Washington stiehlt sich aus der Verantwortung für Hurrikanopfer

Nach dem verheerenden Hurrikan Katrina beginnt die amerikanische Regierung mit Unterstützung der Medien, die Ereignisse falsch darzustellen, um so ihre eigene Verantwortung für das enorme Ausmaß der Schäden zu vertuschen. Sie hat Entscheidungen getroffen, die die Auswirkungen des Hurrikans verschlimmert und das Leben Tausender Menschen gefährdet haben.

Der Leitartikel des Wall Street Journals vom letzten Donnerstag, "Katrinas furchtbare Nachwirkung", beginnt mit den Worten: "Im Augenblick ist die wichtigste Lehre auch die nahliegendste: Alle List des Menschen kann die Wut der Natur nicht besiegen." Walter Baumy, der Chef der Abteilung des Army Corps of Engineers in New Orleans, sagte am Mittwoch, die Behörden hätten keine Möglichkeit gehabt, sich auf Katrina und seine Nachwirkungen vorzubereiten. "Es hat Pläne gegeben," sagte er, aber der Hurrikan "war stärker als erwartet. Die Stadt hat noch niemals etwas Ähnliches gesehen."

Präsident Bush selbst erklärte in einem Interview für die ABC-Sendung "Good Morning America" am Mittwoch: "Ich denke nicht, dass irgendjemand erwartet hätte, dass die Dämme brechen können."

Solche Aussagen verfolgen eine eindeutige Absicht: Sie sollen die Aufmerksamkeit von der langen Reihe von Warnungen ablenken, dass die Stadt gegen einen starken Hurrikan nicht gerüstet sei. Aufrufe, die Dammsysteme zu verbessern und andere Vorbereitungen zu treffen, um die Stadt vor einer Flut zu schützen, wurden jahrelang ignoriert. Dasselbe geschah mit Aufrufen, Pläne für die Evakuierung von Zehntausenden Menschen zu entwickeln, die keine eigenen Transportmittel besitzen.

Eingedenk der Häufigkeit von Wirbelstürmen in den letzten zehn Jahren und einer gewissen Menge ähnlicher Fälle, wie des Hurrikans Georges 1998 oder des Hurrikans Ivan 2004, war abzusehen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein Sturm der Kategorie vier oder fünf direkt auf New Orleans trifft. Vorschläge, die Schutzmaßnahmen der Stadt zu verbessern, wurden aus Kostengründen abgelehnt, und selbst die Projekte zur Erhaltung der Dammsysteme und zur Wiedergewinnung von schützenden Feuchtgebieten wurden unterfinanziert.

Das derzeitige Dammsystem, das das unter dem Meeresspiegel liegende New Orleans vor dem umgebenden Wasser schützen soll, wurde vor über einem Jahrhundert errichtet. Es wurde einige Male aufgerüstet - das letzte Mal 1956 als Reaktion auf den Hurrikan Betsy. Betsy war ein Sturm der Kategorie drei, und das Dammsystem war lediglich dazu gebaut, im besten Fall einem Sturm dieser Kategorie standzuhalten. Der Hurrikan Katrina war ein Sturm der Kategorie vier als er am Montag morgen auf New Orleans traf.

Im Anschluss an den Hurrikan Georges gab es eine ganze Reihe von Initiativen, um die Möglichkeit einer Verbesserungen des Dammsystems zu untersuchen. Am 18. November 1998 berichtete die in New Orleans ansässige Zeitung Times-Picayune, dass der Rat der Gemeinde St. Bernard, die etwas östlich von New Orleans liegt und zu den Gegenden gehört, die am härtesten von Katrina getroffen wurden, "den Kongress darum gebeten hat, Geld für die Untersuchung des Anti-Hurrikan-Systems von New Orleans bereit zu stellen, um den Schutz der Gemeinde vor Hurrikans zu verbessern, die so stark wie Georges oder Mitch [auch 1998] sind... Die Gemeinde entschloss sich zu diesem Schritt, nachdem das Army Corps of Engineers die Kommunalverwaltungen letzte Woche gebeten hatte, sich bei den Bundesbehörden für eine Aufrüstung der Dammsysteme einzusetzen, damit diese einem Hurrikan der Kategorie vier oder fünf standhalten können."

In einem Artikel vom 17. März 2001 zitiert dieselbe Zeitung Al Naomi, den führenden Projektleiter des Army Corps of Engineers, mit den Worten: "Hätte [Georges] uns direkt getroffen, hätten uns unsere Dämme nicht schützen können." Die Flut, die einen solchen Sturm begleitet, hätte die Höhe der Dämme überstiegen. Das Army Corps of Engineers leitete ein Projekt, das die Bedrohung einschätzen und mögliche Lösungen vorschlagen sollte.

Ein Artikel der Houston Chronicle vom 1. Dezember 2001 behandelte die extreme Schadenanfälligkeit von New Orleans gegenüber einem Hurrikan von der Golfküste. Etwas früher hatte die Federal Emergency Management Agency (FEMA) die Schäden eines Hurrikans in New Orleans als eine der drei wahrscheinlichsten und größten Katastrophen in den USA eingestuft.

