Der politische Bankrott der PLO und die Wurzeln der Hamas

Nachfolgend veröffentlichen wir den dritten und abschließenden Teil einer Artikelserie. Teil eins und Teil zwei wurden am 9. und 10. Juli veröffentlicht.

Aus Angst, die revolutionäre Massenbewegung würde außer Kontrolle geraten, trafen Jassir Arafat und die PLO im Dezember 1988 die Entscheidung, den Staat Israel formell anzuerkennen und dem bewaffneten Kampf abzuschwören.

Diese Ankündigung setzte einen langwierigen Verhandlungsprozess zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts in Gang, der schließlich im September 1993 zum Abkommen von Oslo führte, das als erster Schritt zu einem unabhängigen Palästinenserstaat betrachtet wurde. Ein solcher Staat würde es der palästinensischen Bourgeoisie, die im Exil beträchtliche Reichtümer angehäuft hatte, ermöglichen, ihr Vermögen abzusichern und durch die Ausbeutung von Lohnarbeit zu vermehren.

Vom Standpunkt des US-Imperialismus und des zionistischen Staates aus, bestand die Aufgabe der palästinensischen Kapitalisten darin, vermittels der PLO die palästinensischen Arbeiter zu unterdrücken und so für die Sicherheit Israels Sorge zu tragen.

Das führte dazu, dass nach dem Dezember 1988 die Hamas offen mit der PLO darüber in Konflikt geriet, wer den politischen Prozess dominieren sollte. Gezielt griff sie zu terroristischen Aktionen gegen militärische und zivile Ziele in Israel, um sich unter den Massen Respekt zu verschaffen. Im Mai 1989 verhafteten die israelischen Behörden einige hundert Hamas-Anhänger, darunter auch Yasin, wegen Verwicklung in terroristische Aktivitäten. Fast zwei Jahre nach dem Beginn des Aufstands und ein Jahr nachdem Israel die Komitees der PLO/UNLU verboten hatte, wurde auch die Hamas für illegal erklärt.

Zu diesem Zeitpunkt war die Hamas die wichtigste Oppositionspartei geworden, die in Wahlen zu studentischen Gremien und Berufsverbänden regelmäßig zweitstärkste Kraft nach der Fatah wurde. Als die PLO sich im Oktober1991 bereit erklärte, an den Madrider Gesprächen unter Vermittlung der USA teilzunehmen, bei denen es um die Errichtung eines palästinensischen Staates neben Israel gehen sollte, rief Hamas zur "vollen Rückkehr zur militärischen Option" auf und verlangte eine 50prozentige Beteiligung an allen PLO-Gremien. Unter heftigen Beschuldigungen, die Hamas sei ein Werkzeug Israels und der USA und wolle die PLO als Führung der palästinensischen Bewegung ersetzen, wurde dies abgelehnt.

Mit terroristischen Angriffen gegen israelische Ziele versuchte Hamas nun ständig, die Verhandlungen zu unterminieren. Nichts zeigt deutlicher, wie abscheulich und letztlich bankrott ihre Perspektive ist, als die Tatsache, dass sie ihre jugendlichen Kader mit Bombengürteln um die Hüften losschickte, um zivile Ziele und sich selbst in die Luft zu sprengen und als Märtyrer für die Sache zu sterben. Mit Geldzahlungen an ihre Familien von angeblich 30.000 Dollar sind diese jungen Männer tot mehr wert als lebendig.

Trotz ihrer Ablehnung des Staates Israel war das Ziel von Hamas weniger, die Verhandlungen und eine Zwei-Staaten-Lösung zum Scheitern zu bringen als diese zu verzögern. Sie kalkulierte, je länger die Verzögerung dauert, desto mehr würde die PLO an Unterstützung verlieren.

1991 organisierte die Hamas eine Reihe von Streiks und Demonstrationen, mit denen Fatah und die PLO unterminiert werden sollten. Die Intifada verwandelte sich von einem Kampf gegen den zionistischen Staat zunehmend in einen Kampf zwischen rivalisierenden Banden maskierter Männer. Im Juli 1992 war sie zu Schlachten zwischen Hamas und Fatah auf den Straßen Gazas degeneriert, die 300 Tote und 100 Verletzte forderten.

