Politische Wurzeln und Perspektiven von Jemaah Islamiyah

Teil 3

Wir veröffentlichen hier den abschließenden Teil einer dreiteiligen Serie über Jemaah Islamiyah.

In Südostasien ließ das aus dem Afghanistan-Krieg hervorgegangene Netzwerk die islamistischen Extremistengruppen näher zusammenrücken. Dieser Prozess scheint durch die Anwesenheit von Al-Quaida-Mitgliedern auf den Philippinen erleichtert worden zu sein. Irgendwann 1993 dann gründeten Sungkar und Bashir Jemaah Islamiyah. Durch ihr langes Exil hatten sie bereits Kontakte in Singapur und Malaysia geknüpft. Mitglieder von JI hatten beispielsweise starke Verbindungen mit der MILF (Moro Islamic Liberation Front) auf den Philippinen, deren Basen sie anstatt der zunehmend schwierigen Alternative Afghanistans zu militärischen Übungszwecken benutzten.

Innerhalb Indonesiens ging Suharto bewusst daran, sich um Unterstützung verschiedener islamischer Gruppierungen zu bemühen, um so sein immer brüchigeres Regime zu stützen. Während der frühen neunziger Jahre unternahm er eine demonstrative Pilgerfahrt nach Mekka und rief die Indonesische Vereinigung Islamischer Intellektueller (ICMI) unter Führung seines treuen Gefolgsmannes B.J. Habibie ins Leben. Der ICMI wurde erlaubt, ihre eigene Tageszeitung Republika zu veröffentlichen. Weitere Zugeständnisse waren die anteilsweise Aufnahme von Muslimen in die staatliche und militärische Bürokratie, der Aufbau einer islamischen Bank und Gesetze zur Stärkung der Rolle islamischer Gerichte.

Suhartos taktische Manöver trugen bald Früchte. Hardliner aus der Führung des DDII stärkten ihm den Rücken, indem sie die Formation KISMI gründeten, das Indonesische Komitee für Solidarität mit dem Weltislam. KISMI stand in enger Verbindung zu Suharto - besonders über dessen Schwiegersohn, General Prabowo Subianto - und wurde zu einer Plattform des Engagements für "Angelegenheiten des Islam" - wie z.B. die Unterdrückung von Muslimen in Bosnien, Kaschmir, Tschetschenien und Algerien. Während Sungkar und Bashir als Gegner von Suhartos Politik noch immer im Exil waren, war das neue Klima mit Sicherheit sehr förderlich für die Politik von JI.

Der entscheidende Wendepunkt in der Entwicklung von Jemaah Islamiyah kam 1997-98 mit der Finanzkrise in Asien - einem ökonomischen Kahlschlag, der soziale und politische Spannungen überall in der Region auf die Spitze trieb. In Indonesien brach der Wert der Rupie zusammen, Unternehmen gingen bankrott und das schuldenbeladene Finanzsystem wurde an den Rand des Kollapses gebracht. Armut und Arbeitslosigkeit gingen steil nach oben. USA und IWF verstärkten das ökonomische Chaos durch ihr Bestehen auf tiefgreifende Umstrukturierungsmaßnahmen Suhartos.

Suhartos Position wurde bald unhaltbar. Unwillig, den Forderungen des IWF nachzukommen, die sein politisches und wirtschaftliches Monopol bedroht hätten, verlor Indonesiens Präsident die bedingungslose Unterstützung Washingtons. Zur gleichen Zeit sah er sich konfrontiert mit wachsenden Protesten, die, angeführt von Studenten, ein Ende seiner 32-jährigen Diktatur und Maßnahmen zur Sicherung des fallenden Lebensstandards forderten. Im März 1998 endlich wurde Suharto zum Rücktritt gezwungen und übergab die Macht an Vizepräsident Habibie.

Bezeichnenderweise spielten Sungkar und Bashir keine Rolle beim Sturz Suhartos. Innerhalb Indonesiens stärkten KISMI und andere rechte islamische Gruppen Suharto bis zum bitteren Ende den Rücken. Nach der Absetzung Suhartos gehörte ihre Unterstützung Habibie. Als sich Habibie im November 1998 einer außerordentlichen Parlamentssitzung zur Konsolidierung seines Griffs nach der Macht bedienen wollte und einer neuerlichen Krise gegenüberstand, half KISMI ihm bei seiner Verteidigung. Es versorgte ihn mit dem größten Teil der 100.000 "Freiwilligen" - mit Stöcken und Messern bewaffneten Schläger - die zusammen mit Armee-Einheiten gegen die gewaltigen Proteste vorgingen, die Habibies Rücktritt und echte demokratische Wahlen forderten.

