Deutschland drängt nach Afrika

Bundeskabinett beschließt Militäreinsatz im Kongo

Als Afrika im 19. Jahrhundert unter den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt wurde, kam Deutschland zu spät. Es musste mit Bruchstücken, wie Togo und Namibia, vorlieb nehmen, die es dann im Ersten Weltkrieg wieder verlor. Nun hat ein neuer Wettlauf um Afrika begonnen, und Deutschland will nicht wieder abseits stehen.

Das ist der Hintergrund der Entscheidung, 780 Bundeswehrsoldaten in die bürgerkriegserschütterte Demokratische Republik Kongo zu entsenden, die das Bundeskabinett am Mittwoch getroffen hat. Die erforderliche Zustimmung des Bundestags gilt als sicher.

Es handelt sich um den größten deutschen Militäreinsatz auf dem afrikanischen Kontinent seit der Kapitulation von Hitlers Afrikakorps im Mai 1943. Der Einsatz erfolgt im Rahmen einer rund 2.000 Mann umfassenden EU-Mission und steht unter deutschem Oberbefehl. Offiziell dient er dazu, die für den 30. Juli geplanten Wahlen militärisch abzusichern, und ist auf vier Monate begrenzt. Kritiker sind sich aber einig, dass es sich um ein Abenteuer mit offenem Ausgang handelt. Der Verlauf der Mission ist derzeit nicht abzusehen. Sie könnte sich rasch zu einem echten Kriegseinsatz entwickeln.

Der gegenwärtige Machthaber Joseph Kabila verfügt über eine 10.000 bis 15.000 Mann starke Präsidentengarde, die er im Falle einer Wahlniederlage mobilisieren könnte. Sie stammt aus seiner Heimatprovinz, dem reichen Katanga.

Besonders im Osten des Landes könnten die Wahlen leicht zum Brandbeschleuniger für ein verheerendes Aufflammen des schwelenden Bürgerkrieges werden. Lokale Warlords, organisierte Gruppen wie die Ruanda nahestehenden Parteien RCD-Goma (Rassemblement Congolais pour la Démocratie) und FLNR (der Nachfolgeorganisation der Interahamwe-Milizen, die 1994 einen Völkermord durchführten), sowie der als Marionette von Ruandas Präsident Kagame bekannte General Laurent Nkunda haben keinerlei Interesse an einem durch die Wahlen vermittelten Machtzuwachs der Zentralgewalt in Kinshasa.

Aber auch andere Vertreter der Zentralgewalt, die neben Kabila als aussichtsreiche Kandidaten gelten, sind kaum Verfechter von Demokratie. Da ist der ehemalige Chef der Zentralbank Pierre Pay-Pay sowie der ehemalige Premierminister Etienne Tshisekedi, der allerdings zum Boykott der Wahlen aufgerufen hat und wohl keine Rolle in ihnen spielen wird. Beide verfügen wie Kabila über eine starke militärische Basis - Pay-Pay in Form eines Bündnisses aus Milizenführern und einigen Hauptstadtpolitikern, Tshisekedi in der von ihm kontrollierten Provinz Kasai.

Unter diesen Umständen können die Angehörigen der Mission sehr schnell in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt werden, die weitere Einsäte in weitaus größerem Ausmaße zur Folge hätten.

Derartige Befürchtungen sind auch in Berlin weit verbreitet. "Viele Unions-Abgeordnete fürchten eine Überlastung der Bundeswehr und unkalkulierbare Kosten, falls der Einsatz nicht pünktlich beendet werden kann", meldet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt kritisiert, es handle sich um die schlechtestvorbereitete Mission, die er jemals erlebt habe. Der SPD-Verteidigungsexperte Johannes Kahrs spricht von einer "windigen Mission".

Kampf um Rohstoffe

"On s’engage et puis on voit" - "Man beginnt, und das weitere wird sich zeigen", pflegte Napoleon vor riskanten Schlachten zu sagen. Demselben Motto folgt offenbar die Bundesregierung, wenn sie alle Warnungen in den Wind schlägt und auf dem Einsatz im Herzen Afrikas besteht. Was ist der Grund für diese Risikobereitschaft? Warum ist ihr die militärische Präsenz im Kongo derart wichtig?

