Die Kommunalwahlen in Frankreich

Der erste Wahlgang der französischen Kommunalwahlen, der am 11. März stattfand - das wichtigste Wählervotum seit Amtsantritt der Mehrheitslinken -, hat gezeigt, dass die Parteien der Regierungskoalition im Vergleich zur rechten Opposition nur sehr wenig hinzugewonnen haben. Nachdem die Meinungsumfragen noch eine "rosa Welle" vorausgesagt hatten, gelang es im allgemeinen den traditionell rechten Parteien (RPR - Rassemblement pour la Republique, UDF - Union pour la démocratie française und DL - Liberale Demokraten) die von ihnen regierten Städte zu halten. Überall da, wo die Regierungsparteien Gewinne verbuchen konnten, profitierten sie von der offensichtlichen Krise der Rechtsparteien.

Die Wahlenthaltung lag bei über 33 Prozent (leicht höher als bei den letzten Kommunalwahlen 1995, als die höchste Wahlenthaltung überhaupt bei einer Wahl dieser Art verzeichnet wurde), was auf eine starke Abwendung von der Politik hinweist. Immerhin lag die Wahlbeteiligung in Städten wie Paris, Lyon oder Toulouse, in denen eine wichtige Entscheidung anstand, etwas höher.

In den Städten, in denen den Umfragen zufolge die Sozialistische Partei (PS - Parti socialiste) gegen die Rechten hätte gewinnen müssen, erreichte sie ihr Ziel nur mit Mühe. In wichtigen Städten wie Lyon, Toulouse, Lille und sogar Paris, wo die PS effektiv vorne liegt, sind ihre Stimmergebnisse im allgemeinen weniger bedeutend, als von den Umfragen vorausgesagt. In anderen Großstädten, wie z.B. Straßburg, hat die PS viele Stimmen verloren. In mehreren Städten, wo Minister der aktuellen Jospin-Regierung antraten, sind sie schon aus dem Rennen oder kamen jedenfalls schlecht weg (z.B. in Avignon, Béziers oder Blois). Laut Zeitungsberichten konnten die Wahlversammlungen der PS im Vergleich zur letzten Europawahl nur noch einen Bruchteil der Menschen anziehen. Dies steht im Gegensatz zur Aktionsfreudigkeit von Listen, die sich auf Wähler stützen, die mit der Regierungspolitik unzufrieden sind.

Die Stimmenverluste der Kommunistischen Partei (PCF - Parti communiste français) zeigen, dass diese Partei ihren Einfluss immer mehr verliert. In vielen Städten, die sie bisher kontrolliert hat, geriet sie in Schwierigkeiten. Die PCF läuft sogar Gefahr, Nîmes zu verlieren, die einzige von ihr regierte Stadt mit über 100.000 Einwohnern. Die PCF, die als wichtigster Bündnispartner der PS im Zentrum der Linkskoalition fungiert, hatte ein Wahlabkommen mit der PS geschlossen und in zahlreichen Städten gemeinsame Listen mit ihr aufgestellt. Umso direkter wurde sie mit dieser Partei und mit der Regierungspolitik identifiziert. Die PCF hatte ihren Wahlvertrag als "den besten seit 1977 unterschriebenen" bezeichnet. Mit den zahlreichen Kommunen, in denen sie bis vor kurzem noch die Regierung stellte, kontrollierte sie fast 4,5 Millionen Menschen (acht Prozent der Bevölkerung).

Die Stimmen für die Grünen haben leicht zugenommen, wenn sie auch nicht massiv angewachsen sind. Die Grünen, die den Vertrag mit der PS für einheitliche Wahllisten nicht unterzeichnet haben, können nun die relativ niedrige Stimmabgabe für die PS und ihre eigene leichte Zunahme nutzen, um Druck auf die PS auszuüben und ihren Vorteil daraus zu ziehen. Seit der Bekanntgabe der Wahlresultate haben die Grünen überall ihre Listen mit denen der PS zusammengelegt. Ein neues Wahlgesetz erlaubt es, dass die Listen, die sich bis in die zweite Runde halten können - d. h. die über zehn Prozent der Stimmen erhalten - sich zusammenschließen, und nicht wie bisher nur zugunsten einer andern Liste verzichten können.

