Sarkozy bemüht sich um französisch-britische Achse

Der neue französische Präsident Nicolas Sarkozy hat sich während eines zweitägigen Besuchs in der britischen Hauptstadt London intensiv um ein engeres Bündnis zwischen den beiden Ländern bemüht.

Sarkozy, der das Vereinigte Königreich in seiner offiziellen Funktion als Staatsoberhaupt besuchte, und seine neue Gattin Carla Bruni wurden von ihren britischen Gastgebern mit höchsten Ehren empfangen - einschließlich einer Kutschenfahrt durch London in Begleitung der Queen, Übernachtung auf Schloss Windsor und einem Auftritt vor beiden Kammern des britischen Parlaments. Die Ansprache vor den versammelten Abgeordneten und Lords nutzte der Präsident dann, um für eine - wie er es nannte - "neue französisch-britische Brüderlichkeit für das 21. Jahrhundert" zu werben.

Der französische Gast schmeichelte seinen Zuhörern in den höchsten Tönen und griff weit in die Geschichte zurück, um die Nähe Frankreichs zu England zu belegen. Selbst der Tatsache, dass sich Briten und Franzosen Jahrhunderte lang bekriegt haben, vermochte er Positives abzugewinnen: "Frankreich und England haben einander Jahrhunderte lang bekämpft. Dabei hat jedes seine Identität bestätigt, in dem es sich dem anderen entgegen stellte. Sie haben nicht gekämpft, weil sie zu verschieden waren, sondern weil sie sich zu sehr glichen."

Ausführlich beschäftigte er sich dann mit der Entente cordiale, mit der Frankreich und Großbritannien 1904 ihre Zwistigkeiten beilegten, die nordafrikanischen Kolonien unter sich aufteilten und ein Bündnis schlossen, das zur Grundlage ihrer Waffenbrüderschaft im Ersten Weltkrieg wurde. Die Entente cordiale, das "herzliche Einvernehmen", müsse nun ihre Fortsetzung in einer Entente amicale, einem "freundschaftlichen Einvernehmen", finden, forderte Sarkozy. Ein solches Bündnis werde das Gewicht Frankreichs und Großbritanniens in der Europäischen Union und auf der Welt stärken.

In melodramatischen Worten beschwor der französische Präsident die britische Unterstützung für Frankreich im Zweiten Weltkrieg. Frankreich werde das "englische, schottische, walisische und irische Blut, das sich im Schlamm der Schützengräben mit französischem Blut vermischte, niemals vergessen". Seine Schlussfolgerung: "Die Kriege des vergangenen Jahrhunderts haben gezeigt: Das französische Volk und das britische Volk können wie zwei Brüder zusammen viel mehr erreichen als getrennt."

Auch die zukünftige Zusammenarbeit schilderte Sarkozy in militärischen Kategorien. "Das Vereinigte Königreich und Frankreich haben eine große Rolle zu spielen", rief er den Parlamentariern zu und berief sich dabei auf die weltweiten Militäreinsätze beider Länder. "Wir sind beide bereit, unseren Verantwortlichkeiten mit der Waffe in der Hand nachzukommen, im Dienst des Friedens: fast 15.000 französische und fast 15.000 britische Soldaten sind in allen Kampfplätzen der Welt stationiert. Unsere beiden Länder haben sich entschieden, ihren Ideen auf der ganzen Welt Gehör zu verschaffen. Kurz, unsere Länder können sich, wenn sie wollen, perfekt ergänzen."

Sarkozy pries das angestrebte Bündnis als Segen für die ganze Welt. "Die Welt braucht zwei alte Nationen wie die unsrigen, die vor langer Zeit Eroberungs- und Herrschaftsträume aufgegeben haben, aber aus ihrer langen Erfahrung eine unvergleichliche Kenntnis der Welt bewahrt haben", verkündete er. "Wenn das Vereinigte Königreich und Frankreich zusammen mehr Gerechtigkeit wollen, wird die Welt gerechter sein. Wenn das Vereinigte Königreich und Frankreich zusammen für Frieden kämpfen, wird die Welt friedlicher sein." Usw., usf.

