Schulverkäufe in Berlin

Schulen auf dem Weg zur Privatisierung

Der von SPD und CDU gestellte Berliner Senat hat im September beschlossen, noch in diesem Jahr 57 Schulen zu verkaufen. Dieser Beschluß hat weitreichende Konsequenzen für die Bildungspolitik nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. SPD und CDU stellen so die Weichen, um das öffentliche Bildungssystem mehr und mehr in private Hände zu legen.

Im sogenannten Sale-and-lease-back-Verfahren sollen die Schulen durch private Investoren gekauft, saniert und vom Land Berlin zurückgemietet bzw. nach 20 Jahren zurückgekauft werden. Voraussichtlich wird es eine EU-weite Ausschreibung geben, bei der immer etwa acht bis zehn Schulen in einer Tranche angeboten werden. Als Interessenten kommen europäische Versicherungen, Immobilienfonds, Banken etc. in Frage. Als einer der finanzkräftigen Käufer steht bereits die Deutsche Bank auf der Liste.

Die stark sanierungsbedürftigen Schulgebäude befinden sich vor allem auf früherem DDR-Gebiet im Osten Berlins, aber auch im Westteil der Stadt werden Verkäufe inzwischen nicht mehr ausgeschlossen. Nach jahrelangen Kürzungsmaßnahmen im Bildungsbereich sind manche Schulen derart marode, daß Eltern und Schüler begonnen haben, selbst zu renovieren.

Im Gegensatz zum direkten Verkauf öffentlicher Unternehmen, wie des Berliner Stromversorgers BEWAG, ist das Leasing-Verfahren eine schleichende bzw. verschleierte Form der Privatisierung, die nicht so viel öffentliches Ärgernis erregt. Vorbild ist Großbritannien, wo der öffentliche Dienst bereits seit rund 20 Jahren privatisiert wird. Nach dem Verkauf lukrativer Betriebe wie British Telecom oder den Wasserversorgungsunternehmen hat die britische Regierung begonnen, mit Sale-and-lease-back-Verfahren Krankenhäuser und Gefängnisse sowie andere öffentliche Gebäude in private Hände überzuführen, und dies auch für Schulen geplant.

Ein ähnliches Verfahren hat auch der Westberliner Senat schon einmal Anfang der 70er Jahre angewendet. 15 damals verkaufte Mittelstufenzentren sollten nach Sanierung per Mietkauf zurückgekauft werden. Die auf 620 Millionen festgelegte Miete, die innerhalb von 30 Jahren abgezahlt werden sollte, hat sich mittlerweile mehr als verdoppelt. Auch war die Sanierung so schlampig durchgeführt worden, daß einige der Zentren inzwischen wegen Asbestverseuchung und anderen Mängeln wieder geschlossen bzw. erneut aufwendig saniert werden mußten.

Ungeachtet dieser negativen Erfahrungen erklärt die heutige SPD-Schulsenatorin Ingrid Stahmer, der Schulverkauf sei der einzige Weg, "damit schnell etwas passiert". Sie verweist auf die leeren Haushaltskassen und behauptet, man könne nur so "in die Zukunft der Kinder investieren". Dasselbe Argument benutzte Stahmer schon Anfang diesen Jahres dazu, das bisherige strikte Werbeverbot an Berliner Schulen aufzuheben. Danach können sich seit einigen Monaten diverse Handelsketten und Unternehmen an Schulen tummeln, um diese durch Werbeeinnahmen und Sponsoring wieder aufzupäppeln. Eine ernsthafte Diskussion über die pädagogischen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Werbung und Sponsoring an Schulen wurde dabei leichtfertig vom Tisch gewischt.

Auch die Grünen sind nicht gegen den Verkauf von Schulen. "Es gibt Notsituationen, in denen man Zugeständnisse machen muß", erklärte die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Sybille Volkholz, auf eine telefonische Anfrage des wsws. Immerhin müsse ja schnell dafür gesorgt werden, daß die heruntergekommenen Sanitäranlagen wie Toiletten und Waschräume für die Kinder wieder benutzbar gemacht werden.

Solche Argumente zeugen allerdings davon, wie wenig Berlins Senatspolitiker über den heutigen Tag hinauszusehen wagen. Kurzfristig bekommt der Senat zwar Geld in die leere Haushaltskasse. Langfristig ist jedoch absehbar, daß er neue Kürzungen in den öffentlichen Schulen durchsetzen muß, um das Geld für die teuren Leasing-Raten pünktlich aufzubringen. Schon ist die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit in Diskussion. Es sei "zeitgemäß", wenn die Eltern die Schulbücher selbst bezahlen, erklärte SPD-Finanzsenatorin Anette Fugmann-Heesing vor wenigen Monaten.

