SPD-PDS Koalition in Mecklenburg-Vorpommern

Erstmals PDS-Minister in einer Landesregierung

In Mecklenburg-Vorpommern, dem nördlichsten der fünf neuen Bundesländer, hat in der vergangenen Woche eine Koalition aus SPD und PDS die Regierungsgeschäfte übernommen. Sie löste die Große Koalition von CDU und SPD ab.

Zum ersten Mal seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der DDR übernimmt damit die aus der SED hervorgegangene Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) direkt Regierungsverantwortung und stellt drei Landesminister, den Minister für Arbeit, Bau und Landesplanung, den Sozial- und den Umweltminister.

Zwar spielte die PDS bereits in den vergangenen Jahren in den neuen Bundesländern eine wichtige Rolle. Sie stellt über 200 Bürgermeister, mehrere Tausend Kommunalpolitiker, und in Sachsen-Anhalt toleriert sie seit vier Jahren eine SPD-Minderheitsregierung. Doch mit der Regierungsbeteiligung in Schwerin macht die PDS einen weiteren Schritt in Richtung staatstragende Partei.

Die Landtagswahlen fanden am gleichen Tag wie die Bundestagswahlen statt und standen unter dem Einfluß der weitverbreiteten Opposition gegen die Kohl-Regierung. Die CDU, bis dahin auch in Mecklenburg-Vorpommern stärkste Partei, erlebte hier ein noch größeres Desaster als im Bundesdurchschnitt. Mit Verlusten von 7,5% der Stimmen erreichte sie lediglich noch 30,2%. Die SPD gewann fast fünf Prozent hinzu und wurde mit 34,3% stärkste Partei im Landtag. Die PDS verbesserte ihr Ergebnis von 1994 und kam auf 24,4% der Stimmen.

Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den ärmsten Regionen Deutschlands. Mit einer Arbeitslosenquote von derzeit 17,8 % liegt das Bundesland an vorletzter Stelle und wird nur noch von Sachsen-Anhalt übertroffen. Die Betriebe des Schiffsbaus um Rostock und Warnemünde wurden nach der Privatisierung auf einen kläglichen Rest zusammengeschrumpft. Große Teile der Bevölkerung sind regelrecht verarmt, während Immobilienspekulanten, Hotelbesitzer und Freizeitkonzerne in den Touristengebieten an der Ostsee reichlich Gewinne einstrichen. Einer, der diese Entwicklung regelrecht personifiziert, ist Kohls früherer Mann im Osten, der ehemalige CDU-Bundesverkehrsminister und gebürtige Mecklenburger Günter Krause, der mit Grundstückspekulationen in der Küstenregion und dubiosen Treuhandgeschäften ein Vermögen zusammenscheffelte.

Ein weiteres Merkmal dieser Region ist das provozierende Auftreten von rechtsradikalen Gruppierungen. Immer wieder terrorisierten Skinhead-Schläger ausländische Bewohner und überfielen Urlauber auf Campingplätzen. In Rostock-Lichtenhagen wurden schon 1992 über 100 Vietnamesen stundenlang belagert und ihr Wohnheim vor den Augen der tatenlos zusehenden Polizei in Brand gesteckt. Bei den jüngsten Landtagswahlen wurde die rechtsradikale DVU zur viertstärksten Partei.

Bisher hat die PDS die soziale und politische Misere dieses Landes genutzt, um sich als Oppositionspartei darzustellen. Der mit der SPD geschlossene Koalitionsvertrag zeigt allerdings das genaue Gegenteil.

Der größte Teil des 225 Paragraphen umfassenden Vertragswerkes besteht aus einem Wortschwall guter Absichten und frommer Wünsche, verpackt in völlig vagen und gummiartigen Formulierungen. Die immer wiederkehrenden Floskeln lauten: "Wir streben an", "wir wollen", "wir beabsichtigen" etc.