Die Terrorkampagne der Hamas gegen Israel zielte darauf ab, einen Gegenschlag der zionistischen Rechten zu provozieren und die Pläne der künftigen Regierung der Arbeitspartei zu torpedieren, ein Abkommen mit der PLO zu schließen. Tatsächlich war sie ein Spiegelbild der Ideologie und Methoden der zionistischen Rechten. Während die rechten Zionisten ganz Palästina als jüdischen Staat ohne Platz für andere Religionsgruppen ansehen, verkündet Hamas die Notwendigkeit eines islamischen Staates, aus dem Juden und Christen ausgeschlossen wären. Beide zeigen immer wieder ihre Bereitschaft, ihre Ziele mittels Terror durchzusetzen.

Nach dem Abkommen von Oslo

Das Abkommen von Oslo beinhaltete Übergangsregelungen bis zu voller Staatlichkeit: eine gewählte Palästinensische Autonomiebehörde, durch die das israelische Militär ersetzt werden und die gegen Hamas und andere Oppositionsgruppen vorgehen sollte, um die israelischen Sicherheitsforderungen zu garantieren. Dementsprechend hing der Erfolg von Oslo davon ab, inwieweit Hamas und andere Oppositionsgruppen die Palästinensische Autonomiebehörde unterstützen würden. Sollte dies nicht der Fall sein, drohte Bürgerkrieg zwischen der von der Fatah dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde und jedweder Opposition.

Fortgesetzte Unterstützung für Arafat hing davon ab, in welchem Maße die Palästinensische Autonomiebehörde als Vorläufer eines palästinensischen Staates akzeptiert werden und in der Lage sein würde, Frieden und eine gewisse Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für die Palästinenser zu bringen. Da Oslo der PLO eine gewisse Glaubwürdigkeit und ihrem Verwaltungs- und Sicherheitsapparat internationale Gelder verschafft hatte, die zum Aufbau einer PLO-abhängigen Klientel verwandt werden konnten, verengte sich für Hamas der politische Spielraum.

Dementsprechend kam die Moslembruderschaft trotz ihrer ständig wiederholten Ablehnung von Oslo bald zu einer Übereinkunft mit der PLO. Gefangene von Hamas und PLO in einem Gefängnis von Gaza unterzeichneten ein Abkommen, welches Gewalt als Mittel zur Austragung politischer Differenzen ausschloss. Solange die PLO zusicherte, keinen zionistischen Kollaborateuren im Austausch für palästinensische Gefangene in Israel Amnestie zu gewähren, würde sich Hamas zurückhalten. Später erklärte sich Hamas in ihrem Bestreben nach einem Übereinkommen mit Fatah bereit, "Diffamierungskampagnen" zu beenden, ebenso wie die Ausrufung von Streiks "um die wirtschaftliche Belastung unseres Volkes zu verringern" an festgelegten Tagen zu unterbinden.

Gleichzeitig schloss sich Hamas öffentlich mit 10 linken Gruppierungen zusammen und wurde Teil einer in der syrischen Hauptstadt Damaskus ansässige Koalition, zu der auch die PFLP und die DFLP gehörten, welche beide das Osloer Abkommen und die Zwei-Staaten-Lösung ablehnten. Die Vereinbarung verpflichtete Hamas zu gar nichts. Bedeutender war, dass die linken Fraktionen der PLO durch einen Pakt mit ihren Erzfeinden dazu beitrugen, den antiimperialistischen Anstrich der Hamas aufzupolieren.

Die Moslembrüder verstießen ihrerseits gegen die Vereinbarung von Damaskus, wann immer es ihnen gerade passte. Während die Hamas sich weigerte, an den Parlamentswahlen der Palästinensischen Autonomiebehörde teilzunehmen, nahm sie trotzdem an den Gemeindewahlen teil, "weil", wie Scheich Yasin angeblich gesagt haben soll, "sie das tägliche Leben der Palästinenser in den besetzten Gebieten beeinflussen wollte". Mit anderen Worten, sie wollte solange als loyale Opposition fungieren, bis sie die Zeit für reif erachtete, zuzuschlagen.

