Frankreich

Frankreich: Rassistische Hetze zur Rechtfertigung des Ausnahmezustands

Minister und Abgeordnete der regierenden gaullistischen UMP (Partei für eine Volksbewegung) versuchen, durch das Schüren einwandererfeindlicher und rassistischer Stimmungen den dreimonatigen Ausnahmezustand zu rechtfertigen, den die Regierung verhängt hat.

Der Fraktionsvorsitzende der UMP in der Nationalversammlung, Bernard Accoyer, erklärte letzten Mittwoch auf Radio RTL, eine der Ursachen für die wochenlangen Straßenschlachten zwischen der Polizei und der Immigrantenjugend der Vorstadtghettos von Paris und zahlreichen andern Städten bestehe in der Polygamie in afrikanischen Einwandererfamilien.

Accoyer fügte hinzu, dass die Behörden in dieser Frage wohl "seltsam lasch" agiert hätten. Er machte auch die Familienzusammenführungspolitik der Regierung der Pluralen Linken (1997-2002) unter dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin verantwortlich. Auf die Frage, ob man den Familien verurteilter Gewalttäter Sozialleistungen streichen sollte, antwortete er: "In einigen Fällen wäre das wohl gerechtfertigt,... es sollte aber nicht verallgemeinert werden."

Die Jugendunruhen waren schon deutlich zurückgegangen, als die Nationalversammlung am 15. November beschloss, den Ausnahmezustand, der per Kabinettsbeschluss zuerst für zwölf Tage verhängt worden war und am 21. November auslaufen sollte, um drei Monate zu verlängern.

Das Gesetz von 1955, das der Regierung erlaubt, den Ausnahmezustand zu verhängen, verlangt, dass eine Verlängerung von der Nationalversammlung beschlossen werden muss. Es erlaubt eine weitgehende Ausweitung der Polizeivollmachten und Einschränkungen der Grundrechte.

Der Versuch, einen kleinen Teil afrikanischer Einwandererfamilien zu Sündenböcken zu machen, um den scharfen Angriff auf demokratische Rechte durch den Ausnahmezustand zu rechtfertigen, zielt darauf ab, die Opposition gegen die rechte Sozialpolitik der Regierung in eine reaktionäre Richtung zu lenken.

Nicolas Sarkozy, Innenminister und Vorsitzender der UMP, setzte seine provokative Law-and-Order und Anti-Einwanderer Rhetorik gegenüber dem Magazin Express fort: "Nennen wir die Dinge beim Namen: Die Polygamie und mangelnde Integration einiger Familien machen es schwieriger, einen jungen Franzosen aus Schwarzafrika zu integrieren, als einen jungen Franzosen von woanders her." Er kündigte an, er werde verhindern, dass die Vorstadtghettos von den "Männern mit den langen Bärten" übernommen werden.

Gérard Larcher, Vizeminister für Jugendarbeitslosigkeit, sagte ausländischen Journalisten, die Polygamie sei "eine mögliche Ursache". Er fügte hinzu, Polygamie begünstige manchmal unsoziales Verhalten, und schloss: "Da Teile der Gesellschaft dieses unsoziale Verhalten an den Tag legen, ist es nicht verwunderlich, dass einige von ihnen Probleme haben, Arbeit zu finden."

Dieser rassistische Schmutz soll ganz offensichtlich den Einwanderern die Schuld an der Massenarbeitslosigkeit, der weit verbreiteten Armut, Diskriminierung und Polizeiwillkür in die Schuhe schieben. In Wirklichkeit waren das die Ursachen für die Proteste, die Frankreich in den letzten Wochen erschüttert haben. Solche Erklärungen gehen mit der Forderung einher, das Recht der Einwanderer auf Familienzusammenführung weiter einzuschränken.

Die rassistischen Äußerungen der UMP-Vertreter wurden sofort von Jean-Marie Le Pen unterstützt, dem Chef der neofaschistischen Nationalen Front.

Ihren Ursprung hatten sie in den Bemerkungen von Hélène Carrère d’Encausse, der auf Lebenszeit gewählten ständigen Sekretärin der Académie Française. Diese Institution fungiert seit der Zeit Ludwig des XIV. als Wächter der französischen Sprache und Literatur.

Encausse sitzt in Kommissionen der Europäischen Union und in zahlreichen französischen Regierungsgremien. Libération zitiert, wie sie der russischen Presse die Ursachen der Unruhen in den französischen Vorstädten erklärte: "Diese Leute kommen direkt aus ihren afrikanischen Dörfern.... Warum laufen die afrikanischen Kinder auf der Straße herum, anstatt in der Schule zu sein? Warum können ihre Eltern nicht eine Wohnung kaufen? Der Grund ist offensichtlich: Viele dieser Afrikaner sind polygam. In einer Wohnung gibt es drei oder vier Frauen und 25 Kinder. Sie sind so gerammelt voll, dass es keine Wohnungen mehr sind, sondern Gott weiß was! Man kann verstehen, warum diese Kinder auf der Straße herumrennen."

