Kredit- und Immobilienkrise bringt Börse ins Schwanken

Der Börsenindex der USA verzeichnete am Freitag kleinere Gewinne, nachdem es am Donnerstag an der New Yorker Börse zu massiven Verkäufen gekommen war, die größere Verluste auf den Märkten in Europa und Asien auslösten.

Für den größten Teil des Tages schrieb der Markt rote Zahlen. Er bewegte sich erst in der letzten Handelsstunde wieder in den positiven Bereich. Und das, obwohl der Arbeitsmarktbericht des US-Arbeitsministeriums für Oktober einen Netto-Anstieg der Arbeitsplätze um 166.000 meldete - mehr als doppelt so viele, wie von der Wall-Street erwartet.

Während sich die Indizes insgesamt positiv entwickelten, wiesen die Finanzpapiere weiterhin Rekordverluste auf. Die Aktien von Merrill Lynch sanken um 7,9 Prozent, nachdem das Wall Street Journal berichtet hatte, die Firma habe sich an fragwürdigen Transaktionen mit Hedge-Fonds beteiligt, um damit zu vertuschen, wie stark belastet sie von den sinkenden risikoreichen Hypothekengeschäften ist.

Die Investmentbank Bear Stearns fiel um 5 Prozent. Morgan Stanley verlor 5,6 Prozent. Lehman Brothers fiel um 0,6 Prozent and Goldman Sachs verlor 4,4 Prozent.

Die Citigroup, die größte Bank der USA, verzeichnete einen Rückgang um 2,6 Prozent, und JP Morgan Chase fiel um 2,6 Prozent.

Am Donnerstag gingen die wichtigsten US-Indizes stark zurück und machten damit die großen Gewinne von Mittwoch mehr als rückgängig. Die Gewinne waren von der Entscheidung der US-Notenbank ausgelöst worden, den Zinssatz für kurzfristige Anleihen zum zweiten Mal in zwei Monaten zu senken.

Die Entscheidung der Notenbank übte einen noch größeren Druck auf den ohnehin schon stark gefallenen Dollar aus und fiel mit einem starken Anstieg der Öl- und Konsumgüter-Preisen zusammen. Die Entscheidung war durch die Furcht motiviert, der sich beschleunigende Zusammenbruch auf dem amerikanischen Immobilien-Hypotheken-Markt könnte die großen Banken in den USA und Europa destabilisieren. Diese hatten kräftig in ertragsstarke Wertpapiere investiert, die an zweitklassige Hypotheken und andere spekulative Anlagen geknüpft sind.

Am Donnerstag verloren alle drei großen Börsenindizes mehr als 2 Prozent ihres Werts. Der Dow-Jones-Indiustrieaktien-Index fiel um 362,14 Punkte oder 2,6 Prozent. Der S&P 500 verringerte sich um 40,94 Punkte oder 2,6 Prozent. Der Nasdaq fiel um 64,29 Punkte oder 2,3 Prozent.

Die Kurse stürzten direkt bei Eröffnung der Börse ab, nachdem mehrere Berichte darauf hingewiesen hatten, dass sich die Banken- und Kreditkrise und der ihr zugrunde liegende Zusammenbruch des Immobilienmarktes verschlimmerten. Kurz nach der Eröffnung des Handels wurden Handelsbeschränkungen in Kraft gesetzt und blieben den ganzen Tag bestehen.

Aktien mit Verlusten übertrafen die Zahl der Gewinner im Verhältnis von mehr als sechs zu eins. Aber am schlechtesten erging des den Finanzpapieren, einschließlich jener großer Banken, Investitionsbanken, Maklerfirmen und der Gesellschaften, die die Obligationen der Banken und großen Investoren versichern.

Auf die vier großen Finanzfirmen des Dow-Jones-Index - American Express, AIG, Citigroup and JP Morgan Chase - entfielen 27,7 Prozent des Indexrückgangs. Alle 24 Firmen des KBW-Bank-Index gingen zurück; es war der schlimmste Tag für den Finanz-Index seit fünf Jahren.