Dass die Hamas immer noch bereit war, die Prinzipien von Oslo unter der Voraussetzung zu akzeptieren, dass ihr politische Mitsprache gewährt würde, wird durch die Tatsache bewiesen, dass sie sich mit dem Kommandeur der israelischen Streitkräfte traf, um den Pakt zu diskutieren. Schimon Peres von der Arbeitspartei, der damalige Außenminister, erwog sogar die Idee, dass Israel Gefangene der Hamas freilassen würde, falls sie dem Terror abschwöre. Ihre Haltung zu der 10.000 Mann starken Polizeitruppe der Palästinensischen Autonomiebehörde, die jede politische Opposition niederhalten sollte, war die: "Wir begrüßen die palästinensischen Sicherheitskräfte als unsere Brüder."

Die PA ging gegen die Hamas vor, nachdem diese drei Angriffe durchgeführt hatte, bei denen 25 Israelis getötet und 50 verletzt wurden. Damit sollte ihrer Forderung Nachdruck verliehen werden, Scheich Yasin und andere Gefangene freizulassen. Gleichzeitig forderte sie, dass die PLO aufhören sollte, Israel mit Informationen über Islamisten zu versorgen. Später im Jahr 1994 verhaftete die Palästinensische Autonomiebehörde mehr als 300 Aktivisten der Hamas, nachdem sie einen israelischen Soldaten entführt und ermordet hatte. Die nächsten zwei Jahre verlor Hamas an Unterstützung, da der Glaube an die Lebensfähigkeit von Oslo weit verbreitet war.

In wenigen Jahren wurde jedoch deutlich, dass die Friedensverhandlungen keine greifbaren Ergebnisse bringen würden. Die unerträglichen Lebensbedingungen für die Mehrheit der Palästinenser in der Westbank und Gaza verschlechterten sich noch weiter, als Israel seinen Landraub fortsetzte, der nach Oslo angeblich verboten sein sollte, und den Würgegriff über die palästinensische Wirtschaft verstärkte.

Unter dem ständigen Druck von Jerusalem und Washington war die von der PLO dominierte Palästinensische Autonomiebehörde gezwungen, gegen Hamas und andere Oppositionsgruppen vorzugehen. Die PA wurde zunehmend als korrupte und undemokratische Institution angesehen, nicht mehr als ein Werkzeug Israels und nur zum Nutzen einer dünnen Schicht von Funktionären und Geschäftsleuten. Darüber hinaus behielten die israelischen Behörden die volle Kontrolle über die sogenannten autonomen Gebiete.

Hamas profitierte nicht nur von der Unfähigkeit der PLO, die nationale Unterdrückung der Palästinenser zu überwinden, sondern auch von der Unfähigkeit der PA, die drängendsten sozialen Probleme zu lösen. Soweit es überhaupt soziale Einrichtungen gab, waren sie größtenteils von der Hamas zur Verfügung gestellt und von deren Hintermännern in den arabischen Scheichtümern finanziert. Dementsprechend wurde sie in ihrer Opposition zur PLO immer aggressiver und verstärkte ihre militärischen Aktionen gegen Israel.

Im Frühjahr 1996, nachdem Premierminister Itzhak Rabin von rechtsextremen Zionisten ermordet worden war, die jede Vereinbarung mit den Palästinensern ablehnten, und kurz vor den Wahlen in Israel, führte Hamas eine ganze Serie von Bombenanschlägen durch, bei denen 60 Israelis getötet und Hunderte verletzt wurden.

Ziel war es, den rechten Likud an die Macht zu bringen und den Friedensprozess von Oslo zu zerstören. Bis heute ist ihr Ziel, eine rechte israelische Gegenreaktion zu provozieren in der Hoffnung, eine unweigerliche und brutale Vergeltung werde die Palästinenser weg von der PLO in die Arme der Hamas treiben. Wie der Haaretz-Journalist Danny Rubinstein nach Oslo schrieb: "Die terroristischen Angriffe der Hamas enthalten zwei Botschaften. Die erste - an Arafat und die PLO - lautet, wagt es nicht uns zu ignorieren; die zweite - an den Staat Israel - ist, dass Verhandlungen mit der PLO nicht das letzte Wort sind und Hamas auch berücksichtigt werden muss." Tatsächlich gab Yasin selbst Erklärungen ab, in denen er die Bereitschaft der Bruderschaft andeutete, mit Israel über einen Palästinensischen Staat zu verhandeln.

So lange der Prozess von Oslo noch die Aussicht auf positive Ergebnisse eröffnete, war die Palästinensische Autonomiebehörde in der Lage, Hamas und andere militante Gruppen unter Kontrolle zu halten. Nach dem Zusammenbruch der Gespräche von Camp David im Juli 2000 rächte sich die Unfähigkeit Arafats, den jämmerlichen Brocken, den Israel angeboten hatte, seinem Volk zu verkaufen. Dazu war er nicht in der Lage.

