Die politische Bedeutung der israelischen Politik der gezielten Mordanschläge

Es ist an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Israel verübt in der Westbank und im Gazastreifen gezielte Mordanschläge, um die politische Infrastruktur der palästinensischen nationalen Bewegung zu vernichten.

Die Behauptung, dass die Ermordung palästinensischer Führer weitere Terrorakte verhindern solle, ist ein durchsichtiger Vorwand für die Verfolgung viel weiter gesteckter Ziele. Der israelische Staat setzt die modernsten militärischen und technologischen Mittel ein, um die gesamte palästinensische Bevölkerung zu terrorisieren und ihre Führung zu enthaupten. Sein zentrales Ziel besteht darin, um jeden Preis die Entstehung eines unabhängigen Palästinenserstaates zu verhindern.

Die Bush-Regierung weiß ganz genau, dass Israels Behauptung, die gezielten Morde dienten lediglich der Verteidigung gegen unmittelbar drohende Terroranschläge, eine Lüge ist. Die US-Regierung, die amerikanischen Medien und der Großteil des liberalen Establishments machen sich zu Komplizen einer Politik staatlicher Morde.

Die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen werfen ein Licht auf die wahren Motive hinter der Mordserie, die Israel seit einem Jahr verübt. Am 27. August schossen israelische Hubschrauber zwei lasergesteuerte Raketen auf das Büro von Abu Ali Mustafa, dem Führer der Volksfront für die Befreiung Palästinas, in der Westbank. Als einer der fünf obersten Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) war Mustafa das höchstrangige Opfer unter den Palästinensern, das der jüngsten israelischen Anschlagswelle zum Opfer fiel.

Vier Tage später versuchten israelische Truppen, den Vorsitzenden der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas, Khayis Abu Leila, zu ermorden. Panzerabwehrraketen schlugen in sein Haus in der Stadt Ramallah in der Westbank ein, doch Leila war zu diesem Zeitpunkt nicht zuhause.

Die israelische Bourgeoisie betreibt "Realpolitik" in ihrer extremsten und brutalsten Form. Kein anderer Staat der Welt verteidigt in derart offener Weise Mordanschläge und Massenrepression als legitime Herrschaftsinstrumente. Israel setzt die modernsten Technologien ein - Satellitenkommunikation, Abhör- und Überwachungsgeräte, intelligente Bomben, modernste Kriegshubschrauber - um seine führenden politischen Gegner unter den Palästinensern aufzuspüren und zu töten. Niemals zuvor ist in einer derart unverhüllten und konzentrierten Weise modernste Technologie eingesetzt worden, um eine gesamte politische Klasse zu eliminieren.

Durch den Einsatz solcher Mittel versucht Israel, jeden organisierten und politisch angeleiteten Kampf gegen seine Besatzung in den palästinensischen Gebieten zu unterbinden. Die palästinensischen Führer sind gezwungen, ihren Aufenthaltsort täglich zu wechseln, um nicht umgebracht werden. Sie können keine Versammlungen abhalten und sich nicht treffen. Ihre Kommunikation - per Telefon, Email oder Fax - wird überwacht und gestört. Sie werden quasi in den Untergrund getrieben, während ihr Gegner über eine unermessliche militärische und ökonomische Überlegenheit verfügt.

Israel ist bemüht, die Führer sämtlicher antizionistischer Organisationen in den besetzten Gebieten und in der gesamten arabischen Welt auseinander zu jagen und schließlich zu vernichten. Die Botschaft der israelischen Behörden ist unmissverständlich: Wer sich mit Israel nicht ins Einvernehmen setzt, wird nicht überleben.

Mit dem Rückgriff auf staatlichen Mord reagiert das israelische Establishment in erster Linie auf den Massenwiderstand, der in den besetzten Gebieten Westbank und Gazastreifen ausgebrochen ist. Diese zweite Intifada begann im September vergangenen Jahres nach dem Scheitern des israelisch-palästinensischen Gipfels in Camp David und den folgenden israelischen Provokationen.

