Wie die Socialist Workers Party (USA) ihre Linie im Fall Elian Gonzalez änderte

Die Socialist Workers Party ist nicht über Nacht zu ihrer öffentlichen Stellungnahme gegen die Rettung von Elian Gonzalez gelangt. Ihre politische Line hat eine erkennbare Entwicklung durchgemacht, die sich anhand der Seiten des Militant über das halbe Jahr, seit Elian aus dem Atlantik gefischt worden war, hinweg deutlich nachvollziehen lässt.

Die erste Äußerung zum Thema findet sich im Militant vom 13. Dezember. In den folgenden drei Monaten brachte jede Ausgabe weitere Artikel; angesichts des breiten Raums, den kubanische Ereignisse normalerweise in dieser Zeitung einnehmen, muss die Berichterstattung jedoch als eher spärlich bezeichnet werden. Diese Artikel kritisierten einhellig die Verwandten in Miami sowie die amerikanische Regierung und unterstützten die Forderung der kubanischen Regierung, dass Elian umgehend zu seinem Vater in Kuba zurück gebracht werden müsse.

Bezeichnenderweise erschien das Thema Elian Gonzalez jedoch niemals auf der Titelseite des Militant, und auch die öffentlichen Versammlungen oder Leserforen in verschiedenen Städten befassten sich nicht damit. Am 24. Januar erschien der bis dahin einzige Kommentar. Er verurteilte "die empörende Weigerung der Clinton-Regierung, den sechsjährigen kubanischen Jungen Elian Gonzalez in sein Heimatland zu seinem Vater zurück zu bringen".

In der Ausgabe vom 7. Februar erschien als Hauptartikel auf Seite 3 ein ausführlicher Text von Argiris Malapanis. Unter der Überschrift "US-Beamte verzögern die Rückkehr des kubanischen Jungen" hieß es darin: "Angesichts des erwarteten physischen Widerstands der dortigen Rechten war die Clinton-Regierung nicht bereit Bundesbeamte einzusetzen, um den Jungen gewaltsam aus seinem Aufenthaltsort in Little Havanna zu holen". Bemerkenswerter Weise widerspricht diese Aussage diametral der späteren Darstellung des Militant, die von "der fast völligen Abwesenheit bewaffneter konterrevolutionärer Organisationen" vor dem Wohnsitz von Lazaro Gonzalez spricht.

Der Artikel brachte im weiteren den Fall Elian Gonzalez in Zusammenhang mit der aktuellen politischen Krise innerhalb der herrschenden Elite der USA: "Die Entwicklungen im Umfeld des Falles Elian Gonzalez erinnern an andere überraschende Initiativen rechter Politiker oder von Teilen der herrschenden Klasse, die darauf abzielen, den außenpolitischen Kurs des Weißen Hauses zu torpedieren oder zu unterlaufen." Der Autor erwähnt dann die Rede von Jesse Helms vor dem UN-Sicherheitsrat, die Ablehnung des Atomteststopp-Vertrages, die Anwürfe an Clinton wegen seiner Amnestie für politische Gefangene aus Costa Rica, sowie das Amtsenthebungs-Verfahren.

Ohne die Verdienste dieses Artikels übertreiben zu wollen, war er doch ein Versuch, die Bedeutung des Falles Elian Gonzalez in einem gewissen politischen Zusammenhang zu bewerten. Außerdem stellte er einige grundlegende Fakten in Rechnung - die Gewaltandrohung seitens der Unterstützer der Verwandten in Miami, den Einfluss der Exilkubaner in den rechtsgerichteten Kreisen Washingtons, und schließlich die Kriecherei der Clinton-Regierung vor diesen Kräften. All diese Tatsachen sollte die SWP später abstreiten.

Die nächste Ausgabe, datiert vom 14. Februar, brachte einen Artikel über eine Mahnwache in Miami, deren Teilnehmer die Rückkehr des Jungen nach Kuba forderten. Doch dies sollte mehrere Monate lang der letzte Artikel zum Thema Elian Gonzalez bleiben. Die nächsten neun Ausgaben des Militant brachten nur einen einzigen kurzen Bericht über eine Gerichtsentscheidung, obwohl der Fall zu jener Zeit in den Vereinigten Staaten zunehmend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregte.

Schließlich veröffentlichte der Militant am 17. April auf der ersten Seite einen langen Artikel über eine Versammlung der SWP in Chicago, der Vertreter beinahe aller Parteizellen beigewohnt hatten. Mary Alice-Waters von der Parteiführung gab dort einen Bericht über ihre Reise zur Buchmesse in Havanna. In diesem Rahmen schilderte sie auch ausführlich ihre Diskussionen mit Kubanern über Elian Gonzalez und führte dabei einige der Hauptthesen ein, die in der am 8. Mai folgenden Stellungnahme gegen die INS-Aktion weiter ausgeführt wurden.

