Hurrikankatastrophe zeigt Scheitern des Profitsystems

Folgende Erklärung wurde von den Students for Social Equality (Studentenorganisation der Socialist Equality Party der USA) an amerikanischen Schulen und Universitäten als Handzettel verteilt.

Die Verwüstung, die der Hurrikan Katrina in Louisiana und Mississippi hinterlassen hat, wird die Art und Weise, wie breite Schichten der arbeitenden Bevölkerung Regierung und Gesellschaft wahrnehmen, für immer verändern. Der Schock über den Wirbelsturm und die darauf folgende Überschwemmung von New Orleans haben den morschen Zustand der herrschenden Gesellschaftsordnung bloßgelegt: Nicht nur die Dämme sind geborsten, eingebrochen sind auch die gesellschaftlichen und politischen Institutionen, von denen Millionen Menschen abhängig sind.

Zurzeit geht man davon aus, dass bis zu zehntausend oder mehr Menschen in der letzten Woche umgekommen sind. Sie sind tot wegen der Inkompetenz, Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit der Regierung. Sie sind tot, weil die Vereinigten Staaten ein Land sind, in dem Millionen Menschen an oder unter der Armutsgrenze leben. Sie sind tot, weil dies eine kapitalistische Gesellschaft ist, in der die Anhäufung großen persönlichen Reichtums in der Hand eines kleinen Bevölkerungsteils als wichtiger gilt als das Wohlergehen der ganzen Bevölkerung.

Noch ist das volle Ausmaß der Hurrikan-Katastrophe nicht absehbar, doch die Bush-Regierung und die verschiedenen Landes- und lokalen Regierungen konzentrieren sich darauf, mit dem Finger aufeinander zu zeigen und sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus sind sie alle schuldig, der republikanische Präsident, der demokratische Gouverneur und der Bürgermeister, die Politiker beider Parteien auf allen Ebenen. Sie alle unterstützen das Profitsystem, die Ursache der Katastrophe.

Die amerikanische Gesellschaft ist nach dem Profitprinzip organisiert. In keinem anderen Land sind die Wirtschaft, die politischen Strukturen und die gesamte Kultur so vollständig auf die Anhäufung persönlichen Vermögens als oberstes Ziel ausgerichtet. Die Zerstörung von New Orleans durch eine Katastrophe, die vorhersehbar war und vor der vielfach gewarnt wurde, beweist, dass das Prinzip der privaten Akkumulation nicht mit einer vernünftig funktionierenden und menschlichen Gesellschaft zu vereinbaren ist.

Die moderne Gesellschaft ist eine Massengesellschaft. Trotz der herrschenden Ideologie des Individualismus - der "persönlichen Verantwortung", wie die aktuelle Terminologie lautet - sind Hunderte Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten bezüglich ihrer Grundversorgung von komplexen sozialen Strukturen abhängig; das gilt für die Erzeugung und Verteilung von Nahrungsmitteln, die Wasserversorgung, Elektrizität, Heizung, Transport, Bildung und Gesundheit. Wenn diese Strukturen ihren Dienst versagen, droht die Bevölkerung großer städtischer Ballungsräume schnell in barbarische Zustände zu versinken.

Die arbeitende Bevölkerung sorgt dafür, dass die gesellschaftliche Infrastruktur am Laufen bleibt, aber sie hat keine Entscheidungsbefugnis. Diese gesellschaftlichen Versorgungsleistungen befinden sich fast durchwegs im Besitz und unter Kontrolle der größten Konzerne, für die der Profit, nicht die menschlichen Bedürfnisse, an erster Stelle steht. Die Anlagen, für die der Staat auf verschiedenen Ebenen verantwortlich ist - zu denen zum Beispiel das Deich- und Kanalsystem gehört, das New Orleans umgibt - sind ebenfalls den Profitinteressen unterworfen, weil die Reichen das gesamte politische Leben Amerikas kontrollieren.

Die Region von New Orleans ist für die US-Wirtschaft ein besonderer Knotenpunkt. Sie ist einer der wichtigsten Umschlagplätze, nicht nur für im Lande gefördertes und importiertes Öl und Gas, sondern auch für die Verteilung von Gütern im amerikanischen Süden und in den ganzen Vereinigten Staaten.

Jetzt müssen Millionen Menschen die Rechnung bezahlen, und zu dem Leid der Überlebenden der Katastrophe von New Orleans oder der benachbarten Golfküstenregionen kommen die wirtschaftlichen Verluste hinzu, die in Form von hochschießenden Öl- und Gaspreisen und ökonomischen Verwerfungen der gesamten nationalen Bevölkerung aufgebürdet werden.

Warum wurde die Katastrophe nicht verhindert?

Warum war das politische System der USA unfähig, die notwendigen Mittel bereitzustellen, um diese Katastrophe zu verhindern?