Die gegenwärtige Politik folgt einem erkennbaren Muster. Im April 1988, rund vier Monate nach dem Ausbruch der ersten Intifada in den besetzten Gebieten, stürmte ein israelisches Killerkommando die Wohnung von Abu Jihad in der tunesischen Hauptstadt Tunis. Der militärische und politische Palästinenserführer wurde niedergeschossen. Abu Jihad, dessen eigentlicher Name Khalil Al-Wazir lautete, gehörte zu den Gründungsmitgliedern von Al Fatah und war der engste politische Gefährte von Jassir Arafat.

Abu Jihad spielte vom exilierten Hauptquartier der PLO in Tunis aus eine Schlüsselrolle bei der Organisierung und Leitung der Intifada. Mit seiner Ermordung durch das israelische Militär und den israelischen Geheimdienst Mossad sollte dem Volkaufstand die Führung geraubt werden.

Im Jahr 1997 enthüllte die israelische Zeitung Maariv, dass Ehud Barak als der damalige stellvertretende militärische Oberbefehlshaber diese Mordoperation von einem Kommandozentrum aus geleitet hatte, das auf einem vor Tunis liegenden, mit Raketen bestückten Kriegsschiff untergebracht war. Barak wurde im Mai 1999 Premierminister, nachdem er als Kandidat der Arbeitspartei seinen Amtsvorgänger Benjamin Netanjahu mit großer Mehrheit geschlagen hatte. Vergangenen Februar verlor er die Wahlen und wurde von Ariel Sharon abgelöst, der als Hardliner des Likud-Blocks gilt.

Baraks direkte Beteiligung an der Ermordung von Abu Jihad beweist, dass sämtliche Flügel des israelischen zionistischen Establishments, die sogenannten "Tauben" ebenso wie die offenen Befürworter der israelischen Expansion, der Politik staatlicher Morde und des Massenterrors anhängen. Sie unterstreicht, dass der gegenwärtige Einsatz politischer Morde im Rahmen einer Strategie zur Zerstörung der palästinensischen nationalen Bewegung steht, die von der Arbeitspartei und von Likud gleichermaßen unterstützt wird.

Diese Politik geht mit dem ständigen Versuch einher, den PLO-Vorsitzenden Arafat zu isolieren, indem seine Mitarbeiter allesamt umgebracht werden.

Baraks persönliche Beteiligung an Spionage und Mordanschlägen reicht bis in seine ersten Jahre im israelischen Militär zurück. Im Jahr 1973 leitete er, als Frau verkleidet und eine mit Sprengstoff gefüllte Handtasche mit sich führend, ein Mordkommando, das drei führende PLO-Vertreter tötete.

Politische Morde, darunter auch der Anschlag auf den Führer des Islamischen Jihad, Fathi Shakaki, in Malta 1995, gehören seit langem zum Standardinventar der israelischen Politik. Diese Methoden sind Bestandteil der Operationen zur Aufstandsbekämpfung, wie sie die imperialistischen Mächte einschließlich der Vereinigten Staaten in Südostasien und anderswo seit Jahrzehnten einsetzen. Ihre Taktik - Infiltration, Provokation, Mord, Terror - wird von Experten auf diesem Gebiet der Rubrik Low Intensity Warfare (abgeschwächte Kriegsführung) zugeordnet.

Beispiellos ist allerdings die Offenheit, mit der Israel und das hinter ihm stehende Amerika diese Methoden verteidigen.

Seit dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David vor 13 Monaten verfolgt der israelische Staat einen Kurs der militärischen Aggression und Provokation, der darauf ausgerichtet ist, palästinensische Racheakte auszulösen, die wiederum als Vorwand für weitere Morde und Angriffe auf die Palästinensischen Autonomiebehörde dienen können. Barak erteilte dieser Politik im Wesentlichen seinen Segen, als er Sharons provokativen Besuch des Tempelbergs in der Altstadt von Jerusalem Ende September 2000 unterstützte.

