Ein Jahr rechts-konservative Regierung in Österreich

Als vor einem Jahr die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in die Wiener Regierung eintrat, sprachen viele davon, dass dieser Schritt dazu führen werde, Haiders rechtsextremen Partei mit ihrer rassistischen Propaganda die Giftzähne zu ziehen und sie in die "demokratische Verantwortung" einzubinden. Ein Jahr später ist klar, dass genau das Gegenteil stattfand.

Nicht die Freiheitlichen wurden gezähmt, sondern die Demokraten eingeschüchtert. Ungeachtet tiefer parteiinterner Konflikte, zum Teil massiver Stimmenverluste bei Landtagswahlen, strafrechtlicher Ermittlungsverfahren und der Tatsache, dass die Rechten bereits im ersten Regierungsjahr die Hälfte ihrer sechs Minister auswechseln mussten, setzten die Freiheitlichen mit großer Energie und Tempo einen deutlichen Rechtsruck in der österreichischen Politik durch. Systematisch besetzen sie seit ihrem Amtsantritt Schlüsselposten im Staatsapparat und auf allen Ebenen von Wirtschaft und Gesellschaft mit Gefolgsleuten.

Die Europäische Union hat dem nichts entgegenzusetzen. Als sie vor einem halben Jahr ihre ohnehin nur symbolischen Sanktionen zurückzog und die europäische Kontrollkommission in ihrem Gutachten der rechts-konservativen Regierung durchaus gute Zensuren erteilte, triumphierte Jörg Haider und forderte von Brüssel eine Entschuldigung. Die hat er zwar nicht bekommen. Doch während die sozialdemokratischen Regierungen mit ihren Sparprogrammen und Kürzungsmaßnahmen auf immer größere Schwierigkeiten stoßen, wächst in der politischen und wirtschaftlichen Elite Europas der Kreis derer, die das Wiener Experiment mit Wohlwollen betrachten.

Der Aufstieg der Freiheitlichen bis ins Wiener Kanzleramt stützte sich auf demagogische Kampagnen, in denen Haider - der mehrfache Millionär und Großgrundbesitzer - sich und seine Partei als Interessensvertreter des "kleinen Mannes" darstellte. Dabei nutzte er die weitverbreitete Opposition gegen Korruption und Vetternwirtschaft. 60 Jahre lang hatten sich die beiden großen Parteien, die sozialdemokratische SPÖ und die klerikal-konservative Volkspartei ÖVP die politische Macht geteilt und in den vergangenen zwölf Jahren gemeinsam in einer großen Koalition selbstherrlich regiert. Gezielt lenkte Haider den wachsenden Unmut über die sozialen und politischen Verhältnisse in rassistische Bahnen.

Seit nun die rechts-konservative Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Haiders Statthalterin Susanne Riess-Passer vor Jahresfrist die Regierungsarbeit aufgenommen hat, ist hinter den demagogischen Phrasen das wahre Programm der Freiheitlichen deutlich geworden. "Im Grundsatz macht die Regierung eine neoliberale Politik, die vor allem den Interessen der Finanzmärkte und der transnationalen Konzerne dient," erläutert der österreichische Wirtschaftsprofessor Kurt Rothschild, der betont, dass er mit der Bankiersdynastie nicht verwandt sei.

Im Zentrum dieser Politik stehen vor allem drei Dinge: der radikale Abbau der in Österreich weit entwickelten sozialen Sicherungssysteme, Privatisierung der lukrativsten Staatsbetriebe und eine drastische Einschränkung demokratischer Rechte. All das firmiert unter dem Schlagwort: "Modernisierung Österreichs!"

Angriff auf den Sozialstaat

In nur einem Regierungsjahr fanden Angriffe auf soziale Einrichtungen statt, die alles bisherige in den Schatten stellen. Zwar hatte bereits die Große Koalition in den vergangenen Jahren starke Einschnitte ins soziale Netz vorgenommen, jedoch waren vor allem die Sozialdemokraten oftmals zu sehr mit Gewerkschaften und Arbeiterkammer vernetzt, um die Interessen der Wirtschaft konsequent durchzuführen.

Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung wurden in beinahe allen Bereichen tiefgreifende Veränderungen durchgeführt, oder sie werden gerade vorbereitet. Das Rentenantrittsalter wurde vergangenen Oktober um eineinhalb Jahre angehoben, Frühpensionen und Witwen-, Waisen und Invalidenrenten wurden gekürzt. Neben einer weiteren Erhöhung des Rentenalters, das bereits im Gespräch ist, wird vor allem auf die Umstellung zu einer privaten Altersabsicherung hingearbeitet. Bereits im Regierungsprogramm war dies erklärtes Ziel beider Parteien.

Auch im Gesundheitssystem wurden "Korrekturen" vorgenommen, die eindeutig gegen die Bevölkerung und vor allem gegen die Kranken und sozial Schwachen gerichtet sind: die Einführung von Selbstbeteiligung, das heißt erhöhte Eigenzuzahlungen für Medikamente und Kürzungen beim Krankengeld - um nur zwei Maßnahmen zu nennen. Aber auch hier steht der große Umbruch noch an.

Die Debatte über die Reformbedürftigkeit des österreichischen Gesundheitssystems hat gerade wieder frischen Wind bekommen. Und zwar vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger, einer Einrichtung der Sozialpartnerschaft, deren Führung vom Sozialministerium ausgewählt wird und dem in Belangen der Sozialversicherungen ein Mitspracherecht eingeräumt ist. In früheren Zeiten diente es dazu, das Proporzsystem der beiden großen Parteien auf jede Ebene auszudehnen und ihre Macht zu festigen. Vordergründig dreht sich nun die Debatte um die Ablösung des Präsidenten des Hauptverbandes, Franz Sallmutter (SPÖ), der gleichzeitig auch Chef der Angestelltengewerkschaft ist, und dessen Ersetzung durch Reinhard Gaugg (FPÖ), der sich für die völlige Abschaffung des Hauptverbandes stark macht.

Sallmutter wird für das wachsende Defizit der gesetzlichen Krankenkassen verantwortlich gemacht. Einig sind sich alle Parteien inklusive der Sozialdemokraten darin, das Gesundheitssystem zu "reformieren", was in ihrem Sprachgebrauch privatisieren und deregulieren bedeutet. Die Freiheitlichen vertreten dabei die Teile der Wirtschaft, die auf Anhieb jegliche Beschränkungen der Unternehmen aus dem Weg räumen wollen. Andere Teile der Wirtschaft wollen hingegen am bisherigen System, zumindest teilweise, festhalten. So bezeichnete der stellvertretende Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Reinhold Mitterlehner (ÖVP), gegenüber dem Kurier die Zerschlagung des Hauptverbandes als "Affront gegen die Sozialpartner". Unterstellte man das System direkt der Regierung, wäre das "eine Motivation für parteipolitische Einflussnahme, was der Kontinuität in diesem sensiblen Bereich abträglich wäre". Natürlich plädiert auch er für weitreichende Veränderungen und Einsparungen.

Die Liste der Einschnitte ins soziale Netz ließe sich noch weiter fortführen. Die Einführung von Studiengebühren, die sozial Schwächeren ein Studium fast unmöglich macht, Kürzungen des Arbeitslosengeldes, Streichung von Geldern für gemeinnützige Institutionen, Steuererhöhungen usw. Weitere Sozialkürzungen werden im Zuge der Haushaltskonsolidierung bis 2002 folgen und sind bereits angekündigt.

Noch deutlicher werden die tiefgreifenden Veränderungen, die in nur wenigen Monaten in Österreich in Angriff genommen wurden, wenn man die Medien- und Rechtspolitik betrachtet. Ganz unverblümt tritt die FPÖ dafür ein, die Rede- und Medienfreiheit einzuschränken. Dazu ist die Einrichtung einer sogenannten Medienbehörde geplant. Nach Ansicht des Generalintendanten des österreichischen Rundfunks ORF, Gerhard Weis, zielt diese Behörde darauf ab, staatliche Kontrolle über Rundfunk und Fernsehen zu errichten. Bereits jetzt ist es vorgekommen, dass sich Fraktionschef Peter Westenthaler, der für die FPÖ im Rundfunkrat sitzt, bei einer Live-Diskussion kurzerhand zuschalten ließ.

