen der SLL und der OCI über eine ganze Reihe prinzipieller Fragen, angefangen von der Weigerung der französischen Organisation, das halbkoloniale Ägypten im Krieg von 1967 gegen den zionistische Staat zu verteidigen, bis hin zu der syndikalistischen und enthaltsamen Position der OCI während des Generalstreiks vom Mai/Juni 1968 und während der Präsidentschaftswahlen von 1969.

Nachdem ihre Organisation trotz der Politik ihrer Führung beträchtlich gewachsen war, wiegten sich die OCI-Führer zunehmend in Selbstzufriedenheit und begegneten dem Internationalen Komitee mit Geringschätzung. Lambert und Just zogen in ein wuchtiges, festungsgleiches Gebäude um, das ihrer neuen eingebildeten Bedeutung gerecht werden sollte. Dann machten sie sich auf der Grundlage von Verhandlungen mit Zentristen in der ganzen Welt daran, ihre eigenen internationalen Operationen zu entwickeln. Zu ihren prinzipienlosesten Beziehungen gehörten die, welche sie mit der bolivianischen, von G. Lora geführten POR pflegten. Diese Organisation arbeitete schon lange mit bürgerlichen Nationalisten zusammen und hatte 1953 Pablo unterstützt.

Im Juli 1971 organisierte die OCI eine Jugendversammlung in Essen (Bundesrepublik), auf einer völlig zentristischen Grundlage: Sie lud nicht nur Vertreter der POUM ein – der zentristischen Organisation, die maßgeblich zu der Niederlage des spanischen Proletariats beigetragen hatte –, sondern auch Vertreter der Robertson-Gruppe und der US National Student Association, die von der CIA Gelder erhalten hatte. Die SLL hatte zugestimmt, an dieser Versammlung teilzunehmen. Die britische YS-Delegation legte im Laufe der Veranstaltung eine Resolution vor, die die Jugend dazu aufrief, sich dem Kampf für die Entwicklung des dialektischen Materialismus zu widmen. Die OCI, die sich der SLL gegenüber gegen die Einbringung der Resolution ausgesprochen hatte, stimmte öffentlich gegen sie.

Einen Monat später führte die bolivianische Armee einen Putsch durch, der mit dem Sturz des „linken“ Militärregimes von General Torres und der Auflösung der Volksversammlung endete. Lora war in diese politische Katastrophe tief verwickelt. Er hatte Torres' Regierung unterstützt und erwartet, das Militärregime werde im Falle eines Putsches die Arbeiterklasse mit Waffen versorgen. Tim Wolforth, der damalige Sekretär der Workers League, veröffentlichte in Übereinstimmung mit der SLL eine Kritik der Politik der POR.

Die OCI reagierte darauf, indem sie ein Treffen ihrer Internationalen Fraktion nach Paris einberief und eine Erklärung herausgab, die die SLL und die Workers League der Kapitulation vor dem Imperialismus beschuldigte, weil sie die POR öffentlich angegriffen hatten. Sie hatte darüber hinaus sogar noch die Frechheit, zu behaupten, Lora sei ein Mitglied des IKVI.

Die Mehrheit des IKVI wiederum reagierte auf diesen Angriff, indem sie am 24. November 1971 öffentlich die Spaltung mit der OCI erklärte. Ohne Zweifel war die Charakterisierung der OCI als eine zentristische Organisation politisch richtig und die Kritik an der politischen Linie der französischen Organisation vollkommen gerechtfertigt. Es war außerdem korrekt, dass sich die SLL in der Frage der Philosophie gegen den Versuch der OCI wandte, den dialektischen Materialismus als Erkenntnistheorie des Marxismus zu verwerfen, und ihren Standpunkt, das Übergangsprogramm mache jede weitere Entwicklung des Marxismus überflüssig, zurückwies.

Doch anders als der Kampf mit der Socialist Workers Party – der über eine beträchtliche Zeit hinweg in der gesamten Parteimitgliedschaft geführt worden war – ist die Spaltung mit der OCI ohne ausführliche Diskussion im IKVI oder unter den Kadern in den nationalen Sektionen vollzogen worden. Mit den internationalen Folgen der Spaltung befasste man sich nur oberflächlich, ganz anders als in dem Kampf, den die SLL zwischen 1961 und 1966 geführt hatte. Das wird schon allein daran deutlich, dass das IKVI nicht ein einziges Mitglied aus der französischen Organisation gewann, trotz des theoretischen und politischen Bankrotts der Lambert-Just-Führung, und dass, was noch schlimmer war, nicht einmal der Versuch gemacht wurde, eine Fraktion innerhalb der OCI aufzubauen. In keinem einzigen Dokument wandte sich die SLL wenigstens mit einem Appell für Unterstützung an die französische Mitgliedschaft.

