Fremdenfeindlichkeit Sozialabbau und Staatsaufrüstung

Das Programm der neuen Regierung in den Niederlanden

Sechs Wochen nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden haben sich die beiden Wahlsieger, der "Christlich Demokratische Appell" (CDA) und die rechtspopulistische "Liste Pim Fortuyn" (LPF) mit der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) über die Eckpfeiler ihrer künftigen Regierungspolitik geeinigt.

Die Vereinbarungen wurden am Donnerstag, den 4. Juli, im niederländischen Parlament in Den Haag diskutiert. Die Minister sollen bereits in den nächsten Tagen berufen werden. Es wird erwartet, dass die neue Regierung ihre Geschäfte noch im Juli aufnehmen wird.

Jagd auf Immigranten

An erster Stelle des vereinbarten Programms steht der "Kampf gegen den Zustrom von Einwanderern". Asylbewerber und Immigranten sollen künftig noch effektiver daran gehindert werden, "in die Niederlande einzudringen". Dazu werden strenge Grenzkontrollen und die strikte Ausweispflicht für alle Grenzgänger eingeführt. Flüchtlinge ohne Ausweis haben künftig kein Recht mehr, einen Asylantrag zu stellen, eine Regelung, die klar gegen die Menschenrechtskonvention verstößt.

Darüber hinaus wird der illegale Aufenthalt durch eine Strafrechtsänderung zum kriminellen Delikt. Ein mobiles Spezialkommando der Polizei oder der Armee wird aufgebaut, um illegal im Lande lebende Ausländer oder abgelehnte Asylbewerber zu fassen und zu deportieren.

Für die heute bereits in den Niederlanden sich illegal aufhaltenden Ausländer - ihre Zahl wird auf etwa 100.000 geschätzt - wird es keine Amnestie und kein Pardon geben. Obwohl viele Blumen- und Gemüseplantagen oder Putzkolonnen gerne auf sie als billige und rechtlose Arbeitssklaven zurückgreifen, sollen sie rigoros deportiert werden.

Die Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien wird erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Immigranten, die Familienmitglieder nachholen wollen, müssen nachweisen, dass sie durch eigene Arbeit nicht nur den gesetzlichen Mindestlohn, sondern 30 Prozent darüber verdienen. Kinder dürfen nur noch bis zum Alter von 12 Jahren nachziehen.

Wenn überhaupt, sollen nur noch Reiche die Chance haben, als Einwanderer oder Asylbewerber ihren Fuß auf den Boden der Niederlande zu setzen: Jeder Immigrant muss künftig erst einmal 6.600 Euro in bar "für die Kosten seiner Integration in der niederländischen Gesellschaft" hinlegen, wenn er einen legalen Status erwerben und nicht deportiert werden will. Die Hälfte davon wird ihm später erstattet, wenn er erfolgreich den obligatorischen Sprachkurs absolviert hat.

Massiver Sozialabbau

Fast 11 Milliarden Euro sollen im Staatshaushalt durch tiefe Einschnitte bei den Leistungen der Krankenversicherung und der Berufsunfähigkeitsrente sowie bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst eingespart werden.

Die Allgemeine Krankenversicherung wird in eine Grundversicherung umgewandelt. Jede Familie, ob arm oder reich, zahlt dann den gleichen Beitrag ein, etwa 200 Euro monatlich. Gleichzeitig werden aus dem Leistungskatalog aber teure Operationen und langwierige Behandlungen gestrichen - sie müssen künftig aus eigener Tasche bzw. durch private Zusatzversicherungen bezahlt werden. Gesundheit und hohes Alter werden so zum Privileg für Reiche.

Die Berufsunfähigkeitsrente (WAO) wird durch ein Gesetz neu geregelt. Damit will die neue Regierung die Zahl der Bezieher dieser Rente innerhalb von nur drei Jahren von heute einer Million um 40% senken. Arbeiter und Angestellte, die vom Arzt berufsunfähig geschrieben worden sind, sollen wieder zur Arbeit verpflichtet werden, wenn sie andere, im Vergleich zu ihrem Beruf minderwertigere Tätigkeiten übernehmen können. Berufsunfähigkeit auf Grund psychischer oder nervlicher Erkrankungen soll es künftig überhaupt nicht mehr geben.

Wer sich weigert, dem neuen WAO-Gesetz entsprechend seiner Arbeitspflicht nachzukommen, verliert seine Rentenansprüche und erhält nur noch die in den Niederlanden extrem niedrige Sozialhilfe.

Da es bei der gegenwärtig wachsenden Arbeitslosigkeit und dem gleichzeitig geplanten Stellenabbau im öffentlichen Dienst unwahrscheinlich ist, dass irgendjemand auf seinen alten Arbeitsplatz zum alten Lohn zurückkehren kann, wird dieses neue Gesetz, das im Staatshaushalt 1,1 Milliarden Euro für andere Ausgaben frei machen soll, zu einer raschen Verarmung Hunderttausender der heutigen Rentenbezieher führen.

