Der Rücktritt des französischen Finanzministers

Der Rücktritt von Finanzminister Dominique Strauss-Kahn hat die französische Regierung von Lionel Jospin in die bisher schwerste Krise ihrer zweieinhalbjährigen Amtszeit gestürzt.

Strauss-Kahn legte am 2. November sein Amt nieder, nachdem bekannt geworden war, dass die Eröffnung eines formellen Ermittlungsverfahrens gegen ihn unmittelbar bevorsteht. Er wird verdächtigt, kurz vor seinem Amtsantritt von der studentischen Versorgungskasse MNEF ein Beraterhonorar von 180.000 DM kassiert zu haben, ohne dass er dafür eine Leistung erbrachte.

Diese Vorwürfe sind nicht neu. Strauss-Kahn hatte aber bisher stets seine Unschuld beteuert. Er bestreitet nicht den Empfang des Honorars, behauptet aber, er sei dafür zwei Jahre lang für die MNEF tätig gewesen und habe maßgeblich am Zustandekommen eines Beteiligungsgeschäfts von 7 Millionen DM mitgewirkt. Sein Honorar bewege sich daher durchaus im Rahmen des Üblichen.

Vergangene Woche wurde nun bekannt, dass Dokumente, die diese Tätigkeit belegen sollen, gefälscht worden sind. Die Analyse in einem Polizeilabor ergab, dass Papier und Schrifttypen zu dem Zeitpunkt, an dem die entlastenden Dokumente datiert wurden, noch gar nicht existierten, dass diese also nachträglich angefertigt und rückdatiert worden sind. Angesichts dieser kompromittierenden Beweislage trat Strauss-Kahn zurück. Sein Rücktritt sei kein Schuldeingeständnis, sondern eine moralische Verpflichtung, erklärte er. Er werde sich nun als "freier Mann" vor der Justiz verantworten können.

Für die Regierung Jospin ist die Verwicklung ihres prominentesten Ministers in einen Korruptionsskandal äußerst peinlich. Jospin verdankt seine Popularität nicht zuletzt seinem Ruf als moralisch integrer "Saubermann". Nachdem sowohl die Sozialistische als auch die bürgerlichen Parteien über Jahre hinweg von Korruptionsaffären erschüttert worden sind, hat er stets betont, dass er in seiner Umgebung keinerlei Korruption dulden werde. Dieser Ruf ist nun beschädigt. Um zu verhindern, dass er ganz zerstört wird, musste Strauss-Kahn so ungewöhnlich rasch zurücktreten.

Mit Strauss-Kahn verliert Jospin seinen wichtigsten Mitarbeiter. Der Stil seiner Regierung ist oft ironisch mit den Worten: "Links blinken, rechts abbiegen" umschrieben worden. Während sie sich in Symbolik und Rhetorik links gab, unterschied sich ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht wesentlich von jener der anderen europäischen Regierungen. Zwischen Jospin und Strauss-Kahn - beide sind seit zwanzig Jahren eng befreundet - bestand dabei eine Art Arbeitsteilung: Jospin war für das Blinken, Strauss-Kahn für das Abbiegen verantwortlich.

Strauss-Kahn ist im Unternehmerlager so populär, dass dies für die Sozialisten teilweise beschämend wirkte. So als Ernest-Antoine Sellière, Chef eines Unternehmerverbandes, im Juli verkündete: "Wir haben einen sehr guten Finanzminister, vielleicht den besten des Universums... Er tut sein Bestes, damit den Unternehmern keine Hindernisse in den Weg gelegt werden." Laut Süddeutscher Zeitung war Strauss-Kahn "für die Welt der Wirtschaft ein Garant für eine mehr liberale als linke Politik".

Frankreich verzeichnet zur Zeit eine der höchsten Wachstumsraten in Europa. Niedrige Zinsen, verbunden mit einer Senkung der Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen haben die Nachfrage nach Immobilien, Autos und Konsumgütern erheblich angekurbelt. Die Erhöhung der Steuern auf Vermögen, Kapitalerträge und Erbschaften haben paradoxerweise in dieselbe Richtung gewirkt: es wird weniger gespart und mehr ausgegeben. In den ersten sechs Monaten 1999 stieg der Kauf von Eigentumswohnungen und Häusern um 62 Prozent; im Sommer 1999 kam es zu einem Konsumrausch, so verzeichnete zum Beispiel die Galeries Lafayette in Paris im Bereich der Luxusartikel einen historischen Umsatzrekord.

Nutznießer dieser Wirtschaftspolitik war vorwiegend die Oberschicht und die obere Mittelklasse, während die Zahl der Arbeiter, die vom Mindestlohn oder noch weniger leben müssen, ganz erheblich zugenommen hat. Die Zahl der offiziell Armen beträgt immer noch sechs Millionen. Um die Staatskasse zu füllen, hat Strauss-Kahn zudem mehr Staatsunternehmen privatisiert als alle seine konservativen Vorgänger zusammengenommen. Diese Privatisierungsbemühungen waren meist am Widerstand der Belegschaften gescheitert.

Auch in europäischen Wirtschaftskreisen genießt der fließend deutsch, englisch und spanisch sprechende Strauss-Kahn Anerkennung. Der Erfolg des Euro wird in wesentlichen Teilen ihm zugeschrieben, weil es ihm in kurzer Zeit gelungen war, das französische Haushaltsdefizit auf die in Maastricht vereinbarte Höhe zurückzuschrauben. Seither macht er sich für eine stärkere politische Koordination der Euro-Länder stark. Die Financial Times bezeichnet ihn deshalb als "einen der gewichtigeren politischen Macher der Eurozone" und klagt: "Nach dem Weggang von Mr. Strauss-Kahn ist nicht klar, wer Führung geben wird."