Als der Innsbrucker Politikwissenschaftler Anton Pelinka in einem Interview für den US-Nachrichtensender CNN von "Elementen der NSDAP-Ideologie" bei der FPÖ sprach, wurde er sofort zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt. Wie sollen kritische Journalisten angesichts der ständigen Einschüchterungen und FPÖ-Klagewut noch offen ihre Meinung sagen, fragte er auf einer Pressekonferenz nach seinem Prozess. Mittlerweile haben 35 namhafte US-Wissenschaftler sich in einem offenen Brief an den österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil gewandt und bitten darum, "einen möglichst breiten Spielraum für politische Kritik an Inhabern öffentlicher Ämter zu schaffen". Doch die Reaktion war ernüchternd. Klestil ließ lediglich mitteilen, er lehne es ab, Urteile unabhängiger Gerichte zu kommentieren.

Für die Wende in der Rechtspolitik sorgt der frühere FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer als Justizminister. Der frühere sudetendeutsche Burschenschafter Böhmdorfer war gemeinsam mit Jörg Haider in der Vereinigung "Südmark" aktiv und hat bereits als Justiziar der FPÖ jeden politischen Gegner mit Klagen überzogen. In seiner Funktion als Justizminister versucht er sogar Reformen zu revidieren, die früher mit den Stimmen des Koalitionspartners ÖVP beschlossen worden waren. Unter anderem will er lebenslange Haftstrafen für Rauschgift-Händler, härtere Strafen bei Sexualdelikten und ein schärferes Jugendstrafrecht durchsetzen. Selbst harmlose Kritiker, wie der Künstler André Heller und andere, wurden sofort verklagt.

Die Krise der FPÖ

Immer schwerer fällt der FPÖ der Spagat zwischen ihrer sozialen Demagogie und ihrer neoliberalen Politik. Dies spiegelt sich auch in den beiden Landtagswahlen seit der Nationalratswahl wieder. In der Steiermark verlor sie fünf Prozent und fast ein Drittel ihrer Wähler. Im Burgenland, wo im Dezember gewählt wurde, mussten beide Regierungsparteien empfindliche Verluste hinnehmen. Dieser Trend könnte sich Prognosen zufolge auch bei der am 25. März anstehenden Wiener Landtagswahl fortsetzen.

Die Niederlagen haben in der FPÖ zu erheblichen innerparteilichen Konflikten geführt. Jüngstes Beispiel dafür ist der Rücktritt Hilmar Kabas' als Spitzenkandidat der Wiener FPÖ. Der wegen seiner offen rassistischen Äußerungen bereits oft in die öffentliche Kritik geratene Kabas verlor nun auch in seiner Partei die Unterstützung und entschloss sich, wie er selbst sagte, aus "Angst vor steirischen Verhältnissen" zum Rückzug. Kabas stand auch im Zentrum der sog. Spitzelaffäre, in der der FPÖ Diebstahl von Daten aus Polizeicomputern nachgewiesen werden konnte, die sie dann für ihren Feldzug gegen Ausländer und linke Kritiker benutzte. Nachfolgerin wurde, auf Druck Jörg Haiders, die Sicherheitssprecherin der Freiheitlichen Helene Partik-Pable, die sich Haiders Ansicht nach besonders wegen ihrer "restriktiven Ausländerpolitik" als Kandidatin empfiehlt.

Die FPÖ wird bereits seit Regierungsbeginn von immer heftiger werdenden Flügelkämpfen zerrissen, die sich durch die beiden Wahlniederlagen und die Spitzelaffäre noch vertieft haben. Der Wahlkampf in Wien, der unter dem Motto "Österreich zuerst" und unterstützt von der Parteispitze um Haider mit extrem fremdenfeindlichen Parolen geführt wird, zeigt, dass die FPÖ noch weiter nach rechts tendiert, je mehr ihre Anhängerschaft schwindet.

Doch trotz dieser wachsenden Schwierigkeiten konnte sich die FPÖ an der Regierung halten und gibt auf vielen wichtigen Gebieten den Ton an. Weder die Sozialdemokraten noch die Gewerkschaften bilden eine ernsthafte Opposition und stimmen sogar mit vielen wirtschaftlichen Reformen überein, auch wenn sie die provokativen Methoden der FPÖ kritisieren.

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