Das erste Kapitel trägt die Überschrift: "Alle Kräfte bündeln für mehr Arbeit, Gerechtigkeit und Demokratie". SPD und PDS streben danach, "die Arbeitslosigkeit deutlich zu vermindern" heißt es da. Frauen und Jugendlichen soll "eine sichere Perspektive geschaffen" werden. Die einzig konkrete Entscheidung in Bezug auf die Arbeitsplätze folgt dann ganz am Ende des Vertrages in Kapitel elf. Dort wird ausdrücklich festgelegt, daß der Stellenabbau im öffentlichen Dienst in genau dem Umfang fortgesetzt wird, wie er von der alten Regierung beschlossen worden war.

Unter Leitung der CDU hatte die alte Regierung den Abbau der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst auf unter 46.000 Stellen bis zum Jahr 2002 begonnen, was nach Gewerkschaftsangaben ein Abbau von 2400 Stellen bedeutet. Dagegen hatte die PDS bisher protestiert und demonstriert. Jetzt stellt sie den Minister, der diesen Abbau der Arbeitsplätze durchführen wird - "sozial verträglich", wie die Koalitionsvereinbarung betont.

Die ausdrückliche Erwähnung dieses Stellenabbaus im öffentlichen Dienst ist nicht zufällig. Der Koalitionsvertrag wäre gut ohne dieses Detail ausgekommen. Sie dient als Signal an die Wirtschafts- und Unternehmerverbände. Sie macht unmißverständlich deutlich, daß die neue Regierung die wesentlichen Eckpunkte der bisherigen CDU-Politik fortsetzen wird und von der Koalition mit der PDS keine politische Kursänderung zu befürchten ist.

Gleichzeitig wirft dieser Stellenabbau im öffentlichen Dienst grelles Licht auf den von der PDS angestrebten und ausführlich betonten "öffentlich geförderten Beschäftigungssektor" (ÖBS). Es handelt sich dabei nicht um Schaffung von Arbeitsplätzen durch ein öffentliches Beschäftigungsprogramm, sondern um Mittelstandsförderung und eine besondere Form des sogenannten Kombilohns, bei dem ein Teil des Lohns vom Staat finanziert wird, um den Klein- und Mittelstandsunternehmern billigste Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.

Anfangs forderte die PDS 5000 solcher ÖBS-Arbeitsplätze. Davon sind ganze 500 übriggeblieben, und deren Finanzierung ist in eine Wolke der Unbestimmtheit gebettet.

Die verbesserte Zukunft für die Jugend soll darin bestehen, daß die von der alten Regierung bereits versprochene Ausbildungsgarantie erneuert wird. Jugendliche ohne Ausbildungsplatz sollen in Sonderklassen der Berufsschulen zu einer "überbetrieblichen Ausbildung" zusammengefaßt werden. Dazu heißt es in Paragraph 141: "Durch geeignete Maßnahmen, insbesondere auch durch die pädagogische Qualifikation von ,Seiteneinsteigern‘ wird der Bedarf an Berufsschullehrern gedeckt."

Das klingt stark nach Sicherheitsverwahrung von arbeitslosen Jugendlichen in Berufsschulen. Nach der Ausbildung ist weiterhin alles offen. Eine Arbeitsplatzgarantie nach Lehrabschluß - egal ob betrieblich oder überbetrieblich - wird im Koalitionsvertrag ausdrücklich abgelehnt.

Bisher hatte die PDS oft zu Demonstrationen und Protestaktionen gegen die Hochschulmisere und den ständig wachsenden Einfluß der Wirtschaft auf den Lehrbetrieb an den Universitäten und Fachhochschulen aufgerufen. Jetzt hat die selbe Partei ein Regierungsprogramm unterschrieben, in dem "eine stärkere Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft" angestrebt wird. "Der Wettbewerb der Hochschulen untereinander und auf dem Wissenschaftsmarkt insgesamt wird befördert", heißt es in Paragraph 145. "Höhere Flexibilität, Autonomie und abrechenbare Leistungen" werden angestrebt.

Angesichts des wachsenden Rechtradikalismus forderte die PDS in den vergangenen acht Jahren immer wieder einen Ausländerbeauftragten. Jetzt hat sie diese Forderung fallengelassen. Statt dessen dient der zunehmende Rassismus als Vorwand, um demokratische Rechte ab- und die Polizei aufzubauen.

