Augenzeugenbericht über die Situation in den LTTE-kontrollierten Gebieten in Sri Lanka

Die Medien in Sri Lanka versuchen das kürzlich geschlossene Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung und den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) so hinzustellen, als hätte es zu größerer Freiheit und besseren Bedingungen für Tamilen in den Kriegszonen des Landes geführt. Das gilt jedoch weder für die regierungskontrollierten Gebiete, wo die Zivilbevölkerung noch immer von Armeeangehörigen schikaniert wird und der Lebensstandard unverändert niedrig ist, noch für die LTTE-kontrollierten Gebiete. Wie aus dem folgenden Augenzeugenbericht hervorgeht, hat sich auch die Situation für die in den LTTE-kontrollierten Gebieten lebende Bevölkerung, die vormals militärischen Übergriffen und einer lähmenden Wirtschaftsblockade ausgesetzt war, kaum geändert.

Die Hauptverkehrsstraße A9, die die Stadt Jaffna im Norden Sri Lankas mit den südlichen Regionen der Insel verbindet, führt 145 Kilometer durch LTTE-kontrolliertes Gebiet. Dieses Gebiet beginnt direkt hinter der Stadt Vavuniya, die sich in der Hand des srilankischen Militärs befindet, und erstreckt sich über die Wanni-Region bis in den unteren Teil der Halbinsel Jaffna. Im April/Mai 2000 war diese Straßenverbindung unterbrochen worden, als die LTTE den strategisch wichtigen Armeestützpunkt am Elefantenpass eroberte und in einer Offensive weite Gebiete der Halbinsel Jaffna überrannte. Erst kurz vor der Stadt Jaffna wurde die LTTE von den srilankischen Truppen gestoppt.

Das Waffenstillstandsabkommen enthielt unter anderem die Zusage, die A9 zu öffnen und damit die Reise- und Transportprobleme zu lösen. Bisher war eine Reise nach Jaffna nur auf dem Seeweg oder mit einem der vom Militär bereitgestellten Transportflugzeuge möglich. Doch die Reise zwischen Jaffna und Vavuniya ist für die Bevölkerung auch heute noch mit sehr vielen Schwierigkeiten verbunden.

Um diese 145 Kilometer zurückzulegen muss man fünf verschiedene Busse benutzen bzw. vier Mal umsteigen. Um von Vavuniya nach Jaffna zu reisen, muss man zunächst einen Bus von der Stadt Vavuniya bis zum Armeestützpunkt Omanthai nehmen. Von dort geht es dann in einem 15-minütigen Fußmarsch durch Niemandsland bis man den Kontrollpunkt der LTTE erreicht. Von diesem Punkt aus transportiert ein LTTE-Zubringerbus die Passagiere weiter zum etwa fünf Kilometer entfernten großen LTTE-Sicherheitsposten in Puliyankulam. Von dort bringt die Transportgesellschaft der LTTE die Reisenden mit einem Bus nach Muhumalai. Im Ort Muhumalai muss man noch einmal umsteigen und wird in einem anderen Fahrzeug bis zur Armeesperre Muhumalai gebracht. An dieser Haltestelle fährt der Bus nach Jaffna ab.

Zwischen Colombo und Jaffna verkehren keine öffentlichen Transportmittel. Die einzigen Verkehrsmittel, die auf dieser Strecke fahren, sind in der Hand von privaten Unternehmen, die stark überhöhte Preise verlangen. Um Privatbusse oder Kleinbusse zu mieten, müssen die Reisenden sich in Gruppen zusammentun und bezahlen dann 1.000 Rupien (etwa 13 Euro) pro Person für eine einfache Fahrt. Der Fahrpreis entspricht dem durchschnittlichen Wochenlohn eines Arbeiters.

Durchquert man auf der A9 die LTTE-kontrollierten Gebiete der Wanni-Region, sieht man reihenweise demolierte Gebäude, zerstörte Häuser, Läden und Tempel - sie zeugen von der Verwüstung, die der 19-jährige Bürgerkrieg angerichtet hat. Gemeinnützige Organisationen haben Warnschilder angebracht mit der Aufschrift: "Achtung vor Landminen". Von der einstigen Straße ist nur noch ein Schotterweg übrig. Er verläuft im Zickzack-Kurs, um die tiefen von Landminen gerissenen Gräben zu umgehen.