Doch die kritischste Rolle bei der Stützung von Habibies Regime spielten die bürgerlichen "Reformer" - Megawati Sukarnoputri, Abdurrahman Wahid und Amien Rais. Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen stimmten sie den begrenzten Maßnahmen Habibies zu und gaben so im Endeffekt grünes Licht zur gewaltsamen Unterdrückung der Demonstrationen.

Als die Proteste nachließen, schürte das Militär gezielt regionale Konflikte, um seine Autorität wiederherzustellen. 1999 waren die Spitzen der Nationalen Streitkräfte Indonesiens (TNI) unmittelbar in die Terrorwelle involviert, die jakartatreue Milizen gegen Unabhängigkeitsbefürworter auf Ost-Timor entfesselten. Die Armee steckte auch tief in der Vorbereitung konfessionellen Unruhen auf den Molukken und in Sulawesi im Jahr 2000.

Durch das Fehlen einer fortschrittlichen Alternative, die auf die Vereinigung aller Teile der indonesischen Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen zum Kampf für echte soziale Gleichheit hingearbeitet hätte, waren Jemaah Islamiyah und andere islamistische Extremistengruppen in der Lage, ihren Nutzen aus den regionalen Spannungen zu ziehen. Teile der Mittelklasse und kleine Geschäftsleute, die durch die Finanzkrise plötzlich vor dem Bankrott standen, waren bereit, der Propaganda zu glauben, welche die Schuld für ihr Dilemma dem korrumpierenden Einfluss von Christen und Chinesen zuschob. Junge Menschen mit technischer oder akademischer Ausbildung und rosigen Zukunftsaussichten sahen, wie ihre Karrieren vor ihren Augen zusammenbrachen. Schnell waren sie ernüchtert von der hohlen Rhetorik der "Reformer" und vom Zustand der Gesellschaft als Ganzer entfremdet. Aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wandten sich einige islamistischen Gruppen und Milizen wie Jemaah Islamiyah zu.

Darüber hinaus fand die antiamerikanische Propaganda von JI ein breiteres Publikum. Viele Indonesier waren wütend über Washingtons IWF-Agenda mit ihren verheerenden sozialen Konsequenzen. Während der folgenden fünf Jahre wurde diese Feindseligkeit weiter verschärft durch die Invasion auf Ost-Timor unter Führung Australiens, die amerikanische Besetzung Afghanistans und des Irak, sowie die fortdauernde Unterstützung der USA für Israels Repressionen gegen die Palästinenser. All dies wurde von JI als "Beweis" für eine antiislamische Verschwörung angeführt.

Terroranschläge

1999 kehrten Bashir, Sungkar und andere Mitglieder von JI nach Indonesien zurück und begannen, ihr kleines Netzwerk islamischer Schulen auszuweiten. Nach Sungkars Tod wurde Bashir zum ideologischen Führer. Er baute den Mujaheddin-Rat Indonesiens (MMI) auf, dem auch andere Individuen und Gruppen angehörten, die auf die Errichtung eines islamischen Staates aus waren. Im August 2000 hielt der MMI seinen ersten Kongress in Yogyakarta ab. An ihm nahmen etwa 1500 Menschen teil, darunter Personen wie der Vorsitzende der Gerechtigkeitspartei, Hidayat Nur Muhammad. Bashir, der zum obersten Führer gewählt wurde, prahlte damit, dass man Verbindungen mit bedeutenden Moslemorganisationen habe.

Das Hauptaugenmerk richtete der Kongress auf moralische Vorschriften, wie das Verbot von Alkohol und Einschränkungen für Frauen. Doch der MMI rekrutierte auch seine eigenen Milizen und sandte sie mit stillschweigender Billigung des offiziellen Militärs zu den regionalen Kampfhandlungen auf den Molukken, bei denen schätzungsweise 5000 Menschen starben. Der Molukkenkonflikt wiederum versorgte JI mit neuen Mitgliedern, die sowohl über militärische Übung und Erfahrung verfügten, als auch ideologisch überzeugt waren.

Terroristische Bombenanschläge in Indonesien begannen 1999-2000, und JI wurde mit zweien davon direkt in Verbindung gebracht. Am Weihnachtsabend 2000 fand im ganzen Land eine koordinierte Serie von Bombenanschlägen statt. Mehr als 30 Bomben explodierten gleichzeitig in christlichen Kirchen oder Häusern von Geistlichen in elf Städten und sechs Provinzen. Neunzehn Menschen starben, um die 120 wurden verletzt. Zwei Jahre fand das Massaker von Bali statt.