Ein Mitarbeiter der Berliner Senatsbauverwaltung bestätigte gegenüber dem wsws die negativen Folgen des Sale-and-lease-back-Verfahrens, das inzwischen auch für den Verkauf öffentlicher Gebäude bis hin zu Rathäusern geplant sei. "Das Problem ist nur in die Zukunft verschoben", sagte er. Die Leasing-Raten müßten schließlich so hoch sein, daß die Anleger genügend hohe Renditen erwirtschaften. Im Gespräch ist eine Rate, die 7,5 Prozent Zinsen beinhaltet, weit über den üblichen Kreditzinsen. Dies würde neue Löcher in die Haushaltskasse reißen. Für Investoren dagegen winken zusätzlich zu den Zinsen auch die gängigen Steuerabschreibungsmöglichkeiten für Immobilien sowie Subventionen aus der Landeskasse für manche Sanierungsvorhaben, beispielsweise energiesparende Fassaden.

Der Verkauf der Schulen steht im Zusammenhang mit Plänen, zahlreiche Schulen vor allem im Osten Berlins zu schließen. Da die Käufer immer mehrere Schulen auf einmal übernehmen, ist zu erwarten, daß alte, nicht voll belegte Schulen zugunsten neuer größerer Schulkomplexe abgerissen werden. Weite Schulwege wären nur eine der negativen Folgen.

Auch ist denkbar, daß die Investoren einen Teil der gekauften Schulgebäude für eigene Zwecke, wie Konferenzen, Bildungsabteilungen etc. nutzen wollen. All dies sei verhandelbar, erklärte der Bauverwaltungsmitarbeiter gegenüber dem wsws. Schließlich wolle man den Käufern das Angebot schmackhaft machen. Der Schritt zu einer direkten Einflußnahme des Privatbesitzers auf das Bildungsangebot der Schule wäre dann nicht mehr weit.

Während in der Vergangenheit die Privatunternehmen tatsächlich indirekt über ihre Steuerabgaben an gesellschaftlichen Aufgaben wie der Bildung beteiligt wurden, läuft heute das von der SPD beschworene Engagement der Investoren auf die schlichte Vermehrung der eigenen Gewinne hinaus. Schulgebäude und andere öffentliche Gebäude werden in Immobilienobjekte verwandelt. Der Senat setzt die Politik fort, die er seit der Wiedervereinigung betrieben hat: Den Reichen geben, der Bevölkerung nehmen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) protestierte gegen den Verkauf von Schulen. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende Haase argumentierte, daß sich durch den hohen Zinssatz der langfristigen Kredite die Leasing-Raten nach wenigen Jahren bereits verdoppeln würden. Außerdem hätten die Bezirke durch den auf sie ausgeübten Druck des Senats kaum Zeit gehabt, fundierte Gutachten über den Wert von Grundstücken und Schulgebäuden zu erstellen. Als Alternative schlug der GEW-Vertreter vor, Kredite mit einem niedrigeren Zinssatz aufzunehmen und den Stadtbezirken mehr Mittel zu geben.

Allerdings lehnt die Gewerkschaft eine schleichende Privatisierung im Schulsystem nicht prinzipiell ab. Sie hat den Bildungsabbau der vergangenen Jahre mitgetragen und ist mitverantwortlich dafür, daß sich heute Schulleitungen und Eltern unter Druck gesetzt fühlen, nach privaten Sponsoren zu suchen, um eine einigermaßen vernünftige Schulausbildung zu gewährleisten.

Der "Sachverständigenrat Bildung" der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dem neben den früheren GEW-Vorsitzenden Dieter Wunder auch Sybille Volkholz (Die Grünen) angehören, schlägt nun "Bildungskonten" vor, in die Eltern und Verwandte von Schülern einzahlen sollen. Die Schüler erhalten dafür sogenannte "Bildungsgutscheine", die sie an das von ihnen gewählte Gymnasium zahlen. Je mehr Schüler ein Gymnasium anzieht, desto besser steht es finanziell da. Dieser Vorschlag bedeutet, den Wettbewerb zwischen den Gymnasien zu fördern und höhere Bildung wieder zum Privileg der Besserverdienenden zu machen.

SPD, Gewerkschaft und Grüne haben sich von Vorstellungen der öffentlichen Bildung für alle und der Chancengleichheit längst verabschiedet.

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