Die offizielle Rechtfertigung, es gehe um die Sicherung einer "friedlichen, demokratischen Entwicklung" im Kongo, ist eine schlichte Lüge. Allein schon die Vorstellung, 2.000 europäischen Soldaten könnten ein völlig zerrüttetes Land von der Größe Europas innerhalb von vier Monaten befrieden, ist absurd.

Der Kongo befindet sich seit zehn Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg, der schätzungsweise 3,8 Millionen Todesopfer gefordert hat. Beteiligt sind - neben den einheimischen Warlords und Regierungstruppen - Streitkräfte der Nachbarstaaten Uganda, Ruanda, Angola, Burundi, Sudan, aus anderen Staaten wie Tschad, Namibia und Südafrika, sowie - direkt oder indirekt - aus Frankreich, den USA und anderen westlichen Industrienationen. Zuvor war das Land unter der Diktatur von Sese Seke Mobutu drei Jahrzehnte lang völlig zerfallen. Mobutu war an die Macht gelangt, nachdem Unabhängigkeitsführer Patrice Lumumba 1961 mit westlicher Hilfe ermordet worden war.

Unendliche Leiden der einheimischen Bevölkerung, die völlige wirtschaftliche Zerrüttung eines an sich reichen Landes, sowie die unbeschreibliche Verrohung einer ganzen, in dem riesigen Kriegsgebiet aufwachsenden Generation sind nur die offensichtlichsten Folgen. Eine besonders grausame Form nimmt der Konflikt durch den weit verbreiteten, ja flächendeckenden Einsatz Minderjähriger als sogenannte "Kindersoldaten" an.

Selbst wenn die bevorstehende Wahl relativ ruhig verlaufen sollte, würde dies an den grundlegenden Problemen des Landes nichts ändern. Das Wahlergebnis wird höchstens die Karten zwischen den konkurrierenden einheimischen Cliquen und den hinter ihnen stehenden imperialistischen Mächten neu verteilen. Aber genau das ist der Grund, weshalb die deutsche Regierung unbedingt mit von der Partie sein will. Es geht ihr darum, einen Fuß in den Kongo und auf den afrikanischen Kontinent zu bekommen, deren ungeheuere Reichtümer derzeit neu aufgeteilt werden.

Die Hintergründe des Bürgerkriegs im Kongo liegen im Rohstoffreichtum der Region: In den beteiligten Provinzen finden sich große Vorkommen an Gold, Diamanten, Kupfer, Kobalt, Erdöl und dem in der Digitaltechnologie wichtigen Mineral Coltan. Die Nutzung dieser immensen Reichtümer stellt den stets neu zu vergebenden Preis dar, der demjenigen winkt, der momentan die Oberhand in den vielfältigen Auseinandersetzungen zu wahren versteht.

Aus der Verstrickungen transnational operierender Konzerne in den Konflikt lässt sich die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Region für die Industrie der ganzen Welt ablesen. Und in eben diesen Begehrlichkeiten liegt auch die Ursache des verstärkten Engagements der Europäischen Union in Zentralafrika.

Laut dem deutschen Diplomaten Albrecht Conze könnte der bettelarme Kongo zu den fünf reichsten Ländern Schwarzafrikas gehören, wenn es eine stabile staatliche Ordnung gäbe. Der stellvertretende Direktor der UN-Friedensmission für den Kongo (Monuc) schreibt in der April-Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik : "Seine nachgewiesenen Bodenschätze weisen ihm mit Südafrika den Spitzenplatz auf dem Kontinent zu. Sein Wasserkraftpotenzial macht ihn zum potenziellen Energielieferanten für halb Afrika. ... Die Holzreserven des noch einigermaßen intakten Tropenwalds sind die größten der Welt."

Um diesen natürlichen Reichtum tobt seit langem ein erbitterter Kampf. Frankreich nutzte lange Zeit den Umstand, dass in der ehemaligen belgischen Kolonie Französisch gesprochen wird, um hervorragende Beziehungen zu Diktator Mobutu zu pflegen. Als Mobutu 1997 durch Laurent Kabila gestürzt wurde, sahen die USA ihre Chance. Sie unterstützten Kabila und dessen Sohn Joseph, der nach der Ermordung seines Vaters im Jahr 2001 die Macht übernahm.

