Dessauer Landgericht spricht beschuldigte Polizisten frei

"Das hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun"

Vor vier Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh gefesselt im Keller des Polizeireviers in Dessau.

Erst nach massivem öffentlichem Druck und den Initiativen der Rechtsanwälte der Angehörigen des Toden, sah sich die Justiz nach zwei Jahren gezwungen einen Prozess gegen zwei Polizeibeamte anzustrengen, die möglicherweise für den Tod des 23-jährigen Asylbewerber aus Sierra Leone verantwortlich sind.

Demonstration am 1. April 2006 in Dessau
in Gedenken an Oury Jalloh (© Marek Peters)

Am Montag nun, nach 60 Prozesstagen fällte das Landgericht das Urteil. Es lautete: Freispruch für die beiden angeklagten Polizisten. Das Urteil führte noch im Gerichtsaal zu Tumulten und hinterließ fassungslose Prozessbeobachter.

Mit bemerkenswerter Offenheit brachte der Vorsitzende Richter der Dessauer Strafkammer den skandalösen Freispruch selbst auf den Punkt: "Das hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun".

Manfred Steinhoff, Richter am Landgericht Dessau-Roßlau erklärte diesen Prozess für gescheitert, weil die polizeiliche Ermittlungsbehörde alles dransetzte, um die Verstrickung von Polizeibeamten beim Feuertod des Asylbewerber Oury Jalloh zu verschleiern.

Nicht, dass es bei diesem Prozess an Indizien, Zeugen oder Spuren gefehlt hätte, bemerkt die Berliner Zeitung und schlussfolgert in einem Kommentar: "ausgerechnet jene Behörde, die dem Rechtsstaat dienen soll, hat ein rechtsstaatliches Verfahren unterminiert und am Ende eine Verurteilung der Angeklagten verhindert hat: die Polizei."

Glaubt man den Polizeiangaben, dann wurde der junge Afrikaner am Morgen des 7. Januar 2005 einer Personenkontrolle unterzogen, weil er zwei Frauen damit belästigt habe unbedingt ihre Handy benutzen zu wollen. Er wurde auf das Dessauer Polizeirevier geschleppt, weil er stark angetrunken gewesen sei. Ein Arzt habe ihm dort eine Blutprobe entnommen, wogegen sich Oury Jalloh gewehrt habe. Er sei von den Polizisten "gründlich durchsucht" und in eine Zelle im Keller des Gebäudes verbracht worden. Mit ausgestreckten Armen und Beinen wurde er mit Handschellen an eine Pritsche gekettet.

Nach den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft hat sich dann Folgendes abgespielt: Im ersten Stock des Polizeireviers saßen der Dienstgruppenleiter Andreas S. (48) und die Streifeneinsatzführerin Beate H. (39). Über eine Videokamera konnten sie den Flur vor den Gewahrsamszellen beobachten, in der Zelle selbst gab es aus Kostengründen keine Kamera. Im Lauf des Vormittags sei die Zelle, in der Jalloh gefesselt lag, zweimal kontrolliert worden.

Erst um 10:30 Uhr schaltete dann Beate H. die Gegensprechanlage ein. Sie begründete das dem Ermittlungsbericht zufolge damit, dass auch ein in der Zelle fixierter Mensch Gelegenheit haben müsse, sich bemerkbar zu machen. Oury Jallohs Schreie und Hilferufe seien tatsächlich unüberhörbar gewesen. Andreas S. Reaktion bestand darin, die Gegensprechanlage leiser zu stellen. Beate H. soll dies rückgängig gemacht haben. Um 11:45 Uhr beschloss sie, die Zelle selbst zu kontrollieren. Als sich Jalloh über die Fesselung beschwerte, antwortete sie, das könne sie nicht entscheiden und ging wieder nach oben.

