Frankreich: Mögliche Präsidentschaftskandidatin der Sozialistischen Partei will aufsässige Jugendliche ins Militär stecken

Am 31. Mai hat sich Ségolène Royal, ehemalige Familienministerin der Sozialistischen Partei, als harte Law-and-Order-Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen 2007 präsentiert. Royal hielt eine Rede in Bondy, einem der nördlichen Pariser Vororte, nicht weit von Monfermeil und Clichy-sous-Bois entfernt, wo in den beiden vorangehenden Nächten neue Jugendunruhen die Polizei in Atem hielten.

Sie beschuldigte Innenminister Nicolas Sarkozy, nicht hart genug durchzugreifen. Sie kritisierte Sarkozy mit den Worten: "Heute sieht man, dass die Sicherheitspolitik flagrant gescheitert ist. Gescheitert ist ihr Hauptverantwortlicher, der selbst zu Unruhen, Unordnung und Ineffizienz beigetragen hat. Eine andere, viel festere Politik ist notwendig."

Sarkozy ist Vorsitzender der regierenden gaullistischen UMP (Union für eine Volkpartei) und wichtigster Anwärter auf die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei. Er ist für Gesetz verantwortlich, die die Vollmachten der Polizei zur Unterdrückung und Überwachung ausgeweitet haben. In den Arbeiterwohngebieten hat er aggressive und provokative Methoden der Polizeiarbeit eingeführt.

Royals Erklärung zeigt, dass die Sozialistische Partei jeden sozialreformerischen Anspruch aufgegeben hat und auf die Jugendrevolten in den Großstadtghettos mit Repression reagiert. Sie wird allgemein als deutliche Rechtswende verstanden. Die Lippenbekenntnisse, die die Sozialistische Partei humanitären Prinzipien gezollt hat, werden jetzt fallengelassen.

Der französische Moralist des 17. Jahrhunderts, François de la Rochefoucauld, schrieb einmal: "Heuchelei ist die Anerkennung, die das Laster der Tugend zollt." Doch selbst die traditionellen Formen der Heuchelei werden jetzt von weiten Teilen der offiziellen Linken des politischen Establishments fallen gelassen.

Royals Vorstoß erfolgt mitten in einer tiefen Krise der gaullistischen Regierung. Unter dem Druck einer massenhaften Opposition musste sie im April in der Frage des CPE (Erstarbeitsvertrags) den Rückzug antreten. Der CPE hätte Arbeitgebern das Recht gegeben, junge Arbeiter willkürlich und ohne Begründung zu entlassen. Seitdem liegen die Umfragewerte von Präsident Jacques Chirac und Premierminister Dominique de Villepin auf einem Rekordtief. Zusätzlich sind sie in vielfältige Korruptionsskandale verstrickt.

Mit ihren scharfen Äußerungen gegen eingewanderte und Arbeiterjugendliche wollte Royal den herrschenden Kreisen Frankreichs und Europas signalisieren, dass ihre Interessen bei einer von ihr geführten Regierung der Sozialisten in guten Händen lägen.

Gleichzeitig hat ihre autoritäre Stellungnahme, die sich nominell gegen Sarkozy richtet, der reaktionären Politik der rechten UMP-Regierung zu neuer Glaubwürdigkeit verholfen. Sie ist außerdem ein indirekter Angriff auf die Massenbewegung der Studenten und Schüler gegen den CPE. Eine Hauptforderungen der Studentenbewegung lautete: Amnestie für alle, die polizeilicher Verfolgung zum Opfer gefallen und von Gerichten verurteilt worden sind. Diese Forderung bezog sich nicht nur auf die eigene Bewegung, sondern auch auf Jugendliche, die wegen ihrer Teilnahme an den Vorstadtunruhen vom vergangenen Herbst bestraft worden sind.

Seit September wird Royal von den Medien zur führenden Kandidatin der Sozialistischen Partei bei der Präsidentschaftswahl 2007 aufgebaut. Mächtige Kräfte in der politischen und Wirtschaftselite Frankreichs unterstützen sie dabei, die einstige Bindung der Sozialistischen Partei an den sozialdemokratischen Reformismus zu lösen und sie auf einen klaren marktwirtschaftlichen, kapitalistischen Kurs zu bringen, vergleichbar mit dem "New Labour" Projekt des britischen Premierministers Tony Blair. Royal hat sich schon mehrfach bewundernd über Blair geäußert.

Royal verlas in Bondy eine sorgfältig vorbereitete Rede und sagte, es sei dringend notwendig, die Familien wieder auf Linie zu bringen - " remettre au carré les familles" - ein Ausdruck, der einen militärischen Anklang hat. Sie sagte, natürlich seien die Störenfriede möglicherweise Verlierer der Gesellschaft, "aber für Mitleid ist kein Platz".