Die Chronicle schrieb: "Im Falle eines nahenden Sturms könnten laut Wissenschaftlern 250.000 oder mehr Menschen auf den unzureichenden Evakuierungsrouten stecken bleiben. Jeder zehnte Zurückgebliebene würde vermutlich in der sechs Meter unter Wasser stehen Stadt sterben."

Der Artikel wies darauf hin, dass seit Jahrzehnten keine ernsthaften Schritte mehr unternommen worden waren, die Sicherungssysteme der Stadt aufzurüsten. "Es ist 36 Jahre her, seit der Hurrikan Betsy New Orleans zwei Meter tief überschwemmte. Seitdem haben die Verschlechterung des Ökosystems und eine intensivere Bebauung die Stadt in eine prekäre Lage gebracht. Dennoch wird das Problem, wie Experten berichten, von leichtsinnigen Regierungen ignoriert."

Eine der von Experten und Behörden ins Auge gefassten Lösungen war ein großflächiges Projekt, wieder schützende Feuchtgebiete anzulegen, die nahende Wirbelstürme abbremsen können. Dieser natürliche Schutz war über einen langen Zeitraum hinweg zerstört worden, teilweise durch das Dammsystem selbst, das Schwemmstoffe des Mississippi zurückhält und so die Regeneration der Feuchtgebiete verhindert. Ein Gesetz des Kongresses schuf 1990 eine Arbeitsgruppe mit einem jährlichen Budget von 40 Millionen Dollar. Aber das war absolut unzulänglich und konnte die Zerstörung des Feuchtlandes lediglich in geringem Maße verlangsamen.

Die Chronicle merkt an: "Es gab andere Projekte, wie die Wiederherstellung von Wallriffen oder eine große Sperre, die verhindert, dass der Pontchartrainsee die Stadt überflutet und unter Wasser setzt. All das sind Multimilliarden-Dollar Projekte." Obwohl Computermodelle für den Fall, dass ein Hurrikan der Stärke vier oder fünf die Stadt träfe, Zehntausende Tote und den Verlust von Milliarden von Dollar vorhergesagt hatten, wurde keines dieser Projekte ausreichend finanziert.

Die Erhöhung der Dammsysteme, um einen besseren Schutz zu gewährleisten, hätte ein bis zwei Milliarden Dollar gekostet. Ein anderer Vorschlag, der die längerfristigen geographischen Probleme von New Orleans, wie die Zerstörung der Feuchtgebiete, anpackt, würde über einen Zeitraum von 30 Jahren 470 Millionen Dollar jährlich, also insgesamt 14 Milliarden Dollar erfordern.

All diese Projekte wurden abgelehnt. Die Finanzierung der sozialen Infrastruktur ist von demokratischen wie republikanischen Regierungen seit Jahrzehnten zugunsten der Bereicherung einer schmalen Bevölkerungsschicht vernachlässigt worden. In jüngster Zeit haben die Kosten für den Irakkrieg und Bushs Steuergeschenke an die Reichen eine direkte Rolle gespielt. Die ohnehin knappen nationalen Gelder für die Verbesserung des Schutzes der Stadt vor Wirbelstürmen und Fluten, die 1995 vom Kongress genehmigt wurden, sind während der letzten fünf Jahre fast vollständig ausgetrocknet.

Laut einem Artikel von Will Brunch, der am 30. August in Editor & Publisher erschien, hat das Army Corps of Engineers, das diesen nationalen Fonds verwaltet, "nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass die Kosten für den Irakkrieg und den Heimatschutz - sowie gleichzeitige Steuerkürzungen für die Reichen - ursächlich für die Kürzungen waren". Der Artikel fährt fort: "Mindest neun Artikel, die 2004 und 2005 in der Times-Picayune erschienen sind, führen den Irakkrieg ausdrücklich als Grund für den Geldmangel beim Hurrikan- und Flutschutz an."

Die Kürzungen hielten bis zur Hurrikankatastrophe an. Ein Artikel der New Orleans CitiBusiness vom Juni 2005 bemerkt, dass die Abteilung des Army Corps of Engineers in New Orleans im Haushaltsjahr 2006 "bei der nationalen Finanzierung Rekordkürzungen von 71,2 Millionen Dollar hinnehmen muss. Es sei für die Abteilung von New Orleans die größte Kürzung des Etats in einem Jahr, sagte ein Sprecher der Behörde... Zu den meistbetroffenen Bereichen gehört das Southeast Louisiana Urban Flood Control Project [SELA], das nach der Flut von 1995 eingerichtet wurde, um die Entwässerung in den Gemeinden Jefferson, Orleans und St. Tammany zu verbessern. SELAs Budget wurde vom Repräsentantenhaus und dem Präsidenten von 36,5 Millionen Dollar im Jahr 2005 auf 10,4 Millionen Dollar für 2006 gekürzt."

