Gericht erklärt Rasterfahndung für rechtens

Erstmals hat ein deutsches Gericht die umstrittene Rasterfahndung nach den Anschlägen in den USA uneingeschränkt als rechtmäßiges Mittel der Terroristenbekämpfung gewertet. Nach Angaben der Deutschen Presseagentur begründete das Verwaltungsgericht in Mainz seine Entscheidung am vergangenen Montag damit, dass die von Gesetzgeber vorgeschriebene "gegenwärtige und erhebliche Gefahr" durch die Terroranschläge von New York und Washington gegeben waren.

Die Mainzer Verwaltungsrichter widersprachen damit anders lautenden Entscheidungen von Gerichten in Wiesbaden, Berlin und Düsseldorf. Dort waren die Richter zu dem Schluss gekommen, dass die Strafverfolgungsbehörden bei der Rasterfahndung eine akute Gefahr von Terroranschlägen nicht ausreichend konkret dargelegt hätten.

Nur eine Woche vor der Mainzer Entscheidung hatte der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf die Überprüfung von 5 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen infolge der Rasterfahndung für rechtswidrig erklärt, soweit es sich um deutsche Staatsangehörige handelte. In der Begründung des OLG heißt es: "Nach Überzeugung des Senats hätte der Ermittlungszweck auch erreicht werden können, wenn die Rasterfahndung auf diejenigen Personen beschränkt worden wäre, die die Staatsangehörigkeit eines Landes, das nach dem Ermittlungsstand als verdächtig galt, besitzen oder dort geboren oder islamischer Religionszugehörigkeit sind." Denn nur bei diesen sei die erforderliche Nähe zur Gefahrensituation gegeben.

Während das Gericht also die Überprüfung von 5 Millionen Deutschen für unrechtmäßig erklärte, hatte es nichts gegen die weitere Überprüfung der 11.000 Personen arabischer Herkunft oder islamischer Religionszugehörigkeit einzuwenden und wies die Klage eines jordanischen Studenten aus Münster und eines marokkanischen aus Duisburg ab. Auf Grund der Staatsangehörigkeit dieser beiden Studenten sei das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen sie als rechtmäßig einzustufen.

Der offen rassistische Unterton des Urteils löste heftigen Widerspruch aus. Studentenvertreter aus ganz Deutschland warfen dem Oberlandesgericht vor, die "rassistische Sonderbehandlung" von jungen Ausländern zu legitimieren. Das Urteil gestatte den staatlichen Behörden, weiterhin alle Ausländer islamischen Glaubens unter den "Generalverdacht des Terrorismus" zu stellen.

Anita Susek, die Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses der Universität Münster, der die Klage des jordanischen Studenten unterstützt hat, erklärte zu dem Urteil: "Damit ist genau das passiert, wovor wir immer gewarnt haben." Die Diskussion nach dem 11. September habe schon einen "rassistischen Unterton" gehabt. "Das Urteil geht jetzt in die selbe Richtung."

Auch Wilhelm Achelpöhler, ein Rechtsanwalt aus Münster, der mehrere Beschwerdeführer vor dem Oberlandesgericht vertreten hat, äußerte heftige Kritik an der Fahndungspraxis in Nordrhein-Westfalen und der Urteilsbegründung des OLG Düsseldorf. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung(13. Februar) sagte er, es sei ein "starkes Stück", dass das OLG von einer "notstandsähnlichen Situation" spreche, die im Oktober vergangenen Jahres in Deutschland geherrscht habe, wohingegen das Bundes- und Landesinnenministerium eine konkrete Gefahr schon damals verneint habe. Zudem sei es "sehr bedenklich", wenn alle Muslime in eine Beziehung zu dieser angeblichen terroristischen Gefahr gerückt würden.

Mehrere Politiker dagegen kritisierten das Urteil aus entgegengesetztem Grund, weil es die Praxis der Strafverfolgungsbehörden nicht uneingeschränkt bestätigte. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen Fritz Behrens (SPD) erklärte: "Es könnte durchaus sein, dass Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit als islamistische Terroristen agieren. Vor Beginn der Rasterfahndung habe man ermittelt, dass viele Universitäten die Staatsangehörigkeit, das Geburtsland und die Religionszugehörigkeit in ihren Dateien gar nicht erfasst hätten. Deshalb sei man auf die Einwohnermeldeämter zugegangen und habe alle Männer zwischen 18 und 40 Jahren in die Rasterfahndung einbezogen. Man habe nicht auf Lücke setzen können." ( Süddeutschen Zeitung 14. Februar ) Er kündigte an, trotz des Urteils die Fahndungspraxis nicht zu ändern.

Die SPD-Innenminister von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Heiner Bartling und Manfred Püchel, fordern als Konsequenz aus den Gerichtsurteilen von Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hessen, ihre Gesetze nachzubessern und so eine Fortsetzung der Rasterfahndung zu ermöglichen. Das jüngste Urteil von Mainz hat nun das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden deutlich gestärkt.

Abbau demokratischer Rechte

Unmittelbar nach den Terroranschlägen auf New York am 11. September letzten Jahres einigten sich die Innenminister von Bund und Ländern in einer Telefonkonferenz darauf eine umfangreiche Rasterfahndung durchzuführen, die alle bisherigen Überwachungsaktionen in den Schatten stellt und den Datenschutz für einen großen Teil der Bevölkerung vollständig außer Kraft setzt.

