Frankreich: Kommunistischer Bürgermeister setzt Polizei gegen Obdachlose ein

80 obdachlose Familien wurden in den frühen Morgenstunden des 6. September von der mobilen Bereitschaftspolizei Frankreichs CRS [Compagnies Republicaines de Securite] auf brutale Art vertrieben. Die Obdachlosen hatten in dem Pariser Vorort Aubervilliers auf einem öffentlichen Platz im Ortsteil Maladrerie gegenüber einer Schule ihre Zelte aufgeschlagen.

Aubervilliers zählt 63.000 Einwohner. Es wird von der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) und ihren Koalitionspartnern, der Sozialistischen Partei (PS) und den Grünen, regiert. Der Bürgermeister von der KPF hatte angeordnet, die größtenteils westafrikanischen Obdachlosen, die sich alle legal in Frankreich aufhalten, aus ihrem Zeltlager zu vertreiben. Den ursprünglich fünf Familien, die letzen Juni aus ihren Wohnungen verwiesen wurden und daraufhin eine öffentliche Protestaktion organisierten, hatten sich zwischenzeitig 100 weitere Obdachlose angeschlossen. Das Straßenlager bestand seit zwei Monaten.

Die Polizei riss die Zelte nieder, nachdem die Stadtverwaltung eine gerichtliche Verfügung wegen "Ruhestörung" erwirkt hatte. Die im Stadtrat dominierenden Stalinisten brachte die Entschuldigung vor, das Protestlager habe sich in der Nähe zur Joliot-Curie-Schule befunden. Der stellvertretende Bürgermeister Lucien Marest behauptete: "Die Besetzung dieses Platzes vor einer Schule war zum Beginn des neuen Schuljahres ein Problem für die Kinder und die Eltern."

Nachdem die erste Räumung fehlgeschlagen war, formierten sich die Obdachlosen neu und schlugen das Lager wieder auf. Aber sie wurden während der Nacht vom 7. auf den 8. September erneut gewaltsam vertrieben. Die Protestierenden werden von der Organisation DAL (Droit au Logement - Recht auf Wohnungen) unterstützt. Die DAL berichtete, dass die Zeltbewohner überfallen wurden. Eine im dritten Monat schwangere Frau habe ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Der Präsident der DAL Jean-Baptiste Eyraud kommentierte: "Wir behaupten nicht, dass die kommunistische Stadtverwaltung selbst die Wiederunterbringung übernehmen muss. Wir möchten nur, dass sie sich bemüht, Fortschritte bei Verhandlungen zu erzielen, anstatt die Leute zu vertreiben."

Der Angriff durch die Stadtverwaltung und die Polizei auf den schutzlosesten Teil der Bevölkerung machte Schlagzeilen, und die Staatssekretärin für Menschenrechte aus Nicolas Sarkozys rechter Regierung Rama Yade (UMP - Union für Volksbewegungen) ließ es sich nicht nehmen, vor Ort zu erscheinen, weil sie "nicht gleichgültig bleiben" könne angesichts der "Hilferufe", die von Unterstützergruppen der Zeltstadtbewohner ausgingen. Der Premierminister François Fillon distanzierte sich jedoch umgehend von Yades Initiative und sagte, dass "künftig solche Aktionen mit der Regierung abgestimmt" werden müssten. Er entschuldigte ihr Vorgehen als "Fehltritt, der aus Unerfahrenheit rührt". Er stellte allerdings nicht die Regierungsbeteiligung von Yade in Frage. Rame Yade ist die 31-jährige Tochter einer bürgerlichen Familie aus dem Senegal. Nach eigener Auskunft ist der rechten UMP wegen des Charismas von Präsident Sarkozy beigetreten.

Frau Yade versuchte, politisches Kapital aus der schlimmen Lage der Obdachlosen zu schlagen, indem sie die reaktionäre Haltung der Kommunistischen Partei verurteilte. Sie sagte, die KPF "hatte kein Recht zu moralisieren und uns [der Regierung] Predigten über das Wohnungswesen zu halten". Wie auch immer es tatsächlich um ihre Sympathien für die Obdachlosen bestellt sein mag, der stalinistisch dominierte Stadtrat rügte Yade für ihre politisch motivierte "Provokation". Von Seiten des Stadtrats hieß es: "Ihre Erklärung zugunsten der Platzbesetzer bedeutet, eine von einem unabhängigen Richter getroffenen juristische Entscheidung in Frage zu stellen." (Libération, 7. September 2007 ).

