Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
Wie die Workers Revolutionary Party den Trotzkismus verraten hat 1973 – 1985

Die WRP verteidigt den Stalinismus

Der milde Ton der Bemerkungen über den Stalinismus in den Sechs Gründen war ebenso wenig zufällig wie die anderen opportunistischen Formulierungen, die wir bis hierher untersucht haben. Ohne jede Diskussion in der WRP, geschweige denn im Internationalen Komitee, pflegte Healy private Beziehungen zu den Stalinisten. Das internationale Komitee verfügt noch nicht über alle diesbezüglichen Tatsachen, möchte aber auf folgende Punkte aufmerksam machen:

1. 1980 erlaubte die Sowjetunion dem News Line-Sportreporter Paul Feldmann, den Olympischen Spielen in Moskau beizuwohnen, und er wurde wärmstens empfangen – ein Ereignis, das in der Geschichte des Internationalen Komitees ohne Beispiel ist.

2. Die Sowjetbürokratie gewährte New Park Publications die Rechte für die englische Ausgabe von E.W. Iljenkows Lenins Dialektik und die Metaphysik des Positivismus. Ein Mitglied der Workers League der Vereinigten Staaten wurde beauftragt, dieses Buch zu übersetzen, aber die amerikanischen Trotzkisten erfuhren nichts über die vertraglichen Vereinbarungen, die die Workers Revolutionary Party eingegangen war.

3. 1982 veröffentlichte die Workers League in ihrer Zeitung Bulletin eine ausführliche Analyse über die Krise der Sowjetwirtschaft. Sie war eine Antwort auf den Versuch der amerikanischen Pablisten, die verstaatlichte Industrie zu verherrlichen. Dieser Artikel wurde von der WRP nirgendwo nachgedruckt. Die einzige Erklärung für diese Zensur lautete, der Artikel sei „einseitig“. Ganz anders als das Bulletin wurde die sowjetische Nachrichtenagentur Nowosti behandelt: die News Line hatte gerade ohne jeglichen kritischen Kommentar einen ihrer Artikel veröffentlicht, in dem die Bedingungen in der sowjetischen Stahlindustrie gepriesen wurden.

4. Über die Solidarnosc – Bewegung in Polen wurde nur gelegentlich und ohne jede politische Tiefe berichtet. Die News Line erstellte keine einzige Analyse über die programmatischen Dokumente der zahlreichen Tendenzen links von Walesa. Eine einzige – oberflächlich journalistische – Artikelserie entstand, als die Frau eines Parteimitglieds nach Polen reiste, um ihre Familie zu besuchen. Während die News Line in der Lage war, eine Reise zur Olympiade nach Moskau zu arrangieren, wurde keinerlei Versuch unternommen, eine Reise nach Warschau genehmigt zu bekommen. Die größte Bestätigung für Trotzkis Auffassung der politischen Revolution wurde vom theoretischen Standpunkt her völlig ignoriert. Erst 1983 – fast zwei Jahre nach der Unterdrückung von Solidarnosc – entschied die WRP, dass es nun an der Zeit sei, eine große Frage daraus zu machen; und zwar, um einen gewaltigen Presseskandal auf Kosten Arthur Scargills während der Konferenz des TUC in Blackpool zu inszenieren.

Vorausgesetzt dass nicht mehr dahinter steckt, zeigten diese Ereignisse eine stetige Aufweichung der politischen Linie der Workers Revolutionary Party gegenüber dem Stalinismus.

Im Juni 1983 brach in der britischen Kommunistischen Partei eine Krise aus, weil die Redaktion des Morning Star die Kontrolle über die Zeitung an sich riss. Die Reaktion der WRP lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die Prinzipien des Trotzkismus zugunsten irgendwelcher heimlicher Manöver verraten wurden, von denen niemand in der WRP – außer der Clique im Politischen Komitee und einigen Lakaien Healys im Apparat – etwas wusste.

Nachdem die Peoples Press Printing Society – in der die sogenannte „Tankie“-Fraktion der Stalinisten das Sagen hatte – entschieden hatte, den Morning Star unter ihre Kontrolle zu bringen und von den Bürokraten der KPGB keine Anweisungen mehr entgegenzunehmen, reagierte die News Line mit einer einmaligen Kampagne, um die Arbeiterbewegung zur Unterstützung des eurostalinistischen KP-Chefs McLennan und seiner Kumpane zu mobilisieren.