Abseits der Straße leben die Menschen in strohgedeckten Lehmhütten. Sie sind in ständiger Bereitschaft, beim ersten Anzeichen erneuter militärischer Auseinandersetzungen ihr Heim fluchtartig zu verlassen und weiterzuziehen. Kaum einer, der nicht auch schon in der Vergangenheit fliehen musste. Viele sind von einem Ort zum anderen gezogen oder mussten Tage, Wochen oder Monate unter den Bäumen im Dschungel verbringen.

Das Gebiet hat keine richtige Wasserversorgung. Ein vor kurzer Zeit erbauter 18 Meter hoher Wasserturm liegt in Trümmern, nachdem er von der srilankischen Luftwaffe bombardiert wurde. Die Menschen müssen nun lange Wege zurücklegen, um zur nächsten Wasserstelle zu gelangen. Nach dem Waffenstillstandsabkommen haben viele Familien begonnen, ihre Brunnen zu säubern, aber in den meisten Fällen ist das Wasser salzig.

Die meisten Schulen der Wanni-Region wurden von Bomben und Artillerie der Luftwaffe zerstört. Einige wenige Einrichtungen sind noch funktionsfähig. Zwei Schulen in der Stadt Killinochchi stehen zwar noch, aber es fehlt an der Grundausstattung. Dem Gebäude fehlen Fenster und Türen. Andere Schulen in der Region sind halboffene überdachte Unterstände aus Lehm mit Strohdach und ohne jegliches Mobiliar. Weit und breit fehlt es an Lehrkräften.

Viele Schüler müssen bis zu zwölf Kilometer zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen, um zur nächsten Schule zu gelangen. Vor kurzem hat die Rural Economic Research and Development Corporation, eine gemeinnützige Gesellschaft, eine Untersuchung zur Schulsituation durchgeführt. Die Studie ergab, dass in fünf Schuleinzugsbezirken der Region Wanni 25.245 Schüler die Schule aufgrund der schlechten Schulversorgung nicht regelmäßig besuchen. 4.768 dieser Schüler haben die Schule abgebrochen, weitere 17.264 nehmen nur unregelmäßig am Unterricht teil und 3.213 Schüler besuchen die Schule überhaupt nicht.

Schlechte Gesundheitsversorgung und Ausbreitung von Krankheiten

Die langen Kriegsjahre und die Wirtschaftssanktionen sind verantwortlich für den schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung. Seit dem Waffenstillstandsabkommen kehren zahlreiche Familien, die vor den Luftwaffenbombardements in die Wanni-Region geflohen waren, in ihre Heimatorte im Osten des Landes zurück. Untersuchungen des srilankischen Roten Kreuzes ergaben, dass 68 Prozent der Kinder, die nun mit ihren Eltern in ihre Heimatstadt Trincomalee im Osten Sri Lankas zurückgekehrt sind, unterernährt bzw. untergewichtig sind und an einer Reihe von Krankheiten, wie etwa Malaria, leiden.

Bis zu 3.000 Menschen wurden in den vergangenen zwei Monaten in Killinochchi gegen Malaria behandelt. Die Gesundheitsbehörden der Provinz warnen vor einer erneuten Malaria-Epidemie in der Region. Die allgemeine Armut, der Mangel an Medikamenten und die unzureichende medizinischer Versorgung sind die Hauptgründe für die Verbreitungsgefahr der Malaria. Die meisten Menschen leben in Lehmhütten mit Strohdächern und haben wenige oder keine Mittel, um sich vor den Mücken zu schützen. Besonders die Kinder sind unter diesen Umständen sehr gefährdet.

Neun Krankenhäuser bzw. Kliniken in der Wanni-Region wurden wegen des Krieges geschlossen. Die wenigen noch funktionsfähigen Krankenhäuser und Kliniken sind völlig unzureichend ausgestattet, es fehlt an ausgebildetem Personal, Medikamenten und sogar an Einrichtung. Die Ärzte kommen nur zwei Mal die Woche. Für die beiden Krankenhäuser Mulangavil und Veruvil ist nur ein Arzt zuständig. Ein anderer Arzt betreut drei Kliniken in Veruvil an einem einzigen Tag. Die Entbindungsstation in Veruvil hat weder die notwendige medizinische Ausstattung noch einen Arzt. Patienten, die sich in kritischem Zustand befinden, müssen in das 30 Kilometer entfernte Krankenhaus in Akkarayan gebracht werden, aber für Notfälle steht kein Transportfahrzeug zur Verfügung.