Vor allem in Deutschland verfügt Strauss-Kahn aufgrund seines Einsatzes für den Euro über hohes Ansehen. Er ist mit Oskar Lafontaine befreundet, unterhält aber auch zu dessen Vorgänger und Nachfolger im Finanzministerium, Theo Waigel und Hans Eichel, gute Beziehungen. Helmut Kohl schätzte ihn so hoch ein, dass er Präsident Chirac auf dem Luxemburger EU-Gipfel aufforderte: "Lass das Dominique machen." Strauss-Kahn sollte im Namen Frankreichs und Deutschlands sprechen, um zu verhindern, dass der deutsche Finanzminister Theo Waigel den Euro im letzten Moment in Gefahr brachte.

Nach Strauss-Kahns Rücktritt wird befürchtet, dass die französische Regierung insgesamt ins Schwanken gerät. Strauss-Kahn war es immer wieder gelungen, seine Politik auch den verschiedenen Koalitionspartnern der Sozialisten schmackhaft zu machen - den Kommunisten, den Grünen und den Radikal-Sozialisten. Seinem Nachfolger Christian Sautter wird dies nicht zugetraut. Der bisherige Staatssekretär im Finanzministerium will zwar Strauss-Kahns Kurs fortsetzen, er gilt aber als farbloser Bürokrat ohne politische Durchsetzungskraft.

Bereits in den vergangenen Wochen hat die Regierung Jospin zunehmend Krisensymptome gezeigt.

Anfang September geriet sie in Bedrängnis, als der Reifenkonzern Michelin Massenentlassungen ankündigte und gleichzeitig Rekordprofite bekannt gab. Als Jospin erklärte, die Regierung werde sich nicht in die Angelegenheiten der Wirtschaft einmischen, löste er einen Sturm der Empörung aus und musste zurückrudern.

Mitte Oktober organisierte die Kommunistische Partei gemeinsam mit den sogenannten Ultra-Linken - Lutte Ouvrière und Ligue Communiste Internationaliste - eine Demonstration gegen die Politik der Regierung, in der sie selbst sitzt. Rund 50.000 Demonstranten wandten sich dagegen, dass das Gesetz zur 35-Stunden-Woche in einen Hebel zur Flexibilisierung der Arbeitszeit verwandelt wird.

Nur wenige Stunden vor Strauss-Kahns Rücktritt beschloss die Fraktion der Kommunistischen Partei, im Parlament gegen ein Gesetz zur die Finanzierung der Sozialversicherung zu stimmen. Erst nach zweistündigen Telefonaten aus dem Regierungssitz nahm sie die Entscheidung zurück, um der Regierung durch Stimmenthaltung eine Niederlage zu ersparen.

Hintergrund dieser heftigen Konflikte ist die Tatsache, dass unter Jospin keines der grundlegenden sozialen Probleme der französischen Gesellschaft gelöst worden ist. Vor allem die Frage der Finanzierung des Sozialsystems, die 1995 wochenlange Proteste ausgelöst hatte, wurde immer wieder auf die lange Bank geschoben. Der Versuch, hier drastische Einschnitte vorzunehmen, löst unweigerlich heftige Spannungen innerhalb der Regierung aus.

Dabei geht es weniger um die Folgen für die Bevölkerung, als um die Pfründe der verschiedenen Interessengruppen, aus denen sich die Regierung zusammensetzt. Die Sozialversicherung, die von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften gemeinsam verwaltet wird, ist eine lukrative Einkommensquelle für die Funktionäre von Gewerkschaften und Parteien.

Der MNEF-Skandal ist in dieser Hinsicht bezeichnend und noch lange nicht ausgestanden. Strauss-Kahn war zwar sein erstes Opfer, aber nicht die zentrale Figur. Gegen andere Funktionäre der Sozialistischen Partei werden sehr viel schwerwiegendere Vorwürfe erhoben. Sie sollen jahrelang auf den Lohnlisten der MNEF gestanden haben, Millionen mit trickreichen Grundstücksgeschäften verdient und Werbekampagnen der Partei durch die MNEF finanziert haben.

Die MNEF, eine Art Sozialversicherung für Studenten, wurde ursprünglich von der Studentengewerkschaft UNEF-ID kontrolliert. Ende der siebziger Jahre übernahmen in der UNEF-ID aktive Mitglieder der Organisation Communiste Internationaliste (OCI) die Leitung, von denen später viele in die Sozialistische Partei übertraten. Die MNEF entwickelte sie sich zu einem Konzern mit 300 Millionen DM Jahresumsatz, der auch Studentenwohnheime betreibt, mit Immobilien handelt und eine Druckerei betreibt.

In den Skandal verwickelt ist unter anderen Jean-Christoph Cambadelis, der zweite Mann der Sozialistischen Partei. Das frühere OCI-Mitglied soll jahrelang gleichzeitig auf mehreren Gehaltslisten der MNEF gestanden haben. Eine weitere zentrale Figur des Skandals ist Jean-Marie Le Guen, Vorsitzender der Sozialistischen Partei in Paris, der der MNEF viele Jahre vorsaß.

Es handelt sich fast ausschließlich um Leute, die Jospin nahe stehen und maßgeblich daran beteiligt waren, ihn zum Spitzenmann der Sozialistischen Partei aufzubauen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass auch Jospin selbst noch in den Strudel des Skandals gezogen wird.

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