Das zahlte sich aus. So erwarb der US-amerikanische Konzern Phelps Dodge im vergangenen August von der Regierung Kabila die Konzession zum Abbau der größten bislang unberührten Kupferreserven der Welt. Phelps Dodge bezahlte für Schürfrechte, die nach heutigen Marktpreisen 90 Milliarden Dollar wert sind, lediglich 15 Millionen Dollar, wie Conze empört bemerkt.

Der UN-Diplomat listet auch sonst detailliert auf, wie die Rohstoffe des Landes geplündert werden. Über Uganda fließt das Gold aus dem Isturi-Distrikt, wo Afrikas zweitgrößte Goldreserven liegen, aus dem Land, über Ruanda das Coltan und Kassiterit (ein hochwertiges Zinnerz) aus der Kivu-Provinz, über Sambia das Erz und Kobalt aus der Provinz Katanga. Die jeweiligen Nachbarländer unterstützen die regierungsfeindlichen, örtlichen Milizen und werden ihrerseits von Großmächten unterstützt.

Diamanten werden unter unmenschlichen Bedingungen von Hunderttausenden Individuen abgebaut und von einem Händlernetz vertrieben, das von libanesischen Familien kontrolliert wird. Die größte Konzession hat Kabila an einen israelischen Geschäftsmann verkauft, der wiederum eng mit dem russischen Alrosa-Konzern zusammenarbeitet, der ein Viertel der Weltproduktion an Diamanten kontrolliert.

China fördert Öl und Kupfer in der Katanga-Provinz.

Während UN-Diplomat Conze Russland und China vorwirft, sie betrieben einen "neuen Kolonialismus", und sich über die Rolle der USA weitgehend ausschweigt, behauptet er, Südafrika und die EU spielten im Kongo eine "konstruktive Rolle". Ohne "die regelmäßigen Interventionen Südafrikas und der EU wäre der Übergangsprozess seit 2003 mehrfach aus dem Gleis geraten", schreibt er.

Das ist reine Propaganda. Vor allem Frankreich verfolgt seit langem eigene Interessen in der Region und wendet dabei ebenso verwerfliche Mittel an wie die anderen Großmächte. So ist inzwischen nachgewiesen worden, dass der Völkermord in Ruanda, dem 1994 schätzungsweise 900.000 Tutsi zum Opfer fielen, mit stillschweigender Billigung der ehemaligen französischen Besatzungsmacht geplant, vorbereitet und durchgeführt wurde.

Es war denn auch Frankreich, das massiv auf eine militärische Präsenz der EU im Kongo drängte. Es stellt in der nun beschlossenen Truppe ein ebenso großes Kontingent wie Deutschland. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dem französischen Präsidenten Jacques Chirac bereits vor Monaten die deutsche Beteiligung an einer derartigen Mission versprochen.

Aber auch das Interesse der deutschen Regierung am afrikanischen Kontinent ist keine Neuerung der Großen Koalition. Bereits unter der Regierung Schröder war insbesondere Außenminister Joschka Fischer stets als Vorreiter einer Ausweitung des diplomatischen und militärischen Engagements der Bundesrepublik in verschiedenen Regionen Zentralafrikas aufgetreten.

Im benachbarten Ruanda stellt die deutsche Entwicklungshilfe seit dem Völkermord den größten Posten im Staatshaushalt des Landes dar. Die gegenwärtige ruandische Regierung fällt unter dem Vorwand, die an den damaligen Massakern beteiligten Hutu-Milizionäre zu jagen, regelmäßig in kongolesisches Gebiet ein. In Wahrheit beteiligt es sich an der Plünderung der kongolesischen Bodenschätze. Dass die deutschen Entwicklungsgelder maßgeblich an der Finanzierung dieser Raubzüge beteiligt sind, wurde stets mit Stillschweigen übergangen oder durch Verweise auf den "Wiederaufbau" der 1994 zerstörten Strukturen des Landes gerechtfertigt.

Konflikt mit China

Deutschland und Frankreich fürchten, dass ihnen die USA und vor allem China im Kongo und in Afrika insgesamt den Rang ablaufen. Walther Stützle, ehemaliger Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, hat dies in Beiträgen für Deutschlandradio Kultur und den Berliner Tagesspiegel offen ausgesprochen.