Die Gepflogenheiten der LTTE haben die Krise der Gesundheitsversorgung in der Wanni-Region noch weiter verschärft. Einen Großteil der Medikamente und medizinischen Ausrüstung, die aus Colombo geschickt werden, um den Bedarf der staatlichen Krankenhäuser zu decken, konfisziert die LTTE für ihre eigenen Kliniken. Der einzige qualifizierte Arzt, der im staatlichen Krankenhaus Akkarayan eingesetzt war, arbeitet nun in einer Privatklinik der LTTE. Die einfachen Leute können sich eine Behandlung dort nicht leisten.

Das staatliche Krankenhaus in Akkarayan wird anstelle des früheren Arztes von Mitgliedern der "medizinischen Abteilung" der LTTE betreut, die aber keine qualifizierte medizinische Ausbildung haben. Bei einem Patienten, einem jungen Mann, der sein Bein gebrochen hatte, wandte das LTTE-Personal die einheimische Ayurveda-Medizin an. Als er später auf Verlangen der Eltern ins staatliche Krankenhaus Vavuniya überstellt wurde, mussten die Ärzte feststellen, dass die Knochen falsch zusammengewachsen waren; ein Fehler, der nicht mehr korrigiert werden konnte. Ein Patient mit Magenschmerzen erhielt Medikamente zur Behandlung von Magengeschwüren, starb jedoch nach Einweisung in das Krankenhaus Vavuniya. Die LTTE verweigerte der Frau des Patienten die Erlaubnis, ihren Mann vor dessen Tod noch einmal zu besuchen.

In den von ihr kontrollierten Gebieten hat die LTTE den Gebrauch von Verhütungsmitteln verboten. Eine Sterilisierung ist nur Frauen über 35 erlaubt, die bereits fünf oder mehr Kinder haben.

Steuern und überhöhte Preise

Obwohl die srilankische Regierung die Wirtschaftssanktionen in den LTTE-kontrollierten Gebieten zum Teil aufgehoben hat, sind die Preise von Grundversorgungsgütern im Vergleich zu den Preisen in der srilankischen Hauptstadt Colombo noch immer sehr hoch. Die LTTE erhebt auf diese Waren Steuern, die für die normale arbeitende Bevölkerung eine große Belastung darstellen.

Für jede Lastwagenladung Fracht, die in ein LTTE-kontrolliertes Gebiet gelangt, erhebt die LTTE in der Regel einen Steuersatz von 25 Prozent. Der Preise für Güter in einem Wert von 100.000 Rupien erhöht sich somit auf 125.000 Rupien. Von kleinen Ladenbesitzern, die ihre Waren über Großhändler beziehen, wird eine weitere Steuer auf die von ihnen gekauften Güter erhoben. Sind nicht alle Güter aufgelistet, verhängt die LTTE hohe Geldstrafen.

All diese Maßnahmen haben die Preise enorm in die Höhe getrieben. Ein Kilogramm Zucker kostet beispielsweise 50 Rupien, ein Kilogramm Mehl 27 Rupien, eine Paracetamol-Tablette 2,50 Rupien und ein Liter Kerosin 40 Rupien. Die Preise sind über 50 Prozent höher als in Colombo. Ein Sack Zement kostet 900 Rupien gegenüber 350 Rupien im Süden Sri Lankas.

Die Kooperativen bieten ihre Waren zwar zu vergleichbaren Preisen wie in Colombo an, können aber eine Versorgung nicht sicherstellen: So gilt hier für Kerosin der gleiche Preis von 18 Rupien pro Liter wie in Colombo, aber in der Regel ist kein Kerosin vorrätig. Lebensmittel sind zwar vorrätig, doch in verdorbenem Zustand, und das nicht ohne Grund. Die frischen Lebensmittel wandern in die Läden der LTTE und werden durch verdorbene Waren aus den LTTE-eigenen Lagerhäusern ersetzt. Organisiert wird das Ganze von LTTE-Anhängern, die für die Verwaltung der Kooperativen zuständig sind. Die LTTE-Läden verkaufen die frischen Lebensmittel zu Preisen, die die meisten Leute nicht bezahlen können.

Ein alter Bauer meinte bitter: "Was soll das heißen, man hätte die Wirtschaftssanktionen aufgehoben? Wenn Gütertransporte blockiert werden und Waren, die aus dem Süden kommen, aufgrund von Steuern und Vorratslagerung völlig überhöhte Preise haben, sind das doch genauso Wirtschaftssanktionen. Ob Wirtschaftssanktionen oder nicht, für uns hat sich die Situation nicht geändert."