Der Einflussverlust der PCF und das relativ gute Ergebnis der Grünen haben bereits bewirkt, dass die sozialistischen Führer den Grünen in den lokalen Verwaltungen mehr Platz einräumen, und dies dürfte sich auch auf Regierungsebene auswirken. Es ist wahrscheinlich, dass die PCF auf eine Hilfskraft reduziert wird und die Grünen zum wichtigsten Partner der PS in der Koalition aufsteigen werden.

Der PCF ist auf der Linken durch Parteienlisten Konkurrenz erwachsen, die als "Linksextreme" oder "Bürgerlisten" bezeichnet werden. Die letzteren, die das politische Vakuum auszufüllen versuchen, das die Koalitionsparteien hinterlassen haben, sind Listen mit einem äußerst verschwommenen Programm. Sie halten sich für radikaler als die traditionelle Linke und nehmen im allgemeinen mehr Demokratie und Bürgernähe für sich in Anspruch, um die Stimmen "jenseits der alten Linken" einzusammeln. Ein typisches Beispiel für diese Gruppen sind die "Motivierten", die in zahlreichen Städten aus dem Nichts aufgetaucht sind und manchmal relativ hohe Ergebnisse erreicht haben. Die Liste der "Motivierten" in Toulouse, die 12 Prozent erhielt, hat sich um eine Musikgruppe namens "Zebda" gebildet. Inzwischen hat sich diese Liste, sobald in dieser Stadt die Wahlresultate bekannt gegeben wurden, in Verhandlungen mit der PS gestürzt und will sich mit deren Liste zusammenschließen.

Die "linksextremen" Parteien, d.h. diejenigen, die sich (zu Unrecht) auf den Trotzkismus berufen, haben ihrerseits ganz bedeutend zugelegt. So hat Lutte Ouvrière (LO) in 129 Städten Listen aufgelegt, die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) in 93 und die Parti des Travailleurs (PT) in 146 Städten. Diese Parteien haben die Zahl ihrer Listen seit 1995 verdoppelt und könnten, nach Presseschätzungen, am Ende des zweiten Wahlgangs an die hundert Abgeordnete stellen, und nicht nur ein paar vereinzelte wie bisher. Diese Parteien waren ganz besonders in den Industriezentren vertreten, und ihre guten Ergebnisse verschaffen ihnen in vielen Fällen die Position des Züngleins an der Waage. In zahlreichen Städten beinhalten diese Listen auch unzufriedene Mitglieder der PCF.

In einigen Städten hat die LCR gemeinsame Kommunallisten mit dem offiziellen PCF-Ortsverband aufgestellt, und in ihrem Leitartikel vom 9. März beschwerte sich die Parteizeitung Rouge über die Tatsache, dass die PCF, indem sie vor den Wahlen einen Pakt mit der PS unterzeichnet hat, eine mögliche "Öffnung" verhindert hätte. Alle diese Organisationen sind im ersten Wahlgang getrennt voneinander angetreten. Lutte Ouvrière hat an einigen Orten Ergebnisse von nahezu zwanzig Prozent erreicht. Einige Kommentatoren gelangten zum Schluss, dass die PCF in der Gunst der Wähler durch die "Linksextremen" ersetzt worden sei.

Sie stellten auch fest, dass die Stimmen für die Mehrheitslinke nicht aus der einfachen Bevölkerung kamen. Ihrer Ansicht nach erhielten die Grünen vor allem Stimmen aus dem "qualifizierten Kleinbürgertum", das sind die besser gestellten Mittelschichten, und die PS schielt ganz offen nach den Stimmen der Bourgeoisie. Ein Journalist kommentierte das Ergebnis der PS in Paris auf folgende Weise: "Es ist kein Zufall, dass die Linke in der Hauptstadt von Wahl zu Wahl regelmäßig Fortschritte macht. Die Verbürgerlichung von Paris hat diese Entwicklung paradoxerweise begünstigt, da die PS mehr und mehr wohlhabende Schichten anzieht, während sie in den unteren Schichten der Bevölkerung Terrain verliert."