Die Stadtverwaltung von Aubervilliers versucht davon abzulenken, dass sie auf den Rechten der Obdachlosen herumtrampelt, indem sie auf die örtlichen Bedingungen verweist und Wohnungsberichte zitiert. 40 Prozent des Wohnungsangebots bestehen demnach aus billigen öffentlichen Wohnungen (HLM), während dies in Sarkozys bürgerlicher Heimatstadt Neuilly-sur-Seine nur 2 Prozent sind (Dies obwohl französische Gemeinden gesetzlich verpflichtet sind, 20 Prozent der Bauten für kostengünstigen Wohnraum zu reservieren).

Der KPF-Stadtrat behauptet, die protestierenden Obdachlosen wollten letztlich jene 3.800 Menschen betrügen, die auf der Warteliste für Sozialwohnungen stehen. Der stellvertretende Bürgermeister Lucien Marest erläuterte: "Es stellt sich die Frage, nach welcher Methode die Sozialwohnungen verteilt werden sollen. Das geschieht gemäß eines demokratischen Verfahrens: Nach Reihenfolge der Namen auf der Liste, und die Präfektur und das Rathaus sind verantwortlich für das Verfahren. Allerdings ortet seit ein paar Jahren ein mafiöses Netzwerk die Sozialwohnungen, die von Mietern gerade verlassen wurden und leer stehen, bis sie renoviert sind und neue Mieter einziehen können. Für 500 - 1.700 Euro schlagen sie die Türen ein und bringen Familien unter. Diese beanspruchen dann zu bleiben. Aber in Aubervilliers stehen 3.000 Menschen auf der Warteliste. Wenn wir diesen Methoden nachgeben würden, dann herrschte das Gesetz des Dschungels. Und das wäre zum Nachteil der ärmsten Menschen." (L’Humanité, 8 September 2007)

Das Organ der Kommunistischen Partei L’Humanité kolportierte kommentarlos diese Anschuldigungen, wonach Hausbesetzer mit der Mafia verbunden seien. In den Annalen des Stalinismus ist das nichts Neues. Die demokratische Rechte der Arbeiter, auch der Hausbesetzer, werden in den von der KPF regierten Gemeinden dem politischen Ziel untergeordnet, die regierende UMP als "republikanische" Law-and-Order-Partei auszustechen. Sie wollen diejenigen, welche stumm leiden, gegen jene auszuspielen, die es wagen, sich zur Wehr zu setzen.

Es kommen jedoch neue Enttäuschungen auf diejenigen zu, die geduldig auf eine Wohnung warten. Ein neues Gesetz, mit dem Obdachlose die Bereitstellung von Wohnraum hätten erzwingen können, ist bereits wieder verwässert worden.

Das Gesetz für das Recht auf Wohnraum (Droit au Logement Opposable), das vor sechs Monaten verabschiedet wurde, war eine Reaktion auf die Protestaktion von hunderten Obdachlosen, die während der Weihnachtszeit letzten Jahres entlang des Kanals St. Martin in Paris ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Die Bewegung, die auf die Gesellschaft "Enfants de Don Quichotte" zurückging, endete mit dem Kompromiss, dass einige Menschen wieder Wohnungen beziehen konnten und das neue Gesetz verabschiedet wurde. Das Gesetz wird jetzt durch Erlasse der Wohnungsministerin Christine Boutin abgespeckt und "verliert wohl jede Substanz" (Le Monde, 10. September 2007). Jede Forderung nach Wohnraum wird künftig "im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten" betrachtet. Christophe Robert vom Abbé-Pierre-Wohlfahrtsverband für Obdachlose warnte: "Wenn der Wohnungsmarkt maßgeblich ist für die Anwendung des Gesetzes, dann dient es nicht dem Zweck, für den es gedacht war." Robert arbeitete in einem Komitee mit, das die Umsetzung des Gesetzes überwacht.

Der Kampf der Obdachlosen in Aubervilliers endete am 10. September, als ihnen eine Verpflichtung von der Präfektur in Saint-Denis auferlegt wurde. Die Verwaltung entschied, dass die fünf ursprünglich vertriebenen Familien wieder eine Wohnung bekommen, wenn sie den "Mietrückstand" für die Zeit der Besetzung zahlen. Eine Kommission wird für 27 weitere Familien, die an den Protesten teilnahmen, die Möglichkeit prüfen, ihnen Wohnungen zuzuteilen. Die Dossiers von 40 anderen Familien, die an den Protesten beteiligt waren, werden ebenfalls bearbeitet. An diese "Versprechen" ist die Bedingung geknüpft, dass "die Familien, die einen legalen Aufenthaltstatus genießen, sofort das Zeltlager in Maladrerie räumen".