Strategische Neuorientierung

Einige Kommentare haben Sarkozys Auftritt in London als Auftakt einer grundlegenden Verschiebung der politischen Beziehungen in Europa interpretiert: Frankreich wende sich von der deutsch-französischen Achse ab, die bisher als Motor der Europäischen Union galt, und rücke näher an Großbritannien und indirekt an die USA heran, um das wirtschaftlich stärkere Deutschland in Schach zu halten.

Insbesondere in Deutschland betrachtet man Sarkozys Berufung auf die Entente cordiale und die beiden Weltkriege als Hinweis, dass sein Werben um ein enges Bündnis mit London eine anti-deutsche Stoßrichtung hat. So schreibt Rudolph Chimelli in der Süddeutschen Zeitung : "Ungeachtet ihrer konfliktreichen Geschichte schmieden beide Seiten an einer neuen europäischen Machtachse - ohne Deutschland."

"Auf beiden Seiten des Kanals ist offenbar das Bewusstsein neu geweckt, dass ein uraltes Problem in Europa fortbesteht", fährt Chimelli fort. "Zwar ist Deutschland zu klein für Hegemonie, aber auch ohne weltpolitische Ambitionen ist es manchmal zu groß für ein gedeihliches Spiel zwischen Gleichen. Sarkozy macht kein Geheimnis daraus, dass Frankreich durch die Erweiterung der EU für seinen Geschmack zu sehr an die Peripherie gerückt ist, während Deutschland durch seine Geographie unverändert in der Mitte liegt."

Andere Kommentare betrachten Sarkozys Auftritt dagegen eher gelassen. Sie weisen darauf hin, dass der französische Präsident des Öfteren hochfliegende Initiativen ergreift, die dann nach kurzer Zeit im Sand verlaufen und in Vergessenheit geraten. So bemerkt FAZ.NET über den "Politikstil" des "hyperaktiven" Präsidenten: "Sarkozy entwickelt in einem Gespräch 20 Ideen, von denen er 18 gleich wieder einsammelt."

Die praktischen Auswirkungen der Initiative des französischen Präsidenten sind bisher tatsächlich eher gering. Die Reaktion von britischer Seite war zwar nicht abweisend, aber relativ verhalten. Dennoch macht Sarkozys Auftritt in London deutlich, wie angespannt die Beziehungen innerhalb Europas sind und vor welch gewaltigen Problemen die herrschende Klasse Frankreichs und Europas stehen.

Sein Staatsbesuch fand vor dem Hintergrund der größten Krise des internationalen Finanzsystems seit den 1930er Jahren statt. Doch obwohl die Folgen der Krise längst nicht ausgestanden und Frankreich wie Großbritannien stark davon betroffen sind, verlor Sarkozy darüber in London kaum ein Wort.

Die Realitätsverdrängung, die mit seinem pompösen Auftritt einherging, nahm teilweise bizarre Formen an. So, wenn er das Vereinigte Königreich als ökonomisches Vorbild pries, das "in der globalen Wirtschaft einen Weg zu starkem Wachstum, Vollbeschäftigung und Solidarität gezeigt" habe, einen "Weg der Reformen, die Anstrengungen wieder Wert verleihen und Innovation, Unternehmergeist und den Sinn für persönliche Verantwortung fördern". Dabei dürfte auch Sarkozy nicht entgangen sein, dass die britische Regierung soeben die bankrotte Immobilienbank Northern Rock verstaatlicht hat und mit 110 Milliarden Pfund aus der Staatskasse für ihre Spekulationsverluste haftet.

Französische Banken sind ebenfalls von der Finanzkrise betroffen, und der hohe Dollarkurs macht der französischen Industrie schwer zu schaffen. Sie weist schon jetzt ein hohes Außenhandelsdefizit aus und ist gegenüber Deutschland stark ins Hintertreffen geraten. Der Nachbar auf der anderen Seite des Rheins, einst wichtigster Partner Frankreichs in der Europäischen Union, wird deshalb in Paris mehr und mehr als Rivale wahrgenommen.