Presseberichte weisen darauf hin, dass die Zerstörung von New Orleans und der Tod Tausender unschuldiger Menschen mit relativ geringen Mitteln hätten verhindert werden können. Ungefähr zwei Milliarden Dollar wären nötig gewesen, um das Deich- und Kanalsystem unmittelbar zu stärken und auszubessern. Für die Wiederherstellung des Ökosystems im Mississippi-Delta hätte man vierzehn Milliarden Dollar aufbringen müssen, wodurch ein längerfristiger Schutz vor den Hurrikan-Auswirkungen erreicht worden wäre. Aber die Steuersenkungs- und Deregulierungsmanie in Washington machte diese im Vergleich zu den Kosten der Katastrophe lächerlich geringen Ausgaben politisch unmöglich.

Die Bush-Regierung hat mehrfach den Etat für die Erhaltung und Verbesserung des Deichsystems gekürzt, obwohl Kommunal- und Staatsbeamte dagegen protestierten. Sie hat andere Prioritäten gesetzt, wie den enormen Militärhaushalt mit den Kosten für den Irakkrieg, die inzwischen schon mehr als 200 Milliarden Dollar betragen, und die milliardenschweren Steuersenkungen für die Reichen.

Es ist bezeichnend, dass eben zur Zeit, als die Deiche brachen, der Kongress aus dem Augusturlaub zurückkehrte und als ersten Tagesordnungspunkt einen Gesetzentwurf zu behandeln hatte, der die buchstäbliche Abschaffung der Grundsteuer verewigen sollte, eine Maßnahme, die den wenigen Tausend reichsten Familien Hunderte Milliarden Dollar zuschustern sollte.

Diese Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben ist das Ergebnis von drei Jahrzehnten, in denen die amerikanische herrschende Klasse auch noch die äußerst bescheidenen Elemente einer sozialen Infrastruktur und eines sozialen Netzes unterhöhlte, die aus den New-Deal-Programmen der 1930er Jahre stammten. Der New Deal war unter Franklin Roosevelt als Reaktion auf die größte soziale und Wirtschaftskrise des zwanzigsten Jahrhunderts eingeführt worden; er richtete sich nicht nur gegen die Folgen des Finanzzusammenbruchs, der zur Großen Depression führte, sondern auch einer akuten Umweltkrise, der so genannten Dust bowl (Staubschüssel) in den Great Plains (den amerikanischen Präriegebieten im Zentralwesten).

Der New Deal schuf außer Sozialsystemen (z.B. der Rentenversicherung) und Regulierungsbehörden (z.B. der Börsenaufsicht) auch öffentliche Arbeitsprogramme, so die Tennessee Valley Authority, die Dämme und Deiche gegen Überflutungen baute und für eine preisgünstige und verlässliche Stromversorgung sorgte.

Entgegen dem Geheul von Roosevelts Gegnern in der herrschenden Klasse waren dies keineswegs sozialistische Maßnahmen. Sie kamen zwar gelegentlich den kurzfristigen Profitinteressen bestimmter Kapitalistengruppen oder sogar der ganzen Kapitalistenklasse ins Gehege, beugten aber gleichzeitig sozialen Aufständen von unten vor, die das Profitsystem insgesamt bedroht hätten.

Im Gegensatz dazu rast heute eine wilde Zerstörungsorgie durch die US-amerikanische Politik und reißt alle Schranken nieder, die der Anhäufung persönlichen Reichtums entgegenstehen. Steuern auf die wichtigsten Einnahmequellen der Superreichen, wie die Vermögenssteuer und Besteuerung der Finanzspekulation, sind so gut wie abgeschafft worden.

Die Triebkraft für die Rechtswende der beiden großen Parteien, der Demokraten wie der Republikaner, ist die ökonomische Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft. Die große Mehrheit der Bevölkerung gehört heute zum Proletariat und arbeitet Monat für Monat für große und kleine Unternehmer. Die früher recht zahlreiche, besitzende Mittelklasse aus Roosevelts Tagen - die bäuerlichen Familienbetriebe und kleinen Geschäftsleute - sind weitgehend in der Arbeiterklasse aufgegangen, die jetzt die große Mehrheit der Bevölkerung stellt. Die Lage wird selbst für die gut bezahlten Arbeiter immer unsicherer, sie leben immer stärker am Limit und müssen befürchten, durch eine Entlassung oder ernste Krankheit in den Abgrund gestoßen zu werden.

Am anderen Ende der Gesellschaft herrscht eine Anhäufung privater Reichtümer vor, wie es sie noch nie in der Geschichte gegeben hat. Im reichsten Land der Welt besitzen weniger als ein Prozent der Bevölkerung mehr als vierzig Prozent des gesamten Wohlstands. Von Immobilien abgesehen, besitzt diese privilegierte Elite fast neunzig Prozent des Reichtums: Aktien, Pfandbriefe und andere Finanzmittel, sowie Unternehmen. Diese Klasse kontrolliert die demokratische und die republikanische Partei und die Regierung auf jeder staatlichen Ebene, der kommunalen, der staatlichen und der Bundesebene.

Die politischen Folgerungen

Unter anderen Umständen und in einem anderen politischen System würde die katastrophale Bilanz der Bundeskatastrophenschutzbehörde und anderer Bundesbehörden das Überleben der Regierung in Frage stellen. Mit Sicherheit sind Regierungen schon über Geringeres gestolpert.