Um 12:00 Uhr schlug in der Einsatzzentrale der Rauchmelder aus der Zelle Jallohs Alarm. Beate H. hat als Zeugin geschildert, was danach geschah: Der Dienstgruppenleiter Andreas S. habe den Alarm-Ton abgeschaltet. Aber der Alarm sei gleich wieder angesprungen. Daraufhin habe er den Zellenschlüssel an sich genommen und den Alarm ein zweites Mal ausgeschaltet. Sie habe ihn aufgefordert, sich zu beeilen. In diesem Augenblick habe auch der Rauchmelder aus dem Flur vor den Zellen Alarm gegeben.

Andreas S. habe sich jetzt auf den Weg nach unten gemacht. Im Gehen forderte S. einen Kollegen auf mitzukommen. Als die beiden Beamten dann die Tür zur Zelle öffneten, quoll dichter schwarzer Rauch heraus. S. machte kehrt, lief nach oben und schrie nach einem Feuerlöscher. Sein Kollege griff sich eine Wolldecke aus einem Technikraum im Keller, drang in die Zelle ein und sah den Mann auf der brennenden Matratze liegen. Er konnte nicht feststellen, ob er noch lebte, er konnte ihn auch nicht losmachen, weil er die Schlüssel nicht hatte. Oury Jalloh verbrannte qualvoll bei lebendigem Leib.

Nach wie vor ungeklärt bleibt nicht nur die Frage, warum die Polizeibeamten durch ihr ignorantes Verhalten das Leben des afrikanischen Asylbewerbers aufs Spiel setzten, sondern vor allem, wie das Feuer überhaupt ausbrechen konnte.

Die Ermittlungen und Zeugenaussagen dazu, sind äußerst widersprüchlich und zweifelhaft.

Wie so oft, wenn es sich um ausländerfeindliche, rechtsradikale oder von der Polizei begangene Straftaten handelt, schloss die Staatsanwaltschaft von vornherein einen rechtsradikalen Hintergrund und politischen Zusammenhang aus.

Auch PRO ASYL weist auf diese Tatsache hin. Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. schreibt in ihrer Presseerklärung vom 9. Dezember 2008 unter der Überschrift: "Der Tod von Oury Jalloh bleibt ungesühnt":

"Das Gericht hat sich frühzeitig auf die durch nichts bewiesene These der Staatsanwaltschaft festgelegt, Oury Jalloh habe die feuerfeste Matratze im Gewahrsam, an Händen und Füßen gefesselt, selbst entzündet. Nicht nur dies ist ungeklärt. Alternative Szenarien - inklusive Fremdeinwirkung - sind nicht ausreichend aufgeklärt worden. Staatsanwaltschaft und Gericht wollten von vornherein das Undenkbare nicht denken. Das Gericht konzentrierte sich frühzeitig im Verfahren auf die Minuten nach dem Ausbruch des - wie auch immer entstandenen - Feuers und damit auf die Frage, ob der Hauptangeklagte Andreas S. bei rechtzeitigem Handeln Oury Jalloh noch hätte retten können."

Erst teilte die Staatsanwaltschaft mit, im Brandschutt in der Zelle seien verschmorte Reste eines Feuerzeugs gefunden worden. Der Angeklagte M. habe es beim Durchsuchen des Festgenommenen übersehen. Dann am 54. Prozesstag (!) taucht plötzlich ein Polizeibeamter als Zeuge auf, der aussagte, er wisse von einem Kollegen, dass der Angeklagte Hans-Ulrich M., nachdem er mitgeholfen hatte, Jalloh in die Zelle zu zerren, sein Feuerzeug vermisst habe. Der Angeklagte Hans-Ulrich M. bescheinigt darauf hin, so sei es in der Tat gewesen.

Um die These der Selbsttötung zu untermauern, ließ das Gericht gar einen Polizeibeamten von Jallohs Statur genau so anketten wie diesen. Es habe sich dabei gezeigt, dass er, wenn auch unter großen akrobatischen Anstrengungen, ein Feuerzeug aus jeder Hosentasche oder auch aus der Unterhose hätte ziehen und die "schwer entflammbare" Matratze anzünden können. Er hätte nur lange genug eine Flamme darunter halten müssen.