Der Zusammenbruch des Friedensprozesses bedeutete wiederum, dass die durch Oslo geschaffenen politischen Institutionen und Mechanismen nicht überlebensfähig waren. Die angestaute Frustration der Palästinenser explodierte schließlich im September 2000 als Scharon provokativ die heiligen islamischen Stätten in der Jerusalemer Altstadt inmitten von Hunderten Soldaten besuchte. Der darauf folgende Aufstand richtete sich jedoch ebenso gegen die Palästinensische Autonomiebehörde wie gegen Israel.

Jüngste Meinungsumfragen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Palästinenser die Selbstmordanschläge als angemessene Antwort auf Israel betrachten und die Hamas in jeder zukünftigen Wahl, bei der sie Kandidaten aufstellen würde, 25 Prozent erhalten könnte.

Die Arbeiterklasse braucht eine fortschrittliche Alternative zum Nationalismus

Das entscheidende Element der gegenwärtigen Krise in Israel/Palästina und im ganzen Nahen Osten, wo ähnliche Tendenzen existieren, ist das Fehlen einer ernsthaften revolutionären Alternative für die Arbeiterklasse - die arabische wie auch die israelische.

Unter solchen Bedingungen kann die Wut und Frustration der palästinensischen Arbeiter und Jugendlichen keinen fortschrittlichen Ausweg finden. Die reaktionärsten und rassistischsten zionistischen Elemente nutzen ihrerseits die Angst und Verzweiflung der Israelis angesichts der Selbstmordanschläge aus, um immer härtere Unterdrückung der Palästinenser zu fordern, wie beispielsweise umzäunte Bantustans wie während der Apartheid-Ära in Südafrika [die so genannten Homelands für Angehörige der Stämme der Bantu] und "Bevölkerungstransfers" - eine beschönigende Bezeichnung für ethnische Säuberungen.

Letztendlich ist das Phänomen islamistischer Gruppen wie Hamas und ihrer zionistischen Gegenstücke der Preis, den die Arbeiterklasse für ihre Unterordnung unter die verschiedenen nationalen bürgerlichen Organisationen, wie radikal sie auch immer auftreten, zahlen muss. Diese sind organisch unfähig, einen unabhängigen Kampf gegen den Imperialismus zu führen und eine demokratische und fortschrittliche Perspektive aufzuzeigen. Die Befreiung des palästinensischen Volkes von imperialistischer Unterdrückung kann nicht von den Palästinensern allein bewerkstelligt werden. Der Nationalismus, ob säkular oder religiös, dient nur dazu, die Arbeiterklasse von den Kräften zu trennen, die ihr am besten helfen können, nämlich ihren internationalen Brüdern und Schwestern, und sie stattdessen den Interessen des Kapitalismus unterzuordnen.

So lange die politische Elite Israels in der Lage ist, die Arbeiterklasse hinter der Verteidigung der "jüdischen Heimstätte" zu sammeln und reaktionäre Gruppen wie Hamas den unabhängigen Kampf der palästinensischen Arbeiterklasse in die Sackgasse eines islamischen Staats lenken können, wird der Konflikt immer grausamere und tragischere Formen annehmen.

Der israelisch-palästinensische Konflikt wurzelt in nahezu einem Jahrhundert an Intrigen verschiedener imperialistischer Mächte, die Arbeiterklasse in einer der strategisch bedeutendsten Regionen der Welt zu spalten und auszubeuten. Kern der Tragödie, die sich heute in Israel/Palästina abspielt, ist das bittere Erbe einer nationalistischen Perspektive und die ideologische Verwirrung und politische Desorientierung, die die Arbeiterklasse davon abhält, sich einer Alternative zur Ausbeutung durch ihre eigene herrschende Klasse und den Imperialismus zuzuwenden.

Die Antwort liegt in dem Kampf zur Vereinigung der arabischen und israelischen Arbeiter in einem vereinten Kampf zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen gegen kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Unterdrückung mit dem Ziel der Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens. Eine solche Lösung erfordert den Aufbau einer neuen revolutionären Führung, die sich auf das Programm des sozialistischen Internationalismus stützt.

Ende

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