Die Kommunistische Partei Frankreichs diskutiert ihr Wahldebakel

Auf einer nationalen Konferenz hat die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) vergangene Woche ihr verheerendes Abschneiden bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen diskutiert.

650 Funktionäre der Partei versammelten sich am 26. und 27. Juni in Gennevilliers am Rande von Paris, um Schlussfolgerungen aus dem schlechtesten Wahlergebnis in der achtzigjährigen Geschichte der Organisation zu ziehen. Bei der Präsidentenwahl hatte die KPF, nach dem Zweiten Weltkrieg die stärkste Partei des Landes, gerade noch 3,4 Prozent der Stimmen erhalten. Bei der Parlamentswahl waren es mit 4,9 Prozent nur geringfügig mehr.

Die nationale Konferenz beschloss mit 322 gegen 80 Stimmen und 53 Enthaltungen im Frühjahr 2003 einen Kongress einzuberufen, der über die zukünftige Strategie und Form der Partei entscheiden soll. Bis dahin soll eine ausführliche Diskussion stattfinden, in der buchstäblich alles in Frage gestellt wird.

Die Resolution der Konferenz listet einen langen Katalog von offenen Fragen auf, die debattiert werden sollen. Er vermittelte den Eindruck einer Partei, die in Auflösung begriffen ist und weder weiß, was sie will, noch warum sie überhaupt existiert.

Unter anderem wird gefragt: "Was verstehen wir unter ‚Kommunismus'?" "Kennzeichnet der Begriff ‚Überwindung des Kapitalismus' unsere Auffassung der Umwandlung der Gesellschaft?" "Welche Kräfte lassen sich, ausgehend von den noch zu analysierenden Veränderungen der Gesellschaft, der Arbeit und der gesellschaftlichen Klassen, für eine Umwandlung der Gesellschaft, der Welt mobilisieren?" "Soll die Kommunistische Partei Frankreichs ‚weitergeführt' werden ? Wenn ja, in welchem Sinne?"

Die KPF wäre aber nicht die KPF mit ihrer langen stalinistischen Tradition, wenn hinter der Fassade von Selbstkritik und demonstrativen Selbstzweifeln nicht erbitterte fraktionelle Kämpfe tobten.

Die Parteiführung um den Vorsitzenden Robert Hue und die nationale Sekretärin Marie George Buffet ist unter erheblichen Druck geraten. Hue trägt als Präsidentschaftskandidat der Partei die Hauptverantwortung für ihr miserables Abschneiden bei den Wahlen. Er hat außerdem seinen als sicher geltenden Abgeordnetensitz in Argenteuil an einen Chirac-Anhänger verloren, obwohl er als einziger Kandidat der parlamentarischen Linken antrat und von den Sozialisten und den Grünen unterstützt wurde.

Hue, der 1994 Georges Machais als Parteivorsitzender ablöste, tritt für eine - wie er es nennt - "Umwandlung" ("mutation") der KPF in eine "Kommunistische Partei für das 21. Jahrhundert" ein. Darunter ist ein Bruch mit allem zu verstehen, was entfernt an die revolutionären Traditionen des Marxismus erinnert, zu denen sich die KPF bisher in Worten bekannt hat, obwohl sie in der Praxis seit Jahrzehnten eine andere Politik verfolgte.

Um wieder glaubwürdig zu werden, reiche es nicht aus, den Bruch mit dem sowjetischen Modell zu verkünden und dieses als "Verirrung" des Kommunismus zu betrachten, wie es die KPF seit den achtziger Jahren getan habe, heißt es in einem Papier, das die Anhänger Hues eine Woche vor der nationalen Konferenz in der Parteizeitung Humanité veröffentlichten. Zur Debatte stehe vielmehr "der ‚Kommunismus des 20. Jahrhunderts', wie er im Gärungsprozess der russischen Oktoberrevolution entstanden ist, mit seinen besonderen theoretischen und praktischen Traditionen."