Einige der Ausführenden waren Afghanistan-Veteranen, die über Sungkars und Bashirs Netzwerk rekrutiert worden waren. Der ICG-Bericht Jemaah Islamiyah in Südostasien: Angeschlagen, aber noch gefährlich nennt eine lange Liste mit den Namen von Ausgebildeten, sowie ihre Ausbildungsdaten in Sayyafs Lagern in Afghanistan. Auf der Liste finden sich Schlüsselfiguren der Anschläge auf Kirchen im Jahr 2000 und des Anschlags von Bali. Beispielsweise dienten drei der vier bislang wegen des Bali-Anschlages Verurteilten in Afghanistan: Muchlas alias Ali Gufron [1986], Ali Imron [1990] und Abdul Aziz alias Imam Samudra [1991].

Doch die ganze Wahrheit über die Anschläge muss erst noch aufgedeckt werden. Die brennendsten Fragen - wie die nach der Rolle des indonesischen Militärs - bleiben unbeantwortet. Es ist einfach nicht plausibel, dass der riesige indonesische Sicherheits- und Geheimdienstapparat nichts von der ungeheuren logistischen Operation im Zusammenhang mit den Anschlägen von Bali mitbekommen hatte. Bislang fanden keine Ermittlungen darüber statt, welche Informationen genau die Militärs im Vorfeld des Anschlages hatten. Alle Indizien, die Verdacht auf die Nationalen Streitkräfte lenken könnten - darunter die Festnahme eines Offiziers - wurden schnellstens wieder fallengelassen.

Die TNI verfügen über eine lange und verkommene Geschichte des politischen Rowdytums. Sie verfügen auch über jahrzehntelange Erfahrungen in der Manipulation von Milizengruppen und Banden, darunter auch islamischer Extremisten. Anfang 2003 erst wurden sechs Spezialsoldaten, darunter ein Offizier, wegen der Ermordung eines bekannten Anführers auf Papua verurteilt. Des weiteren haben Teile des Militärs mehrere Motive, einen spektakulären Terroranschlag durchzuführen, oder die Durchführung eines solchen zu gestatten. Dazu zählt auch, eine Rechtfertigung für eine größere militärische Zusammenarbeit mit den USA zu schaffen, die der US-Kongress gegenwärtig auf Eis gelegt hat.

Bashirs Verbindung zu den Anschlägen von Bali bleibt unklar. Berichte der ICG liefern Hinweise darauf, dass es innerhalb von Jemaah Islamiyah Meinungsverschiedenheiten zwischen Bashir, der anscheinend mittels des MMI Einfluss auf die etablierten Parteien zu gewinnen versucht, und den jüngeren Afghanistan-Veteranen gibt, die darauf brennen, ihre militärischen Fähigkeiten einzusetzen. Es ist bezeichnend, dass Bashir zwar wegen der Weihnachtsanschläge von 2000 angeklagt - und freigesprochen - wurde, nicht aber wegen der Bali-Anschläge.

Ob er persönlich die Anschläge geplant bzw. gestattet hat oder nicht - Bashir trägt in jedem Fall Verantwortung für die politische Perspektive, die zum sinnlosen Tod von 202 Unschuldigen geführt hat. Eine Organisation, deren Mitglieder eine solche Tragödie als "Sieg" begrüßen, hat nichts mit den Interessen der Arbeiterklasse zu tun. Jemaah Islamiyahs Vision von einer Gesellschaft, die von Klerikern auf der Grundlage eines mittelalterlichen Moralcodes geführt wird, steht in unversöhnlichem Gegensatz zu den demokratischen Rechten und Bedürfnissen der Massen von einfachen, arbeitenden Menschen.

Das Aufkommen von Jemaah Islamiyah und seine Fähigkeit, bei beträchtlichen Teilen der indonesischen Bevölkerung eine gewisse Resonanz zu finden, ist der bösartigste Ausdruck der Unfähigkeit der gesamten indonesischen Elite, eine Lösung für die tiefe politische, soziale und ökonomische Krise zu bieten, mit der die große Mehrheit der Bevölkerung konfrontiert ist. Doch die Übernahme des Ruders durch einen anderen Teil der Bourgeoisie, der sich der Mittelalterlichkeit und dem islamischen Fundamentalismus verschrieben hat, ist erst recht keine Lösung. Eine solche kann nur in der sozialistischen Neuorganisation der Gesellschaft bestehen - auf der Basis echter sozialer Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie für alle, und nicht nur wenige Privilegierte. Dies erfordert den Aufbau einer neuen politischen Bewegung der Arbeiterklasse, die darum kämpft, alle Schichten von Arbeitern und unterdrückten Massen - in Indonesien, ganz Asien und weltweit - in einem gemeinsamen Kampf gegen die herrschende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zu vereinen.

Siehe auch:
Politische Wurzeln und Perspektiven von Jemaah Islamiyah - Teil 1
(14. Januar 2004)
Politische Wurzeln und Perspektiven von Jemaah Islamiyah - Teil 2
( 15. Januar 2004)
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