Demonstrationen in Berlin und Frankfurt

"Milliarden für die Banken - Armut für uns"

Am vergangenen Samstag demonstrierten mehrere Zehntausend Menschen in Berlin und Frankfurt gegen die Regierungspolitik zur Finanz- und Wirtschaftskrise. Zur gleichen Zeit fanden weitere Demonstrationen in London, Paris, Wien und Rom statt.

Viele Arbeiter kamen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen: Wegen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise stehen sie vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze. Viele Jugendliche brachten ihre Angst vor neuen Kriegen zum Ausdruck und protestierten dagegen, dass die Verantwortlichen der Krise - die Banken und Manager - jetzt durch die Regierungspolitik auch noch deren Gewinner sind.

Eine Vielzahl der Teilnehmer war politisch und gewerkschaftlich organisiert; es waren hauptsächlich Mitglieder jener Organisationen, die zur Demonstration aufgerufen hatten. Dazu gehörte die Partei "Die Linke", sowie eine ganze Anzahl Gewerkschaftsverbände und "linke" Gruppierungen, die eng mit ihr zusammenarbeiten, außerdem Friedensgruppen und Globalisierungsgegner wie Attac. Sie sahen die Aufgabe der Proteste vor allem darin, Luft abzulassen und die wachsende Unzufriedenheit in ungefährliche Bahnen, in erster Linie in das Fahrwasser der Partei "Die Linke", zu lenken.

Das Bündnis, das hinter dem Aufruf "Wir bezahlen nicht für eure Krise" steht, erhob keine einzige Forderung, die die Interessen der globalen Finanzoligarchie oder gar des kapitalistischen Systems ernstlich gefährdeten. Die Ausrichtung des Aufrufs hatte zum Ziel, "Druck auf die Regierenden auszuüben", wie dies Jutta Sundermann von Attac in Frankfurt erklärte.

Kundgebung auf dem Frankfurter Römerberg Kundgebung auf dem Frankfurter Römerberg

Frankfurt

In der deutschen Bankenmetropole kamen laut Angaben der Veranstalter 25.000 Menschen in zwei Demonstrationszügen auf dem historischen Römerberg, unweit der Paulskirche, zur Abschlusskundgebung zusammen.

Die Organisatoren hatten jedem der fünf Redner nur sieben Minuten Redezeit zugestanden, auch dem Linkspartei-Vorsitzenden Oskar Lafontaine. Anders als erwartet, musste er sich jedoch zunächst gegen lautstarke Proteste, nicht nur aus dem Block der Autonomen, durchsetzen. Demonstrationsteilnehmer bewarfen ihn mit Eiern, als er die Bühne betrat. Ein Regenschirm musste ihm als Schutz dienen, Sicherheitspersonal mit Polizeischildern stand auf der Bühne bereit. In seiner kurzen Rede beschwor er angesichts der Proteste daher vor allem "die Einheit" aller Linken.

Lafontaine muss gegen Eierwürfe geschützt werden Lafontaine muss gegen Eierwürfe geschützt werden

"Wir stehen vor den schärfsten sozialen Auseinandersetzungen, die dieses Land in seiner Geschichte gesehen hat", rief er. Daher müssten alle zusammenstehen. Er stellte seine bekannten Forderungen auf, etwa nach "einer Vermögenssteuer wie in Großbritannien". Dadurch würden jedes Jahr 80 Milliarden Euro in die Staatskasse fließen, die für die Bevölkerung eingesetzt werden könnten.

Er warf der Bundesregierung vor, Milliarden an Steuergeldern an diejenigen "Mafiosi" zu verteilen, die für die derzeitige Krise verantwortlich seien, und forderte die "demokratische Kontrolle der Verteilung" der Steuermilliarden. Er erwähnte nicht, dass er der Aussetzung aller demokratischen Kontrollmechanismen im Parlament ausdrücklich zugestimmt hatte, als es im Oktober 2008 darum ging, die Bereitstellung des "500-Milliarden-Rettungspakets" für die Banken innerhalb einer Woche zu ermöglichen.

Erneut plädierte Lafontaine für eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze sowie für staatliche Hilfen für Opel und die Beteiligung der Belegschaft am Konzern.

Die Situation bei Opel nahm in ihrer Rede auch die Landesvorsitzende von Ver.di in Baden-Württemberg, Leni Breymaier, auf. Sie sagte, die Kollegen von General Motors in Detroit hätten die gleichen Probleme wie die Kollegen von Opel in Rüsselsheim. Unter dem Jubel der Demonstranten rief sie: "Wir brauchen daher eine globale Solidarität."

Dem widerspricht jedoch die gesamte Politik der Demonstrationsorganisatoren; neben der Linkspartei auch Ver.di und die IG Metall. Das kam auch auf der Kundgebung selbst zum Ausdruck.