Hue und seinen Anhängern schwebt eine Partei vor, die - ähnlich wie die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangenen Linksdemokraten in Italien oder die PDS in Deutschland - auf Klassenkampfrhetorik verzichtet und sich reibungslos in den bürgerlichen Politikbetrieb einfügt. Es gehe darum, eine "moderne kommunistische Identität" zu entwickeln, die "den Herausforderungen unserer Zeit gerecht" wird, nennen sie das in ihrer verschwommenen Sprache.

Das stößt von mehreren Seiten auf Widerspruch.

Zum einen gibt es die Alt-Stalinisten und ehemalige Anhänger des Hue-Vorgängers Georges Marchais, denen die gesamte "Umwandlung" gegen den Strich geht. Zu ihren Wortführern gehört der 81-jährige Georges Hage, der im Gegensatz zu Hue seinen Parlamentssitz verteidigt hat und als Alterspräsident die neue Nationalversammlung eröffnen wird.

Sie haben vor der nationalen Konferenz in der Humanité einen wütenden Angriff auf die "zahnlose Parteiführung" veröffentlicht, der sie vorwerfen, sie löse sich "unter dem Deckmantel der ‚Modernität' in der vorherrschenden Ideologie auf" und fühle sich außerdem "in den Pariser Salons wohler als an den Fabriktoren". Sie fordern einen außerordentlichen Kongress, der den "Ausstieg aus der reformistischen Umwandlung" beschließen soll.

Zum anderen gibt es die sogenannten Réfondateurs, die die Partei in ihrer bisherigen Form ganz auflösen wollen und für eine neue linke Sammlungsbewegung, einen "Pol der Radikalität" eintreten. "Man muss eine Alternative mit andern zusammen aufbauen, und nicht von den andern verlangen, dass sie sich der KPF anschließen," fasste der Historiker Roger Martelli, einer der Wortführer der Strömung, ihren Standpunkt zusammen.

Die Réfondateurs hatten vor zwei Jahren auf dem Kongress von Martigues noch den Vorsitzenden Robert Hue unterstützt. Inzwischen stehen sie mit ihm in Konflikt und sind zur stärksten unter den vielen Fraktionen geworden, die sich seinem Kurs widersetzen. In Gennevilliers erhielten sie 89 Stimmen für eine Resolution, welche die Einberufung eines KPF-Kongresses ablehnt und stattdessen für "Generalstände des Kommunismus" eintritt, die auch anderen politischen Tendenzen offen stehen. Ein Versuch der Réfondateurs, ihr Anliegen mittels einer Mitgliederbefragung durchzusetzen, scheiterte, da die Mehrheit der Konferenz eine solche Befragung ablehnte.

Als Bündnispartner haben die Réfondateurs vor allem die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) im Auge, deren Kandidat Olivier Besancenot bei den Präsidentschaftswahlen wesentlich besser abschnitt als Robert Hue. Die LCR bemüht sich seit langem um den Aufbau einer linken Sammlungsbewegung unter Einbeziehung von Teilen der KPF. Auch enttäuschte Sozialisten, kritische Grüne und Mitglieder der zahlreichen Bürgerrechts-, Protest- und Anti-Globalisierungsbewegungen sollen Teil des "Pols der Radikalität" werden.

Führende Vertreter der Réfondateurs haben deutlich gemacht, dass sie ihre Bemühungen um seine solche Bewegung auch gegen den Willen der Parteiführung fortsetzen werden, was letztlich zu ihrer Abspaltung von der KPF führen könnte, falls diese die kommenden Monate überlebt.

Worum geht es?

Was in Gennevilliers sichtbar wurde, ist der fortgeschrittene Zerfallsprozess einer der rechtesten und korruptesten Arbeiterparteien Europas. Es wäre daher völlig falsch, in einer der kämpfenden Fraktionen eine fortschrittliche Tendenz zu erblicken. Alle - Hue- und Buffet-Anhänger, Alt-Stalinisten und Réfondateurs - versuchen zu retten, was zu retten ist von einer Partei, die im vergangenen Jahrhundert in zahlreiche politische Verbrechen verstrickt war.