100.000 Arme wurden hilflos zurückgelassen

Nach Katrina warfen die regionalen Politiker den Menschen, die während des Sturms in der Stadt in der Falle saßen, vor, sie hätten die Stadt nicht rechtzeitig verlassen.

Die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, sagte am Mittwoch: "Wir haben all diese Leute gebeten, die Stadt zu verlassen. Auch denen mit begrenzten Mitteln wurde die Möglichkeit gegeben." Terry Ebbert, der Chef des Heimatschutzes in New Orleans, behauptete am Montag, alle die sich noch in der Stadt befänden, würden sich aus freien Stücken dort aufhalten. Dann fügte er in der für die Regierung typischen Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit hinzu: "Für einige war es die letzte Nacht auf dieser Welt. Es ist hart, auf diese Weise aus seinen Fehlern lernen zu müssen."

Diese Linie wurde auch von den Medien wiederholt. Ein Artikel der Washington Post vom Dienstag ("Ein verzweifelter Exodus in New Orleans") bezeichnet diejenigen, die noch immer in New Orleans festsaßen, als "Menschen, die sich den Anweisungen zur Evakuierung widersetzt haben, darunter viele Alte und Schwache." (Hervorhebung hinzugefügt)

In Wirklichkeit wusste die Regierung seit langem, dass im Falle eines Hurrikans, der die Evakuierung der Stadt erfordert, mindestens 100.000 Menschen vor allem mangels ausreichender Transportmittel nicht in der Lage sein würden, die Stadt zu verlassen. Die Times-Picayune warnte im Jahr 2002 unter dem Titel "Zurückgelassen": "Sobald klar ist, dass ein Hurrikan die Stadt treffen wird, bietet die Evakuierung die beste Möglichkeit zu überleben... 100.000 Menschen ohne Transportmittel sind besonders gefährdet... Ein großer Teil der geringverdienenden Bevölkerung besitzt keine eigenen Autos und ist auf ein nicht erprobtes öffentliches Notfalltransportsystem angewiesen."

Die regionalen Stellen reagierten auf das Evakuierungsproblem, indem sie die Armen einfach sich selbst überließen. Etwas über einen Monat vor der Hurrikankatastrophe, am 24. Juli, berichtete die Times-Picayune : "Die städtischen, regionalen und nationalen Behörden haben den Ärmsten der Armen in New Orleans eine klare Botschaft übermittelt: Im Falle eines Hurrikans seid Ihr auf Euch allein gestellt."

Die Zeitung schrieb weiter: "In vorbereiteten Auftritten, die jetzt aufgezeichnet werden, verkünden Behördenvertreter wie Bürgermeister Ray Nagin, der örtliche Rote-Kreuz-Geschäftsführer Kay Wilkins und der Stadtratsvorsitzende Oliver Thomas, dass die Stadt nicht über die Ressourcen verfügt, um schätzungsweise 134.000 Menschen ohne Transportmittel in Sicherheit zu bringen... Diese Evakuierungsaufrufe werden aufgezeichnet, obwohl eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität New Orleans zum Schluss gelangt, dass bis zu 60 Prozent der Einwohner der südöstlichen Gemeinden von Louisiana bei einem Wirbelsturm der Kategorie drei in ihren Häusern verbleiben würden."

Als sich der Sturm näherte, wussten die städtischen Behörden, dass große Teile der Bevölkerung ihre hastig angeordnete Evakuierung gar nicht befolgen konnten. In einem Bericht der Associated Press vom Abend des 27. August, also über 36 Stunden bevor der Sturm die Stadt traf, heißt es: "Mindestens 100.000 Menschen haben nicht die Transportmittel, die Stadt zu verlassen." Der Bericht zitiert den 74-jährigen Hattie Johns: "Ich weiß, dass sie uns sagen, wir sollen die Stadt verlassen, aber ich habe keine Möglichkeit dazu... Wenn Du kein Geld hast, kommst Du hier auch nicht raus."

Zusätzlich zu den fehlenden Transportmitteln hatten viele Arme auch kein Geld, um ein Hotelzimmer zu bezahlen. Weil keine Regierungsbehörde - weder städtisch, regional noch national - bereit war, die Flüchtlinge finanziell zu unterstützen, blieb diesen Leuten keine andere Wahl, als in ihren Häusern zu bleiben und zu hoffen, der Sturm möge an der Stadt vorbei ziehen. Möglicherweise sind Tausende dieser Menschen in den Fluten ertrunken, die Katrina verursacht hat.

Während einige der durch den starken Hurrikan verursachten Schäden unter keinen Umständen hätten verhindert werden können, war die enorme und beispiellose Zerstörung New Orleans das Produkt einer definitiven Politik, für die die herrschende Elite der USA und ihre politischen Repräsentanten die Verantwortung tragen.

Siehe auch:
Hurrikan Katrina: Von der Naturkatastrophe zur Demütigung der USA
(5. September 2005)
Bush schließt größere Bundeshilfe für Hurrikan-Opfer aus
( 3. September 2005)
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