Frankreich

Sozialistische Partei heuchelt Entsetzen über geheime Absprachen zwischen dem Chirac-Lager und Le Pen

Der Sozialistischen Partei Frankreichs (SP) steht eine demütigende Niederlage in der zweiten Runde der Parlamentswahlen am kommenden Sonntag bevor. Den jüngsten Umfragen zufolge könnte das von den Gaullisten geführte Bündnis, die Union für eine Präsidentenmehrheit (UMP), zwischen 392 und 427 Sitzen im neuen Parlament gewinnen. Bisher verfügte es nur über 245 Abgeordnete. Die linken Parteien, einschließlich der SP, kommen auf 150 bis 191 Sitze gegenüber 314 nach den Wahlen von 1997. Die SP wird womöglich die Hälfte ihrer 248 Sitze einbüßen.

Im Bemühen um Schadensbegrenzung versuchen die französischen Sozialdemokraten, jetzt einige der traditionellen Linkswähler zu erreichen, die sich von der Politik der SP-geführten Regierungskoalition unter Premierminister Jospin so angewidert fühlten, dass sie sich in der ersten Wahlrunde am 9. Juni enthielten. Dabei versuchen die führenden Vertreter der Sozialistischen Partei, eine ihnen altbekannte Tatsache als schockierende Enthüllung zu verkaufen: geheime Absprachen zwischen der UMP unter Präsident Jacques Chirac und den neofaschistischen Parteien - der Nationalen Front (FN) unter Jean-Marie Le Pen und der von Bruno Mégret geführten Nationalen Republikanischen Bewegung (MNR).

Der sozialistische Abgeordnete Jean-Marc Ayrault, der zugleich Bürgermeister von Nantes ist, erklärte am Dienstag, die offizielle Rechte "diskreditiere" sich, weil sie ihre Kandidaten in zwei Bezirken nicht zurückziehe, in denen die UMP in der ersten Runde an dritter Stelle hinter der SP und der Nationalen Front gelandet war. "Wieder zieht die Rechte die Nationale Front vor", erklärte Ayrault. "Die Entscheidung der UMP, ihre Kandidaten im 2. Gard-Bezirk und im 13. Rhône-Bezirk nicht zurückzuziehen, bestätigt die Existenz lokaler Absprachen, mit denen die Wahl linker Kandidaten verhindert werden soll. Eine solche Einstellung lässt die Aussagen von Jacques Chirac und [Premierminister] Jean-Pierre Raffarin, wonach für sie keine Übereinkunft mit der extremen Rechten denkbar wäre, unglaubwürdig erscheinen."

Funktionsträger der SP im Bezirk Bouches-du-Rhône im Südosten Frankreichs verurteilten "die durchlässigen Beziehungen zwischen den örtlichen Führern der Rechten und der extremen Rechten". Sie bezogen sich insbesondere auf den 12. Distrikt in Vitrolles, wo Mégret (MNR) vergangenen Sonntag in der ersten Wahlrunde ausschied. Der MNR-Vorsitzende rief seine Anhänger auf, der Linken im ganzen Land "den Weg zu versperren", ohne zu lokalen Wahlentscheidungen Stellung zu beziehen. Doch ein Bürgermeister der MNR, Daniel Simonpiéri, hat in der Stadt Marignane eine offene Wahlempfehlung für den UMP-Kandidaten Eric Diard ausgesprochen, der in der ersten Runde hinter dem Sozialisten auf Platz zwei gelandet war. Die SP warf Diard daraufhin vor, er habe "die rückhaltlose Unterstützung von Daniel Simonpiéri und die kaum verhüllte Unterstützung Bruno Mégrets erhalten und angenommen".

Christophe Masse, der amtierende sozialistische Abgeordnete des 8. Bezirks von Bouches-du-Rhône - dem einzigen in der Region, in dem drei Kandidaten (SP, UMP, FN) gegeneinander antreten - warf dem Chirac-Lager vor, es appelliere an die Wähler der rechtsextremen Partei. In einer Erklärung des örtlichen UMP-Kandidaten hieß es nämlich, dass "die Dreierkonstellation einem Sieg der UMP nicht im Wege stehen wird, wenn die Wähler der FN verstehen, dass eine Stimme für die extreme Rechte zur Wahl der Linken beiträgt".

Der Ortsverband der SP erklärte dazu: "Die Linke trieb die extreme Rechte zur Tür hinaus [in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen am 5. Mai, bei der sie Chirac zu einer Mehrheit von 82 Prozent verhalf]. Die Rechte öffnet ihr jetzt das Fenster."

Ein weiterer offenkundiger Fall von Zusammenarbeit zwischen dem rechten Regierungslager und den Neofaschisten ist derjenige des UDF-Mitglieds Charles Millon. Die UDF (Union pour la démocratie française) ist eine der rechten Parlamentsparteien, und Millon gehörte Mitte der neunziger Jahre als Verteidigungsminister der Regierung Juppé an. Er war einer von drei Regionalpräsidenten, die bereits bei den Regionalwahlen von 1998 einen Pakt mit der Nationalen Front geschlossen hatten. Sie wurden zwar offiziell geschnitten und getadelt, weil sie die Hilfe der NF angenommen hatten, beteiligten sich aber dennoch an prominenter Stelle am gesamten Wahlkampfs Chiracs für das Präsidentenamt.

