Biedermänner und Brandstifter

Die rassistische Unterschriftenkampagne der CDU/CSU

Wer erinnert sich nicht an die schrecklichen Bilder von Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen aus dem Jahr 1992 - die brennenden Asylbewohnerheime, die beifallklatschenden Rechtsradikalen und die oft äußerst lahme Reaktion von Polizei und Strafverfolgungsbehörden? Fünfzig Jahre nach Hitler wurden in diesem Land wieder Menschen aufgrund ihrer Herkunft und Kultur terrorisiert und verbrannt. Auch heute vergeht keine Woche ohne rassistisch motivierte Gewalttaten gegen Ausländer.

Wenn in Zukunft wieder Ausländerheime in Flammen aufgehen oder nicht-deutsche Mitbürger auf offener Straße mit Baseball-Schlägern erschlagen oder aus fahrenden S-Bahnzügen geworfen werden, dann sollten die beiden Unionsvorsitzenden - Stoiber (CSU) und Schäuble (CDU) - verpflichtet werden, die Totenrede zu halten. Und man sollte darauf achten, daß sie nicht den Satz unterschlagen: "Wir übernehmen die Verantwortung! Wir haben es so gewollt!"

Die am vergangenen Wochenende eingeleitete bundesweite Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kann nicht anders bezeichnet werden als systematisches Schüren von ausländerfeindlichen und rassistischen Stimmungen. Zwar haben sich die Urheber rechtlich abgesichert und den Unterschriftentext so gestaltet, daß er nicht gegen geltendes Recht verstößt. Aber es gibt keinen Zweifel, daß die Opposition gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gegen Ausländer und deren weiteren Zuzug gerichtet ist. Genau so wird sie auch verstanden.

Allein die Tatsache, daß mehrere der neofaschistischen Parteien und Organisationen Beifall klatschen und ihre Mitglieder zur Unterstützung der Kampagne aufrufen, spricht Bände. Republikaner-Chef Rolf Schlierer - "Wir sammeln mit!" - und der Anführer der Deutschen Volksunion Gerhard Frey - "Wie aus der National Zeitung abgekupfert" - reagierten begeistert.

"Zeige mir Deine Freunde und ich sage Dir, wer Du bist." Das gilt auch hier - und zwar ganz unabhängig davon, wie sehr sich Schäuble und Stoiber in Talkshows und Interviews als Staats- und Biedermänner darstellen und von offen rassistischer Propaganda distanzieren.

Die Empörung über diese Kampagne ist weit verbreitet. Mehrere Tageszeitungen und Magazine sprachen sich in Leitartikeln und Kommentaren dagegen aus und warnten vor einer Polarisierung der Gesellschaft. Der Spiegel argumentierte gegen die "Angstparolen, mit denen die CSU ihre Anti-Ausländerkampagne schürt". Stoiber hatte auf einer CSU-Veranstaltung behauptet, das neue Gesetz, das Ausländern nach acht Jahren Aufenthalt - d.h. knapp der Hälfte der 7,4 Millionen in Deutschland lebenden Ausländern - die Möglichkeit gäbe, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, brächte Risiken mit sich, die mit denen aus RAF-Zeiten vergleichbar seien, als Industrielle und Politiker von Terroristen gejagt und einige auch ermordet wurden. So leitet er Wasser auf die Mühlen des Stammtischgeschwätzes, wonach Ausländer mehrheitlich kriminell seien.

"Eine Einbürgerung des organisierten Verbrechens steht nicht zu befürchten", antwortete Der Spiegel(2/99). "Mitglieder der Russen-Mafia halten sich äußerst selten acht Jahre mit amtlicher Genehmigung auf. Und die echte, die italienische Mafia, genießt ohnehin den Bürgerstatus der EU."

Gegen das Argument einer angeblichen "Überbelastung der deutschen Solidargemeinschaft" nach dem Motto "Das Boot ist voll" wies der Artikel darauf hin, daß die von der Union geführte Bundesregierung in den vergangenen Jahren vier Millionen Rußlanddeutsche "heim ins Reich" geholt habe, von denen die meisten weit weniger Deutschkenntnisse haben, als Türken, die seit acht oder mehr Jahren hier leben, dafür aber nicht selten eine stramm antikommunistische Gesinnung.

Die Wochenzeitung Die Zeit macht darauf aufmerksam, wie stark sich die Union an die Argumente der Rechtsradikalen anpaßt: "Die Unterschriftenaktion, wie sie von Schäuble und Stoiber zunächst verkündet wurde, erinnerte methodisch stark an Haiders Volksbegehren gegen die Ausländer (,Österreich zuerst‘) von 1993. Stimmungsmache als plebiszitärer Politikersatz: Welch ein Modell für die Union. Im Grunde ist es nichts anderes als ein Rechtsruck aus Angst vor den Rechten." ( Die Zeit, 14. 1. 1999)

Dieser rapide Rechtsruck der Union muß aber vor allem im Zusammenhang mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise verstanden werden. Seit geraumer Zeit nimmt die Mobilität des Kapitals auf der Suche nach profitablen Anlagebedingungen ständig zu und der Druck auf jede Art von Sozialstaatseinrichtungen wird immer stärker. Die Einführung des Euro hat diese Entwicklung erheblich verschärft.