Als es bei dieser Gelegenheit zu spontanen Protestdemonstrationen gegen Sharon und sein Gefolge aus Polizisten und Soldaten kam, stürmte die israelische Polizei die Al-Aqsa-Moschee und eröffnete das Feuer auf Steine werfende Gläubige. Sechs Menschen starben. Diese blutige Provokation löste eine weitere Welle von Massenprotesten aus, denen Israel mit scharfer Munition, Panzern und Kampfhubschraubern begegnete. Innerhalb der ersten Intifada-Woche tötete Israel mindestens 60 Palästinenser, weitere 1.500 wurden verletzt.

Sharon gehört zu den führenden Vertretern einer Politik, die auf die Schaffung vollendeter Tatsachen setzt. Darin bestand auch der Zweck der von ihm geförderten Siedlungspolitik. Auf diese Weise sollte in den besetzten Gebieten, die seit langem als palästinensisch gelten, eine starke israelische Präsenz geschaffen werden. Heute versucht er, neue Tatsachen zu schaffen - die Abwesenheit einer unabhängigen palästinensischen Führung.

Den Versuch, die palästinensische Führung auszulöschen, verteidigen die israelischen Behörden mit einer Mischung aus Zynismus und Täuschung. Eine bevorzugte Taktik besteht darin, dem Feind eben diejenigen Verbrechen zur Last zu legen, für die man selbst verantwortlich ist.

Im festen Vertrauen darauf, dass die amerikanischen Medien seine Behauptungen unkritisch wiederkäuen werden, wirft Israel den Palästinensern also vor, sie hätten die Gewalt vom Zaun gebrochen, und verleumdet alle Kritiker seiner Methoden als Antisemiten. Einige führende Vertreter des israelischen Staates schreckten in den vergangenen Tagen nicht davor zurück, den Palästinensern "ethnische Säuberungen" vorzuwerfen.

Die israelische Rechtfertigung für Mord als Methode der Politik ist in ihrer Geschlossenheit unwiderlegbar. Man behauptet, nur diejenigen zu töten, die Terroranschläge vorbereiten. Wie beweist man, dass die ausgewählten Opfer schuldig sind im Sinne der Anklage? Damit, dass der israelische Staat ihre Ermordung beschlossen hat.

Für die Schuld der Betroffenen gibt es keine unabhängigen, verifizierbaren Beweise. Die israelischen Behörden versuchen nicht, die von ihnen Beschuldigten zu verhaften, vor Gericht zu stellen oder die faktischen Grundlagen für ihre Eliminierung aufzuzeigen. Die israelischen Killerkommandos und der Mossad gebärden sich als Richter, Geschworene und Henker zugleich.

Ohne die logistische Unterstützung des amerikanischen Militärs und Geheimdienstapparates, ohne die politische Unterstützung der amerikanischen Medien und des Establishments könnte Israel diese blutrünstige Politik nicht betreiben. Die Reaktion der amerikanischen Medien bestand größtenteils darin, sich sofort für die Verteidigung Israels in die Bresche zu werfen. Die Palästinenser wurden heftig beschimpft, man rief nach einem umfassenden Krieg zur Niederschlagung des palästinensischen Widerstands.

Mitte August gab es einen regelrechten Eruption von Propaganda zur Verteidigung der israelischen Mordpolitik in der US-Presse. An drei aufeinanderfolgenden Tagen brachte die Washington Post Gastkommentare, in denen die Palästinenser als unverbesserliche Terroristen dargestellt wurden. Gleichzeitig wurde Israel dringend angeraten, die palästinensische Autonomiebehörde zu vernichten und nach Berliner Vorbild eine Mauer zu errichten, hinter der die arabische Bevölkerung im Zustand ständiger Unterjochung gehalten werden könne.