Während auf der Bühne Breymaier die globale Solidarität beschwor, sammelten Opel-Betriebsräte aus Rüsselsheim Unterschriften unter eine offizielle Erklärung der Stadt Rüsselsheim, des dortigen DGB und des Gesamtbetriebratsvorsitzenden Klaus Franz. Darin wird gefordert, Opel staatliche Kredite zuzugestehen, um den Konzern aus General Motors heraus zu brechen und Opel allein in Europa weiterzuführen. Die Unterschriften sollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am heutigen Dienstag übergeben werden, wenn sie nach Rüsselsheim kommt.

Mehrmals riefen die Organisatoren von der Bühne dazu auf, diese Aktion zu unterstützen.

Mitglieder und Sympathisanten der Partei für Soziale Gleichheit und der World Socialist Web Site verteilten den Aufruf der Vierten Internationale zur Europawahl, "Für die Vereinigung Europas auf sozialistischer Grundlage", und diskutierten mit vielen Teilnehmern, die aus der ganzen westlichen Bundesrepublik - Frankfurt, Rüsselsheim, Mannheim, Karlsruhe, Stuttgart, Aschaffenburg, Saarbrücken, Gießen, Dortmund, etc. - sowie aus Thüringen angereist waren.

"Milliarden für Banken - Millionen für Manager - Armut und Arbeitslosigkeit für uns!" - stand auf einem handgeschriebenen Plakat: "Auch bei uns herrscht momentan Kurzarbeit", sagte Melanie Schneider aus Wetzlar. Sie arbeitet bei Buderus-Edelstahl und berichtete, dass bereits alle Leiharbeiter entlassen seien, und dass jetzt die Beschäftigten mit Zeitverträgen um ihre Vertragsverlängerung bangten.

"Es geht so unglaublich schnell", sagte Melanie. "In Wetzlar gehen die Arbeiter schon seit Wochen auf die Straße. Der Staat verschenkt das Geld, damit die Oberen ihre Boni weiter einsacken, und die Arbeiter finanzieren es mit ihren Steuern."

Neckermann-Beschäftigte Neckermann-Beschäftigte

Bei Neckermann in Frankfurt wird schon seit zwei Jahren kräftig abgebaut. "Der Preis für die Zukunft von Neckermann darf nicht unsere Armut sein!" hieß es auf dem Transparent einer Delegation von Neckermann-Logistik. Der ehemalige Besitzer Karstadt-Quelle hat die Aktienmehrheit an den amerikanischen Finanzinvestor Sun verkauft. Jetzt werden bei dem Versandhaus, das einst über zehntausend und heute noch rund 4.000 Menschen beschäftigt, noch einmal Hunderte Stellen gestrichen - allein 153 in der Logistik.

"Am 1. April erfahren wir vom neuen Besitzer, ob wir entlassen werden", berichteten die Neckermann-Frauen. "2005 wurde ein Sanierungstarifvertrag abgeschlossen. Darin wurde uns das Urlaubsgeld, ein Teil der Sonderzahlungen und das Weihnachtsgeld gestrichen - insgesamt 1473 Euro für jeden von uns. Das Geld hätten wir vergangenen Juni zurückbekommen sollen. Aber wir wurden verkauft, und der neue Besitzer will es uns nicht zahlen." - "Das kann doch nicht sein, dass wir jetzt büßen müssen für den Mist, den die da oben gebaut haben!" sagte eine Kollegin, die schon seit 22 Jahren in der Neckermann-Logistik arbeitet.

Ingmar Pons (links) Ingmar Pons (links)

Ingmar Pons, ein Buchbinder aus Darmstadt, war mit seinem Kollegen aus Darmstadt gekommen und drückte die Hoffnung aus, dass diese Mobilisierung erst der Anfang sei. "Es werden immer mehr. In Frankreich haben zwei Millionen Menschen an einem Generalstreik teilgenommen", sagte Ingmar. "Es ärgert mich, dass man den Banken das ganze Geld zuschustert, und niemand wird zur Rechenschaft gezogen. Schließlich müssen darunter viele Menschen leiden, und nur wenige - immer dieselben - bereichern sich daran."

Sven Schmalz Sven Schmalz

Sven Schmalz aus Eisenberg in Thüringen sagte: "Es wurde mal Zeit, dass die Leute auf die Straße gehen und sich das nicht länger bieten lassen. Was hier betrieben wird, ist eine Zweiklassenpolitik. Man muss aber sagen: Die Linke predigt zwar seit vielen Jahren, man müsse Druck machen, bloß von ihr selbst kommt auch nicht viel. Das kapitalistische System ist doch bankrott. Das System hat keinen Fehler, das System ist der Fehler."

Am Rande der Demonstration stand eine Gruppe koreanischer Gitarrenbauer von CORT Guitars. Sie waren aus Südkorea nach Frankfurt gereist, um am 1. April vor der Musikmesse zu demonstrieren, wo ihr ehemaliger Unternehmer, der Milliardär Park Young Ho, ausstellen würde. CORT Guitars hat vor über zwei Jahren in einem Scheinkonkurs zwei Produktionsstätten in Südkorea mit 400 Mitarbeitern geschlossen und die Produktion nach China und Indonesien verlagert. Mit den südkoreanischen Beschäftigten gab es keine Verhandlungen, geschweige denn Abfindungen.