"Europa wird unruhig" schreibt Meinhard Miegel vom Vorstand des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. "Nur noch die Hälfte der abhängig Beschäftigten verfügt in sechs Jahren über einen dauerhaften Vollzeitarbeitsplatz. Der Rest arbeitet Teilzeit, lebt mit einer befristeten Tätigkeit, oder muß sich mit einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis begnügen... Wachsende Teile der Erwerbsbevölkerung finden sich in niedrig produktiven und deshalb weniger lukrativen Teilbereichen der Volkswirtschaft wieder. Dadurch steigt die Einkommens- und Vermögensungleichheit, was in einer nach wie vor sozialdemokratisch geprägten Europäischen Union zu Umverteilungsmaßnahmen jedweder Art führt." ( Der Spiegel 2/1999)

Die Unionsparteien haben während ihrer Regierungszeit eine starke Umverteilung von unten nach oben begonnen und die Sozialkassen geplündert, stießen aber auf wachsenden Widerstand. Es ist bezeichnend, daß in dem Moment, in dem der soziale Konsens der Gesellschaft immer offener in Frage gestellt wird und auseinanderbricht, die Parteien, die über Jahrzehnte hinweg die Geschicke des Landes bestimmten, keine andere Antwort haben als den Versuch, die wachsenden sozialen Konflikte in rassistische Bahnen zu lenken.

Wohin das führt, kann man auf dem Balkan beobachten. Die Unionshetze gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und das Schüren von dumpfen Ängsten und Stimmungen gegen Ausländer ist kein Deut besser als die rassistische Hetzparole "Wir Serben!", "Wir Kroaten!" oder "Wir Bosnier!" und hat die selben Konsequenzen. In einem Land, in dem jedes Kind weiß, wohin die Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre geführt hat, kann die Unterschriftensammlung der Unionsparteien nur als politisch kriminell bezeichnet werden.

Es mutet grotesk an, daß zur selben Zeit, in der sich elf europäische Länder eine gemeinsame Währung geben und enge wirtschaftliche und finanzpolitische Zusammenarbeit verabreden, Ausländern, die oft seit vielen Jahren in Deutschland leben, und sogar ihren hier geborenen Kindern der deutsche Paß verweigert werden soll. Doch der Irrsinn hat Methode! Die wachsende wirtschaftliche Integration Europas bringt nicht nur eine immer stärker werdende nationale, sondern auch regionale Fragmentierung mit sich.

Die reichen und wirtschaftlich florierenden Regionen sind nicht länger bereit, strukturschwache und verarmte Gebiete zu unterstützen. Der industrielle Norden Italiens will nicht mehr die "sizilianischen Hungerleider" oder arbeitslosen Calabresen mitfinanieren. Ebenso lehnen die Katalonier im Nordosten Spaniens jegliche Unterstützung für den andalusischen Süden ab, und es ist kein Zufall, daß der bayerische Finanzminister Huber zeitgleich mit der Kampagne gegen die Einbürgerung von Ausländern eine weitere finanzielle Unterstützung der ostdeutschen Bundesländer in Frage stellt. Die wachsende Fragmentierung Europas birgt noch viel sozialen und politischen Sprengstoff.

Viel wurde in den vergangenen Tagen darüber spekuliert, warum Wolfgang Schäuble als Vorsitzender der weitaus größeren CDU sich von der Führung der bayerischen Schwesterpartei in die Anti-Ausländerkampagne treiben ließ, wohl wissend, daß Teile der eigenen Partei der rassistischen Demagogie distanziert gegenüberstehen. Antwort: Schäuble fürchtet eine Abspaltung der CSU, die bereits mehrmals den Aufbau einer bundesweiten Rechtspartei auf deutschnationaler Grundlage angekündigt hat. Je mehr er sich aber an die CSU-Politik anpaßt und Stoiber in der Union den Ton angibt, desto deutlicher entwickeln sich die Konflikte in der CDU, desto mehr bricht sie auseinander. Die viel bemängelte Führungsschwäche Schäubles ist ein Ausdruck dieses Dilemmas.

Eines hat die Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft schon jetzt deutlich gemacht: Die Frage, die nach den Brandanschlägen auf Asylbewerberheime oft gestellt wurde, woher kommt dieser Haß, ist beantwortet. Ausländerfeindschaft ist das Programm von skrupellosen Politikern, wenn sie keine Antwort auf die großen Probleme der Gesellschaft mehr haben.

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