Sie forderte Disziplinarmaßnahmen gegen Eltern aufmüpfiger Grundschulkinder, sowie "obligatorische Elternkurse". Sie schlug vor, "die Familiensozialhilfe unter administrative Kontrolle zu stellen, wie es auch jetzt schon der Fall ist, aber mit dem zusätzlichen Ziel, die Eltern für eine soziale Reintegration zu motivieren".

Für die weiterführenden Schulen schlug sie vor, "die acht bis zehn störenden Schüler, die die ganze Schule dominieren und verderben, aus der Schule zu nehmen". Diese sollten "automatisch in die nächste Erziehungsanstalt gesteckt werden".

Den drakonischsten Vorschlag hob sich Royal für jugendliche Straftäter über sechzehn auf, die nach ihrer Meinung ins Militär gesteckt werden sollten. Sie forderte, sie sollten "von der ersten Straftat an automatisch in eine Einrichtung unter Aufsicht des Militärs" gegeben werden und fügte hinzu. "Für sie wäre das die Wiedereinführung der Wehrpflicht, wo sie ihre Bürgerpflichten lernen würden."

Die nationale Führung der Sozialistischen Partei hat auf ihrer Sitzung vom 6. Juni Royals Vorschläge, mit Ausnahme der Einbeziehung des Militärs, in ihren Programmentwurf für die Wahlen 2007 übernommen und damit eine autoritäre Haltung akzeptiert.

Die Gaullisten und die Rechtsextremen haben dies sofort verstanden. Sarkozys Kommentar lautete: "Bravo, Madame Royal, Sie sind auf unserm Gleis." Premierminister de Villepin sagte: "Ich habe festgestellt, dass sie in die gleiche Richtung geht wie wir."

Der UMP-Abgeordnete für Saône-et-Loire bemerkte, Frau Royal sei ganz auf Sarkozy-Linie, und fügte hinzu, sie sei eine wahre Offizierstochter. Georges Fenech, der UMP-Abgeordnete für Rhône, zeigte sich entzückt darüber, dass Royal "einen plötzlichen Bruch mit der altbewährten sozialistischen Gefühlsduselei vollzogen" habe und rief nach "militärischen Zentren nach dem Modell der Chicagoer boot-camps ".

Karl Lang, Europaparlamentarier für den neofaschistischen Front National von Jean-Marie Le Pen, verkündete: "Die Lepenisierung der Köpfe schreitet viel schneller voran, als wir zu hoffen wagten."

Als Royal aus den Reihen der Sozialistischen Partei angegriffen wurde, weil sich einige bei einer so offenen Befürwortung autoritärer Maßnahmen doch unbehaglich fühlten und ihre Vorschläge einer militaristischen Erziehung kritisierten, schlug sie vehement zurück: "Die Abschaffung der Wehrpflicht war ein Fehler, wir müssen sie wieder einführen", sagte sie. Sie forderte ihre Kritiker auf, ihr ein Beispiel für die Unverträglichkeit von Sozialismus und Männern in Uniform zu nennen. "Wer geht auf die Katastrophenschauplätze der Welt? Soldaten, Feuerwehrleute und Gendarmen... das heißt Berufstätige in Uniform."

Es gab auch Stimmen der Unterstützung für Royals Vorschläge in der Partei. So drückte Julien Dray, der offizielle Parteisprecher und frühere Anhänger der LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) seine Zustimmung aus, ebenso der sozialistische Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoë und viele andere.

Manuel Valls, der die Nominierung des früheren Premierministers Lionel Jospin als Kandidat der Sozialistischen Partei für die bevorstehende Präsidentschaftswahl befürwortet, erklärte: "Nichts von dem, was ich von ihrer Rede gehört und gelesen habe, schockiert mich. Es geht um die Priorität von Sicherheit, Autorität, der Vorschriften." Er fügte hinzu: "Ich denke nicht, dass ihr das so rausgerutscht ist. Ich glaube, sie hat Dinge klar gesagt, auf die man in den Arbeitersiedlungen gewartet hat."

François Hollande, erster Sekretär der Sozialistischen Partei und Royals Lebenspartner, erklärte: "Wenn man zu Arbeitern spricht, dann muss man zu Menschen reden, die diese Probleme, d.h. Arbeitsplatzunsicherheit und Gefahr für Leib und Leben, am eignen Leib erfahren haben." Später distanzierte er sich von Royals Einbeziehung des Militärs.

François Chérèque, Generalsekretär der CFDT, sagte den Medien, Royal habe recht, die Fragen der Kriminalitätsbekämpfung anzusprechen, auch wenn ihre Äußerungen "schockierten". Er fügte hinzu: "Die Linke würde einen großen Fehler machen", wenn sie diese Themen nicht aufgreifen würde. "Was mich schockiert ist die Tatsache, dass wir sie nicht diskutieren können", sagte er. Er gab zu, dass ihr Appell zur militärischen Erziehung "ein wenig stark" gewesen sei.

