Bush-Regierung droht mit Militärintervention in Pakistan

Seit einer Woche lässt die Bush-Regierung eine neue harte Haltung gegen Pakistan erkennen. Sie fordert den starken Mann Pakistans, General Pervez Musharraf auf, härter gegen al-Qaida- und Taliban-Kämpfer in den Grenzregionen zu Afghanistan vorzugehen. Andernfalls droht sie mit amerikanischen Militärschlägen.

Der Sprecher des Weißen Hauses, Tony Snow, sagte am Donnerstag gegenüber den Medien, Musharraf müsse im Umgang mit den Sicherheitsproblemen in der Grenzregion "aggressiver vorgehen". Auf die Frage, ob US-Truppen in Pakistan eindringen könnten, antwortete Snow: "Wir nehmen nie Optionen vom Tisch, das trifft auch auf Schläge gegen Ziele zu, die sich anbieten."

Bushs Beraterin für Heimatschutzfragen, Frances Townsend, vertrat auf einer Pressekonferenz über die jüngste Einschätzung zur Lage der nationalen Nachrichtendienste am Dienstag praktisch die gleiche Linie. Laut Geheimdienstberichten habe al-Qaida sich in sicheren Verstecken in Pakistans "Zentral Verwalteten Stammesgebieten" (FATA) wieder erholt. Diplomatisch erklärte sie, Musharraf sei im "Krieg gegen den Terror" ein wichtiger Verbündeter, und lobte seine Rede gegen "Extremismus", die er nach der blutigen Eroberung der Roten Moschee in Islamabad durch die Armee vergangene Woche gehalten hatte.

Aber auch Townsend betonte, dass amerikanische Militärschläge innerhalb Pakistans nicht von Musharrafs Erlaubnis abhängig gemacht würden. Sie lehnte zwar ab, sich zu Einzelheiten zu äußern, erklärte jedoch: "Der Präsident hat es völlig klar gemacht, und es steht außer Frage: Wenn sich uns ein Ziel bietet, dann werden wir einen Schlag führen. Das ist ganz unabhängig davon, ob das in Pakistan ist oder anderswo."

Townsend sagte, die Bush-Regierung habe seit Monaten Druck auf die Regierung Musharraf ausgeübt, militärische Schritte gegen al-Qaida und andere islamistische Gruppen zu ergreifen. "Es ist kein Geheimnis, dass eine ganze Reihe sehr hoher amerikanischer Regierungsvertreter mit Präsident Musharraf über genau diese Frage gesprochen haben, angefangen mit dem Vizepräsidenten [Dick Cheney im Februar]. Auch der Präsident hat natürlich mit Präsident Musharraf darüber gesprochen. Verteidigungsminister Gates hat es aufgegriffen, der stellvertretende Außenminister Negroponte und eine ganze Reihe hoher Geheimdienstmitarbeiter ebenso", sagte sie.

Die Äußerungen provozierten eine scharfe Reaktion des pakistanischen Außenministeriums. Am Freitag gab es eine Erklärung heraus, die die Drohung mit einseitigen US-Angriffen auf Ziele in Pakistan als "unverantwortlich und gefährlich" bezeichnete. In der Erklärung hieß es, am Kampf gegen "Extremismus und Terrorismus" werde festgehalten. Weiter wurde darin betont: "Wir haben wiederholt unsere Position klar gemacht, dass alle Antiterrorismus-Aktionen in Pakistan von unseren eigenen Sicherheitskräften durchgeführt werden."

Solche Erklärungen sind allerdings weitgehend politische Deklamationen zur Neutralisierung der wachsenden anti-amerikanischen Stimmung. Wie im September 2001, als die Bush-Regierung drohte, Pakistan ins Steinzeitalter zurückzubomben, wenn es nicht seine Unterstützung für das Talibanregime in Afghanistan aufgebe, sieht sich Musharraf heute wieder mit einem US-Ultimatum konfrontiert, in den Grenzgebieten aktiv zu werden oder die Folgen zu tragen.

Zweifellos war der ständige US-Druck ein wichtiger Faktor bei Musharrafs Entscheidung in der vergangenen Woche, keinen Kompromiss mit den islamischen Militanten einzugehen und die Lal Mashid Moschee stürmen zu lassen. Mehr als hundert Menschen, darunter auch elf Soldaten, starben bei der Belagerung und Erstürmung der Moschee, die schon Anfang Juli begann. Die brutale Militäroperation provozierte in der Nordwestlichen Grenzprovinz (NWFP) und in anderen Gegenden Pakistans Proteste und veranlasste Stammesführer in der Grenzregion Nordwasiristan, ihr Abkommen vom vergangenen September mit der Musharraf-Regierung aufzukündigen, worin sie zugesagt hatten, Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften zu vermeiden.