In der ersten Runde der Parlamentswahlen unterstützte die UMP offiziell keinen Kandidaten im Wahlbezirk Millons, der in einer Vorstadt von Lyon liegt. Dennoch berief sich Millon auf die persönliche Unterstützung Juppés und versah seine Wahlplakate mit dem Zusatz: "unterstützt von der UMP".

Der Kandidat der Sozialistischen Partei, Jean-Jack Queyranne - ein ehemaliges Mitglied des Kabinetts Jospin - übte öffentlich Kritik an "vorbereitenden Absprachen zwischen der Nationalen Front und Millon". Millon, der in der ersten Runde einen ultrarechten Law-and-Order-Wahlkampf geführt hatte, bestritt den Vorwurf nicht direkt, sondern erhob die unbestimmte Anschuldigung, Queyranne fantasiere "über Abkommen zwischen diesem und jenem Kandidaten".

Am Montag nannte unterdessen der Führer der Nationalen Front Le Pen die Namen derjenigen linken Kandidaten, die seiner Meinung nach in der zweiten Runde unbedingt geschlagen werden müssten - führende Mitglieder der SP, der Kommunistischen Partei und der Grünen. Er äußerte seine offene Unterstützung für Jean Kiffer, den Bürgermeister von Amnéville, der in der Mosel-Region im Nordosten Frankreichs auf einer gemeinsamen Liste von UMP und RPF (Rassemblement pour la France) kandidiert. Kiffer erklärte daraufhin, er sei "sehr stolz" darauf, dass Le Pen ihn unterstütze.

Diese Episoden bilden zweifellos nur die Spitze des Eisbergs. Der große Vorsprung der Rechten in der ersten Wahlrunde ermöglicht der UMP-Führung, sich hinsichtlich Absprachen mit der Nationalen Front auf das hohe Ross zu setzen. Sie versprach, keinen Kompromiss mit den Rechtsextremen zu schließen, weil sie es gegenwärtig überhaupt nicht nötig hat, sich auf diese Weise eine klare Parlamentsmehrheit zu verschaffen. Doch auf lokaler Ebene laufen alle möglichen schmutzigen Geschäfte und Mauscheleien zwischen dem Chirac-Lager und den Vertretern von FN und MNR.

Jetzt versuchen die Sozialisten, einen Teil der Wähler, die sich am 9. Juni enthalten haben, mit der Gefahr eines geeinten rechten Blocks - bestehend aus der "parlamentarischen" und der "extremen" Rechten - so zu erschrecken, dass sie am kommenden Sonntag doch noch SP wählen. Doch dieser Schwenk ist selbst für die heuchlerischen, selbstzufriedenen französischen Sozialdemokraten etwas zu heftig. Am liebsten würden sie wohl der Wählerschaft eine Gehirnwäsche verabreichen, um alles aus ihrem Gedächtnis zu tilgen, was zwischen der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 21. April und der Stichwahl am 5. Mai geschehen ist.

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, bei denen der SP-Kandidat Jospin ausschied, sodass die Stichwahl zwischen dem amtierenden Präsidenten Jacques Chirac und Le Pen ausgetragen wurde, hatte das gesamte offizielle Frankreich eine groß angelegte Propagandakampagne durchgeführt, um Chirac und sein Lager zu legitimieren und reinzuwaschen. Das gesamte Establishment in Politik und Medien, allen voran die Funktionäre der Sozialistischen Partei, stellte der französischen Öffentlichkeit tagein, tagaus Chirac als Retter der Demokratie und Verteidiger der "Werte der Republik" gegen den Neofaschisten Le Pen dar. Die Linke behauptete, dass Chirac zwar ein korrupter Politiker sei, aber dennoch als zuverlässiges demokratisches Bollwerk gegen Le Pens extreme Rechte dienen könne.

Die nun plötzlich entdeckte Sorge der SP über Gemauschel zwischen der Regierungsrechten und den Neofaschisten ist nichts als opportunistisch und zynisch und basiert auf engen wahltaktischen Überlegungen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Wählerschaft davon besonders beeindrucken lassen wird. Diejenigen, die - nicht zuletzt aufgrund der SP-Kampagne - bereits für das Chirac-Lager stimmen wollen, werden ihre jetzigen Kassandrarufe ignorieren. Sie könnten zu Recht die Frage stellen: "Wenn das so schlimm ist, weshalb habt ihr es uns nicht schon im Mai gesagt?" Diejenigen, die sich am 9. Juni aus Empörung über die SP enthielten, wird dieser verspätete "linke" Ausbruch nur in ihrer Wut und Verbitterung über die SP bestärken.

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