Französische Studenten mobilisieren gegen Universitätsreform

Am Donnerstag, den 8. November demonstrierten etwa tausend Studenten der Pariser Universitäten gegen eine Universitätsreform, genannt Loi Pécresse - Valérie Pécresse (UMP) ist Ministerin für Hochschulwesen und Forschung - oder LRU (Loi relative aux libertés et responsabilités des universités). Das neue Gesetz soll den Universitäten größere Autonomie einräumen.

Die Studenten zogen von dem Place de la Bastille zum Bildungsministerium im Quartier Latin. Auf ihren Transparenten stand: "Gegen die Privatisierung der Bildung", "Studieren heißt in Zukunft, sich für zehn Jahre zu verschulden" und "Kultur ist teuer - keine Kultur ist noch teuerer!". Mitarbeiter der World Socialist Web Site verteilten Flugblätter mit der WSWS -Erklärung "Frankreich: Der Kampf gegen Sarkozy erfordert eine neue politische Perspektive" (France: La lutte contre Sarkozy nécessite une nouvelle perspective politique). Außerdem verteilten sie einen aktuellen WSWS -Artikel, der aufzeigt, dass das neue Gesetzesvorhaben ein weiterer Schritt zur Privatisierung der Hochschulen darstellt.

Am gleichen Tag fanden in zahlreichen anderen Städten in ganz Frankreich ebenfalls Demonstrationen statt, so in Rennes, Toulouse, Lille, Perpignan, Aix-en-provence, Caen, Nancy, um nur die wichtigsten zu nennen. Auf den Transparenten dieser Protestmärsche waren Parolen zu lesen wie: "Wir haben den CPE geknackt, wir knacken auch dich, Pécresse" (eine Anspielung auf die Bewegung von 2006 gegen den Erstarbeitsvertrag CPE und auf Valérie Pécresse, die Bildungsministerin), oder auch: "Rücknahme des Pécresse-Gesetzes, Solidarität zwischen Arbeitern und Studenten" und "Das Pécresse-Gesetz bringt Ärger an den Universitäten".

Im ganzen Land kommt es gegenwärtig zu immer neuen Protesten und Blockaden. In mehr als 50 der 84 Universitäten Frankreichs gab es Massenversammlungen, und auf etwa dreißig davon stimmten die Studenten für eine Rücknahme des Gesetzes.

Das Gesetz, das im August vom französischen Parlament angenommen worden war, verschafft den Universitäten größere Autonomie bei der Verwaltung ihres Vermögens und der laufenden Finanzen, der Einstellung von Hochschullehrern, der Ausrichtung ihrer Kurse, der Entwicklung von Partnerschaften mit Unternehmen und der Anwerbung von Drittmitteln aus der Wirtschaft. Die Universitätspräsidenten sollen größere Vollmachten erhalten.

In Paris wurde die Demonstration vom "Kollektiv gegen die Autonomie der Universitäten" (CCAU) organisiert, einem Gremium, an dem sich die Föderation der Studentengewerkschaften (FSE), die stalinistische Union Kommunistischer Studneten (UEC), der Kommunistische Jugendverband (JC) und die Jugendorganisation der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) beteiligen. An der Demonstration beteiligten sich auch Aktivisten der UNEF, der wichtigsten Studentengewerkschaft, die der Sozialistischen Partei nahe steht. Auch einige Universitätsdozenten solidarisierten sich an der Protestaktion.

Die Demonstranten wandten sich gegen die Privatisierung der Bildung und die damit verbundene Gefahr, dass private Unternehmen in Zukunft Bildungsinhalte diktieren. Gleichzeitig protestierten sie gegen steigende Universitätsgebühren und die Zunahme sozialer Ungleichheit.

Immer wieder wurde die Befürchtung laut, dass in Zukunft private Firmen in den Universitätsgremien Mitspracherecht erhielten. Die Universitäten würden zunehmend von der Finanzierung durch diese Unternehmen abhängig werden, und es bestehe die Gefahr, dass nur noch solche Fächer finanziert würden, die den Interessen der Wirtschaft unmittelbar dienten. Dies könnte heißen, dass Fächer wie Literatur, Geschichte, Soziologie usw. möglicherweise gar nicht mehr finanziert werden und Gefahr laufen, geschlossen zu werden.

Liberation schrieb am 9. November: "Die Bewegung hatte an einigen Universitäten schon im Frühjahr begonnen, als das Gesetz zur Universitätsautonomie beraten wurde. Im Sommer war sie zum Erliegen gekommen. Sie hat jetzt mit dem Eisenbahnerstreik vom 18. Oktober durch das sich verschlechternde soziale Klima einen neuen Aufschwung erfahren."

Die Regierung verurteilte die Proteste und Blockaden der Studenten und behauptete, sie seien samt und sonders von der extremen Linken angestachelt, die auf dem Rücken der Studenten ihr eigenes Süppchen kochten. Die Universitätsverwaltungen stellen sich hinter Sarkozy. Wie der erste Vizepräsident der Konferenz der Universitätspräsidenten, Jean-Pierre Finance, erklärte, versuchten kleine Gruppen von linksradikalen Studenten, "die gegenwärtigen sozialen Spannungen auszunutzen, um die Studenten zu mobilisieren. Dazu kommen noch die Studenten, die sich über die große Kluft zwischen den Reformankündigungen der Regierung und ihrem täglichen Leben ärgern".