Michael Kelly schrieb in einer Kolumne vom 15. August: "[Israel] kann nur gewinnen, wenn es in diesem Krieg die Initiative behält und eine unüberwindbare militärische Kraft einsetzt (genau, wie es die Powell-Doktrin fordert), und die bewaffneten palästinensischen Truppen, die Israel den Krieg erklärt haben, vernichtet, tötet, gefangen nimmt und des Landes verweist."

Am nächsten Tag forderte Charles Krauthammer "einen massiven Überraschungsschlag Israels gegen jeden Bestandteil der polizeistaatlichen Infrastruktur Arafats - die Hautquartiere und Kommandeure seiner acht (!) Geheimdienste, seine Polizeistationen, Waffendepots, Trainingslager, Kommunikations- und Propagandaeinrichtungen (Radio, Fernsehen, von der Regierung kontrollierte Zeitungen) - und zugleich gegen das Hauptquartier und die Führung von Arafats Verbündeten, Hamas und Islamischer Jihad." Krauthammer forderte explizit eine ethnische Säuberung gegen die palästinensische Bevölkerung, die er in der Parole zusammenfasste: "Zuschlagen und ausweisen."

Am 16. August schloss sich eine ähnliche Hetztirade von George Will an, die unter anderem folgende Empfehlung enthielt: "Israel braucht einen kurzen Krieg und eine hohe Mauer."

Diese und zahlreiche weitere Kommentatoren in Presse und Fernsehen (CNN und Fox TV) haben erklärt, dass "wir" in den USA uns in einer ähnlichen Lage ebenso verhalten würden wie die Israelis. Öffentlich verteidigt werden die Mordanschläge Israels auch von Henry Kissinger, dem Hauptarchitekten der amerikanischen imperialistischen Politik in Vietnam unter Präsident Nixon.

Man stelle sich nur vor, welcher Aufschrei durch die von den US-Medien dirigierte öffentliche Weltmeinung ginge, wenn palästinensische Führer ankündigen würden, dass sie es Israel künftig mit gleicher Münze heimzahlen und diejenigen Israelis, die Mord- und Terroranschläge planen und ausführen, identifizieren und jagen würden.

Die US-Regierung reagierte auf die Welle von Mordanschlägen seitens Israels mit beiläufiger öffentlicher Kritik, die von mittleren Beamten des Außenministeriums vorgetragen wurde. Zugleich wurde Israel von den höchsten Kreisen der Bush-Regierung privat die Unterstützung Amerikas zugesichert. Diese vor Heuchelei triefende Haltung der USA zeigt an, dass Washington nun selbst bereit ist, Mord wieder zum Instrument der Außenpolitik zu erheben.

Wenn Israel seine politischen Gegner "entfernen" darf, dann gilt dasselbe auch für die USA. Washingtons Unterstützung für Sharons Mordfirma kündigt eine Rückkehr zu den Methoden an, die von früheren Gräueltaten bekannt sind: Der Mord der CIA an Patrice Lumumba, dem Führer der kongolesischen Unabhängigkeitsbewegung 1961, die wiederholten Anschläge auf Fidel Castro und die Bombardierung des Domizils des libyschen Regierungschefs Muammar Gaddafi 1986.

Nachdem in den siebziger Jahren unter Leitung des Senators Frank Church aus Idaho Anhörungen des Kongresses über die Aktivitäten der CIA stattgefunden hatten, wurden politische Morde offiziell für illegal erklärt. Heute verstößt die Regierung noch ungenierter als unter Reagan gegen ihre eigenen Gesetze, um ihr wichtigstes verbündetes Regime im Nahen Osten zu unterstützen und den Kampf der palästinensischen Massen gegen ausländische Besetzung, Unterdrückung und Armut zu unterdrücken.

Siehe auch:
Mit dem Mord an einem Palästinenserführer eskaliert Israel die Provokationen und Gewalttaten
(31. August 2001)
Sharon sucht nach Vorwand für militärischen Angriff
( 11. August 2001)
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