Im Mittelpunkt der Polizei und Geheimdienstoperationen steht die Suche nach sogenannten "Schläfern". Die Verfolgungsbehörden verstehen darunter vor allem Studenten der naturwissenschaftlichen und technischen Fächer, die vorzugsweise ausländischer Herkunft und islamischer Religionszugehörigkeit sind und die sich vor allem durch jahrelange Unauffälligkeit auszeichnen. Nach der amtlichen Definition kann jeder Unverdächtige ein Schläfer sein, der irgendwann einmal zu einem Terroreinsatz aktiviert wird.

Die bundesweite Rasterfahndung, die unmittelbar nach der Telefonkonferenz der Innenminister ab 1. Oktober - und teilweise wie im Stadtstaat Hamburg bereits davor - in Gang gesetzt wurde, übertrifft alle bislang gekannten Ausmaße.

So wurden seither in Berlin 58.000 Datensätze abgeglichen, von denen 109 als "kritisch", aber nicht konkret verdächtig hängen geblieben sind. Von Sachsen-Anhalt wurden die Daten von 1292 Personen zur weiteren Überprüfung an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden weitergeleitet. In Schleswig-Holstein wurden bisher die Daten von 333 Personen herausgefiltert. Das Landeskriminalamt in Bayern will nach der dort bis jetzt durchgeführten Rasterfahndung 2.000 Personen näher überprüfen, wobei auch dort kein einziger konkreter Verdacht auf einen sogenannten "Schläfer" vorliegt. In Hamburg wurden aufgrund der Rasterfahndung 140 Studenten zu Gesprächen ins Polizeipräsidium vorgeladen.

In Nordrhein-Westfalen wurden rund fünf Millionen Menschen per Rasterfahndung überprüft. Von 500.000 überprüften Studenten wurden 11.000 Fälle für weitere Nachprüfungen herausgefiltert und an das Bundeskriminalamt weitergeleitet.

Die Kriterien für die Rasterfahndung waren enorm weit gespannt. So hatte etwa in Nordrhein-Westfalen das Düsseldorfer Amtsgericht auf Antrag des Polizeipräsidenten Einwohnermeldeämter, Hochschulen sowie das Ausländerzentralregister in Köln angewiesen, Datensätze von allen Männern im Alter von 18 bis 40 Jahren an das Polizeipräsidium zu übermitteln.

Eine eigens dafür eingesetzte Sonderkommission mit dem Namen "AG Lupe" machte sich dann an den umfangreichen Datenabgleich. Nach der Rasterung blieben 11.000 Personen, zumeist Angehörige arabischer Staaten, übrig, die nun von den verschiedenen Polizeidienststellen auf mögliche Verwicklungen in terroristische Aktivitäten überprüft werden sollen. Weitere Kriterien für die Rasterfahndung können in den einzelnen Bundesländern durchaus unterschiedlich sein, da Grundlage für die Rasterfahndung Ländergesetze sind.

Von Beginn an trug die politische Rechtfertigung für die Rasterfahndung einen ausländerfeindlichen Unterton und ermutigte die rückständigsten und reaktionärsten Elemente zu Beschimpfungen und Angriffen auf Menschen arabischer und türkischer Herkunft. Auch wurden Vorbehalte gegenüber allen Anhängern des Islam geschürt. Selten zuvor wurde deutlich wie sehr ausländerfeindliche Stimmungen durch staatliche Behörden gefördert werden.

Telefonüberwachung ohne Kontrolle

Nur wenige Wochen vor dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf zur Rasterfahndung wurde Ende Januar bekannt, dass es in Nordrhein-Westfalen seit der letzten Landtagswahl vor knapp zwei Jahren fünfzehn Monate lang keine Parlamentarische Kontrollkommission - auch G-10-Kommission genannt - gegeben hat, da sich sowohl CDU wie auch SPD nicht auf die Mitglieder für diese Kommission, die von allen im Landtag vertretenen Parteien vorzuschlagen und zu benennen sind, einigen konnten.

Infolgedessen konnte der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen eineinhalb Jahre lang ohne jegliche Kontrolle Telefongespräche abhören und Raumabhöranlagen installieren. Der von einer SPD-Mehrheit geprägte Landtag in Nordrhein-Westfalen versäumte es über den gesamten Zeitraum, eine Kommission einzusetzen, die diese höchst empfindlichen Eingriffe in grundlegende Bürgerrechte überprüft.

Presseberichten zufolge wurde eine Abhöraktion insgesamt fünfmal verlängert, ohne dass sie - wie gesetzlich vorgeschrieben - von der G-10-Kommission überprüft worden wäre. Insgesamt dauerte die Abhöraktion 15 Monate, von September 2000 bis Dezember 2001. ( Süddeutsche Zeitung, 30. Januar )

Der Vorsitzender der Kommission, die schließlich wenige Tage vor Weihnachten zum ersten Mal zusammentrat, äußerte sich in einem Brief an den Landtagspräsidenten sehr kritisch zu diesem Versäumnis. In dem Schreiben ist von "großer Verwunderung und Unmut" der Kommissionsmitglieder die Rede. Es sei verfassungsrechtlich höchst bedenklich, wie der Landtag mit verfassungsmäßigen Rechten umgehe, schrieb Rechtsanwalt Günther Wegmann, der jetzige Vorsitzende der G-10-Kommission. Er beklagte auch, dass sich die Kommission bei ihrem ersten Zusammentreffen zur "rückwirkenden Zustimmung" zu allen in der letzten Zeit (ohne parlamentarische Kontrollkommission) durchgeführten Abhöraktionen "genötigt gefühlt" habe.

Deutlicher könnte man kaum darstellen, was von der viel betonten parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste zu halten ist.

Siehe auch:
Otto Schilys Anschlag auf demokratische Grundrechte
(1. November 2001)
Hexenjagd auf arabische Studenten
( 4.Oktober 2001)
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