Eine solche Ausdrucksweise in öffentlichen Erklärungen ist in Frankreich beispiellos seit der Zeit der Nazi-Besatzung und des Kollaborationsregimes von Marschall Philippe Pétain (1940-1944), sie schockiert und beleidigt Einwanderer, Antirassisten und Verteidiger demokratischer Rechte. Die soziale Krise in Frankreich und die Furcht vor einer Revolte von unten bringt die tief sitzenden rassistischen Phobien der intellektuellen und politischen Eliten dieser alten Kolonialmacht an die Oberfläche.

Sarkozy, der Hauptrivale der traditionellen gaullistischen Führung um Präsident Jacques Chirac, ist nur zu bereit, solche Stimmungen und Appelle an die rückständigsten Schichten der französischen Gesellschaft zu ermutigen. Er versucht, eine rechte Bewegung aufzubauen, die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit mit neoliberaler Wirtschaftspolitik verbindet, um den Sozialstaat zu zerstören.

Am Samstag sprach Sarkozy in seiner Funktion als Vorsitzender der UMP vor der Monatsversammlung neuer Mitglieder. Er wiederholte seinen Law-and-Order-Standpunkt und einwandererfeindlichen Populismus, mit dem er versucht, neue Kräfte in die UMP zu locken, und benutzte erneut den Ausdruck "Abschaum" für die Jugend in den heruntergekommenen Trabantenstädten. Er behauptete: "Die Hauptursache für Arbeitslosigkeit, Verzweiflung und Gewalt in den Vorstädten ist nicht Diskriminierung oder Schulversagen. Die Hauptursachen für die Verzweiflung in diesen Wohngebieten sind Drogendealer, Bandenherrschaft, die Diktatur der Angst und die Entfremdung von der Republik."

Er meinte damit natürlich nicht die Kürzung der Gelder für Sozialprogramme in diesen Wohngebieten, sondern wollte für seine Politik einer verstärkten Polizeirepression werben. Sarkozy behauptete, die Jugendkrawalle und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei seien von Straftätern angezettelt worden, die seine Bemühungen, "die Banden zu zerschlagen", vereiteln wollten.

Er machte den Sozialstaat und soziale Schutzgesetze für Frankreichs gesellschaftliche Übel verantwortlich: "Wir müssen unser Land grundlegend ändern, müssen mit einem politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen System brechen, dass in den letzten dreißig Jahren vor allem Arbeitslosigkeit, Verschuldung und Immobilität hervorgebracht hat."

Die Anhänger Chiracs und Premierminister Dominique de Villepins in der UMP haben sich in der Frage der Polizeiaufrüstung und anderer antidemokratischer Maßnahmen hinter Sarkozy gestellt, liegen aber wegen seiner provokativen Rhetorik und Taktik mit ihm über Kreuz. Sie haben ein besseres Gespür für die explosiven gesellschaftlichen und politischen Folgen von Sarkozys Demagogie und wünschen die Erhaltung eines gewissen Maßes an gesellschaftlichem Konsens, unterstützen aber wohl oder übel die Aufrüstung des bürgerlichen Staates, um ihn gegen die Opposition aus der Arbeiterklasse zu verteidigen.

Auf die Polemik über Polygamie anspielend sagte Villepin: "Wir müssen uns vor Verallgemeinerungen hüten... wir müssen einen kühlen Kopf bewahren... Es gibt nicht nur eine Ursache, es gibt viele Gründe dafür... die Krise der moralischen Werte, die soziale Dimension." Die letzte Bemerkung kann nur als Euphemismus für die vierzig Prozent Arbeitslosigkeit und die bedrückende Armut in den Einwandererwohngebieten bezeichnet werden.

Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie unterstützte ihn mit den Worten: "Die Jugendlichen haben zu oft den Eindruck, durch die Bank als Straftäter angesehen zu werden." Sie meinte, ihre Gewalt sei "eine Art selbstmörderische Verzweifelung... Ich möchte alle Politiker und Kommentatoren bitten, sich nicht auf eine einzelne Ursache für die Krise zu versteifen, und nicht alle in einen Topf zu werfen."

In solchen Erklärungen des Chirac-Flügels der Gaullisten ist eine ordentliche Portion Heuchelei enthalten. Die Rassenkarte zu spielen, ist für Chirac nichts Neues. Viele Franzosen erinnern sich noch an seine berüchtigte Rede vom 19. Juni 1991 in Orleans, als er erklärte: "Unser Problem sind nicht die Ausländer, nur gibt es zu viele von ihnen... Moslems und Schwarze.... der schwer schuftende französische Arbeiter verdient zusammen mit seiner Frau ungefähr 15.000 Franc und sieht auf der anderen Seite des Balkons seiner Sozialwohnung einen Vater mit drei oder vier Frauen und einem Dutzend Kinder, der 50.000 Franc Sozialhilfe bekommt, natürlich ohne dafür zu arbeiten... Wenn man noch den Lärm und den Geruch dazu nimmt, dann könnte der französische Arbeiter schier verrückt werden. Es ist nicht Rassismus, über so etwas zu sprechen."

Wie bemerkte doch Villepin am 19. November im Figaro : "Hinter dem Krieg der Worte gibt es eine ganze Menge Gemeinsamkeit."

Siehe auch:
USA: Der Gestank des Faschismus - Die "Gedankenspiele" eines führenden Republikaners über Rassenmord
(6. Oktober 2005)
Nein zum Ausnahmezustand in Frankreich!
( 10. November 2005)
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