Opfer von Polizeigewalt in Köln gestorben

Protestkundgebung vor Polizeiwache fordert vollständige Aufklärung

Am Vormittag des 24. Mai erlag der 31-jährige Stephan Neisius seinen schweren Verletzungen, die ihm bei einem brutalen Polizeieinsatz durch Beamte der Kölner Eigelsteinwache knapp zwei Wochen vorher zugefügt worden waren.

Nachbarn hatten am Abend des 11. Mai die Polizei gerufen, weil es in der Wohnung von Stephan Neisius und seiner Mutter zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen war. Nachdem die Wohnungstür nicht sofort geöffnet worden war, traten die Polizisten diese ein. Stephan Neisius, der sich heftig gegen seine Verhaftung wehrte, wurde durch die Polizisten nach Einsatz von Pfefferspray gefesselt und nach Aussage seiner Mutter bereits in der Wohnung schwer geschlagen.

Hinweise der Mutter auf gesundheitliche Probleme ihres Sohnes, der regelmäßig ein Medikament gegen Thrombosegefahr spritzen muss, beachteten die Polizisten nicht. Nach Aussagen mehrerer Zeugen, die sich in der Zwischenzeit gemeldet haben, wurde Stephan Neisius auch beim Abtransport aus seiner Wohnung und im Polizeiwagen geschlagen, obwohl er bereits gefesselt und regungslos war.

Nach Eintreffen auf der Kölner Innenstadtwache Eigelstein wurde er von sechs Beamten weiter geschlagen und getreten. Der Wachdienstführer habe "Empfangskommando" gerufen, was intern als Warnruf bei einer schwierigen Einlieferung gilt, berichtete die Frankfurter Rundschau vom 25. Mai. Nach Aussagen von zwei Zeugen, einer Polizistin und einem Polizisten, die in dieser Nacht auf der Wache Eigelstein Dienst hatten, wurde Stephan Neisius, der an Händen und Füßen gefesselt war, auf den Boden gelegt, wo die anderen Beamten zu fünft oder sechst auf ihn eingeprügelt haben. Mehrfach sei auch gegen den Kopf des Opfers getreten worden, bis das ganze Gesicht blutig war. Dies berichtet die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 25./26. Mai. Anschließend sei er durch die Dienststelle in eine Zelle geschleift worden, in der die Misshandlungen weitergingen.

Stephan Neisius wurde dann zur Abnahme einer Blutprobe in ein Krankenhaus gebracht, wo er ins Koma fiel. Aus diesem Koma ist er bis zu seinem Tod knapp zwei Wochen später nicht wieder erwacht. Die beiden in der Wache Dienst tuenden Beamten, berichteten am Sonntag Nachittag (12. Mai) ihrem Vorgesetzten über den Vorfall. Die an den Misshandlungen beteiligten Beamten wurden darauf hin vorläufig vom Dienst suspendiert und die Kölner Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt auf.

Ein Gutachten des rechtsmedizinischen Instituts der Kölner Universität stellte nach der Untersuchung des Schwerverletzten fest, dass der 31-jährige Mann im Gesicht an der linken Stirnhälfte "ein deutlich geformtes, frisches Hämatom, nach Art eines Stiefelabdrucks aufweist". Das Koma wurde durch ein Hirnödem verursacht. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Tritte mit den Polizeistiefel gegen den Kopf des Opfers die schweren Verletzungen verusacht und zu seinem Tod geführt haben.

Nach Bekanntwerden des Tods von Stephan Neisius erweiterte die Kölner Staatsanwaltschaft ihre Untersuchung auf Körperverletzung im Amt mit Todesfolge. Das Kölner Amtsgericht erlies Haftbefehl gegen zwei der Hauptverdächtigen unter den beteiligten Beamten, die allerdings beide nach einem Tag bereits wieder auf freien Fuss gesetzt wurden, da "keine Flucht- und Verdunkelungsgefahr" bestünde.