„Der ‚Morning Star‘ ist die Tageszeitung der Kommunistischen Partei“, zeterte die Überschrift zu einer Erklärung der Workers Revolutionary Party (ein Gremium wurde als Verfasser nicht genannt), die in der News Line vom 6. Juni 1983 erschien. In der Erklärung stand:

Die Kommunistische Partei hat jedes Recht, politische Entscheidungen zu treffen und darauf zu bestehen, dass ihre Mitglieder in der PPPS und der Redaktion des ‚Morning Star‘ sie durchführen. Dies gilt auch für den ‚Star‘-Herausgeber Tony Chater, den die stellvertretenden Herausgeber David Whitfield und die Sekretärin der PPPS, Mary Rosser ... Alle Fragen, die Politik wie auch Geschäftsführung des ‚Star‘ betreffen, sind Fragen der Kommunistischen Partei. Das geschäftsführende Komitee der PPPS ist dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Partei untergeordnet und nicht umgekehrt.

Ohne auch nur ansatzweise die politische Line der streitenden Fraktionen innerhalb der Kommunistischen Partei zu untersuchen, unterstützte die News Line bedingungslos das „Recht“ der stalinistischen Häuptlinge, ihre bürokratische Kontrolle über den Morning Star wieder geltend zu machen. Außerdem wurde nicht begründet, warum die trotzkistischen Bewegung die eine oder andere Fraktion der streitenden Stalinisten unterstützen sollte. Nichts wies darauf hin, dass die Übernahme des Morning Star durch die PPPS etwa auf einen Angriff des Staates zurückzuführen wäre. Es gab auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine der Fraktionen, wenn auch in verzerrter Form, die Interessen der Arbeiterklasse ausdrückte. Es war ganz klar ein Gerangel unter Dieben, das damit zusammenhing, dass verschiedene KPGB-Führer Bündnisse mit unterschiedlichen Teilen der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie eingegangen waren. Wenn überhaupt, bildete die Fraktion von McLennan den äußersten rechten Flügel der Kommunistischen Partei, der sogar mit den Tories und der Sozialdemokratischen Allianz liebäugelte. Auf dieser Grundlage hätte man – wenn auch törichte – Gründe zusammenbasteln können, Chater zu unterstützen. Von daher ist sehr schwer zu verstehen, was Healy und Mitchell im Juni 1983 erreichen wollten. Vielleicht wusste es Mike Banda, aber er hat es nie jemandem erzählt.

Die Ausgabe der News Line vom 8. Juni stellte die WRP in die Dienste der KPGB- Führung und veröffentlichte im vollen Wortlaut eine Erklärung ihres Politischen Komitees, die den euro-stalinistischen Standpunkt in der Affäre wiedergab. In einem begleitenden Artikel warnte die News Line, „dass es ein politischer Coup gegen die Kommunistische Partei wäre,“ wenn es der PPPS gelänge, die Kontrolle über den Morning Star zu erlangen. Sie bestand erneut darauf, dass „die Kommunistische Partei ein Recht hat, eine eigene Tageszeitung zu veröffentlichen.“

Da sich WRP-Mitglieder fragten, was das alles solle, und das ganze schlüpfrige Geschäft so langsam zum Himmel stank, rückte Healy schließlich mit einer tief schürfenden Begründung für das neueste Manöver heraus:

Nach den jüngsten Ereignissen sieht es so aus als ob die Kommunistische Partei Schwierigkeiten haben wird, ihre politischen Erklärungen und Meinungen zu veröffentlichen. (News Line, 15. Juni 1983)

Die britischen Trotzkisten hatten also vor allem die Pflicht, die Arbeiterbewegung vor diesem schrecklichen Verlust zu bewahren! Es folgte eine weitere, noch tiefsinnigere Begründung für die Verteidigung der KPGB-Führung:

Die neue politische Linie (des ‚Morning Star‘) bedeutet die Zerstörung der historischen Bindung an die Partei und die Orientierung hin zur Gewerkschaftsbürokratie und der Labour Party. (ebd.)

Zu wem hatten sich denn die Stalinisten vor dem Chater-„Coup“ hinorientiert? Hatte Healy vielleicht die offizielle Annahme des parlamentarischen Wegs zum Sozialismus durch die KP 1951 vergessen? Oder ihre begeisterte Unterstützung für Churchill während des Zweiten Weltkriegs? Oder ihren Beifall für Trotzkis Ermordung 1940?