Im Gegensatz zu der enormen Geduld und Hartnäckigkeit, mit der die SLL den Kampf gegen die Degeneration der SWP geführt hatte – auch noch nach der Spaltung (die amerikanischen Unterstützer blieben noch ein volles Jahr lang in der SWP) –, wurde der Bruch mit der OCI mit einer politischen Hast vollzogen, die nur Verwirrung hinterlassen konnte und den französischen Zentristen in die Hände spielte. Fünf Jahre lang vor der Spaltung hatte kein Kongress des IKVI mehr stattgefunden und die Spaltung fand nur wenige Monate vor dem für den nächsten vollständigen, vierten Kongress geplanten Termin statt. Die OCI forderte wiederholt weitere Diskussionen und rief zu einem außerordentlichen Treffen des Internationalen Komitees auf. Dies wurde von der SLL jedoch einseitig abgelehnt; sie erklärte einfach, dass die Spaltung unvermeidlich und historisch notwendig sei.

Unter diesen Umständen war die Spaltung – betrachtet man sie vom Standpunkt der Erziehung der Kader des Internationalen Komitees und der Klärung der politischen Fragen bei den fortgeschrittensten Arbeiterschichten in der ganzen Welt – entschieden verfrüht. Sie stellte einen Rückzug der Socialist Labour League von den internationalen Verantwortlichkeiten dar, die sie 1961 übernommen hatte, als sie den Kampf gegen die Degeneration der Socialist Workers Party aufnahm. Später behauptete die SLL, die Spaltung habe auf Grund entscheidender Fragen der Philosophie stattgefunden. Es ist sicher notwendig, die methodologischen Wurzeln des Zentrismus aufzuzeigen, aber die Frage des dialektischen Materialismus hat die grundlegenden politischen und programmatischen Fragen, mit denen man sich weiter hätte auseinander setzen müssen, weder erschöpft noch an Bedeutung übertroffen.

Obwohl die bolivianischen Ereignisse der Spaltung unmittelbar vorausgingen, behauptete die SLL bald, sie seien nur von untergeordneter Bedeutung, und die Spaltung im Internationalen Komitee hätte bereits in Essen stattgefunden, als die OCI gegen die Resolution zum dialektischen Materialismus stimmte. Dies war eine verlogene Polemik. Die Ereignisse in Bolivien – bei denen die OCI Lora politische Rückendeckung gab – waren von enormer historischer Bedeutung für die internationale Arbeiterklasse, insbesondere für das Proletariat von Lateinamerika. Es wäre unermesslich wichtig gewesen, dass das IKVI diese Erfahrung auf das Genaueste analysiert hätte – genauso wie Trotzki die Ereignisse in China, Deutschland und Spanien analysierte –, um die konterrevolutionäre Bedeutung des Zentrismus in der gegenwärtigen Epoche zu entlarven. Es reichte nicht aus, festzustellen, dass Lora und die OCI Unrecht hatten. Vom Standpunkt des Marxismus und der Entwicklung des IKVI als Weltpartei der Sozialistischen Revolution her, wäre es wichtiger gewesen, dieses Ereignis als eine strategische Erfahrung des internationalen Proletariats aufzuwerfen und zu behandeln. Dies war um so notwendiger, als das bolivianische Proletariat seit langem in Beziehung zur Vierten Internationale gestanden hatte. 1951 hatte Pablo einen parlamentarischen Weg zur Macht in Bolivien für richtig erklärt und so den Weg für die Niederlage der Revolution von 1952 geebnet. Als im April 1972 der Vierte Kongress des IKVI stattfand, wurden die Ereignisse von Bolivien kaum noch erwähnt.

Die SLL konnte mit Recht auf ernste Fehler hinweisen, die die OCI 1968-69 in Frankreich gemacht hatte. Doch das Problem war, dass diese Differenzen in der Zeit vor der Spaltung innerhalb des IKVI nicht diskutiert worden waren. Darüber hinaus wurde die Kritik an der OCI niemals so weit geführt, auf der Grundlage einer marxistischen Analyse ihrer politischen Enthaltsamkeit eine konkrete revolutionäre Perspektive für das französische Proletariat zu entwickeln.

Dies ist eine grundlegende Frage. Die Führer der Vierten Internationale haben nicht nur die Aufgabe, Verrätereien aufzudecken und Fehler zu entlarven, sondern müssen auch den richtigen Weg weisen. So wies die SLL im Verlaufe des Kampfs gegen die SWP der Taktik, für eine Arbeiterpartei einzutreten, wieder den ihr gebührenden Platz in der Arbeit der amerikanischen Trotzkisten zu. Später berichtigte sie eine Tendenz innerhalb der Workers League, sich an den schwarzen Nationalismus anzupassen, und regte ernsthafte theoretische Arbeit zur Entwicklung eines richtigen programmatischen Standpunkts in dieser Frage an.