Trotz der Mitteilung der Notenbank, sie habe 41 Milliarden Dollar an Geldmarkt-Händler verliehen, wurden massiv Aktien abgestoßen. Es war die größte Kapitalzufuhr durch die Notenbank, seit die Krise Anfang August ausgebrochen ist.

Die enormen Schwankungen auf den Aktienmärkten zeigen, dass die Kreditknappheit, die sich letzten Sommer entwickelt hat, auch durch zwei aufeinander folgende Zinssenkungen nicht gelöst wurde - eine Senkung um einen halben Punkt am 18. September und die Senkung um einen Viertel Punkt am Mittwoch. Im Gegenteil - das zugrunde liegende Zusammenfallen der Kreditblase der vergangenen Jahre, vor allem angeheizt durch eine irrwitzige Immobilienspekulation und eine Orgie von kreditfinanzierten Firmenaufkäufen, ist noch lange nicht zu Ende. Sie beschwört das Gespenst einer längerfristigen Kreditverknappung herauf und eine daraus resultierende Rezession in der gesamten Wirtschaft.

Der Aktie der Citygroup ist es am schlechtesten von allen ergangen. Sie fiel um 2,85 Dollar oder 6,9 Prozent auf 38,51 Dollar - der niedrigste Wert in vier Jahren. Die Bank of America, die zweitgrößte US-Bank, was die Vermögenswerte angeht, verlor 5,3 Prozent. Die Nummer drei der US-Banken, JP Morgan Chase, fiel um 5,7 Prozent.

Alle drei Banken und die Investment-Riesen Merrill Lynch, Morgan Stanley and Goldman Sachs, meldeten Abschreibungen von mehreren Milliarden Dollar bei exotischen Wertpapieren wie besicherten Schuldverschreibungen (collateralized debt obligations, CDOs), strukturierten Investmentwerkzeugen (structured investment vehicles, SIVs) und andere Investitionen in verschiedene Formen von Schuldverschreibungen, darunter zweitklassige Hypothekendarlehen an Immobilienkäufer ohne Sicherheiten.

Letzte Woche meldete Merrill Lynch 8,4 Milliarden Dollar an Abschreibungen und einen Nettoverlust im dritten Quartal von 2,2 Milliarden Dollar. Anfang Oktober meldete die Citigroup 6,5 Milliarden Dollar an Abschreibungen and einen 57-prozentigen Rückgang der Profite für das Quartal.

Der Run auf die Finanzaktien am Donnerstag begann, nachdem drei Analysten ihre Einschätzungen für die Citigroup nach unten korrigiert und CIBC World Markets erklärt hatte, die Firma müsste möglicherweise ihre Dividenden kürzen, um Kapital aufzubringen. Ein Analyst von CIBC World Markets schrieb: "Wir glauben, Citygroup wird entweder durch Verkauf von Vermögenswerten, Dividendenkürzungen und Kapitalaufstockung oder eine Kombination aus allem kurzfristig 30 Milliarden Dollar an Kapital aufbringen müssen."

Die Citigroup ist besonders anfällig gegenüber dem Zusammenbruch der hypothekarisch gesicherten Wertpapiere, weil sie ein Netzwerk von strukturierten Investmentwerkzeugen aufgebaut hat - bilanzexterne Investmentfonds - die nominell auf einen Wert von 80 Milliarden Dollar geschätzt werden. Der wirkliche Wert dieser SIVs, die in hochriskanten Spekulationsgeschäften mit Schuldverschreibungen stecken, wobei vieles davon mit den zweitklassigen Hypotheken verbunden ist, ist nicht bekannt.

Seit dem Austrocknen der Billigkredite war es den SIVs unmöglich, Käufer für ihre Geldmarktpapiere zu finden. Nun droht ihnen der Zusammenbruch. Das könnte die Citigroup dazu zwingen, die Vermögenswerte ihrer SIVs in ihren Bilanzen aufzuführen, was noch mehr und größere Abschreibungen zur Folge hätte und dadurch die allgemeine Kreditknappheit noch verschärfen würde.

Das Vertrauen in die Citibank wurde zusätzlich durch Hinweise erschüttert, dass der Plan - vermittelt durch das US-Finanzministerium und unterstützt durch die Notenbank -, 80 bis 100 Milliarden Dollar aufzubringen, um den SIVs aus der Klemme zu helfen, scheitern könnte.

