Editorial der Zeitschrift gleichheit

Lehren aus Frankreich

Am vergangenen Dienstag erschien die neue Ausgabe der Zeitschrift gleichheit . Wir geben im Folgenden das Editorial wieder.

Diese Ausgabe der gleichheit ist weitgehend den Ereignissen gewidmet, die sich zwischen dem 21. April und dem 5. Mai in Frankreich abspielten. Die Redaktion hat sich zu dieser Konzentration auf ein einzelnes Thema entschlossen, weil die Geschehnisse, die die französische Präsidentenwahl begleiteten, Probleme aufzeigen, vor denen die Arbeiterbewegung überall auf der Welt steht.

Der Überraschungserfolg des Faschisten Jean-Marie Le Pen in der ersten Wahlrunde hat in aller Schärfe die Frage aufgeworfen, wie die Arbeiterklasse gegen die rechte Gefahr kämpfen und ihre eigenen politischen Interessen wahrnehmen kann, ohne ins Fahrwasser immer rechterer bürgerlicher Politiker zu geraten. Die Wahl des Gaullisten Jacques Chirac, für die sich in Frankreich die gesamte traditionelle Linke stark gemacht hat, ist offensichtlich keine Antwort auf die faschistische Gefahr. Chirac wirft nun seine gesamte neu gewonnene Autorität in die Waagschale, um bei den Parlamentwahlen im Juni eine rechte Mehrheit zu erzielen. Die Folge wäre nicht nur ein scharfer Rechtsruck in der Innen- und Sozialpolitik, auch vor einer Zusammenarbeit mit Le Pens Nationaler Front würde Chirac kaum zurückschrecken. Österreich, Italien, Dänemark und Portugal liefern dafür die Vorbilder.

Doch selbst wenn die bisherigen Regierungsparteien im Parlament wieder die Mehrheit erzielten, hätte dies lediglich eine Fortsetzung jener Kohabitation zur Folge, die Le Pens Aufstieg ermöglicht hat. Die rechte Politik der sogenannten Linksregierung hat jenes Gefühl der Entfremdung und Entmutigung hervorgerufen, das die Nationale Front erfolgreich ausnutzen konnte.

Die Redaktion der World Socialist Web Site hat sich aktiv in den französischen Wahlkampf eingeschaltet. Sie hat zum Boykott der zweiten Wahlrunde aufgerufen, um damit die Arbeiterklasse in die Lage zu versetzen, als unabhängige politische Kraft ins Geschehen einzugreifen. In einem Offenen Brief hat sie die drei Parteien der äußersten Linken, die zusammen über zehn Prozent der Stimmen erhielten, aufgefordert, eine aktive Kampagne für einen Boykott zu führen, und diese Taktik ausführlich begründet. Die drei Millionen Stimmen, die auf die Kandidaten von Lutte Ouvrière (LO), der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und des Parti des Travailleurs (PT) entfielen, machen ebenso wie die Massendemonstrationen zwischen den beiden Wahlgängen deutlich, dass unter Arbeitern und Jugendlichen ein starkes Bedürfnis nach einer fortschrittlichen politischen Alternative besteht. Doch keine der drei genannten Organisationen ist ihrer Verantwortung gerecht geworden. Während sich die LCR der Kampagne zur Wahl Chiracs anschloss, verhielten sich PT und LO völlig passiv und lehnten jede eigene Initiative ab. Beide begründeten ihre Ablehnung eines Boykotts damit, das »Kräfteverhältnis« ließe dies nicht zu.

Die Auseinandersetzung mit diesen Organisationen wirft Fragen der sozialistischen Taktik und Perspektiven auf, die von grundlegender, internationaler Bedeutung sind. Frankreich ist kein Sonderfall. Die soziale Polarisierung der Gesellschaft, das völlige Versagen der alten reformistischen Organisationen und das Aufkommen faschistischer Strömungen, die die Lage in Frankreich kennzeichnen, gibt es in der einen oder anderen Form auch in anderen Ländern. Die französischen Ereignisse bieten daher wichtige Lehren, um sich auf ähnliche Geschehnisse vorzubereiten.

Um den Leser in die Lage zu versetzen, sich ein möglichst genaues und präzises Urteil zu bilden, reproduzieren wir hier alle Artikel der World Socialist Web Site, die die Ereignisse zusammenfassen und analysieren, ebenso wie den Aufruf zum Wahlboykott, den Offenen Brief und die Auseinandersetzungen mit den Organisationen der äußersten Linken, einschließlich eines Interview mit Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière. Als einzigen weiteren umfassenden Beitrag enthält diese Ausgabe einen Vortrag, den Barry Grey im Januar zur inneren Lage der USA gehalten hat. Er macht deutlich, dass dem aggressiven außenpolitischen Auftreten des US-Imperialismus eine explosive innere gesellschaftliche Krise zugrunde liegt.

Siehe auch:
Weitere Informationen zur neuen gleichheit
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