Waters behauptete: "Die INS und die von Clinton vertretenen Kräfte versuchen diesen Fall zu benutzen, um das Image der Einwanderungsbullen unter Arbeitern zu verbessern... Wir erklärten, weshalb es nicht im Interesse der arbeitenden Bevölkerung der USA liege, wenn die INS das Vorrecht auf administrative Entscheidungen erhalte, die gerichtlich nicht mehr anfechtbar sind... Genau dies versuchen die Herrschenden in den USA gesetzlich festzuschreiben, seit Clinton 1996 die Reform des Einwanderungsrechts unterzeichnete... Wir erklärten immer wieder, dass in den imperialen Vereinigten Staaten eine mächtige, ‚entscheidungsbefugte‘ Exekutive nicht im Interesse der arbeitenden Bevölkerung liegt. Sie ist alles andere als progressiv, sondern weltweit unser großer historischer Feind."

Die folgende Ausgabe des Militant enthielt einen weiteren Versuch diese Linie zu entwickeln. In einer Antwort auf eine Leserfrage wurde es für falsch erklärt, das Recht des überlebenden Elternteils Juan Miguel Gonzalez auf eine Wiedervereinigung mit seinem Sohn zu betonen:

"Klassenbewusste Arbeiter stellen ganz klar fest, dass die elterlichen Rechte im abstrakten nicht über die Rechte der Kinder - der wehrlosesten Mitglieder der Gesellschaft - gestellt werden sollten.

Der Missbrauch, den Kinder erleiden - Gewalt, sexuelle Übergriffe, und die Opposition einiger Eltern gegen staatliche Erziehung oder Gesundheitsvorsorge - sind Ausdruck der Brutalität und des Mangels an Solidarität, die die kapitalistische Gesellschaftsordnung kennzeichnen. Arbeitende Menschen verlangen, dass der Staat in solchen Fällen auf Seiten der Kinder eingreift."

Diese Stellungnahme des Militant deckte sich praktisch völlig mit den zweifelhaften Argumenten des dreiköpfigen Richtergremiums am zuständigen Appellationsgericht. Auch sie hatten das Beispiel von Eltern angeführt, die aus religiösen Motiven heraus eine medizinische Behandlung ablehnen, um zu begründen, weshalb Juan Miguels Rechte als Vater einem eigenständigen Asylantrag seines sechsjährigen Sohnes nicht im Wege stünden.

In der auf den 1. Mai datierten Ausgabe der folgenden Woche - der letzten, die vor der Erstürmung in Druck ging - deutete sich an, dass die neue Linie zum Fall Elian Gonzalez die SWP in eine beträchtliche Krise geworfen hatte. Der Militant brachte einen dreiseitigen Artikel über eine Tagung lateinamerikanischer Studenten in Havanna, erwähnte die Diskussion über Elian Gonzalez jedoch nur ganz am Rande. Der Artikel berichtete: "Einen guten Teil seiner Rede vom 5. April widmete Castro den Einzelheiten dieses Falles. Dabei kündigte er auch an, das Juan Miguel Gonzalez in Kürze nach Washington aufbrechen werde, um am nächsten Morgen seinen Sohn zu holen." Doch kein Wort Castros wurde direkt zitiert, und das in einer Zeitung, die ansonsten quasi als Hauspostille des kubanischen Präsidenten dient.

Ein weiterer Umstand illustriert, wie abrupt die Linie nach dem 7. Februar geändert wurde.

Die Ausgabe des Militant vom 14. Februar brachte unter anderem eine Ankündigung, die in der üblichen Manier der SWP-Zeitung einen der häufigen Personalwechsel bekannt gab. Darin hieß es, dass Argiris Malapanis, der Verfasser des Artikels über den Fall Elian Gonzalez aus der Vorwoche, sowie die Herausgeberin des Militant Naomi Craine, die den Artikel wohl abgesegnet hatte, zur Arbeit in die Provinz geschickt worden waren. Craine sollte sich einem Team zum Parteiaufbau in den Bundesstaaten Carolina anschließen, und Malapanis, der fließend spanisch spricht, wurde zur Arbeit in eine Textilfabrik in Miami geschickt.

Diese plötzliche Umbesetzung legt nahe, dass es sich um eine Reaktion auf den Artikel vom 7. Februar handelte. Offenbar hing sie mit der Entscheidung des SWP-Führers Jack Barnes zusammen, eine Änderung der Linie durchzusetzen. Für diese Annahme spricht auch die Ankündigung im Militant vom 22. Mai, dass der neue Herausgeber Greg McCartan, der Craine abgelöst hatte, nach nur drei Monaten ebenfalls aus der Redaktion ausscheide, um die Wahlkampagne der SWP im Jahr 2000 zu leiten.

Diese putschartige Änderung der Linie - eine abrupte Kehrtwende bei gleichzeitiger Beseitigung möglicher Gegner - unterstreicht nur, wie ungesund die inneren Verhältnisse der SWP beschaffen sind. Seit langem führt sie nur noch eine Schattenexistenz und besteht im wesentlichen noch aus den Anhängern eines Kults um Jack Barnes und seine Frau Mary-Alice Waters.

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