"Die Meldungen über die Citigroup sind ein Weckruf, für all diejenigen, die glauben, diese Probleme würden sich durch die Zinssenkungen der Notenbank auflösen", erklärte Michael Metz, der Chef-Investment-Stratege der New Yorker Oppenheimer Holdings Inc. "Wir werden auf Monate hinaus keine Lösung für diese Kreditfragen bekommen."

Analysten der JP Morgan Chase vermeldeten kürzlich, sie gingen davon aus, dass Verluste im Bankdarlehensgeschäft bis weit ins Jahr 2008 hinein anhalten werden, da die Immobilienpreise weiter nachgeben. "Da die Bankverluste anhalten, erwarten wir, dass sich die Fähigkeit zur Kreditvergabe verringert", erklärten sie.

Zusätzlich zu den negativen Berichten über die Citigroup brachten weitere unheilvolle Nachrichten die Stimmung an den Rande der Panik und brachten den Aktienmarkt am Donnerstag ins Wanken.

Die Credit Suisse meldete einen 31-prozentigen Rückgang der Nettoprofite im dritten Quartal und Abschreibungen in Höhe von 1,9 Milliarden in Verbindung mit Hypotheken- und fremdfinanzierten Darlehenswerten.

Die GMAC Financial Services erklärten, ihre Verluste im Immobilien-Finanzierungsgeschäft hätten sich im dritten Quartal auf 1,6 Milliarden Dollar erhöht, im Vergleich zu 173 Millionen Dollar ein Jahr zuvor.

Versicherer von Pfandbriefen erlitten starke Einbußen - ein Hinweis darauf, dass die Probleme der Banken sich im Finanzsektor fortsetzen. In den letzten Jahren hatten Pfandbriefversicherer wie MBIA Inc. und Ambac Financial CDOs aggressiv CDOs versichert, die im Wesentlichen durch zweitklassige Hypotheken gedeckt waren.

Die Aktien von Ambac Financial sanken um 20 Prozent, was zu einem Verlust des Marktwerts der Firma in den letzten zwei Wochen um fast 50 Prozent führte. Ihr Gesellschaftskapital hat in den letzten zwei Wochen mehr als ein Drittel von seinem Wert verloren. Die Radian Group, ein weiterer Versicherer von Hypotheken- und Kredit-Produkten, verlor um 14 Prozent, nachdem er im dritten Quartal einen 704-Millionen-Dollar-Verlust gemeldet hatte.

Negative Berichte über die wirtschaftlichen Grunddaten trugen zum Abstoßen von Aktien bei. Exxons Aktien fielen um 3,8 Prozent, nachdem der Öl- und Gas-Gigant im dritten Quartal einen Rückgang der Nettoeinahmen um 10 Prozent - höher als erwartet - verbucht hatte.

Das Handelsministerium berichtete, die Verbraucherausgaben seien im September um 0,3 Prozent gestiegen, etwas weniger als die 0,4 Prozent Anstieg, die Analysten erwartet hatten. Und das Institut für Liefermanagement (Institute for Supply Management) berichtete, ihr Produktionsindex liege bei 50,9, das heißt unter den 52,0 vom September und unter den Erwartungen. Der Index ist seit vier Monaten ununterbrochen gefallen.

Aber am verhängnisvollsten waren Anzeichen, dass die Immobilien- und Hypothekenkrise sich verschärft. Der Prozentsatz an Hypotheken mit mangelhafter Kreditwürdigkeit, die mit ihren Zinszahlungen mehr als 60 Tage in Verzug waren, überstieg im August die 20-Prozent-Marke. Laut den letzten Zahlen der First American LoanPerformance liegen sie damit höher als im Juli mit 18,7 Prozent und im Juni mit 17,1 Prozent.

Nach den Zahlen des S&P/Case-Shiller-Index lagen die Immobilienpreise im August 4 Prozent unter den Preisen des Vorjahresmonats.