Ein weiteres wichtiges Vorhaben der künftigen Regierung besteht darin, nach den Krankenhäusern und Hochschulen nun auch die Grund- und weiterführenden Schulen in die sogenannte "Selbständigkeit" zu entlassen. Damit ist gemeint, dass die Schulleitungen künftig selbständig über die Verwendung ihres Budgets entscheiden und zum Beispiel die Bezahlung der Lehrkräfte je nach Marktlage gestalten können.

An den Hochschulen und Kliniken hat dies bereits dazu geführt, dass ein großer Teil der Arbeitsplätze von hochqualifizierten Wissenschaftlern und Fachkräften in befristete Jobs verwandelt worden sind. Nun sollen auch die Schulen nicht mehr nach gesamtgesellschaftlichen und übergeordneten bildungspolitischen Gesichtspunkten, sondern nach den Regeln des Marktes geführt werden.

Und schließlich ist im Namen des "Kampfs gegen die Bürokratie" noch ein massiver Abbau von Stellen und Gehältern im öffentlichen Dienst geplant. Unter derselben Parole wird auch die Steuer auf große Vermögen abgeschafft - während zum Ausgleich das Weihnachtsgeld für Arbeitnehmer besteuert oder gestrichen und die letzten Reste staatlicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose beseitigt werden.

Die schlechte Konjunktur und die damit drohenden Löcher im Staatshaushalt werden bald für eine weitere Verschärfung dieser Angriffe auf Rentner, Arbeitslose und Arme sorgen.

Die drei Fraktionsvorsitzenden und Verhandlungsführer, Jan Peter Balkenende (CDA), Mat Herben (LPF) und Gerrit Zalm (VVD) erklärten nach Abschluss der Gespräche, jetzt müsse "gespart" werden, "die Zeiten des Spendierens" seien vorbei", "die nächsten Jahre" würden "sehr hart für die Niederländer" werden. Angesichts der Wirtschaftsflaute und drohenden Haushaltsdefizite müsse "auch zu unpopulären Maßnahmen gegriffen werden".

Staatsaufrüstung

"Hohe Priorität" wird in den nächsten Jahren laut Koalitionsvereinbarung der "öffentlichen Sicherheit" eingeräumt. Wie anders sollte auch die Jagd auf Immigranten und der scharfe Sozialabbau durchgesetzt werden?

Gestritten wurde da zwischen den drei Verhandlungspartnern nur noch über das wie und wo. Die LPF war für den Aufbau und Einsatz von neuen Armeeeinheiten im Inland für die Jagd auf Immigranten. Die anderen hingegen wollten eine wesentlich stärkere Polizei für effektivere Einsätze jeglicher Art. Die VVD forderte 5000, die CDA 10.000 Neueinstellungen von Polizisten, und so einigte man sich auf 8.000 Mann plus spezielle Trainingsprogramme und Neuausrüstungen.

Außerdem werden eine Reihe Gesetzesänderungen in Angriff genommen, die der Polizei mehr Vollmachten geben und das Strafmaß für kriminelle Delikte erhöhen sollen.

Um dabei keine Zeit zu verlieren, wird eine dieser Gesetzesänderungen sogar bereits jetzt, unter der noch amtierenden alten Koalition verwirklicht. Auf Antrag eines CDA-Abgeordneter wird in leicht abgeänderter Form eine Gesetzesinitiative des gegenwärtigen Justiz- und des Innenministers - beide von der sozialdemokratischen PvdA - durch das Parlament gepeitscht, nach der Bürgermeister mit Zustimmung des Stadtrats künftig ganze Stadtviertel zu "Gefahrengebieten" erklären können. In diesen Gebieten ist die Polizei dann automatisch ermächtigt, auch ohne irgendeinen konkret vorliegenden Tatverdacht 24 Stunden lang eine beliebige Menge von Personen zu durchsuchen.

Die Vereinbarungen der drei künftigen Koalitionspartner tragen unverkennbar die Handschrift eines Toten, des kurz vor den Wahlen ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn. Obwohl erst wenige Wochen vor den Wahlen gegründet, hat die nach ihm benannten Wahlliste LPF auf Anhieb so viele Stimmen gewonnen, dass sie mit 26 von 150 Sitzen im Parlament die zweitstärkste Fraktion geworden ist.

Pim Fortuyn's Wahlkampf bestand hauptsächlich aus Fernseh-Talkshows, in denen er mit einer extrem fremdenfeindlichen Demagogie unter der Parole "Das Boot ist voll" die Wut der Bevölkerung über die wachsende soziale Misere in rassistische Kanäle lenkte. Mit dem Ruf nach dem starken Staat, nach mehr "öffentlicher Sicherheit" für den "einfachen Bürger", mit heftigen Angriffen auf die "Allmacht der Bürokratie" und die "Erstarrung der Konsens-Gesellschaft" stellte er sich als "Sprachrohr des Volks" gegen "die da oben in Den Haag" dar.

Jetzt sind seine Parolen zur Plattform einer Regierung in Den Haag geworden, die eben diesem Volk und dem "einfachen Bürger der Niederlande" Jahre voll "Blut, Schweiß und Tränen" und die eiserne Faust staatlicher Gewalt ankündigt.

Siehe auch:
Deutlicher Rechtsruck bei den Wahlen in den Niederlanden
(18. Mai 2002)
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