Mit dieser Art von Hypothesen wurden die Angeklagten Hans-Ulrich M. und Andreas S. entlastet und schließlich freigesprochen.

Selbst die Einschätzungen von Gerichtsmedizinern vor Gericht, sollten keinerlei Konsequenzen für das Urteil haben. Sie stellten fest, wäre Oury Jalloh nicht durch das bis heute ungeklärte ausgebrochene Feuer verbrannt, hätte er in dieser Stresssituation ebenso an Herzversagen oder an Erbrochenem ersticken können.

In der erwähnten Presseerklärung kommt PRO ASYL zu einem bedenkenswerten Fazit: "Das Gericht ist beim Versuch der Aufklärung nicht zuletzt an einer Mauer des Schweigens von Seiten der Polizeizeugen und einer Fülle von Ermittlungspannen gescheitert, die in dieser Vielzahl letztendlich nur die Schlussfolgerungen zuließen: Am Tattag war in der Polizeizelle Nummer 5 im Dessauer Polizeirevier alles möglich. Der vorsitzende Richter hat in seiner mündlichen Urteilsbegründung deutliche Worte für diese Zustände gefunden und erklärt, vor diesem Hintergrund sei ein rechtsstaatliches Verfahren nicht möglich gewesen. Somit sind die Freisprüche von Dessau Zeichen einer Krise des Rechtsstaats."

Das Verhalten der Dessauer Polizei und der Staatsanwaltschaft, das jegliche Rechtstaatlichkeit vermissen lässt und an Zeiten schlimmster Polizeiwillkür erinnert, in denen Korpsgeist, Lügen, Widersprüche, Vertuschungen, unterlassene Ermittlungen, Schlampereien und unhaltbare Hypothesen alltäglich waren, ist kein Einzelfall.

Im Zuge des Prozesses gegen Neonazis, die im Sommer 2000 den Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau ermordeten, kam heraus, dass die Polizei im Dessauer Stadtpark regelrecht Jagd auf Schwarzafrikaner gemacht hatte. Unter Verdacht des Drogenhandels wurden die Afrikaner öffentlich nackt ausgezogen und durchsucht. Schon damals hatte es ein Ermittlungsverfahren gegen drei Polizisten gegeben, die auf der Wache einen 18-jährigen Afrikaner geschlagen und getreten hatten.

Nicht nur in Dessau sind ausländerfeindliche und rechtsextreme Einstellungen bei Polizeibeamten weit verbreitet. Eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kam zum Ergebnis, dass 40 Prozent der befragten Beamten in Sachsen-Anhalt fremdenfeindlichen Einstellungen zustimmen. In anderen Bundesländern dürfte es ähnlich sein. Seit Jahren häufen sich gewalttätige Übergriffe von Polizisten gegen Ausländer, Asylbewerber und Obdachlose. Nach einer Studie gelangten zum Beispiel in Berlin im Jahre 2004 nur sieben von 766 angezeigten Körperverletzungen durch Polizeibeamte zur Anklage. Nur zwei davon endeten mit einem Urteil.

Unerwähnt sollte auch nicht bleiben, dass Rechtsextreme, die ganze Zeit über ihre Leute im Dessauer Gerichtssaal positioniert hatten. Deren Anwesenheit stellte nicht nur eine ungeheure Provokation für Jallohs Freunde und Verteidiger dar. Die Neonazis sollte offensichtlich der Dessauer Polizei den Rücken stärken. Sie geißelten das Verfahren auf den einschlägigen Internetseiten der NPD als "Schauprozess" des "Linkskartells" gegen aufrechte deutsche Polizeibeamte.

Siehe auch:
Asylbewerber stirbt im Polizeigewahrsam in Dessau
(19. Februar 2005)
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