Frankreich ist es zudem, anders als Deutschland und Großbritannien, bisher nicht gelungen, den Anteil der öffentlichen Ausgaben am Brutto-Inlandsprodukt (BIP) deutlich zu senken, was als massives Hindernis im globalen Wettbewerb gilt. Entsprechende Versuche, die Sozialausgaben zusammenzustreichen, sind immer wieder auf massiven Widerstand in der Arbeiterklasse gestoßen. Nach wie vor fließt mit 53,5 Prozent weit über die Hälfte des BIP in öffentliche Ausgaben, während der entsprechende Wert in Deutschland unter 46 Prozent und in Großbritannien bei 44 Prozent liegt.

Mit seinem Bündnisangebot an die britische Regierung versucht Sarkozy diese Probleme durch eine pragmatische Mischung aus wenig durchdachten strategischen Zielen, politischen und wirtschaftlichen Initiativen zu lösen. Er trifft dabei auf einen britischen Regierungschef, mit dem er zumindest eines gemein hat: seine Unpopularität in der Bevölkerung. Sarkozy und Gordon Brown haben in den Umfragen historische Tiefstwerte erreicht.

Rivalität mit Deutschland

Sarkozys wichtigstes Motiv für eine engere Zusammenarbeit mit London ist ohne Zweifel die Rivalität mit Deutschland. Während des Kalten Kriegs war Frankreich in der Lage, im Rahmen der EU eine politische Übermacht des wirtschaftlich stärkeren Nachbarn zu verhindern. Darauf beruhte die viel beschworene deutsch-französische Partnerschaft. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und der Osterweiterung der EU ist dies nicht länger der Fall.

Deutschland ist größer und einflussreicher geworden. Es verfügt über 82 Millionen Einwohner im Vergleich zu den 64 Millionen Frankreichs. Seine Wirtschaftsleistung liegt mit 2.300 Milliarden Euro um 520 Milliarden über der französischen. Es hat dank seiner geografischen Lage und seiner Exportwirtschaft weit stärker von der Osterweiterung der EU profitiert: Deutschland wickelt rund 10 Prozent seines Außenhandels mit den neuen EU-Mitgliedern ab, während es im Falle Frankreichs nur gut 4 Prozent sind. Frankreich ist zudem stärker auf den deutschen Absatzmarkt angewiesen, als dies umgekehrt der Fall ist. Rund 15 Prozent der französischen Exporte gehen über den Rhein, während es in der Gegenrichtung nur knapp 10 Prozent sind.

Auch auf dem Weltmarkt ist Deutschland besser vertreten. Es wickelt die Hälfte seines Außenhandels außerhalb der EU ab, während es bei Frankreich nur 40 Prozent sind. Und die deutsche Handelsbilanz liegt mit 200 Milliarden Euro im Plus, während Frankreich ein Defizit von 40 Milliarden verzeichnet.

Französische Versuche, das deutsche Übergewicht zu beschränken, stoßen in Berlin regelmäßig auf Widerstand. Eben erst hat Bundeskanzlerin Angela Merkels Sarkozys Pläne für eine Mittelmeerunion vereitelt. Diese Union sollte alle Anrainerstaaten des Mittelmeers unter französischer Führung umfassen und ein Gegengewicht zum deutsch dominierten Osteuropa bilden. Übrig blieb schließlich nur der Name. Anfang März beschloss ein EU-Gipfel in Brüssel, den bisherigen "Barcelona-Prozess" unter neuem Namen weiterzuführen. Deutschland wird dabei ebenso viel Einfluss haben wie Frankreich.

Ebenfalls am Widerstand Berlins sind französische Bemühungen gescheitert, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zu begrenzen, die für die Stabilität des Euro zuständig ist.

Aus Sarkozys Londoner Rede geht deutlich hervor, dass er sich eine größere Rolle Großbritanniens innerhalb der EU erhofft. Auf diese Frage kommt er immer wieder zurück. So wenn er darauf hinweist, dass Winston Churchill als erster für ein geeintes Europa eingetreten sei, Europa als "unser gemeinsames Schicksal" bezeichnet oder eine enge Zusammenarbeit während der französischen EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte verspricht.