Die CFDT ist die größte Gewerkschaft Frankreichs. Sie steht der Sozialistischen Partei nahe und spielt eine führende Rolle in der Intersyndicale, einer Gruppe von zwölf Studenten- und Arbeiterorganisationen, die sich gemeinsam bemühten, die Massenproteste gegen den CPE abzuwürgen.

Die Medien haben Royals Äußerungen mit großem Lob für ihren "Mut" quittiert. Immer wieder wurde die "Originalität" ihrer Ideen lobend erwähnt, obwohl sie nur alte, bei französischen Rechtskonservativen beliebte Rezepte wiederaufgewärmt hat.

Le Monde, die Zeitung, die sonst der linken Mitte der bürgerlichen Intelligenz zugerechnet wird, schrieb in einem Leitartikel vom 3. Juni: "Madame Royals Kühnheit ist echt. Sie kümmert sich um keine Tabus, sie nimmt kein Blatt vor den Mund und bringt Vorschläge vor, die viele ihrer politischen Freunde irritieren. Ihre Worte über Repression tönen in den Ohren der Sozialisten und der ganzen Linken nicht besonders süß. Madame Royal gebührt das Verdienst, laut ausgesprochen zu haben, dass die Rechte das Sicherheitsmonopol nicht gepachtet hat. Das muss man der potentiellen PS-Kandidatin hoch anrechnen."

Am gleichen Tag hieß es im konservativen Figaro in einem begeisterten Leitartikel: "Sie hat’s gewagt! Ségolène Royal hat zu sagen gewagt, dass die Unsicherheit, außer der Arbeitslosigkeit, das Hauptübel der Gesellschaft ist." Im Leitartikel heißt es dann, obwohl die Ideen nicht gerade neu seien, sei "eine solche Rede aus dieser Ecke ein Ereignis", sie stelle "einen vollkommenen Bruch mit dem gefühlsduseligen Menschenrechtlertum dar, das seit Mitte der achtziger Jahre innerhalb der PS auf den Trümmern eines maroden Marxismus" gewuchert habe. Der Autor dieses Leitartikels zeigte sich begeistert, dass die lange verachteten Werte "Autorität, Arbeit, Familie und Nation" wieder in Mode kämen.

Die 53-jährige Ségolène Royal kam im Senegal, der damaligen westafrikanischen französischen Kolonie, als Tochter eines Obristen der Artillerie zur Welt. Ihr Bruder, ebenfalls ein Offizier, war 1985 in die Greenpeace-Affäre verwickelt, als der französische Geheimdienst das Schiff "Warrior" der Umweltorganisation vor der neuseeländischen Küste versenkte. Das Schiff war an Protesten gegen Nuklearwaffentests im Pazifik beteiligt, die unter der Verantwortung von Präsident François Mitterrand und seinem Premierminister Laurent Fabius (beide Sozialistische Partei) durchgeführt wurden.

Royal hat die ENA absolviert, eine Eliteschule, die ein Großteil der französischen politischen und Verwaltungselite hervorbringt, und 1982 wurde sie Mitterrands technische Beraterin. Seit über 25 Jahren lebt sie mit François Hollande zusammen und hat vier Kinder mit ihm.

In Lionel Jospins Regierung der "Mehrheitslinken" (1997-2002) war sie Staatsekretärin und seit den Regionalwahlen 2004 ist sie Präsidentin des Regionalrats von Poitou-Charente.

Sie repräsentiert eine Schicht von Technokraten und Managementpersonal, die Mitterrand um sich scharte. Nationalistisch, antimarxistisch und jeder unabhängigen revolutionären Perspektive für die Arbeiterklasse abhold, unterstützte diese Schicht bisher die Rechte von Schwulen- und Lesben sowie Minderheiten- und Frauenrechte und präsentierte sich als Verteidigerin demokratischer Rechte gegen den Aufstieg von Le Pens Front National. Das ist nicht länger der Fall.

Die scharfe Rechtswende der politischen Kräfte, af die sich Royal stützt, ist Bestandteil einer generellen Aufgabe demokratischer Grundrechte durch das politische Establishment aller kapitalistischen Länder, die von einer zunehmenden globalen Krise befördert wird. Diese Krise nimmt in Frankreich besonders bösartige Formen an.

Siehe auch:
Die sozialen Bewegungen in Frankreich: Politische Lehren aus zehn Jahren
(27.-30. Mai 2006)
Nein zum Ausnahmezustand in Frankreich!
( 10. November 2005)
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