Viele Menschen, die im Wanni-Distrikt leben, sind Flüchtlinge und bekommen als solche staatliche Unterstützung in Form von Trockenrationen. Bisher standen einer fünfköpfigen Familie pro Monat Lebensmittel im Wert von 630 Rupien und einer Einzelperson im Wert von 168 Rupien zu. Damit war die Versorgung gerade einmal für zwei Tage sicher gestellt. Die LTTE hat diese mageren Zuwendungen nun auf 540 Rupien (für eine fünfköpfige Familie) und auf 135 Rupien (für Einzelpersonen) reduziert.

Die Bevölkerung in der Wanni-Region lebt hauptsächlich von Landwirtschaft und Fischfang, die wenigen anderweitigen Arbeitsplätze wurden im Krieg zerstört. Auch in diesen Bereichen erhebt die LTTE Steuern und die Preise für Dünger, Pestizide und andere für die Landwirtschaft notwendige Güter sind stark verteuert.

Für einen 50-Kilo-Sack ungeschälten Reis hat die LTTE einen Preis von 1.050 Rupien festgesetzt, zieht aber den Bauern für jeden Sack 150 Rupien an Steuern ab. Das treibt die meisten Bauern noch tiefer in Schulden. Viele Reisfelder werden schon lange nicht mehr bebaut und liegen brach. Andere Felder sind mit Minen durchsetzt. Tausende von Wasserbüffel, früher wichtige Nutztiere zum Pflügen der Felder, leben heute in der Wildnis und sind sich selbst überlassen.

Fischer, die aufs Meer hinausfahren wollen, müssen sich von der zuständigen Abteilung der LTTE, den "Sea Tigers", eine Erlaubnis holen. Auf diese Genehmigung werden vier oder fünf verschiedene Steuern und Abgaben erhoben. Viele Fischer, die keine Boote, Netze und andere Ausrüstung besitzen, sind gezwungen ihren Lebensunterhalt mit dem Tauchen nach Krabben und anderen Meerestieren verdienen. Aber auch dann wandert ein großer Anteil der Einnahmen in die Tasche der LTTE.

Ein Fischer beklagte sich: "Um ein oder zwei ‚Beach Demurs' (eine Meeresdelikatesse) zu fangen, müssen wir von morgens bis abends tauchen. An manchen Tagen finden wir überhaupt nichts. Die LTTE hat für ein Exemplar, das 300 Rupien wert ist, einen Preis von 150 Rupien festgesetzt. Im Gebiet Wishvamadu kauft die LTTE ein Kilo Garnelen für 80 Rupien und verkauft sie dann an den Fischständen in Mannar für 300 bis 500 Rupien."

Die LTTE überwacht die Bewegungen von Leuten, die in die LTTE-kontrollierten Gebiete einreisen oder diese Gebiete verlassen, sehr genau. Um die Wanni-Region zu verlassen, muss jeder, der im Alter zwischen 26 und 45 Jahre ist, 200 Rupien bezahlen. Diejenigen unter 26 Jahren müssen 300 Rupien bezahlen. In einem Fall hatte ein Mitglied der Eelam Peoples Revolutionary Front (eine der Rivalenorganisationen der LTTE) das Gebiet 1997 verlassen und sich ohne Erlaubnis nach Velanai auf die Halbinsel Jaffna begeben. Als er nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens wieder in das LTTE-Gebiet zurückkehrte, wurde er festgenommen.

Auch hat es keine Veränderungen geben, was die demokratischen Grundrechte angeht. Die LTTE ist die einzige Organisation, die die Erlaubnis hat, politisch aktiv zu sein. Das Abhalten öffentlicher Versammlungen und das Verteilen politischer Schriften ist ausschließlich der LTTE vorbehalten und somit allen anderen Organisationen verboten. Dieses Verbot hatten alle anderen bestehenden tamilischen Parteien mit abgesegnet, als sie im Vorfeld des Waffenstillstandsabkommens den Anspruch der LTTE, einziger Vertreter der tamilischen Bevölkerung zu sein, akzeptierten.

Siehe auch:
Srilankische Regierung und LTTE unterzeichnen vorläufiges Waffenstillstandsabkommen
(14. März 2002)
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