Frankreich: 700.000 demonstrieren gegen Sarkozys Politik

1,5 von insgesamt 5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Diensts haben am Dienstag in Frankreich einen eintägigen Streikaufruf der Gewerkschaften befolgt. Der Streik richtete sich gegen den ständigen Arbeitsplatzabbau und den Kaufkraftverlust der Löhne und trat für den Erhalt öffentlicher Dienstleistungen ein.

Besonders hoch war die Streikbeteiligung mit über 60 Prozent bei den Lehrern, wo die Regierung allein im nächsten Jahr die Streichung von 11,200 Stellen plant.

700.000 nahmen an Demonstrationen im ganzen Land teil. Ihnen schlossen sich zahlreiche Studenten und Gymnasiasten an, die gegen ein Autonomiegesetz für die Universitäten kämpfen, sowie Eisenbahner und Beschäftigte der Verkehrsbetriebe, die seit sieben Tagen für die Verteidigung ihrer Renten streiken.

Die größte Demonstration fand mit 70.000 Teilnehmern in Paris statt. In Marseilles und Toulouse waren es 35.000, in Lille 20.000 und in Grenoble 10.000.

Die Demonstration in Paris brachte das Ausmaß der Opposition gegen Präsident Sarkozy und seine Politik anschaulich zum Ausdruck. Trotz kaltem Nieselregen waren Zehntausende zur Place d’Italie gekommen, wo sie stundenlang aus harrten. Sie formten einen nach Gewerkschaften und Arbeitsplatz eingeteilten Demonstrationszug, der sich über mehrere Kilometer hinzog. Das Ende der Demonstration setzte sich erst drei Stunden nach der Spitze in Bewegung.

Vertreten waren praktisch sämtliche Berufsgruppen des öffentlichen Diensts: Krankenschwestern, Lehrer, kommunale Beschäftigte, Polizisten und viele andere. Auch die Fluglotsen hatten sich teilweise dem Streik angeschlossen, was zu Verspätungen im Flugverkehr führte.

Parolen und Transparente, die sich direkt gegen Präsident Sarkozy richteten, waren allgegenwärtig. Eine Gruppe Krankenschwestern aus dem Krankenhaus Simone Veil im Tal der Oise skandierte: "Sarko, Rücktritt! Unsere Stärke ist die Einheit."

Eine Krankenschwester berichtete, es habe seit sieben Jahren keine Lohnerhöhung mehr gegeben. Das Endgehalt einer Krankenschwester liege derzeit bei 1.700 Euro netto im Monat, die Rente bei 1.100 Euro. Auf die Frage, ob der Präsident nachgeben werde, antwortete sie: "Ich hoffe es. Aber Sarkozy ist hart, er gibt nicht so leicht nach." Sie war sich auch nicht sicher, ob die Dinge anders lägen, wenn Sègolène Royal von der Sozialistischen Partei im Frühjahr die Präsidentenwahl gewonnen hätte.

Die streikenden Eisenbahner und Beschäftigten der Verkehrsbetriebe RATP waren auf der Pariser Demonstration in hoher Zahl vertreten. Die Streikbeteiligung lag höher als am Vortag..

Silvain, der in Choisy-le-Roi in der Instandhaltung arbeitet, antwortete auf die Frage, wie es weiter gehen solle: "Aushalten, bis die Regierung nachgibt."

Die für Mittwoch angesetzten Gespräche zwischen Bahnmanagement, Gewerkschaften und Regierung sah Silvain zwiespältig: "Wenn es zu einer Vereinbarung kommt, wäre das nicht schlecht." An den 37,5 Arbeitsjahren, die zum Bezug einer vollen Rente nötig sind, müsse aber unbedingt festgehalten werden. Die Regierung will die Lebensarbeitszeit auf 40 Jahre erhöhen.

Zur Demonstration war auch eine Delegation von Renault-Abeitern aus Flins gekommen. Sie seien aus Solidarität hier, erklärten sie. "Wenn die Sonderrenten für die Eisenbahner beseitigt werden, sind als nächstes wir dran. Dann steigt die Lebensarbeitszeit für uns auf 41 oder 42 Jahre."

Auffallend waren auch die zahleichen Gymnasiasten, die zur Demonstration erschienen waren. Während viele Universitäten bereits seit zwei Wochen bestreikt oder blockiert werden, hat sich die Bewegung gegen das Autonomiegesetz erst in den letzten Tagen auch auf Gymnasien ausgedehnt. Viele Gymnasiasten waren auch einfach gekommen, um ihre Solidarität mit den streikenden Eisenbahnern auszudrücken.