Militärische Zusammenarbeit

Sarkozy strebt vor allem auch eine enge militärische Zusammenarbeit mit Großbritannien an. Er will die Vereinbarung neu beleben, die der damalige Präsident Jacques Chirac und der britische Premier Tony Blair 1998 in Saint-Malo getroffen haben. Die Vereinbarung von Saint-Malo sollte den Grundstein für eine autonome europäische Verteidigungspolitik unter britisch-französischer Führung legen. Sie ist aber nie sehr weit gediehen, da die europäischen Regierungen die entsprechenden Mittel nicht zur Verfügung stellten und London sich bei Konflikten mit der US-dominierten Nato stets auf deren Seite stellte.

In seiner Rede vor dem britischen Parlament betonte Sarkozy in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Status Frankreichs und Englands als Atommächte und Vetomächte im UN-Sicherheitsrat. "Diskutieren wir zusammen, entscheiden wir zusammen und handeln wir zusammen", sagte er. "Alles spricht dafür: Unser gemeinsamer Status als permanente Mitglieder des Sicherheitsrates, unsere Verantwortung als Nuklearmächte, der Einfluss, den wir in einem Teil der Welt ausüben, unsere gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union und unser leidenschaftliches Bekenntnis zu Demokratie und Freiheit."

Er hob auch hervor, dass "Frankreich und das Vereinigte Königreich für zwei Drittel der Verteidigungsausgaben unserer 25 europäischen Partner aufkommen und ihre Forschungsanstrengungen verdoppeln".

Um der engen Bindung Großbritanniens an die USA entgegenzukommen, ist Sarkozy sogar bereit, Frankreich wieder in die Kommandostruktur der Nato zu integrieren, aus der es sich 1966 unter Präsident Charles de Gaulle zurückgezogen hatte. Er hat auch versprochen, zusätzliche 1.000 französische Soldaten nach Afghanistan zu schicken, um die dortigen Nato-Truppen aufzustocken. Es scheint allerdings, dass Sarkozy dies bisher mit niemandem in Frankreich abgesprochen hat. Von amerikanischer und britischer Seite werden seit langem entsprechende Forderungen erhoben. Erfolg oder Scheitern der Afghanistanmission gelten unter Experten inzwischen als Schicksalsfrage für die Zukunft der Nato.

Französische und britische Vorstellungen über die Rolle der Nato klaffen allerdings weiterhin auseinander. Sarkozy betrachtet das Bündnis in erster Linie als Mittel, die militärische Macht Europas zu stärken und eine gewisse Kontrolle über die USA auszuüben, während die USA die schwerfälligen, zu Einstimmigkeit verpflichteten Gremien der Nato immer häufiger umgehen, auf "Koalitionen der Willigen" setzen und dabei von Großbritannien unterstützt werden.

Atomtechnologie und soziale "Reformen"

Neben der militärischen Zusammenarbeit mit Großbritannien strebt Sarkozy eine enge Kooperation bei der Entwicklung und Verbreitung von Nukleartechnik an. Beide Länder setzten bei der Energieversorgung auf Atomreaktoren und geben dies als Beitrag zum Klimaschutz aus. Großbritannien bezieht rund 20 Prozent seines Energiebedarfs aus Atommeilern, die teilweise veraltet sind und demnächst ersetzt werden müssen. In Frankreich sind es sogar 80 Prozent.

Der Bau neuer Atomreaktoren in Großbritannien würde der französischen Industrie Milliardenaufträge bescheren und ihre Chance erhöhen, Nukleartechnik auf der ganzen Welt zu verkaufen. Auch auf diesem Gebiet könnte die deutsche Konkurrenz zurückgedrängt werden, die gehandicapt ist, weil in Deutschland selbst aufgrund einer Vereinbarung der früheren rot-grünen Koalition keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden dürfen.

Und schließlich hofft Sarkozy auf die Unterstützung der britischen Labourparty Gordon Browns bei der Verwirklichung der sozialen "Reformen", die in der französischen Bevölkerung auf entschiedenen Widerstand stoßen. Er lobte die britische Wirtschaftspolitik als Vorbild und versicherte den britischen Abgeordneten: "Frankreich wird seine Reformen entschlossen und schnell durchführen, weil es sie zu lange hinausgezögert hat und nicht länger warten kann. Ihr könnt in dieser Hinsicht auf meine totale Entschlossenheit zählen."

Siehe auch:
Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich in Außen- und Wirtschaftspolitik
(14. März 2008)
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