"Der Wettlauf um die Ausbeutung der afrikanischen Rohstoffe ist längst und heftig im Gange, auch in Kongo," schreibt er. "Amerikaner und Chinesen gehen dabei planvoller zu Werke als die Europäer... Spät erst hat die Europäische Union sich die Frage gestellt, ob sie Afrika sich selbst und jenen überlassen will, die, wie die USA und China, harte Interessenpolitik betreiben... Europa, so vor allem das französische Machtkalkül, darf nicht länger nur Ziel afrikanischer Flüchtlinge sein, sondern muss seine Afrika-Interessen in Afrika durchsetzen. Nicht ‚Demokratie’ steht auf der Tagesordnung, allenfalls politische Stabilität."

Stützle lehnt den Kongo-Einsatz in seiner jetzigen Form zwar ab, aber nur, weil er seiner Meinung nach nicht genügend vorbereitet und durchdacht ist. "Jacques Chirac dürfte die Dimension des Engagements geläufig sein; Berlin hingegen gibt sich unverändert als Demokratie-Missionar. Französische Macht und deutsche Menschlichkeit auf dem Weg nach Afrika - mit welchem Ziel," fragt er.

Ein weiterer Hinweis, mit welcher Besorgnis die deutsche Regierung das Vordringen Chinas auf dem afrikanischen Kontinent verfolgt, liefert ein Artikel, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 11. Mai unter der Überschrift "China rollt den afrikanischen Kontinent auf" veröffentlichte.

"China kleckert nicht in Afrika, China klotzt," heißt es dort. "In Sudan ist China mittlerweile der größte Erdölförderer. In Angola, dem nach Nigeria zweitgrößten Erdölproduzenten Afrikas, lehren die Chinesen der etablierten Konkurrenz aus Europa und Amerika längst das Fürchten. In Kongo fördern Chinesen unter haarsträubenden Umständen Kupfer und Kobalt in rauen Mengen, in Zimbabwe Platin, und die südafrikanischen Bergbaukonzerne können gar nicht soviel Steinkohle, Platin und Eisenerz verschiffen, wie die Chinesen ordern."

Das Handelsvolumen zwischen China und dem afrikanischen Kontinent sei allein in den neunziger Jahren um 700 Prozent gestiegen. In den vergangenen drei Jahren habe es sich jeweils verdoppelt und sei von 9 Milliarden Dollar im Jahr 2002 auf knapp 35 Milliarden im ergangenen Jahr geklettert. Nach den Vereinigten Staaten und Frankreich sei China zum drittgrößten Handelspartner Afrikas aufgestiegen und habe Großbritannien hinter sich gelassen.

Dabei gehe es China in Afrika nicht nur um die Sicherung von Rohstoffen, sondern auch um das Schaffen von Absatzmärkten. "Chinesische Produkte sind billig und damit der Kaufkraft der Afrikaner angepasst."

Gleichzeitig muss die FAZ zugeben, dass der Handel mit China für Afrika auch Vorteile bringt: "China hat den afrikanischen Ländern bilaterale Schulden in Höhe von 10 Milliarden Dollar erlassen, schickt Mediziner auf den Kontinent und lädt jedes Jahr Tausende afrikanischer Studenten und Arbeiter zum Studium oder zu Weiterbildungsseminaren nach China ein. Zugleich sind die Straßen, Brücken, Krankenhäuser und Schulen, die Chinesen bauen, kostengünstig und von akzeptabler Qualität."

Liest man dieses Hintergrundmaterial, so wird klar, weshalb es Deutschland mit aller Macht nach Afrika drängt. Wenn dabei immer wieder das Bemühen um "eine friedliche, demokratische Entwicklung (Verteidigungsminister Franz Josef Jung) und "Stabilität" in den Vordergrund gestellt wird, ist das nicht wörtlich zu nehmen. Gemeint ist die Einsetzung und Einflussnahme auf Regimes, die auch deutsche Wirtschaftsinteressen zum Zuge kommen lassen. Diesem Zweck dient die Kongo-Mission der Bundeswehr.

Siehe auch:
Das Kongo-Abenteuer
(24. Juni 2003)
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