Wir sprachen mit Isabel, Barbara, Anna und Elie vom Gymnasium Gustave Monod in Enghien-les-bains. Sie empörten sich vor allem über Sarkozy: "Er wiegelt Leute gegeneinander auf, verteidigt die Interessen der Bosse, weckt die übelsten Instinkte der Leute und gießt Öl ins Feuer," sagten sie. "Er hat nur die Interessen des [Unternehmerverbands] Medef im Kopf."

Sie äußerten die Hoffnung, dass der Eisenbahnerstreik weitergeht. Für die Sozialistische Partei hatten sie nur Verachtung übrig: "Sie ist nicht aktiv und zerstreit sich stattdessen. Sarkozy hat sie vorgeführt. Sie ist keine wirkliche Oppositionspartei."

Die Haltung der Gewerkschaftsführer steht in krassem Gegensatz zur Entschlossenheit der Demonstranten, den Angriffen der Regierung zu trotzen.

Der Vorsitzender des Gewerkschaftsbunds CFDT François Chérèque war den Eisenbahnern am Montag offen in den Rücken gefallen und hatte sich über ihren Streik lustig gemacht. Er warf ihnen im Fernsehen vor, sie glaubten, "sie können weiter 37,5 Jahre arbeiten, während jedermann weiß, dass 40 Jahre in unserem Land unausweichlich sind". Seine Gewerkschaft hat zur Beendigung des Streiks aufgerufen.

Chérèque, der an der Spitze der Pariser Demonstration marschierte, wurde ausgebuht und musste schließlich gehen.

Auch der Generalsekretär der Gewerkschaft Unsa (Union Nationale des Syndicats Autonomes) hat die Eisenbahner angegriffen. Ihre Bewegung sei zwar "legitim, schlachtet aber alle anderen Forderungen aus", sagte er auf Radio BFM. Die Forderungen der Staatsbediensteten nach Erhöhung der Kaufkraft bleibe "unhörbar, weil es im Transportwesen eine sehr starke Bewegung zur Verteidigung der Sonderrenten gibt".

Am Mittwoch treffen sich alle sechs bei der Eisenbahn vertretenen Gewerkschaften zu Verhandlungen mit dem Bahnvorstand und der Regierung. Dabei soll nicht über die umstrittenen Kernelemente der Rentenreform der Regierung verhandelt werden - die Verlängerung der für eine volle Rente erforderlichen Lebensarbeitszeit, höhere Abzüge für Frührentner und Rentenanpassung nach dem Preisindex statt nach dem Lohnindex - sondern lediglich über finanziell Entschädigungen, mit denen die Regierung den Gewerkschaften die Annahme der Rentenreform versüßen will. Unter anderem ist die Bahn bereit, die Löhne für ältere Arbeiter leicht anzuheben.

Es ist zu befürchten, dass die Gewerkschaften dies als Zugeständnis feiern und nutzen werden, um den Streik abzubrechen und auszuverkaufen. Für Sarkozy wäre dies ein Sieg, den er nutzen würde, um die Angriffe gegen andere teile der Arbeiterklasse voranzutreiben.

Der Präsident meldete sich am Mittwoch anlässlich eines Bürgermeisterkongresses erstmals wieder zu Wort, nachdem er seit Begin des Eisenbahnerstreiks auffällig geschwiegen hatte. Er berief sich auf die "Millionen Franzosen, die nach einem Arbeitstag, wenn es keinen Bus, keine Metro und keinen Zug gibt, erschöpft sind und das berechtigte Gefühl haben, als Geisel genommen worden zu sein", und drohte: "Ich bleibe bis zum Ende entschlossen. Die Reform wird durchgeführt, niemand sollte das bezweifeln."

Trotz der offensichtlichen Gefahr, dass die Gewerkschaften den Streik ausverkaufen werden und Sarkozy zum Erfolg verhelfen, fanden auf den Demonstrationen kaum politische Diskussionen statt. Kein politische Partei, auch nicht die Parteien der radikalen Linken, wie Lutte Ouvrière und Ligue Communiste Révolutionnaire, trat offen in Erscheinung oder verkauften ihre Zeitungen. Ihre Mitglieder versteckten sich hinter der Maske einfacher Gewerkschaftsmitglieder.

Eine Erklärung der WSWS mit dem Titel "Französische Arbeiter brauchen eine neue politische Strategie", die in Paris und anderen Städten als Flugblatt verteilt wurde und vor der Gefahr eines Ausverkaufs warnte, fand dagegen großes Interesse.

Die WSWS wird morgen weitere Berichte und Interviews von den Demonstrationen vom Dienstag veröffentlichen.

Siehe auch:
Französische Arbeiter brauchen eine neue politische Strategie
(20. November 2007)
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