Valérie Pécresse traf sich am 7. und 8. November zu Konsultationen mit den Studentenverbänden. Sie erinnerte diese daran, dass ja über das Gesetz im Vorfeld verhandelt worden sei. Eine Änderung komme daher nicht in Frage. In der Wohnungsfrage unterstützte sie einen Änderungsantrag des UMP-Abgeordneten Laurent Hénart, der vorschlug, das Budget dafür um elf Millionen Euro aufzustocken.

Nach dem Treffen mit Pécresse am Mittwoch, den 7. November, erklärte Bruno Julliard, der Vorsitzende der UNEF und enger Parteigänger der Sozialistischen Partei, diese versprochene Erhöhung sei "ein klares Zugeständnis an die Bewegung". Er sagte zur Presse, diese zusätzlichen Gelder seien "ein gutes Zeichen", wenn auch "unzureichend". Er fügte hinzu: "Die erste Lehre, die ich ziehe, besteht darin, dass die Proteste der Studenten richtig sind. Sie müssen weitermachen und die Bewegung ausweiten, um noch mehr Zugeständnisse zu erreichen."

Das ist eine deutliche Veränderung der Position der UNEF. Als das Gesetz im Parlament verabschiedet wurde, freundete sich die UNEF damit an. Sie protestierte nicht dagegen. Julliard meinte damals: "Die Rücknahme des Gesetzes ist nicht zu erreichen. Man kann die Studenten dafür nicht mobilisieren." Die UNEF kritisierte die unnötige Sturheit der Regierung, weil das nur die Radikalisierung der Bewegung erleichtere.

Größere Autonomie für die Universitäten ist Teil der Lissabon-Strategie der Europäischen Union, die im März 2000 vom Ministerrat in Lissabon beschlossen wurde, um - wie es damals hieß - "Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen." Auf diese Reform arbeitet die europäische Bourgeoisie seit vielen Jahren hin und in vielen EU-Ländern ist sie schon umgesetzt worden.

Französische Wirtschaftskreise befürchten vor allem, dass Frankreich in dieser Entwicklung hinterherhinke und in der wissensbasierten globalen Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Sie argumentieren, dass diese Reform für den französischen Kapitalismus entscheidend sei, weil er sonst hinter seine Rivalen zurückfalle.

Trotz einer anwachsenden Protestwelle gegen seine Politik betont Staatspräsident Sarkozy, er werde sein Reformprogramm unbeirrt weiter verfolgen. "Keine Angst", erklärte er am 6. November vor den Bossen des Französisch-Amerikanischen Wirtschaftsrats. "Frankreich ist in der Vergangenheit schon zu oft zurückgewichen. Es kann nicht mehr weiter zurückweichen."

Die Sozialistische Partei unterstützt die Studentenproteste nicht, und ihre Position ähnelt der der UNEF. Sie akzeptiert im Wesentlichen das Gesetz und konzentriert sich auf die stark umstrittene Frage der Blockaden. Die konservative Tageszeitung Le Figaro zitierte am 9. November Antoine Détourné von der MJS, der Jugendbewegung der Sozialisten: "Vielleicht sind die Blockaden ein Mittel, die Bewegung zu verbreitern, aber heute braucht man nicht mehr unbedingt Blockaden, um die Studenten zu überzeugen."

In Wirklichkeit stehen spektakuläre Aktionen wie die Blockaden - die von verschieden Anarchisten und kleinbürgerlichen Radikalen als unerlässlich bezeichnet werden - einer wirklichen Debatte über politische Perspektiven eher im Wege. Dabei wäre es gerade wichtig, den Kampf der Studenten mit dem der französischen und europäischen Arbeiter zu verbinden, deren demokratische und soziale Rechte ständig angegriffen werden. Das erfordert eine sozialistische Perspektive.

Die Hochschulverbände tun nichts, um die Studenten politisch vorzubereiten und die Isolation zu durchbrechen. Alle Studentengewerkschaften, wie auch die Kommunistische Partei und die LCR unterstützen zwar die Blockaden, beschränken aber die Bewegung auf die Rücknahme des LRU. Die Auffassung, dass die Regierung durch Proteste in dieser oder jener Frage zum Rückzug gezwungen werden könne - frei nach dem Motto: " C’est dans la rue que tout se joue" (Alles wird auf der Straße entschieden) - lenkt in Wirklichkeit von den wesentlichen politischen Fragen ab.

Im vergangenen Jahr gelang es den Gewerkschaften am Ende, den Kampf gegen den Erstarbeitsvertrag (CPE) unter Kontrolle zu bringen, der sich zu einer direkten Konfrontation mit Premierminister Dominique de Villepin ausgewachsen hatte. Sie begrenzten die Proteste einzig und allein auf den CPE und vermieden dadurch eine offene Konfrontation mit dem weitergehenden Regierungsprogramm und dessen Angriffen auf soziale und demokratische Rechte. Dadurch bereiteten sie den Weg für Sarkozys Wahlsieg und ermöglichten es seiner Regierung, noch schärfer gegen Arbeiter und Jugendliche vorzugehen.

Siehe auch:
Streik bei Verkehrsbetrieben bringt Frankreich zum Stillstand
(20. Oktober 2007)
Sarkozy kündigt umfangreiche Angriffe auf Rechte französischer Arbeiter an
(11. Oktober 2007)
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