In der vergangenen Woche haben Selbstmordanschläge und Angriffe auf das pakistanische Militär und die Polizei mehr als 130 Menschenleben gekostet. Mindestens 48 Menschen wurden am Donnerstag bei drei verschiedenen Anschlägen in unterschiedlichen Teilen des Landes getötet. Zwei Anschläge richteten sich gegen Armee- und Polizeilager im Nordwesten und der dritte gegen einen Konvoi von chinesischen Bergarbeitern in der Südwestprovinz Belutschistan. Weitere vier Menschen starben gestern bei einem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe gegen einen Sicherheitskontrollposten am Stadtrand von Miran Schah, der größten Stadt in Nordwasiristan.

Zweifellos werden sich die Kämpfe zwischen pakistanischen Sicherheitskräften und al-Qaida- und Taliban-Kämpfern noch verschärfen, denn Musharraf hat die Militärpräsenz in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan verstärkt. Eine Division der Armee wurde in den Distrikt Swat der Nordwest-Grenzprovinz entsandt, die vergangene Woche zu einer "hochsensiblen" Zone erklärt wurde. Über Teile der Provinz wurde eine Ausgangssperre verhängt. Weitere Truppen wurden nach Nord- und Südwasiristan geschickt.

Eine Delegation von Stammesältesten traf sich gestern mit Taliban-freundlichen Stämmen in Nordwasiristan, um den Waffenstillstand zu retten, aber ein positives Ergebnis ist unwahrscheinlich. Das Abkommen vom vergangenen September besagte, dass die pakistanische Armee sich aus der Gegend zurückziehen und im Gegenzug die Stammesführer grenzüberschreitende Bewegungen US-feindlicher Aufständischer verhindern sollten. Die Bush-Regierung verbarg nur mühsam ihre bittere Opposition gegen das Abkommen, das nach ihrer Meinung al-Qaida und den Taliban die Konsolidierung von sicheren Rückzugsgebieten ermöglichen würde. In ihren Äußerungen vor der Presse erklärte Townsend: "Es hat Pakistan nichts gebracht. Es hat den Vereinigten Staaten nichts gebracht."

Die Destabilisierung Musharrafs

Amerikanische Forderungen nach Militäraktionen und die Drohung mit Interventionen können die schon schwer unter Druck stehende Regierung Musharraf nur noch weiter destabilisieren. Das blutige Ende der Belagerung von Lal Mashid erregte weltweit Abscheu und hat die islamisch-fundamentalistischen Parteien weiter gegen Musharraf aufgebracht. Gerade diese Parteien hatten ihn bisher auf nationaler Ebene - und in der Nordwest-Grenzprovinz und in Belutschistan auf Provinzebene - unterstützt. Die Wiederaufnahme von Militäroperationen in den grenznahen Stammesgebieten wird die Opposition und den Widerstand zweifellos anheizen.

Gleichzeitig wurden Musharrafs Versuche, engere Beziehungen zu nicht-religiösen Parteien anzuknüpfen, von seiner Entlassung des obersten Richters Iftikhar Muhammad Chaudhry konterkariert. Der Oberste Gerichtshof versetzte Musharraf gestern einen Schlag, als er die Korruptionsvorwürfe gegen Chaudhry niederschlug und den suspendierten Richter wieder ins Amt einsetzte. Die Entscheidung kompliziert Musharrafs Pläne, erneut für das Präsidentenamt zu kandidieren und gleichzeitig seinen Posten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu behalten. Chaudhry könnte diese Kombination als verfassungswidrig einstufen.

Bei einem Treffen mit Zeitungsherausgebern am Mittwoch versuchte Musharraf Befürchtungen zu zerstreuen, er wolle den Ausbruch islamistischer Gewalt zum Vorwand nehmen, um den Notstand auszurufen und die Wahlen zu verschieben. Er machte aber deutlich, dass er Militärchef bleiben will. Musharrafs Entschlossenheit in dieser Frage widerspiegelt seine schmale soziale Basis und die Befürchtung, die Armee könnte sich gegen ihn wenden, wenn er die direkte Kontrolle über sie aufgeben würde.

Einer der Gründe für das Abkommen, das Musharraf vergangenen September mit den Taliban-freundlichen Stämmen in Nordwasiristan geschlossen hatte, waren erste Anzeichen einer Rebellion im Offizierscorps. Eine beachtliche Schicht in der Armee besteht aus ethnischen Paschtunen, die starke Stammesbindungen zu den Grenzregionen und nach Afghanistan selbst haben. Etwa 600 pakistanische Soldaten sind bei den Kämpfen schon getötet worden.

Jede einseitige US-Intervention in Pakistan würde breite Opposition in der Öffentlichkeit hervorrufen und die Spannungen in den Sicherheitskräften des Landes verschärfen. Der pensionierte Generalleutnant Hamid Gul warnte in den McClatchy-Zeitungen: "Die Menschen in diesem Gebiet sind wirklich erbost über die Ereignisse [von Lal Mashid] ... Wenn unsere Armee dort eindringen soll, dann wird sie sich ihren Weg freikämpfen müssen, und das wird sehr schlimm werden. Unter solchen Bedingungen kann man keinen Wiederaufbau leisten. So wird man den Kampf um die Herzen und Köpfe verlieren."