Die KPF galt jahrzehntelang als die Stalin-treueste unter den stalinistischen Parteien Europas. Bereits 1924, unmittelbar nach Lenins Tod, wurden die Anhänger Trotzkis aus ihren Reihen vertrieben. Boris Souvarine, Pierre Monatte und Alfred Rosmer mussten die Partei verlassen, weil sie sich weigerten, den neben Lenin wichtigsten Führer der Oktoberrevolution zu verdammen. In den folgenden Jahren gelangten jene treuen Gefolgsleute Stalins an die Spitze der Partei, die ihr Gesicht bis in die sechziger Jahre prägen sollten - Maurice Thorez, Jacques Duclos, Marcel Cachin u.a.

Sie verteidigten jeden politischen Schwenk Stalins und unterstützten alle seine Verbrechen, von den Moskauer Prozessen bis zum Hitler-Stalin-Pakt. Nirgends außerhalb der Sowjetunion trieb der Stalinsche Personenkult größere Blüten als in Frankreich. Noch nach dem Tod des Diktators verkündete Thorez, die Bezeichnung "Stalinist" sei keine Beleidigung, sondern ein "Ehren- und Ruhmestitel", auf den er stolz sei. "Aus ganzem Herzen erklären wir unsere brennende Liebe für Stalin und versichern ihm unser unerschütterliches Vertrauen."

Unter stalinistischem Einfluss wurde die KPF zu einer wichtigen Stütze der bürgerlichen Herrschaft in Frankreich. Dreimal sicherte sie dem französischen Kapitalismus in einer tiefen Krise das Überleben.

Erstmals 1936, als eine Offensive der Arbeiterklasse eine Volksfrontregierung an die Macht brachte, die vom Sozialisten Leon Blum geführt und von den Stalinisten unterstützt wurde. Die Regierung Blum unterdrückte den Generalstreik, entmutigte die Arbeiter und ebnete den Rechten den Weg zurück an die Macht. Gleichzeitig weigerte sie sich, die spanische Republik aktiv im Kampf gegen Franco zu unterstützen, und vergab so die letzte Möglichkeit, den Vormarsch des Faschismus in Europa einzudämmen.

Im Namen der Volksfront hüllte sich die KPF in die französische Flagge, stellte sich vor die bürgerlichen Institutionen und übernahm jenen chauvinistischen Tonfall, der die Partei bis heute prägt. Sie strich die Forderung nach Verstaatlichungen aus ihrem Programm, trat für die Verteidigung des Vaterlands und die Aufrüstung der Armee ein und verzichtete auf jede Kritik an der französischen Kolonialherrschaft. "Wir Kommunisten," verkündete Maurice Thorez 1936, "haben die Trikolore unserer Väter mit der roten Fahne unserer Hoffnungen versöhnt."

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die KPF ihre gesamte, im Widerstand gegen die deutsche Besatzung gewonnene Autorität ein, um das Überleben der bürgerlichen Herrschaft in Frankreich zu sichern. General de Gaulle fürchtete nach der Befreiung einen kommunistischen Aufstand, da sich, wie er sagte, "die Führung aller kämpfenden Elemente in den Händen der Kommunisten" befand. Aber seine Angst war unbegründet. Die KPF unterstützte de Gaulle, beteiligte sich an der Auflösung der bewaffneten Milizen und hielt die Arbeiter zum härteren Arbeiten an.

Zum dritten Mal eilte die KPF der herrschenden Klasse 1968 zu Hilfe, als Studentenproteste und ein Generalstreik die Fünfte Republik bis in die Grundfesten erschütterten. Die Feindschaft der Partei gegenüber den protestierenden Studenten wurde nur durch die Brutalität übertroffen, mit denen ihre Ordner gegen sogenannte Trotzkisten vorgingen. Schließlich nutzte die KPF ihren Einfluss auf die Gewerkschaft CGT, um den Streik abzubrechen und de Gaulle die Rückkehr an die Macht zu ermöglichen.

Mitte der sechziger Jahre begann auch jene enge Zusammenarbeit der KPF mit den Sozialisten, die dazu führte, dass sie ab 1981 fast ständig Minister in der Regierung stellte - erst unter dem sozialistischen Präsidenten Mitterrand, dann, in den letzten fünf Jahren, in der Regierung Jospin unter dem gaullistischen Präsidenten Chirac.