So heißt es in Paragraph 168: "Es ist zu prüfen, ob eine Änderung der rundfunkrechtlichen Vorschriften dahingehend anzustreben ist, daß künftig ein Anspruch politischer Parteien auf Sendezeiten zu Wahlwerbezwecken nicht mehr besteht." Und einige Absätze weiter (Paragraph 174) wird erklärt: "Die Präsenz der Polizei im öffentlichen Straßenbild und an Orten und zu Zeiten, die besonders kriminalitätsgefährdet sind, ist zu stärken." "Öffentliche Sicherheitspartnerschaften zwischen Bürgern und Polizei sollen initiiert werden... Eine zügige Ausstattung der Polizei mit moderner Technik, insbesondere Informationstechnik, ist notwendig."

Man wird den Eindruck nicht los, daß beide Parteien - SPD und PDS - deren Führungspersonal gleichermaßen aus der SED hervorgegangen ist, angesichts der sozialen Krise heftige gesellschaftliche Konflikte fürchten und den früheren Unterdrückungsapparat der DDR samt Stasi sehr vermissen.

In dieses Bild paßt auch die Absicht der neuen Regierung, das Justizministerium als eigenes Ressort abzuschaffen und in die Staatskanzlei einzugliedern. Als der Deutsche Richterbund darauf hin heftig protestierte und davor warnte, daß damit die "Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung" und das "Gebot der Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung" aufgegeben werde, machten die Koalitionäre einen Rückzieher. Im Vertragstext heißt es nun lediglich: "Der steigenden Belastung der Justiz ist durch eine Fortsetzung begonnener Reformen zu begegnen."

Kaum verwunderlich, daß sich gegen diese Koalitionsvereinbarung Widerstand regte. Doch sowohl der PDS-Bundesvorstand wie auch die Landesleitung in Mecklenburg-Vorpommern zeigten sich fest entschlossen, den Regierungsbeschluß durchzusetzen. Gregor Gysi reiste persönlich zum Sonderparteitag nach Schwerin und erklärte vor den Delegierten: "Wichtig ist nicht der Inhalt der Koalitionsvereinbarung, sondern nur die Regierungsbeteiligung selbst." Von Schwerin werde ein politisches Signal ausgehen, das unmittelbare Bedeutung für die Regierung in Sachsen-Anhalt und Thüringen habe und die politische Landschaft verändere.

Als die Fragen nach politischen Inhalten und sozialen Verbesserungen auch dann nicht ganz verstummten, erinnerte sich die PDS-Führung einer bewährten Taktik aus alten SED-Zeiten, um Abstimmungsmehrheiten zu garantieren. Die Konferenzleiterin rief vom Podium aus jeden einzelnen Delegierten namentlich auf, dieser mußte sich erheben und vor allen Delegierten und der versammelten Parteileitung seine Haltung zum Koalitionsvertrag mit Ja oder Nein kundtun. Unter diesen Bedingungen gab es eine Abstimmungsmehrheit von 94 Prozent und der Parteivorstand triumphierte.

Nicht nur derartiges Vorgehen erinnert an alte DDR-Traditionen. Auch der PDS-Landesvorsitzende, frisch gebackene Arbeitsminister und stellvertretende Ministerpräsident, Helmut Holter, erinnert oft und gerne an seine 25jährige Karriere in der SED/PDS.

Der heute 45jährige Holter trat bereits mit 20 Jahren in die SED ein. Zweimal schickt ihn die Partei zum Studium nach Moskau, zuletzt 1985-87 auf der Parteihochschule der KPdSU. Bis zum Ende der DDR arbeitete er als vielversprechender Nachwuchskader in der SED-Bezirksleitung Neubrandenburg.

Die Frankfurter Rundschau charakterisiert ihn als typischen "Wendehals". "Ein Staatstragender mit Karrierechancen, als der Staat, den er trug nicht mehr war, trug er den neuen nicht nur mit Fassung, sondern bald auch mit großem Elan und ungebrochenem Karrierebewußtsein."

Nur wenige Wochen nach der Wahl, in der die PDS Stimmen gewonnen hat, weil sie sich als "linke Opposition" bezeichnete, tritt diese Partei in eine Landesregierung ein und zeigt, was von ihr zu erwarten ist: Nichts!

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