Wachsender Rechtsradikalismus in Österreich

Woher kommt der Erfolg von Haiders Freiheitlicher Partei?

Eine Analyse

Die hohen Stimmengewinne der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) bei der jüngsten Nationalratswahl lösten Anfang Oktober weit über die Alpenrepublik hinaus Betroffenheit und Besorgnis aus.

Mit einem Gemisch aus rassistischer Hetze gegen Ausländer, sozialer Demagogie und einer Kampagne gegen Korruption und Vetternwirtschaft war FPÖ-Parteiobmann (Vorsitzender) Jörg Haider in der Lage, mehr als jede vierte Wählerstimme zu gewinnen: 26,9 Prozent. Es gelang ihm, den weit verbreiteten Unmut über die traditionellen Regierungsparteien des Landes auf seine Mühlen zu lenken.

Von ganz wenigen Jahren abgesehen herrschte in Österreich in den vergangenen fünfzig Jahren fast durchgehend eine Große Koalition, in der sich die Sozialdemokraten und die Österreichische Volkspartei (ÖVP) die politische Macht und die Posten teilten. Nun verdrängte Haider die Volkspartei und seine FPÖ wurde zweitstärkste Partei. Seitdem ziehen sich die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung in Wien hin.

Die Erklärungsversuche für den Aufstieg des rechtsradikalen Demagogen blieben bisher äußerst dünn. Kaum einer der zahlreichen Kommentare und Wahlanalysen beschäftigt sich mit der Frage, woher es kommt, dass ausgerechnet in dem Land Europas, in dem die Sozialdemokraten seit Jahrzehnten durchgehend an der Regierung beteiligt sind und seit 14 Jahren den Bundeskanzler stellen, der Einfluss einer rechtsradikalen Partei derart stark zugenommen hat.

Zwar wird in einigen Kommentaren daran erinnert, dass Jörg Haider 1991 als Landeshauptmann (Ministerpräsident) von Kärnten zurücktreten musste, weil er die "Sozialpolitik von Adolf Hitler" als "vorbildlich" bezeichnet hatte, doch die Schlussfolgerung daraus lautet dann nicht selten, man solle die FPÖ an der Bundesregierung beteiligen, um sie zu "entzaubern". Das nennt man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Ein genauer Blick auf die österreichischen Verhältnisse macht deutlich, dass der Hinweis auf neofaschistische Traditionen der FPÖ nicht ausreicht um sie zu charakterisieren. Ihre programmatischen Konzeptionen sind stark von den Interessen einflussreicher Wirtschaftsverbände und von der neoliberalen Gesellschaftstheorie geprägt; so konnten aus den "ewig Gestrigen" schnell die "Morgigen" werden. Sollten sich die sozialdemokratischen Regierungen Europas als unfähig erweisen, die Zerschlagung der Sozialsysteme gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen, könnten auch anderswo sehr schnell vergleichbare Rechtsparteien entstehen beziehungsweise geschaffen werden.

Trotz aller österreichischen Besonderheiten muss man den Aufstieg der FPÖ als ein Phänomen betrachten, das mit dem Ende der Politik des sozialen Ausgleichs und dem damit verbundenen Umbruch des Parteiensystems in mehreren Ländern verbunden ist.

Der Wahlerfolg der FPÖ Anfang Oktober war keine Überraschung. Vielmehr bildete er den bisherige Höhepunkt einer Reihe von immer größeren Stimmengewinnen in den vergangenen 15 Jahren. Seit ihrer Gründung im Jahre 1956 bis in die 80er Jahre bewegte sich der Stimmenanteil der FPÖ zwischen 5,5 bis 7,5 Prozent. Bei den Nationalratswahlen im November 1986 erhöhte sie dann ihren Stimmenanteil auf nahezu 10 Prozent und leitete eine Entwicklung ein, die sie nun zur zweitstärksten Partei machte.

Seit ihrem Wahlerfolg in Kärnten (29 Prozent), wo FPÖ-Chef Jörg Haider in diesem Frühjahr zum Landeshauptmann (Ministerpräsidenten) gewählt wurde, bezeichnet sich die FPÖ gern als erfolgreichste Rechtspartei in Westeuropa.