Trotz des strategisch wichtigen Platzes, den Frankreich in der Entwicklung der sozialistischen Weltrevolution einnimmt, wurde alle Arbeit an der Perspektive des IKVI für dieses Land beendet, sobald die Spaltung vollzogen war. Trotz der engen historischen Verbindung der trotzkistischen Bewegung mit dem Proletariat dieses Landes – seine Probleme sind das Thema etlicher der bedeutendsten Schriften Trotzkis gewesen! – gab die SLL die französische Arbeiterklasse einfach auf.

Aus welchem Grund ging die Socialist Labour League auf diese Weise vor? Die Antwort muss vor allen Dingen in der politischen Entwicklung des Klassenkampfs in Großbritannien und der Arbeit der britischen Sektion gefunden werden. Die Zuspitzung des Klassenkampfs unter einer Tory-Regierung führte zu einem elementaren Aufschwung in der Arbeiterklasse, der es, wie wir bereits feststellten, der SLL ermöglichte, Hunderte von neuen Mitgliedern zu rekrutieren. Doch trotz der vielen organisatorischen Erfolge, so wichtig diese waren, begann ein Prozess politischer Anpassung an den spontanen Aufschwung der Arbeiterklasse in Großbritannien – und dies äußerte sich politisch beinahe sofort in einer Änderung der Haltung der britischen Führer gegenüber dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale.

Ironischerweise reagierte die SLL-Führung auf das Wachsen ihrer Organisation weitgehend genauso, wie zuvor die OCI auf ihre eigenen politischen Erfolge. Healy, Banda und Slaughter begannen, das IKVI als Hilfsmittel für die praktische Arbeit in Großbritannien zu betrachten. Das Wachstum der SLL wurde immer mehr als die Grundlage für die künftige Entwicklung des IKVI gesehen, und nicht der Aufbau des IKVI als Vorbedingung für die Festigung und Weiterentwicklung der Errungenschaften der britischen Bewegung. Ihre Haltung gegenüber dem IKVI und seinen kleinen und politisch unerfahrenen Sektionen ähnelte der Verachtung, mit der die „große“ ILP der dreißiger Jahre der Vierten Internationale begegnet war.

Die Hast, mit der die SLL – ohne einen gründlichen Kampf gegen den Zentrismus im gesamten Internationalen Komitee und in den eigenen Reihen – die Spaltung von der OCI vollzog, war eine Anpassung an den spontanen Aufschwung der britischen Arbeiterbewegung und ein schwerwiegender Rückzug vom Kampf, die Vierte Internationale aufzubauen. Trotz der Warnung, die sie selbst ein Jahrzehnt zuvor ausgesprochen hatte, versäumte es die SLL, den politischen Kampf gegen den Zentrismus in der Vierten Internationale voranzutreiben und die Lehren aus diesem Kampf zur Grundlage der politischen Erziehung ihrer eigenen Mitglieder zu machen. Dies geschah zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Gerade weil breite Schichten neu in die SLL kamen, war es notwendiger denn je zuvor, diese Kräfte auf die historischen Grundlagen der trotzkistischen Weltbewegung und den ununterbrochenen Kampf gegen alle Formen des Revisionismus zu gründen.

Dieser Rückzug untergrub unweigerlich die vorangegangenen Errungenschaften der SLL. Da die neuen Kräfte nicht auf große internationale Prinzipien gegründet und darin durch ein klares Verständnis der Weltperspektiven gestärkt wurden, nahmen die Beziehungen innerhalb der Partei zwangsläufig einen immer pragmatischeren Charakter an: sie beruhten auf begrenzten taktischen Vereinbarungen über unmittelbare Ziele („Stürzt die Tory-Regierung!“). Außerdem waren die Mitglieder, da sie politisch nicht ausgebildet wurden, schutzlos den Schwankungen in der Stimmung verschiedener Klassenkräfte ausgesetzt. Und die Führer selbst begannen sich daran anzupassen, nachdem sie es versäumt hatten, die grundlegenden Lehren der Kämpfe der vorangegangenen Periode zu ziehen.

Innerhalb sehr kurzer Zeit begann so die SLL unter dem Druck gewaltiger Klassenkräfte, die durch den Ausbruch der kapitalistischen Weltkrise 1971-1973 entfesselt wurden, sich sehr schnell auf den Zentrismus hinzuentwickeln. Dies war der enorme Preis, den die Healy-Führung dafür zahlte, dass sie die Verpflichtung nicht eingehalten hatte, die sie 1961 gegenüber der Vierten Internationale eingegangen war.