Am Samstag, den 25. Mai protestierten am Nachmittag über 500 Menschen gegen die Polizeibrutalität. Eine bereits längere Zeit geplante Demonstration gegen das Ausländerzentralregister in Köln-Kalk zog vom Ebertplatz zur Polizeiwache Köln-Eigelstein, die nur wenige Meter vom Hinterausgang des Hauptbahnhofs entfernt liegt. Dort legte sie einen Halt für eine Kundgebung ein.

Freunde von Stephan Neisius verteilten Flugblätter und sammelten Unterschriften unter einen Aufruf, der die vollständige Aufklärung des Verbrechens fordert. Sprecher auf der Kundgebung kritisierten die Strukturen bei der Polizei und den berüchtigten Korpsgeist sowie die Stimmungsmache gegen die besonders schwachen und verletzbaren Schichten der Gesellschaft durch die offizielle Politik, die solche Vorkommnisse herausfordert und ermöglicht.

Der Aufruf des Freundeskreises von Stephan Neisius kann im Internet unter http://www.gebaeude9.de/neisius.html eingesehen werden. Gebäude 9 nennt sich eine Theatergruppe, die von Thomas Krutmann geleitet wird, einem der Initiatoren des Aufrufs. Beim Aufbau dieser Theatergruppe hatte Stephan Neisius mitgearbeitet. Er hatte großes Interesse an Musik und war selbst ein guter Musiker. Ferner stellte er seine handwerklichen Fähigkeiten als gelernter Schreiner bei der Restaurierung von Möbeln und der Einrichtung der Räumlichkeiten der Theatergruppe zur Verfügung.

Über die Misshandlung von Stephan Neisius wurde in der lokalen und auch überregionalen Presse berichtet. In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass es in Köln in den letzten Jahren zu zahlreichen Übergriffen und Misshandlungen durch Polizeibeamte gekommen ist. Allein auf der Polizeiwache Eigelstein hatte es in den letzten Jahren 37 Ermittlungsverfahren gegeben, die aber alle wieder eingestellt wurden, weil die Opfer keine Beweise oder Zeugen für ihre Misshandlungen beibringen konnten oder weil beschuldigte Polizisten durch ihre Kollegen und Vorgesetzten gedeckt wurden.

Gegen einen der Hauptbeschuldigten im Fall von Stephan Neisius, den Beamten Lars S., gab es bereits zwölf Anzeigen wegen Körperverletzung, ohne dass diese zu einer Suspendierung vom Polizeidienst geführt hätten.

Inzwischen versucht die Kölner Polizeiführung den Schaden zu begrenzen. Der Polizeipräsident Klaus Steffenhagen hatte letzte Woche Donnerstag dem Leiter der Innenstadt-Inspektion, Jürgen Sengespeick, die Zuständigkeit für die Aufarbeitung des Falles entzogen. Er soll in den Ruhestand versetzt werden, wehrt sich aber dagegen, weil dies einer "Vorverurteilung" gleichkäme. Der neue Leiter der Polizeiinspektion Innenstadt, Udo Behrendes, soll das Verhalten zahlreicher Beamter und deren Biografien überprüfen.

Der Sprecher des Bundes Kritischer Polizisten, Thomas Wüppesahl, äußerte am 24. Mai im Fernsehsender N24 große Zweifel daran, ob der Fall wirklich aufgeklärt und Maßnahmen ergriffen würden, die weitere solche Vorfälle verhindern könnten. Auf keinen Fall könnten sie aus der Polizei selbst heraus kommen, sondern nur bei entsprechenden Druck von außen.

Welche Gesinnung zumindest in Teilen der Polizei vorherrscht, machte der Sprecher der Polizeigewerkschaft Gerd Diefenthaler gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung in deren Ausgabe vom 29. Mai klar. Er beschrieb das Revier nahe dem Kölner Hauptbahnhof so: "Wo die Straftaten der Großstadt geschehen, wo sie Obdachlose haben, wo sie Strich haben, wo die Sausäcke herumlungern."

Siehe auch:
31-jähriger Mann in Köln schwebt nach schweren Misshandlungen durch Polizei in Lebensgefahr
(22. Mai 2002)
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