Geschichte der FPÖ

Dass die Wurzeln der FPÖ im faschistischen Milieu der unmittelbaren Nachkriegsjahre liegen ist unstrittig. In der österreichischen Gesellschaft existierte ein organisiertes und verankertes deutschnationales Lager, dessen Traditionen in das 19. Jahrhundert zurück reichen. Seine Mitglieder waren in der Zeit des Nationalsozialismus großenteils Mitglieder der NSDAP.

Ein wichtiges Sammelbecken dieses rechten Spektrums bildete nach dem Krieg der Verband der Unabhängigen (VDU), der im Jahre 1949 gegründet wurde. Der VDU wurde 1956 direkt durch die FPÖ abgelöst, deren erster Vorsitzender der hochrangige NSDAP-Funktionär Anton Reinthaller wurde.

Die FPÖ konzentrierte sich zu dieser Zeit auf die Rehabilitierung "ehemaliger" Nationalsozialisten. Mit dem Nachfolger im Amt des Parteiobmannes, Friedrich Peter, wurde von 1958 bis 1978 ein ehemaliger Offizier der Waffen-SS Vorsitzender der FPÖ.

Während der 70er Jahre bildete sich vornehmlich unter intellektuellen Parteimitgliedern eine eher liberale Strömung, der sogenannte "Atterseekreis", der Anfang der achtziger Jahre die Führung der Partei erobern konnte und 1983 eine Koalition mit der SPÖ einging. Doch unter Leitung von Jörg Haider reorganisierte sich die Parteirechte rasch und gewann nur drei Jahre später die Führung der Partei zurück. Seit 1986 beherrscht Haider als Bundesvorsitzender die FPÖ und hat einen autokratischen Führungsstil durchgesetzt.

Politische und ökonomische Rahmenbedingungen

Der nun folgende rasante Aufstieg der FPÖ ist eng mit den besonderen österreichischen Verhältnissen verbunden.

Noch weniger als in Deutschland gab es in Österreich nach der Kriegsniederlage und dem Zusammenbruch des Naziregimes eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Einvernehmliches Ziel aller Parteien war es, möglichst schnell wieder zum politischen "Alltag" überzugehen. Aus diesem Grund wurde auch die Vorkriegsverfassung der ersten Republik übernommen.

Bis 1966 wurde Österreich ausschließlich von einer großen Koalition unter Führung der ÖVP regiert.

Der Konsens "wurde von allen wesentlichen politischen Kräften getragen und entwickelte sich zur Grundlage aller Politik."(1) Öffentliche Ämter und Funktionen im Staatssektor (nationalisierte Unternehmen) wurden nach Abstimmung zwischen den Parteien besetzt. Das Proporzsystem - bereits seit 1920 ist die Österreichische Verfassung darauf ausgerichtet - wurde in dieser Zeit zum alles bestimmenden Prinzip erhoben.

"Posten werden nach parteipolitischen Kriterien vergeben und wirtschaftliche Interessensphären nach weltanschaulichen Zweckmäßigkeiten aufgeteilt [..] Sozialdemokraten und Christdemokraten halten sich [..] in der Spitzenbürokratie annähernd die Waage."(2)

Keine der nachfolgenden sozialdemokratischen Regierungen rüttelte daran. Im Gegenteil, das enge Geflecht aus Partei- und Staatsbürokratie in der Leitung von Wirtschaft und Gesellschaft wurde ständig ausgebaut und bildete den Nährboden einer rasch um sich greifenden Korruption.

Österreichs Wirtschaft ist neben einem großen gemeinwirtschaftlichen Sektor durch eine hohe Anzahl kleiner und mittlerer Betriebe gekennzeichnet, die wegen ihrer schwachen Kapitalposition auf den Binnenmarkt orientiert sind. Die Öffnung der osteuropäischen Staaten, der Beitritt Österreichs zur EU und die Auswirkungen der Globalisierung verschärften die Konkurrenz und reduzierten die politischen und ökonomischen Spielräume der österreichischen Sozialpartnerschaft.