Dann gab Healy der McLennan-Fraktion einen freundschaftlichen Rat:

Die Parteiführung hat die klare Verantwortung, einen Sonderkongress einzuberufen, um die Übernahme des ‚Morning Star‘ durch Chater zu diskutieren. Sie muss politische Grundsätze formulieren und in den Seiten des ‚Star‘ durchsetzen. Außerdem muss der Kongress ein außerordentliches Treffen der PPPS und eine Versammlung der Anteilseigner einberufen, um Chater und Co. und all diejenigen, die die Parteidisziplin brechen und spalten wollen, hinauszuwerfen. Der prinzipielle politische Standpunkt bleibt, trotz unserer wohl bekannten Kritik am Stalinismus: Der ‚Morning Star‘ ist die Tageszeitung der Kommunistischen Partei und muss es auch bleiben. (ebd.)

Trotzkisten sollten also bedingungslos stalinistische Organisationen gegen Spaltungen in ihren eigenen Reihen verteidigen und dafür eintreten, dass ihre bürokratische Disziplin aufrechterhalten bleibt. Ein ganz neues Prinzip! Healy verriet den Mitgliedern der WRP nicht, ob es auch noch in das Übergangsprogramm hineingeschrieben oder diesem zumindest als Zusatzresolution beigefügt werden sollte.

In Healys Büro und in der Redaktion der News Line wuchs die Besorgnis um das Schicksal des Morning Star weiter an. Am nächsten Tag erschien ein Leitartikel, der bitterlich klagte:

Der Chater-Rosser-Plan wurde der Kommunistischen Partei nie zur Prüfung und Diskussion vorgelegt. Er ist die Ausgeburt einer Hand voll Leute im geschäftsführenden Komitee der PPPS. Mit anderen Worten, das Schicksal des ‚Morning Star‘ soll von einer winzigen Minderheit entschieden werden, die sich niemals die Mühe machte, die Führung oder die Mitgliedschaft der Partei nach ihrer Meinung zu fragen.

Solche Zustände hatte es in der Kommunistischen Partei ja nun wirklich noch nie gegeben! Mehr als 55 Jahre nach dem Ausschluss Leo Trotzkis aus der Kommunistischen Internationale – womit die thermidorianische Bürokratie der sowjetischen Arbeiterklasse die politische Macht entriss – und fünfzig Jahre nach der völligen Verwandlung der stalinistischen Parteien in politische Instrumente der Konterrevolution lamentierte Healy, einst selbst ein Opfer der stalinistischen „innerparteilichen Demokratie“, darüber, dass Chater jetzt mit McLennan genauso umsprang, wie McLennan jahrelang mit anderen umgesprungen war.

Als Nächstes ordnete Healy an, dass das Politische Komitee der WRP einen Offenen Brief an die Mitglieder der Kommunistischen Partei schrieb, der am 24. Juni 1983 in der News Line erschien. Er begann dramatisch:

Eure Tageszeitung, der ‚Morning Star‘, wurde Opfer eines geglückten politischen Handstreichs. Er steht nicht länger unter politischer Kontrolle der Kommunistischen Partei Großbritanniens oder deren Kongress.

Dieses Ereignis, behauptete der Brief,

bedeutet nicht nur eine Zurückweisung der Kommunistischen Partei, sondern auch der historischen Grundlagen, auf denen die Partei aufgebaut wurde, nämlich der Verteidigung der großen Errungenschaften der Russischen Revolution von 1917 unter Führung von Lenin und Trotzki und der Errichtung des ersten Arbeiterstaates in der Geschichte.

Zunächst einmal beruhte die Behauptung, dass die KPGB irgendwie auf den „historischen Grundlagen“ von 1917 beruhe, auf einem hohlen Trugschluss. Die historische Verwandlung des Stalinismus in eine Agentur des Imperialismus innerhalb der Arbeiterbewegung hat alle seine Verbindungen zu 1917 abgeschnitten. Nach Healys Logik könnte die IV. Internationale ebensogut den KGB verteidigen, weil er geschichtlich auf die Tscheka zurückgeht. Wenn es richtig ist, – auf der Grundlage einer Art organisatorischer Metaphysik – eine Fraktion der britischen Kommunistischen Partei zu unterstützen, dann könnte sich die Vierte Internationale auch zum Hüter der herrschenden stalinistischen Fraktionen in aller Welt aufschwingen, von der UdSSR bis nach Afghanistan.