Obwohl die Rechtsextremen die Stadt Toulon im ersten Wahlgang verloren haben, sind ihnen doch ihre Positionen in den 1995 eroberten Städten geblieben (sie wurden in Orange wiedergewählt und erhielten in Vitrolles über 38 Prozent der Stimmen). Da wo sie keine eigenen Listen präsentieren konnten, ließen sich die Rechtsextremen (MNR - Mouvement national républicain, und FN - Front national) auf den Listen der liberalen oder christdemokratischen Rechten aufstellen, die gerne bereit waren, sie aufzunehmen. Sie haben außerdem eine gewisse Zahl Wahlabkommen mit der UDF oder der RPR abgeschlossen, oder mit der RPF (Rassemblement pour la France). In einigen Städten hat sich die bürgerliche Rechte zurückgezogen und überließ es der extrem rechten MNR, allein gegen die Listen der Linken anzutreten.

Es ist interessant, dass sich zahlreiche lokale Vertreter des Medef (der Unternehmervereinigung, die seit zwei Jahren eine systematische Attacke gegen die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse reitet) unabhängig von den rechten Parteien präsentierten, die sie offensichtlich für unfähig halten, die Interessen der Unternehmer zu vertreten.

Es scheint allgemeine Tendenz gewesen zu sein, dass viele Wähler dazu neigten, für die jeweils amtierenden Amtsinhaber zu stimmen, d.h. für Politiker, die sie schon kannten. Die Maßnahmen, welche die Regierung kurz vor den Wahlen zugunsten der Senioren oder der sozial schwachen Bevölkerung traf, haben keine Wirkung gezeigt. Die Regierung Jospin hatte eine zusätzliche Altersbeihilfe angekündigt.

Die hauptsächlichen Themen der Wahlkampagne der rechten Parteien wie der Mehrheitslinken lauteten "Sicherheit" und "Lebensqualität". Bandenkonflikte wurden bis zum Überdruss in den Medien ausgebreitet, wie auch "Gewalt in der Schule", und die Flüchtlinge wurden auf demagogische Art und Weise als politisches Thema missbraucht. Die Adressaten solcher Kampagnen waren Leute, die um ihren neuen Reichtum oder sozialen Status fürchten. Gleichzeitig registrierten die Zeitungen, dass trotz der wachsenden Armut keine einzige etablierte Partei sich ernsthaft mit den sozialen Problemen befasste.

PCF, Grüne und Sozialistischen haben in diesem ersten Wahlgang wie nie zuvor gemeinsame Sache gemacht, sie vertraten oft dieselben Parolen. Die Stalinisten und die Umweltschützer haben sich vollkommen mit der sozialdemokratischen Politik des sozialen Kapitalismus identifiziert. Die Unterstützung der Bevölkerung, auf die sich Jospin eine Zeit lang hatte stützen können, ist aber stark unterhöhlt. Es gibt eindeutig Schichten der Arbeiterklasse, die jetzt links von seiner Partei gewählt haben.

Die tiefe Krise in der Politik hat sich in dieser ersten Wahlrunde der Kommunalwahlen besonders in der Krise der traditionellen Rechten in Paris und Lyon ausgedrückt. In Paris stand die Ablehnung des alten politischen Systems der allumfassenden Korruption im Mittelpunkt der Wahlen (auch Jacques Chirac ist darin verwickelt), während es in Lyon das geheime Einverständnis zwischen der traditionellen Rechten und den Rechtsextremen war.