Teile des Mittelstandes fühlten sich in ihrem sozialen Status und ihrer materiellen Absicherung bedroht. Unter diesen Schichten gewann die FPÖ neue Anhänger und Wähler.

Seit den 80er Jahren begann die von den Sozialdemokraten geführte Koalition eine drastische Änderung der Wirtschaftspolitik. Haushaltskonsolidierung durch Abbau der Staatsschulden und Reduzierung der Neuverschuldung hieß nun die Devise. Wie in allen anderen Ländern Europas wurden soziale Leistungen gekürzt. Das soziale Klima wurde zusehends rauher.

Das Proporzsystem diente dabei im wesentlichen der Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse der großen Parteien und zur Verhinderung von Opposition gegen die Regierungspolitik. Zunehmend entwickelte sich das politische Establishment zu einem Hort der Klientel- und Vetternwirtschaft und bildete mehr und mehr eine regelrechte Verschwörung gegen die Bevölkerung.

Die FPÖ-Politik unter Haider richtete sich von Anfang an gegen die "unkontrollierte Diktatur der Apparate", setzte die Politik des sozialen Ausgleichs mit dem "Herrschaftssystem der Proporzparteien" gleich und forderte: "Her mit der Freiheit, weg mit dem Zwang!"

So gelang es der FPÖ, die wachsende Unzufriedenheit mit dem völlig verkrusteten Parteiensystem auf ihre Mühlen zu lenken. Immer wieder betonte Haider: "Ziel ist es, die liberalen Ideen der Grund- und Freiheitsrechte durch die Befreiung der Bürger von den politischen Parteien zu vollenden. [...] Damit wird dem Machtkartell der großen Koalition, in das sich die beiden Parteien zur Erhaltung ihrer Herrschaftsbereiche geflüchtet haben, der Sinn und Zweck entzogen".(3)

Ein neoliberales Programm

1985 verabschiedete die FPÖ auf dem Salzburger Parteitag ein Programm, das als eine Synthese aus nationalen und neoliberalen Komponenten bezeichnet werden kann. Zusammen mit der Wiener Erklärung Haiders von 1992 bildet es die theoretische Grundlage der politischen Konzeptionen der FPÖ.

Ihre gesellschaftspolitische Konzeption ist allgemein gegen jede soziale und egalitäre Gesellschaftsform und konkret gegen jede Form des Sozialstaates gerichtet. Angesichts der Tatsache, dass in Österreich die Sozialpartnerschaft in einem bürokratischen System und der Zwangsmitgliedschaft in Kammern geregelt ist - neben der Bundeswirtschaftskammer gibt es verschiedene Kammern der gewerblichen Wirtschaft und Arbeiterkammern - bezeichnet die FPÖ jede Sozialstaatsmaßnahme als Zwang und Bedrohung der Freiheit. Der Kampf gegen Sozialstaatsregelungen wird so in einen "Kampf für Freiheit" verwandelt.

"Gleichmacherei ist der Feind der Freiheit" heißt es im FPÖ-Programm. "Wie man die Sache auch wendet, nimmt man den Begriff Gleichheit nicht im Sinne von Gleichstellung, sondern wörtlich, dann passen Freiheit und Gleichheit nicht zusammen, stehen sogar im Widerspruch zueinander... Ganz generell gesehen, kann die Folge von Freiheit nie Gleichheit sein", erläutert Dr. Gerulf Stix, einer der Theoretiker der FPÖ.(4)

Marktradikalismus

Die FPÖ will eine neue - "Dritte Republik". Sie versteht darunter eine an neoliberaler Theorie orientierte und autoritäre Gesellschaft, in der der Markt die zentrale Instanz bildet. Den wichtigsten Bestandteil einer "freien Gesellschaft" bildet für die FPÖ das Privateigentum.