"Die Hypotheken verfallen mit zunehmender Geschwindigkeit, und das ist erschreckend", erklärt Karen Weaver, internationaler Chef der Forschungsabteilung für Securitization bei der Deutschen Bank. "Wir sind nicht einmal in die Nähe einer Stabilisierung gekommen, und wir erwarten, dass es noch schlimmer wird, da der Hauptteil der Neufestsetzung" von Zinssätzen für zinsvariable Hypotheken "erst noch erfolgen wird".

Ein Artikel in der Freitagsausgabe des Wall Street Journal gibt einen Hinweis auf den möglichen finanziellen Tribut des Immobilienzusammenbruchs. Er zitiert Mark Zandi, Wirtschaftswissenschaftler bei Moody’s Economy.com, der schätzt, dass es "bei den 2,45 Billionen Dollar besonders riskanter Hypotheken, die bis jetzt offen stehen - darunter Hypotheken mit mangelhafter Kreditwürdigkeit, Nur-Zins-Hypotheken und andere - in einem Viertel der Fälle in den nächsten Monaten zur Zahlungseinstellung kommen könnte. Die Gesamtverluste bei diesen Hypotheken, schätzt er, könnten 225 Milliarden Dollar erreichen."

Der Artikel erklärt weiter, dass Zandi mit einem Sinken der Immobilienpreise um 10 Prozent bis Ende 2008 rechnet. "Das würde mehr als 3 Billionen Dollar des Werts der Immobilien vernichten", erklärt der Artikel.

Das Journal stellt weiter fest, dass ein Index, der auf riskanten Obligationen beruht, "auf ein Rekordtief von 17,4 Cents für den Dollar gefallen ist - ein Minus von 50 Prozent gegenüber August". Es fährt fort: "Aber die jüngsten Turbulenzen haben ihre Ursache in einem Verfall auf dem Markt der sichersten Wertpapiere mit dreifacher A-Bewertung... Ein Index, der auf Dreifach-A-Wertpapieren beruht, wird mit 79 Cent für den Dollar gehandelt, im Vergleich zu etwa 95 Cent vor einem Monat.

Da die Banken viele ihrer Wertpapierbestände zu dem Preis bewerten müssen, zu dem sie verkauft werden könnten - Marktpreisbewertung genannt -, mussten viele Verluste melden.

Allein im Oktober haben die Firmen Moody’s Investors Service, Fitch Ratings und Standard & Poor’s mehr als 100 Milliarden Dollar an hypothekengedeckten CDOs heruntergestuft oder zur Herabstufung unter Beobachtung gestellt."

Um die wachsende Finanzkrise zu verstehen - die den Keim einer tiefen und langwierigen Rezession in sich trägt -, muss man begreifen, dass die letztendliche Sicherheit für einen Großteil der exotischen Kreditwertpapiere, mit denen die Wall-Street-Spekulanten Milliarden über Milliarden verdient haben, der Marktpreis für Eigenheime und andere Immobilien war, dessen extremer Anstieg durch dieselbe Schuldenblase genährt wurde, die angeblich durch den Wert der Häuser gestützt wurde.

Tatsache ist, dass niemand, einschließlich der Banken und Investmenthäuser, den genauen Wert der Anlagegüter kannte, die hinter den CDOs, SIVs, Derivaten und anderen Formen von Finanzmanipulationen standen, die jetzt in sich zusammenstürzen.

Floyd Norris, der Finanzreporter der New York Times, drückte es am Freitag so aus: "Es schien niemanden zu stören, dass es keine öffentlichen Informationen darüber gab, was genau in einigen dieser Produkte enthalten war. Wenn Moody’s, Standard & Poor’s or Fitch erklärten, ein bizarres Wertpapier verdiene ein AAA [Bewertung], dann war das genug.

Dann explodierten sie.

Jetzt erfahren wir, dass die Investmentbanken auch nicht wussten, was gespielt wurde. Und sie sitzen jetzt auf riesigen Mengen von Wertpapieren, deren Wert bestenfalls ungewiss ist. Während die Verluste geschätzt werden, ist das Vertrauen verloren gegangen."

Siehe auch:
Krise am Hypothekenmarkt bringt Wall Street ins Schleudern
(7. August 2007)
Sächsische Landesbank fällt der Kreditkrise zum Opfer
(22. August 2007)
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