Es ist unverkennbar, dass die jahrzehntelange Mitverantwortung für eine Politik, die soziale Reformen versprach und das Gegenteil bewirkte, den letzten Rest an Glaubwürdigkeit untergraben hat, den die KPF in der Bevölkerung besaß. Ihre Wahldebakel ist die Quittung für die rechte, von ihr mitverantwortete Politik der Regierung Jospin.

Es markiert gleichzeitig den Bankrott des politischen Programms, das die KPF seit langem vertritt, des "französischen Wegs zum Sozialismus". Diesem Programm, laut dem der Weg zum Sozialismus über schrittweise Reformen im nationalen Rahmen führt, hat die Globalisierung der Produktion vollständig den Boden entzogen. Eine sozialistische Perspektive kann nur auf der Grundlage eines internationalen, revolutionären Programms verwirklicht werden.

Die erste Runde der Präsidentenwahl am 21. April hat gezeigt, dass es ein starkes Bedürfnis nach einer derartigen Perspektive gibt. Radikale Kandidaten, die sich selbst als Trotzkisten bezeichnen, erhielten drei Mal soviel Stimmen wie der stalinistische Kandidat Hue. Das hat die verschiedenen Fraktionen der KPF aufgeweckt. Angesichts der offensichtlichen Krise der bürgerlichen Institutionen, die im Wahlergebnis deutlich wurde, riefen sie im zweiten Wahlgang geschlossen zur Wahl des Gaullisten Jacques Chirac auf.

In dieser Frage gab es keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Hueisten, Alt-Stalinisten und Réfondateurs. Ein unabhängiger Standpunkt, wie ihn das WSWS in Form eines Wahlboykotts vorschlug, kam für niemanden unter ihnen in Frage. Mit dem Wahlaufruf für Chirac stellten sie sich, wie die KPF dies in Zeiten der Krise stets getan hat, alle hinter die bürgerlichen Institutionen der Republik. Als Ergebnis verfügt Chirac, der am 21. April noch nicht einmal ein Fünftel der Stimmen bekommen hatte, nun über eine stabile Regierungsmehrheit.

Die jetzige Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen KPF-Fraktionen drehen sich um die Frage, wie sie einen Teil ihrer verlorenen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen können. Hue schlägt den Bruch mit alten Traditionen und eine Anpassung an den Zeitgeist vor. Die Alt-Stalinisten (vier der Unterzeichner der Erklärung in der Humanité sind über 90 und zwei über 80 Jahre alt!) sehnen sich in alte Zeiten zurück. Und die Réfondateurs halten Ausschau nach einer Bluttransfusion. Vom Zusammengehen mit der LCR versprechen sie sich vor allem Zufluss aus der jüngeren Generation.

Der "Pol der Radikalität", den sie anstreben, bedeutet eine weitere politische Sackgasse. Als Vorbild dient die Partei Rifondazione Comunista in Italien, die ebenfalls aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen ist und zahlreiche radikale Gruppierungen in sich aufgesogen hat - unter anderen die italienische Schwesterorganisation der LCR unter Livio Maitan.

Rifondazione ist bemüht, radikalen Stimmungen entgegenzukommen und sie aufzufangen, hat aber in kritischen Situationen stets die Mitte-Links-Koalition unterstützt, die bis 2001 die Regierung stellte. Diese hat - ähnlich wie die Regierung Jospin in Frankreich - ihr anfängliches Vertrauen rasch verspielt und den Rechten unter Silvio Berlusconi den Weg zurück an die Macht geebnet. Rifondazione trägt als linkes Feigenblatt der Mitte-Links-Regierung eine wesentliche Verantwortung dafür.

Siehe auch:
Ein Interview mit Robert Hue dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs
(15. Juni 2002)
Robert Hue und die Fäulnis des französischen Stalinismus
( 15. Juni 2002)
Die Ligue Communiste Révolutionnaire verteidigt ihren Opportunismus
( 11. Juni 2002)
Die politischen Lehren aus den Präsidentschaftswahlen in Frankreich
( 22. Mai 2002)
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