Arbeiter von CORTS Südkorea Arbeiter von CORTS Südkorea

Zhan-Hyon Bak, der die Gruppe begleitet, sagte uns: "Wir wurden rechtswidrig entlassen und sind seit 700 Tagen unterwegs, um unsern Unternehmer zur Rede zu stellen. Wir verlangen von Park Young Ho faire Verhandlungen, die Wiedereröffnung seiner Betriebe und die Wiedereinstellung unsrer Kollegen. Eine Gitarre kann bis zu 2.000 Euro kosten, und wir haben über 100.000 Stück jährlich hergestellt. Unser eigener Lohn war 17 Euro am Tag, das sind 500 Euro im Monat. Wir haben Gitarren für amerikanische und japanische Firmen gebaut, die weltweit unter ihrem Markennamen verkauft werden."

Bak erklärte, wenn sie in Frankfurt keinen Erfolg hätten, seien sie auch bereit, nach USA und Japan zu reisen. Schon das Überleben der Kollegen, wie auch diese Reise, seien durch Solidaritätsaktionen und Spendengelder finanziert worden. Die Gitarrenbauer wollten Kontakt mit Arbeitern anderer großer Gitarrenfabriken, wie auch mit den Künstlern selbst aufnehmen, die auf den Gitarren spielten, die sie gebaut hätten.

Berlin

In der Hauptstadt folgten rund 15.000 Menschen dem Aufruf. Auf der Abschlusskundgebung sprach Gregor Gysi, Bundestagsfraktionsvorsitzender der Linken, vor nur etwa 500 Demonstranten, weil viele schon wieder auf dem Heimweg, andere noch unterwegs in den Straßen Berlins waren.

Berliner Demonstration Berliner Demonstration

Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, rief die Demonstrationsteilnehmer auf, den so genannten Frankfurter Appell der IG Metall zu unterstützen. Darin werden u. a. die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aufgefordert, einen Untersuchungsausschuss "Finanzmarktkrise" einzurichten, die Vorstände von Banken und Unternehmen werden aufgefordert, sich "öffentlich zu entschuldigen" und die "Lehren zu ziehen". Sie sollten ihre "Unternehmensstrategien auf die Wahrung sozial und ökologisch nachhaltiger Kriterien und sicherer Arbeitsplätze ausrichten".

Das ist exakt die Politik der Bundesregierung, nämlich die Verursacher der Krise zu beauftragen, sie zu lösen, lediglich in andere Worte verpackt.

WSWS-Reporter und Mitglieder der Partei für Soziale Gleichheit sprachen mit Teilnehmern der dortigen Demonstration.

Miriam Miriam

Miriam, 39 Jahre, sagte: "Ich bin heute hier, weil ich keine Lust habe für die Krise zu bezahlen. Besonders schlimm finde ich, dass in der Kultur gespart wird, etwa am Theater. Ich wurde entlassen, als Gelder bei der Komischen Oper hier in Berlin gekürzt wurden. Die Gehälter gehen runter, und die Reichen werden immer reicher. Eine Lösung wäre auf jeden Fall mehr Verstaatlichung."

Über die Linkspartei habe sie sich vor allem wegen deren Haltung zum Gaza-Krieg geärgert. Klaus Lederer, den Berliner Linken-Vorsitzenden "fand ich total inakzeptabel" sagte sie. "Wie kann der auf die Pro Israel Demo gehen aber nicht auf die Palästinenser-Demo!? Das ist einfach falsch."

Stefanie Stefanie

Stefanie, 19, sagte unseren Reportern: " Ich bin heute hier, weil ich es für völlig inakzeptabel finde, dass die Regierung unser Geld den Managern aushändigt, die schon in der Vergangenheit Millionen eingestrichen haben. So wie ich es sehe, kann eine Lösung nicht im Rahmen des Kapitalismus gefunden werden, weil er ausschließlich am Profit orientiert ist und sich nur noch durch Spekulation erhält.

Die Linke versucht einmal mehr den Kapitalismus zu reformieren. Aber ich meine, diese Partei hat überhaupt kein Recht, an dieser Demonstration teilzunehmen. Sie sollten gar nicht hier sein. Sie sitzen alle im Bundestag und sind mitverantwortlich, für das, was gerade passiert. Es wird niemals möglich sein, den Sozialismus durch Reformen zu erreichen."

Siehe auch:
Lafontaine unterstützt 700-Milliarden-Geschenk an Wallstreet
(26. September 2008)
Die Diktatur der Banken - Bundesregierung verabschiedet 500-Milliarden-Paket im Eilverfahren
( 16. Oktober 2008)
Für die Vereinigung Europas auf sozialistischer Grundlage - Unterstützt den Europa-Wahlkampf der Partei für Soziale Gleichheit!
( 19. Februar 2009)
Loading