Aus einem weiteren Grund war diese Erklärung von außerordentlicher Bedeutung: Sie gipfelte in einer völligen Zustimmung zur stalinistischen Theorie über die Kommunistische Partei. Die Idee, dass die KPGB gegründet worden sei, um die Sowjetunion zu verteidigen, stammt von Stalin und Harry Pollit, nicht von Lenin und Trotzki. Die Auffassung, dass die Sektionen der Komintern dazu dienten, die UdSSR zu verteidigen, war die politische Folge der Theorie des „Sozialismus in einem Land“. Wenn man die zentrale Aufgabe der kommunistischen Parteien in der Verteidigung „der großen Errungenschaften der russischen Revolution von 1917“ sieht – und nicht in der Ausdehnung der sozialistischen Weltrevolution –, dann ist die logische Folge, dass diese Parteien als Hilfsmittel des sowjetischen Staates und dessen Außenpolitik dienen müssen.

Trotzki schrieb über Stalins Theorie:

Die neue Lehre verkündet, dass der Sozialismus auf dem Boden eines nationalen Staats aufgebaut werden kann, wenn nur keine Intervention dazwischenkommt. Daraus kann und muss sich ungeachtet aller feierlichen Erklärungen im Programmentwurf eine Politik der Kollaboration mit der ausländischen Bourgeoisie ergeben. Das Ziel ist die Vermeidung einer Intervention, denn dadurch wird ja der Aufbau des Sozialismus gesichert, d.h. die historische Grundfrage gelöst. Die Aufgaben der Kommunistischen Parteien bekommen dadurch lediglich einen Hilfscharakter. Sie sollen die UdSSR vor einer Intervention schützen und nicht etwa für die Eroberung der Macht kämpfen. Es geht hierbei natürlich nicht um subjektive Absichten, sondern um die objektive Logik des politischen Denkens. (Die Dritte Internationale nach Lenin, S. 77)

Für Trotzkisten ist die Verteidigung der Sowjetunion eine taktische Aufgabe, die der Strategie, die sozialistische Weltrevolution auszudehnen, untergeordnet ist.

Healys grober Irrtum, der im Politischen Komitee weder berichtigt noch angegriffen wurde, hing mit einer Arbeitsmethode zusammen, bei der Prinzipien weder diskutiert noch in Betracht gezogen wurden. Alles, was die WRP unternahm, ging auf unmittelbare taktische Erwägungen zurück. In diesem Sinne schwamm Healy auf der Oberfläche der Politik – er reagierte auf die Ereignisse, wie sie gerade kamen, und bestimmte die politische Linie nach dem Motto „gut ist, was schnelle Erfolge bringt“. Eine solche Arbeitsmethode ist untrennbar mit schmutzigen Manövern und den schlimmsten Formen politischer Hirnlosigkeit verbunden. Eine Taktik, die auf der Grundlage unmittelbarer Erfolge ausgearbeitet wird, stellt die Partei unweigerlich in den Dienst feindlicher Klassenkräfte. Schließen wir für den Moment die Möglichkeit aus, dass es irgendwelche anderen Motive für die Verteidigung der McLennan-Fraktion gab. in diesem Fall gründete sich Healys Vorgehensweise auf einen taktischen Opportunismus, der darauf abzielte, bei so vielen Mitgliedern der Kommunistischen Partei wie möglich Gehör zu finden. Aber der politische Inhalt dieser Politik sorgte dafür, dass die WRP nur ganz bestimmte Ohren erreichte.

Die Politik der News Line war in diesem Fall nicht darauf ausgerichtet, die Mitgliedschaft der WRP, die fortgeschrittenen Arbeiter und die wenigen gesunden Elemente, die es in beiden Fraktionen der stalinistischen Partei geben mochte, zu erziehen. Sondern sie zielte darauf ab, sich die Gunst einer Schicht degenerierter stalinistischer Gewerkschaftsbürokraten vom Schlage McGaheys zu erschmeicheln, die aus ihren eigenen rechten Beweggründen McLennan unterstützten. Diese Art von Eingreifen mag Healy ein paar neue Freunde gebracht haben, taugte aber überhaupt nicht dazu, den Kampf gegen den Stalinismus in der britischen Arbeiterbewegung zu entwickeln und neue Kräfte für den Trotzkismus zu gewinnen.

Nur vier Jahre, nachdem sie dem irakischen Baath-Regime das Recht zugesprochen hatte, Mitglieder der dortigen stalinistischen Partei hinzurichten, landete die WRP aufgrund ihres taktischen Opportunismus bei dem Versuch, in der Arbeiterbewegung Unterstützung für das „Recht“ der KPGB-Führung zu mobilisieren, den Morning Star herauszugeben!