Der Mangel an ordentlichen Wohnungen ist derart groß, dass unvermeidlich weitere verzweifelte Kämpfe ausbrechen werden. Laut dem Abbé-Pierre-Wohlfahrtsverband wohnen 3 Millionen Menschen in miserablen Unterkünften unter unhygienischen Bedingungen. Von diesen Menschen sind 86.000 obdachlos (Stand 2007). Die Zahl leerstehender Gebäude in Frankreich beläuft sich auf 2 Millionen, wovon sich allein 156.554 in Paris befinden. Die Forderung nach Wohnraumbeschaffung wirft die Frage nach der Requirierung von ungenutzten Wohnungen auf. Dies ist nach einem Gesetz aus dem Jahr 1945 erlaubt, doch die von Sozialisten und Kommunisten regierten Rathäuser ignorieren diese rechtliche Handhabe geflissentlich, da sie kein Interesse haben, bürgerliches Eigentum anzutasten.

Die Requirierung von Wohnraum war eine der zentralen Forderungen der 1.000 Hausbesetzer in Cachan [einem südlichen Vorort von Paris] bei ihrem Kampf für ordentliche Wohnungen im letzten Jahr. Auch der Widerstand von etwa 600 obdachlosen Menschen, die aus besetzten Zimmern in einem unbewohnten Studentenheim vertrieben wurden und daraufhin Zuflucht in einer öffentlichen Turnhalle suchten, wurde hintertrieben und gebrochen - durch einen Zusammenschluss von "linken" Organisationen und Ratsherren, unter Mitwirkung des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy.

Die "Linke" und ihre so genannten "linksextremen" Verbündeten sind merklich verlegen, da die Ereignisse in Aubervilliers der Öffentlichkeit vor Augen führen, wie die "Linke" in Kommunalregierungen Obdachlose behandelt. Der Ruf nach einer polizeilichen Intervention, um soziale Probleme zu lösen, unterscheidet sich nicht von dem Vorgehen der gegenwärtigen Regierung unter Präsident Sarkozy - die sich damit brüstet, 25.000 Einwanderer abschieben zu wollen.

Die pseudotrotzkistische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR - Revolutionäre Kommunistische Liga) sprang dem KPF-Stadtrat bei. In einer Pressemitteilung rügte sie die stalinistischen Methoden sehr zurückhaltend. Eine Wohnung zu haben, sagt die LCR, "ist ein fundamentales Recht von jedem, was auch immer seine Herkunft und Nationalität sei. Wenn die Kommunen dieses Bedürfnis nicht selbst befriedigen können, dann ist es nicht hinnehmbar, dass Städte, in denen die KPF, die Sozialistische Partei und die Grünen gemeinsam regieren, wie in Aubervilliers, als endgültige Lösung die Vertreibung von Familien fordern."

Einen Monat zuvor hatte ein UMP-Bürgermeister in Argenteuil die Straßenreinigung aufgefordert, eine stinkende Substanz im Notausgang des großen Einkaufszentrums in Argenteuil aufzutragen, wo ein Dutzend Obdachloser ein Lager aufgeschlagen hatten. Die LCR schlug in diesem Fall einen ganz anderen Ton an und verurteilte das Vorgehen als "perversen Schlag gegen demokratische Rechte". Sie erklärte weiter: "Der rechte Flügel um Sarkozy verbindet nun Unterdrückung mit Rauswurf. Wir sind entrüstet über solche Methoden, die LCR und ihr Sprecher Olivier Besancenot fordern den Rücktritt von [dem UMP-Bürgermeister] George Mothron und seinem Stellvertreter Philippe Métezeau." Der Rücktritt des stalinistischen KPF-Bürgermeisters in Aubervilliers wurde nicht verlangt. Die "Einheit der Linken" ist für die LCR offensichtlich wichtiger als irgendein Kampf zur Verteidigung demokratischer Rechte.

"Linke" Gemeindeverwaltungen, die sich jahrzehntelang nicht um die ausreichende Bereitstellung von ordentlichen Wohnungen gekümmert haben, sind genauso schuldig wie die konservative UMP, die dieses Grundrecht offen ablehnt. Die Erfahrungen aus Aubervilliers und Cachan zeigen einmal mehr, dass es nur eine einzige Alternative zur freien Marktwirtschaft im Wohnungssektor gibt: Die Mobilisierung aller Arbeiter für eine sozialistische Wohnungspolitik und die Beendigung von Spekulationen mit Wohnraum. Der Niedergang der KPF und der Sozialistischen Partei bei den letzten Wahlen widerspiegelt das wachsende Misstrauen gegenüber ihrer pro-kapitalistischen Politik. Die von der KPF angeordnete polizeiliche Vertreibung wird diese Tendenz nur verstärken.

Siehe auch:
Frankreich: Sozialistische Partei driftet nach rechts ab
(20. September 2007)
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