Aber ungeachtet der politischen Konsequenzen wird Musharraf kaum eine Wahl bleiben, als den Forderungen der USA nachzukommen und Maßnahmen gegen islamische Kämpfer und US-feindliche Aufständische zu ergreifen. Ein hoher US-Beamter, der in die Diskussionen im Weißen Haus eingebunden ist, sagte der New York Times am Mittwoch: "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass er Leute dort hin geschickt hat, und die sind ausgelöscht worden. Wir nehmen die Drohungen aus den Stammesgebieten heute unglaublich ernst. Man muss sich damit konfrontieren. Wenn er damit fertig wird, gut. Aber wenn nicht, dann muss er die Fähigkeit dazu schaffen und sie notfalls ausborgen."

Die Bush-Regierung unterstützt Pakistan gegenwärtig dabei, die Grenzstämme unter Kontrolle zu bekommen. Washington hat 750 Millionen Dollar über fünf Jahre an wirtschaftlicher Entwicklungshilfe zugesagt, um die "Herzen und Köpfe zu gewinnen" - ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der riesigen sozialen Probleme in diesen verarmten und wirtschaftlich zurückgebliebenen Gebieten. Die USA beraten noch über eine Anfrage aus Islamabad für weitere 350 Millionen Dollar für die Ausbildung, Ausrüstung und Entsendung pakistanischer Soldaten zur Befriedung der Stammesgebiete. Dazu soll auch die Bildung eines "Grenzcorps" gehören

Washington hat den "Krieg gegen den Terror" schon längst nach Pakistan getragen. US-Geheimdienste und die Polizei arbeiten seit 2001 bei der Jagd auf führende al-Qaida- und Taliban-Mitglieder eng mit pakistanischen Behörden zusammen. Mehrere Vorfälle in den letzten fünf Jahren weisen darauf hin, dass das US-Militär verdeckte Operationen in Pakistan durchführt und dabei unbemannte Drohnen und möglicherweise Einheiten der Special Forces einsetzt. Im vergangenen Oktober beschuldigten Dorfbewohner in Bajaur die USA, direkt an einem verheerenden Raketenangriff auf eine Moschee beteiligt gewesen zu sein, bei dem mehr als 80 Studenten und Lehrer ums Leben kamen.

Die Verhärtung der öffentlichen Haltung Washingtons diese Woche signalisiert, dass weitere amerikanische Operationen vorbereitet werden. Ein am 3. Juli auf der Web Site der Asian Times unter dem Titel "USA wollen Taliban in Pakistan jagen" veröffentlichter Artikel zeigte auf, dass es schon seit geraumer Zeit Diskussionen in Washington und mit Islamabad gibt. Ihren Quellen zufolge werden Ziele in vier Regionen in Nord- und Südwasiristan ins Visier genommen. "Die Operationen in Pakistan könnten selbständig von den Vereinigten Staaten - vermutlich aus der Luft -, allein von pakistanischen Kräften oder als gemeinsame Offensiven unternommen werden. In allen Fällen aber werden die USA die Fäden ziehen und den Pakistanis zumindest die Informationen über die anzugreifenden Ziele liefern."

Auch die New York Times bestätigte am Mittwoch, dass das Weiße Haus plant, seine militärischen Operationen in Pakistan auszuweiten. "Bei der Abwägung der Vorgehensweise gegen die al-Qaida-Bedrohung in Pakistan haben amerikanische Vertreter in den letzten Wochen Vorstellungen diskutiert, die sich zu einer aggressiven neuen Strategie verdichten könnten, die öffentliche und verdeckte Element umfasst. Sie berichten über die zunehmende Sorge, dass Nadelstiche gegen al-Qaida-Ziele nicht ausreichten, sagten aber auch, dass einige der neuen amerikanischen Maßnahmen geheim bleiben müssten, um General Musharraf nicht über Gebühr in Verlegenheit zu bringen", hieß es in dem Artikel.

Im Fall eines amerikanischen Angriffs im Irak werden sich nur Wenige von Musharrafs Dementis einer Beteiligung täuschen lassen. In der Hoffnung, ihre eigene tiefe politische Krise zu Hause in den Griff zu bekommen, destabilisiert die Bush-Regierung in unverantwortlicher Weise ein anderes Land. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass anti-amerikanische Stimmungen dadurch weiter angeheizt werden und sich in der ganzen Region ausbreiten.

Siehe auch:
Drei tote Bundeswehrsoldaten in Kundus: Große Koalition setzt Kriegseinsatz ungemindert fort
(23. Mai 2007)
80 Tote bei Raketenangriff auf Koranschule in Pakistan
( 3. November 2006)
Pakistan: Musharraf balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Krieg und inneren Aufständen
( 19. Januar 2002)
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