Aber das amerikanische politische System ist mehr als jede andere nominelle "Demokratie" der Stimmung breiter Teile der Bevölkerung völlig entrückt. Die einzige "Öffentlichkeit", die für die Demokraten und Republikaner, die Medien und das übrige politische Establishment Gewicht hat, ist die herrschende Elite und ihre Anhängsel unter den wohlhabendsten Gesellschaftsschichten. Mit Einkommen im hohen sechsstelligen Bereich und einem umfangreichen persönlichen Vermögen sind sie von der übrigen Bevölkerung durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt.

Das drückte sich in den von Spott und Hohn triefenden Äußerungen über die Arbeiterfamilien aus, die New Orleans nicht vor dem Sturm verlassen konnten oder wollten. Das politische und mediale Establishment hatte keine Vorstellung von der Lage dieser Menschen, die kein Auto besaßen, nicht wussten, wo sie hingehen sollten, kein Geld hatten, um sich irgendwo einzumieten, oder einfach auf ihre Lohnzahlung am Ende des Monats warteten.

Auch wenn Bush morgen zurückträte, würde ihm ein Cheney oder ein anderer republikanischer oder demokratischer Politiker nachfolgen, und das System würde weiterlaufen wie bisher. Auf diese Weise kann sich keine ernsthafte Alternative für die arbeitenden Menschen entwickeln. Genauso wenig würde ein Sieg der Demokraten über die Republikaner bei den Kongresswahlen von 2006 einen wesentlichen Unterschied machen.

Es gibt keine einfache Lösung für die Probleme, vor denen die Arbeiterklasse steht; dafür sind die Fragen zu weitreichend. Die arbeitende Bevölkerung muss grundsätzliche Lehren aus dem Charakter des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems ziehen, das imperialistische Kriege, Angriffe auf demokratische Rechte, wachsende Ungleichheit und jetzt den völligen Zusammenbruch angesichts einer Naturkatastrophe hervorgebracht hat.

Die Menschheit ist mit einer Wissenschaft und einer Technologie ins 21. Jahrhundert eingetreten, die ständig revolutioniert wird, und mit deren Hilfe Armut, Hunger, Krankheiten und alle gesellschaftlichen Übel überwunden werden könnten. Aber das ist unmöglich, solange die Gesellschaft in ökonomischen Verhältnissen und einer Klassenstruktur gefangen ist, die aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammt, solange eine kleine Minderheit von Kapitalisten die gesellschaftlichen Produktionsmittel privat besitzt, und ihr einziges Interesse darin besteht, individuellen Profit aufzuhäufen.

Die amerikanische Bevölkerung muss sich entscheiden, entweder an dem gesellschaftsfeindlichen und egoistischen Individualismus festzuhalten, der von unersättlicher Gier nach persönlichem Reichtum zerfressen ist, oder eine neue politische Bewegung aufzubauen, die sich auf den Kampf für soziale Gleichheit und das Gemeinwohl gründet.

Die Arbeiterklasse muss erkennen, dass die großen Fragen, die vor der amerikanischen Gesellschaft stehen, einen Kampf um die politische Macht erfordern. Es geht nicht darum, Druck auf die herrschende Elite auszuüben oder einen Zweig dieser Elite durch einen anderen zu ersetzen. Nötig ist der Aufbau einer neuen politischen Partei der Arbeiterklasse, die von Demokraten wie Republikanern unabhängig ist und sich auf ein sozialistisches Programm stützt.

Die Mehrheit der Bevölkerung muss bestimmen, nicht bloß wie der nächste Präsident heißen wird - nachdem die herrschende Elite bereits eine sorgfältige Vorauswahl der zwei "Alternativen" auf dem Stimmzettel getroffen hat -, sondern wie die Gesellschaft organisiert sein wird. Arbeiter müssen sich die Frage stellen, was in der Gesellschaft wichtiger ist: die sozialen Interessen der Vielen, oder das Scheffeln privaten Reichtums durch die privilegierten Wenigen? Warum stehen Hunderte Milliarden Dollar für den Krieg ums Öl zur Verfügung, aber nichts, wenn es darum geht, öffentliche Dienste zu erhalten, von denen Zehntausende Menschen erwiesenermaßen auf Leben und Tod abhängig sind?

Man muss einen neuen politischen Weg einschlagen. Der entscheidende nächste Schritt besteht darin, die Socialist Equality Party aufzubauen und die Leserschaft der World Socialist Web Site zu vergrößern. Wir rufen all jene auf, die jetzt die Notwendigkeit sehen, in den Vereinigten Staaten und weltweit eine machtvolle politische Bewegung aufzubauen: Nehmt Kontakt auf mit der SEP und tretet ihr bei.

Siehe auch:
Washington stiehlt sich aus der Verantwortung für Hurrikan-Opfer
(6. September 2005)
Hurrikan Katrina: Von der Naturkatastrophe zur Demütigung der USA
( 5. September 2005)
Bush schließt größere Bundeshilfe für Hurrikan-Opfer aus
( 3. September 2005)
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