In Lyon wie in Paris hat sich die Krise der Rechten paradoxerweise verschärft, weil sie mehr Stimmen erhalten hat, als erwartet. In Paris erhielt Bertrand Delanoë, der Kandidat der PS, nur 31,3 Prozent der Stimmen. Auf der Grundlage der Skandale hatte Delanoë Kampagne für eine moralisch saubere Verwaltung der Hauptstadt gemacht, und in dieser Pose wirkte er etwas glaubwürdiger als der RPR-Kandidat Séguin. Séguin war seinerseits für einen Bruch mit dem alten System und mit dem bisherigen Bürgermeister der Hauptstadt, Jean Tiberi, eingetreten.

Tiberi, ein ehemaliger Vertrauter von Chirac, war im vergangenen November aus der RPR ausgeschlossen worden und hat mit der RPF von Pasqua zusammengearbeitet. Als Tiberi (mit durchschnittlich 14 Prozent) ein unerwartet hohes Wahlergebnis erreichte, und Séguin, der hoch und heilig versprochen hatte, niemals wieder mit seinem Erzfeind zusammenzuarbeiten, nur auf 25 Prozent kam, entbrannte unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahlresultate ein regelrechter Krieg, in dem die eine Seite um jeden Preis eine Fusion wollte, während die andern ihre Wahlaussage verteidigten und den Rückzug zugunsten der am besten plazierten rechten Liste befürworteten.

Schließlich erklärten sich Séguin und sein Lager unter dem Druck von Chirac, zahlreicher nationaler RPR-Führer und anderer rechter Parteien doch noch bereit, eine Übereinkunft mit Tiberi zu treffen. Dieser lenkte schließlich, nach zwei Tagen ununterbrochener heftiger Angriffe von beiden Seiten, ebenfalls ein, und so löste sich die ganze Kampagne von Séguin für mehr Transparenz und gegen Korruption in einen schlechten Witz auf. Die Rechte wird nun also im zweiten Wahlgang für das Gegenteil dessen eintreten, wofür sie sich vor dem ersten Wahlgang stark gemacht hat.

Eine ähnliche Situation herrscht in Lyon vor, wo zwar der Apfel der Zwietracht von anderer Art ist, aber im Grunde die gleiche Krise vorherrscht. In Lyon hatte der UDF-Kandidat, Michel Mercier, ein dem nationalen UDF-Vorsitzenden François Bayrou nahestehender Politiker, feierlich geschworen, sich nicht mit Charles Millon (liberale und christliche Rechte), einem ehemaligen Verteidigungsminister und ex-Regionalratspräsidenten, zu verbünden. Millon war aus dem Regionalrat ausgeschlossen worden, weil er 1998 mit den Stimmen der Rechtsradikalen gewählt worden war, und er hat diese jetzt sogar in seine Liste aufgenommen. Trotzdem kam der PS-Kandidat, Gérard Collomb, nur auf 33 Prozent der Stimmen, und Millon erhielt dieselbe Anzahl Stimmen wie Mercier (24 Prozent). Dieser letztere sah sich zum Schluss gezwungen, unter dem Druck der nationalen UDF-Führung (in erster Linie von Giscard d'Estaing), nach zwei Tagen der Schmierenkomödie und ekelerregendem Schacher mit Millon eine Übereinkunft zu treffen.

In diesem Zusammenhang ist es auch erwähnenswert, dass Chirac selbst unmittelbar vor der Wahl einmal mehr darauf bestanden hatte, dass sich alle Parteien der Rechten in einer einzigen Partei zusammenschließen sollten. "Die Opposition wäre gut beraten, eine kulturelle Revolution zu vollziehen", hatte Chirac bei dieser Gelegenheit gesagt. Die Zeitung Libération hatte sogar davon gesprochen, dass eine Fusion notwendig sei, "um eine Implosion zu verhindern".

Außerdem muss noch ein weiterer Tatbestand erwähnt werden: Vor den Rathäusern der Pariser Stadtviertel kam es zu Protestaktionen, die sich gegen die Tatsache richteten, dass Tausende von Wählern von den Listen gestrichen worden waren, ohne überhaupt darüber informiert zu werden.

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