"Die Anerkennung von Privateigentum ist eine Grundbedingung für jede freie Gesellschaft. Wir wollen möglichst viel Eigentum aller Art, insbesondere auch an Produktionsmitteln, in privater Hand und breit gestreut." "Politik darf sich nicht nur auf den Schutz bestehenden Besitzes beschränken, sondern muss dafür sorgen, dass jeder einzelne durch Leistung auch tatsächlich zu Eigentum gelangen kann."(5)

Diese Konzeptionen erinnern stark an Margaret Thatchers Propaganda vom "peoples capitalism", mit der die britische Regierungschefin Teile des Kleinbürgertums mobilisierte, um gestützt auf sie die Sozialstaatsmaßnahmen zu zerschlagen. Auch die FPÖ versucht eine breitere Akzeptanz für Rationalisierung, Flexibilisierung, Lohnsenkung und die Abschaffung wesentlicher Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer zu schaffen.

Der Abbau von Sozialstandards ist direkt mit Angriffen auf demokratische Rechte und parlamentarische Strukturen verbunden. Während sie die Rolle des Staats in der Sozialpolitik heftig attackiert, fordert die FPÖ ansonsten einen starken Staat, dessen vornehmliche Aufgabe darin besteht, die Arbeitskräfte der Disziplin der internationalen Finanzinteressen unterzuordnen.

Rassismus

Die systematische rassistische Hetze und das gezielte Schüren jeder Form von Ausländerfeindschaft, das die FPÖ seit Ende der 80er Jahre betreibt, muss im Zusammenhang mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik verstanden werden. Erstens dient der Rassismus dazu, die rückständigsten Schichten der Gesellschaft zu mobilisieren und die wachsenden sozialen Spannungen in eine Spaltung der Unterdrückten umzumünzen.

Zweitens soll durch die Einführung eines sogenannten "Saisoniermodell" die vollständige Rechtlosigkeit der Ausländer benutzt werden, um einen Billiglohnsektor zu schaffen, mit dessen Hilfe das Tarifvertragsystem ausgehebelt werden kann.

"Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsberechtigung für Personen, die nicht aus EU-Ländern stammen, sollen sich an den saisonellen Anforderungen, dem Auslastungsgrad der Wirtschaftsbranchen und der Angebotssituation auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ausrichten." "Grundsätzlich geht es um die Etablierung einer rechtlosen, billigen und äußerst flexiblen Reservearmee für die österreichische Wirtschaft."(6)

Vor allem aber wird in der Ausländerfrage deutlich, wer die politische Verantwortung für das rapide Anwachsen der Rechtsradikalen trägt. Die Sozialdemokraten reagierten auf den schnell wachsenden politischen Einfluß Haiders, indem sie seine reaktionären Parolen übernahmen, um, wie sie erklärten, "ihn überflüssig zu machen". So trug die SPÖ wesentlich dazu bei das Gift des Rassismus in der Gesellschaft zu verbreiten und einen ständigen Rechtsruck der politischen Verhältnisse durchzusetzen. Haider klatschte Beifall.

Der Versuch, den Einfluss der FPÖ zurückzudrängen, indem man die traditionellen Parteien stärkt, ist daher ein hoffnungsloses Unterfangen. Das Anwachsen der Rechtsradikalen ist gerade ein Ergebnis der politischen Verkommenheit und Fäulnis dieser Parteien. Notwendig ist die politische Erneuerung der Arbeiterbewegung auf der Grundlage eines sozialistischen Programms, um den rechtsradikalen Demagogen eine internationale Strategie der Arbeiterklasse entgegenzustellen.


1 Ralf Ptak u.a., Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme Rechte, München 1997, S.200

2 Hubertus Czernin, Der Haidermacher, Wien 1997, S.143

3 Freiheitliches Bildungswerk, Freiheitliche Thesen zur politischen Erneuerung Österreichs, Wien 1994, S.4

4 Gerulf Stix, Die Stunde des EuroLiberalismus. Liberalismus und Nationalismus im neuen Europa, Wien 1991

5 Programm der Freiheitlichen Partei Österreichs, 1985

6 Ralf Ptak, a.a.O., S.220

Siehe auch:
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